10.02.2021

Waffen-Wahn und Kriegs-Gewinn

Von Helmut Ortner

Titelbild

Foto: Sabrina Johnson via Wikicommons / US-Regierungsarbeit

1917 Milliarden US-Dollar haben die Staaten der Welt 2019 für Rüstungsgüter ausgegeben, der höchste Wert seit 1988. Wer sind die wichtigsten Akteure im Waffenmarkt, was ist die Rolle Deutschlands?

Die Welt brennt. Und der Waffenhandel floriert. Kriegsgerät ist global gefragt. Rekordverdächtige 1917 Milliarden US-Dollar haben die Staaten der Welt 2019 für Rüstungsgüter ausgegeben. Es ist der höchste Wert seit 1988, so das Internationale Friedensforschungsinstitut in Stockholm (SIPRI) in seinem aktuellen Jahresbericht. Im Vergleich zum Vorjahr bedeuteten die Ausgaben einen Anstieg von 3,6 Prozent. Gleichzeitig war es der größte jährliche Zuwachs bei den Militärausgaben seit 2010. Auf die USA entfallen mit 732 Milliarden US-Dollar ganze 38 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben. Das Land treibt die Modernisierung seines konventionellen und atomaren Waffenprogramms rasant voran.

Auch Deutschland hat dazu beigetragen: Um ganze zehn Prozent hat das Land seine Militärausgaben im Vergleich zum Vorjahr erhöht. Kein anderes Land unter den Top 15 der Welt verzeichnete einen so starken Anstieg. Insgesamt gab Berlin 49,3 Milliarden US-Dollar für seine Rüstung aus.

Der SIPRI-Bericht dokumentiert auch: Sechs der Top-15-Staaten, die am meisten für Rüstungsgüter ausgaben, sind NATO-Mitglieder. Neben den USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien zählen Italien und Kanada dazu. Nimmt man die Ausgaben all dieser Länder zusammen, kommt man fast auf die Hälfte der weltweiten Militärausgaben. Insgesamt gaben die 29 NATO-Mitglieder im Jahr 2019 rund 1035 Milliarden US-Dollar aus.

Laut SIPRI-Bericht liegen die gesteigerten Ausgaben der USA allerdings auch am Verhalten Chinas. Das Reich der Mitte hat in den vergangenen Jahren seine Ausgaben am deutlichsten gesteigert und liegt inzwischen mit 14 Prozent der weltweiten Ausgaben auf Rang zwei hinter den Vereinigten Staaten. Auch im vergangenen Jahr erhöhte Peking seine Militärausgaben. Im Vergleich zu 2018 stiegen die chinesischen Militärausgaben um über fünf Prozent und beliefen sich 2019 auf 261 Milliarden US-Dollar.

„Sechs der Top-15-Staaten, die am meisten für Rüstungsgüter ausgaben, sind NATO-Mitglieder.“

Neben China sorgt auch noch eine weitere asiatische Großmacht für Aufsehen: Indien erhöhte seine Rüstungsausgaben 2019 um knapp sieben Prozent auf 71,1 Milliarden US-Dollar – und verdrängte im weltweiten Ranking Saudi-Arabien vom dritten Platz. Im Vergleich zu den riesigen Summen der „Big Player“ verblassen die Rüstungsausgaben der restlichen Welt. Die Länder Südamerikas gaben rund 53 Milliarden US-Dollar aus, die Hälfte davon verbucht Brasilien. Die Länder in Südostasien kommen zusammen auf rund 41 Milliarden US-Dollar und die Länder des afrikanischen Kontinents insgesamt auf knapp über 42 Milliarden US-Dollar.

Viele Zahlen, viele Milliarden. Die Politik spricht routiniert von gewachsenen Militärausgaben und notwendigen Verteidigungskosten. Es gehe um nationale Sicherheit, um militärische Bündnisse, um strategische Gleichgewichte. Das Credo der Militär-Politiker: „Wer Frieden will, muss in Rüstung investieren“. Allein das sei Garant gegen Kriegsgefahr.

Ein expansiver Markt

Klar ist: wo viel investiert wird, wird auch viel produziert. Auf Nachfrage folgt Angebot. Dafür sorgen große Rüstungskonzerne, mittelständische Waffen-Fabrikanten und Zulieferer. Beim Vergleich des Fünfjahreszeitraums 2015 bis 2019 mit den Zahlen der Jahre 2010 bis 2014 zeigt sich: der internationale Waffenhandel ist in dieser Zeit um gut 5 Prozent gewachsen, im Vergleich zu 2005 bis 2009 sogar um 20 Prozent. Ein expansiver Markt. Sehr lukrativ. Ein Bombengeschäft.

„Gleich ob Bush, Obama, Trump oder Biden im White House sitzen: die US-Rüstungskonzerne können sich der Zustimmung ihrer Regierung sicher sein.“

Damit kommen wir zur Einnahmen-Seite. 361 Milliarden kamen 2019 zusammen. Auch hier sind die USA Spitzenreiter. Kein Land macht mehr Umsatz. Gleich ob Bush, Obama, Trump oder Biden im White House sitzen: die US-Rüstungskonzerne können sich der Zustimmung ihrer Regierung sicher sein. Waffenverkäufe sind ein wichtiger Teil der Außen- und Sicherheitspolitik. „Die USA exportieren Waffen, um sich Freunde zu machen, Alliierte zu finden – und um sicherzustellen, dass sie mit anderen Ländern bei militärischen Operationen zusammenarbeiten können“, kommentiert ein Sprecher des Stockholmer Friedens-Forschungsinstituts.

Die zwölf US-Unternehmen, die in der Rangliste erfasst sind, stehen für 61 Prozent der Verkäufe weltweit. Allein die fünf größten Rüstungsproduzenten Lockheed Martin, Boeing, Northrop Grumman, Raytheon und General Dynamics verzeichneten einen Umsatz von 166 Milliarden US-Dollar. Bester Kunde amerikanischer Rüstungskonzerne der letzten Jahre: Saudi-Arabien. Ausgerechnet in die Krisenregion Mittlerer Osten wurden in den vergangenen fünf Jahren mehr Waffen verkauft als in den fünf Jahren zuvor.

Auf Platz zwei im Ranking der größten Waffen-Produzenten: China. Chinesische Unternehmen stellen zwar weniger Rüstungsgüter her als amerikanische Konzerne, dafür aber mehr als die Rüstungsindustrie Russlands. Es handelt sich um die erste umfassende Schätzung des chinesischen Waffensektors – bislang hatte das SIPRI-Institut mangels transparenter Daten aus der Volksrepublik auf eine Einordnung von Chinas Rüstungsunternehmen im globalen Vergleich verzichtet. Nun werteten die Forscher erstmals verlässliche Daten der Jahre 2015 bis 2017 aus, um basierend auf Kennzahlen großer chinesischer Rüstungskonzerne verlässliche Schätzungen zu veröffentlichen. Demnach verkaufen vier Konzerne Rüstungsgüter im Umfang von insgesamt 54,1 Milliarden Dollar, was mehr als 16 Milliarden Dollar über dem Wert der zehn größten russischen Unternehmen, aber weit unter den Zahlen der amerikanischen Konzerne liegt. Verglichen mit den Waffenverkäufen der Konzerne aus anderen Ländern finden sich alle vier chinesischen Konzerne unter den weltweit größten Rüstungskonzernen. Drei davon ordnen sich gar in den Top 10 ein – noch vor der europäischen Airbus-Gruppe. Der tatsächliche Wert der Waffenverkäufe der gesamten chinesischen Rüstungsindustrie dürfte– so die SIPRI-Studie – insgesamt zwischen 70 und 80 Milliarden Dollar liegen. Tendenz steigend.

„Bester Kunde amerikanischer Rüstungskonzerne der letzten Jahre: Saudi-Arabien.“

Russland bleibt weiterhin drittgrößter Waffenhändler der Welt. Allerdings mit wachsendem Abstand: die Verkäufe sanken in den vergangenen fünf Jahren um 18 Prozent. Als umsatzstarker Rüstungshändler hat sich Frankreich etabliert –  mit 72 Prozent mehr exportiertem Kampfgerät als im vorherigen Fünf-jahreszeitraum. USA, China, Russland und Frankreich sind das Spitzen-Quartett im globalen Waffen-Wahn.

Exportschwergewicht Deutschland

Und Deutschland? Das Land gehört seit Jahren zu den wichtigsten Rüstungslieferanten – und damit zu den fünf Staaten, deren Exporte über drei Viertel des globalen Handels mit Kriegsgerät ausmachen. Die deutsche Bundesregierung spricht dennoch gerne davon, eine „restriktive“ Rüstungsexportpolitik zu betreiben. Doch so richtig passen will die Aussage nicht zu den offiziellen Zahlen. Auch deutsche Rüstungsexporte haben kräftig zugelegt. Der bisherige Höchststand aus dem Jahr 2015 wurde mit 7,95 Milliarden Euro für Rüstungsgüter knapp übertroffen. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das schon eine Steigerung um 65 Prozent. Die mit Abstand umfangreichsten Lieferungen wurden mit 1,77 Milliarden Euro für den EU- und NATO-Partner Ungarn genehmigt (... ja, Herr Orban ist vielleicht kein lupenreiner Demokrat, aber als guter Kunde ist er willkommen), vor Ägypten (802 Millionen Euro) und den USA (483 Millionen Euro). Genehmigt wurden Kriegswaffen im Wert von etwa 2,6 Milliarden Euro und „sonstige Rüstungsgüter“ im Wert von knapp 5,4 Milliarden Euro.

Der Anteil der besonders umstrittenen Exporte in sogenannte Drittländer, die weder der EU noch der NATO angehören oder mit diesen gleichbehandelt werden, ging in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr zwar von 52,9 auf 44,2 Prozent zurück. Der absolute Wert stieg allerdings um fast eine Milliarde Euro an. Unter den zehn wichtigsten Empfängerländern befinden sich fünf solche Drittländer. Beispielsweise Algerien. Das Land wird als drittgrößter Empfängerstaat im aktuellen SIPRI-Bericht aufgeführt.

„Die deutsche Bundesregierung spricht gerne davon, eine ‚restriktive‘ Rüstungsexportpolitik zu betreiben. Doch so richtig passen will die Aussage nicht zu den offiziellen Zahlen.“

Mit Ägypten auf Platz zwei und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) auf Platz neun (207 Millionen Euro) sind zwei Gründungsmitglieder der von Saudi-Arabien geführten Kriegsallianz im Jemen dabei, die dort gegen die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen kämpft. Inzwischen haben sich die VAE aber mit Saudi-Arabien überworfen und den Abzug ihrer Truppen aus dem Jemen angekündigt. Union und SPD hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag im März 2018 vorgenommen, Exporten an die „unmittelbar“ am Jemen-Krieg beteiligten Staaten einen Riegel vorzuschieben. Es wurden aber Ausnahmen zugelassen und ein kompletter Export-Stopp nach der Ermordung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi nur gegen Saudi-Arabien verhängt.

Die Bundesregierung begründet die Waffenlieferungen mit dem „strategischen Gleichgewicht“ in der Region. Und mehr ist dazu nicht zu erfahren, denn: sobald es um Rüstungsexporte geht, zieht sich die Regierung auf angebliche Geheimhaltungspflichten zurück. Wer welche Waffen aus Deutschland bekommt, wird im Bundessicherheitsrat entschieden. Und der – das regelt nun einmal ein Gesetz – tagt und entscheidet „vertraulich“. Die Öffentlichkeit – also wir, die Bürger – erfahren von den Beschlüssen meist erst nach erfolgter Lieferung. Den Umfang der Ausfuhren in Drittstaaten stuft die Regierung als „Verschlusssache“ ein, um eine mögliche „Re-Identifizierung betroffener Unternehmen“ zu verhindern sowie zum „Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen“.

So hat die Bundesregierung maritime Rüstungsexporte im Wert von 1,5 Milliarden Euro in den vergangenen Jahren auch in die Türkei ausliefern lassen. Angesichts der anhaltenden Aggressionen aus Ankara gegenüber Griechenland, Zypern und Frankreich im Mittelmeer und den jüngsten Konflikten rund um den illegalen Waffenschmuggel nach Libyen, wäre es jedoch höchste Zeit für eine Debatte über ein generelles Waffenembargo für die Türkei. Um es klar zu sagen: Die Bundesregierung muss sich entscheiden, ob sie Erdogan militärisch weiter aufrüsten will.

„Sobald es um Rüstungsexporte geht, zieht sich die Bundesregierung auf angebliche Geheimhaltungspflichten zurück.“

Wir lernen: Rüstungsgeschäfte haben viel mit Politik zu tun, mit strategischen, wirtschaftlichen Interessen. Die heimische Rüstungsindustrie kann zufrieden sein. Die Lobbyisten haben ihr Job ordentlich erledigt. Mit dem Segen der Politik. Deutsche Wertarbeit von Firmen wie Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann und Heckler & Koch ist weltweit gefragt. Auch wenn es sich bei den Begünstigten der zahlreichen Millionen-Deals um – freundlich formuliert – ziemlich undemokratische, autoritäre Regime handelt, in denen Menschenrechte nicht sonderlich geachtet werden, die Geschäfte laufen glänzend. Für moralische Nachdenklichkeit ist kein Platz.

Armin Papperger, Vorstandschef des größten deutschen Rüstungsunternehmens  Rheinmetall, freute sich im Frühjahr 2020 über einen „Super-Zyklus“ in der Rüstungsindustrie und verkündete begeistert einen Gewinnsprung (laut Spiegel gehört der Mann zu den Top-Verdienern im Land, allein 2018 erhielt er eine Vergütung von 4,46 Millionen Euro). Der Rheinmetall-Chef sprach von einer „besonderen Zeit für die Beschaffung von Waffen, Munition oder Fahrzeugen“. Welche Zeit meint der Mann?

Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg, die Jahr für Jahr die Anzahl der Kriege und bewaffneten Konflikte auf der Welt zählt, registriert aktuell für 2020 die Zahl 29. Vor allem durch den Fokus auf die Corona-Pandemie haben in diesem Jahr viele Kriege in der Berichterstattung kaum Aufmerksamkeit erhalten. Von friedlichen Zeiten könne dennoch keine Rede sein, konstatieren die Forscher, zumal der Bericht beispielsweise nicht die Drogenkriege in Mittelamerika mit sehr vielen Toten erfasse, da diese nicht unter die Definition eines klassischen Krieges fielen. Auch wenn es zurzeit keine großflächigen Kriege gebe, die vielen kleinen Auseinandersetzungen würden ebenfalls viel Unsicherheit in den betroffenen Regionen auslösen. Auch Hungersnöte und Flüchtlingsströme würden von Kriegen und Konflikten ausgelöst, so der Bericht der Arbeitsgemeinschaft.

„Die Bundesregierung muss sich entscheiden, ob sie Erdogan militärisch weiter aufrüsten will.“

Wenn der Rheinmetall-Chef sich über einen „Super-Zyklus“ freut, dann braucht es eine solide Grundausstattung von Zynismus. Sein Rüstungskonzern, weltweit ganz vorne im Geschäft mit Kriegsgerät, profitiert davon, dass viele Länder einen Nachholbedarf in ihrer militärischen Beschaffung sehen und dafür große Budgets bereitstellen. Nicht nur innerhalb der NATO, wo sich die europäischen Staaten an das Zwei-Prozent-Ziel der Allianz bei den Militärausgaben heranarbeiten – nein, auch Waffenkäufer aus fragwürdigen Ländern und diktatorischen Regimen gehören zum solventen Käuferkreis. Aber klar: Rüstungsbauer und Waffenproduzenten reden lieber von Verteidigung, statt von Krieg.

Perfides Geschäft mit „Kleinwaffen“

Wir wollen hier aber nicht nur über U-Boote, Panzer und allerlei großes Gerät sprechen, sondern auch über sogenannte „Kleinwaffen“. Der Begriff klingt harmlos, beinahe niedlich. Dabei fallen diesen Waffen, verglichen mit schweren Waffen, weltweit die meisten Menschen zum Opfer. Und kaum ein anderes Mordswerkzeug lässt sich so leicht weiterverkaufen oder weiterschmuggeln. Und so ist es eine gängige und beliebte Autosuggestion der deutschen Rüstungsindustrie, dass deutsche Kleinwaffen nur an „zuverlässige Partner“ geliefert würden und dass diese Partner die Waffen nur gegen böse Feinde von außen einsetzen, nie gegen die eigene Bevölkerung. Wie zweifelhaft diese Beteuerungen sind, zeigen Bilder aus Ägypten, Algerien oder Saudi-Arabien.

Der Handel mit sogenannten Kleinwaffen gehört an das Licht der Öffentlichkeit. Aus guten Gründen debattiert das Parlament auch jeden Einsatz deutscher Soldaten im Ausland. Es muss Sache des Parlaments sein, darüber zu streiten und zu entscheiden, wohin und an wen Waffen geliefert werden. Warum aber geben sich die meisten Parlamentarier (Ausnahmen bei den Grünen, der SPD und den Linken gibt es) bei diesem Thema so zahm? Die Zahlen sind alarmierend. Maschinengewehre und andere Kleinwaffen aus deutscher Produktion sind so begehrt wie seit Jahren nicht. In Libyen feuern die Soldaten des Regimes ebenso wie die Rebellen mit dem G36, einem Sturmgewehr von Heckler & Koch. In Somalia zielen die Rebellen mit dem Vorgängermodell, dem G3, auf französische Soldaten, Und im Irak schießen die IS-Milizen mit Milan-Raketen aus deutsch-französischer Produktion auf die Bevölkerung. Deutschlands Rüstungsindustrie verdient bei militärischen Konflikten nicht selten auf beiden Seiten. Das Wirtschaftsministerium betonte auch hier, dass es „strenge Maßstäbe an die Genehmigungserteilung für Exporte von Kleinwaffen in Drittländer, speziell Entwicklungsländer“ anlege. Wer könnte daran Zweifel haben...

„Deutschlands Rüstungsindustrie verdient bei militärischen Konflikten nicht selten auf beiden Seiten.“

Die Zukunft des Krieges

In den vergangenen zehn Jahren exportierte Deutschland insgesamt Kriegswaffen im Wert von fast 17 Milliarden Euro, wie aus dem Rüstungsexportbericht der Bundesregierung hervorgeht. Die Rüstungsindustrie ist eine Industrie, die auf Wachstum setzt. Neue Märkte, neue Produkte. Neue digitale Waffensysteme.

Militärs und Verteidigungsexperten sind sich einig: Drohnen sind die Waffen der Zukunft. Soldaten steuern per Joystick Tausende Kilometer vom Kriegsschauplatz entfernt die perfekten Tötungsmaschinen. Auf Kollateralschäden kann dabei nicht immer Rücksicht genommen werden. Drohnen sind die „Antwort auf den Selbstmord-Attentäter“, schwärmt ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums. Sie fliegen lautlos, sie töten mit großer Präzision und sie sind unschlagbar preiswert. Eine „Predator“ kostet gerademal fünf Millionen Dollar, ein Kampfflugzeug von Typ F-35 Lightning schlägt dagegen mit mehr als 100 Millionen Dollar zu Buche. Drohnen sind also wahre Schnäppchen im Kampf gegen Terroristen und andere Böse in der Welt. Sicher, es wird nach wie vor Tote geben. Aber nur beim Gegner.

Drohnen sind feige Waffen, sagen Kritiker. Gemeine „Killerwaffen“. Wer sie steuert, ist außer Gefahr. „Die Drohne agiert im rechtsfreien Raum, der sich der demokratischen Kontrolle entzieht“, wird argumentiert. Der Drohnenkrieg trüge Züge von Hinterhältigkeit. Doch was ist neu daran? Auch Raketen und Torpedos wurden und werden aus sicherer Entfernung abgefeuert. Niemand will seine eigenen Leute unnötig einem tödlichen Risiko aussetzen. Kampfdrohnen gehören nicht in die Kategorie mit Chemiewaffen oder Minen, die jeden töten, egal ob Soldat, Terrorist oder Unbeteiligter. Hier geht es um gezieltes Töten.

„Soldaten steuern per Joystick Tausende Kilometer vom Kriegsschauplatz entfernt die perfekten Tötungsmaschinen. Auf Kollateralschäden kann dabei nicht immer Rücksicht genommen werden.“

Tatsache ist: Die verbreitete Vorstellung von Krieg, demnach Armeen viele Schlachten schlagen, bis eine Seite schließlich unterliegt und kapituliert, hat nur wenig mit der gegenwärtigen Realität zu tun. Für die Bundeswehr und andere Nato-Streitkräfte sind Kriege begrenzte Interventionen fern von der Heimat. Es geht um strategische Ziele, mitunter um die gezielte Ausschaltung von Individuen. Charakteristisch für solche Militäreinsätze ist die Anwendung relativ geringer militärischer Gewalt mit Hilfe hochpräziser Drohnen-Raketenangriffe, wie von Armin Krishan in seinem Buch „Gezielte Tötung, Die Zukunft des Krieges“ (2012) beschrieben. Die Schwelle zum formalen Staatenkrieg soll nicht überschritten werden, was nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass der Kampf gegen diese gefährlichen Individuen – nicht selten von Geheimdiensten gesteuert – rücksichtlos geführt wird. USA und Israel, die zwei Staaten, die gezielte Tötungen am häufigsten anwenden, betrachten dies als legitime Reaktion auf die Bedrohungen ihrer nationalen Sicherheit, die von bestimmten Individuen ausgehen, die als Terroristen definiert werden. Am 3. Januar 2020 wurde etwa der iranische Offizier Qasem Soleimani unter Einsatz einer Drohne gezielt getötet. Dies war das erste Mal, dass die US-Streitkräfte Drohnen zur Tötung eines hochrangigen ausländischen Offiziers auf fremdem Boden einsetzten.

Gezielte Tötungen sind dennoch aus vielerlei Gründen umstritten. Kritiker sprechen von „Attentaten“ und „außergerichtlichen Hinrichtungen“ oder von „staatlich sanktioniertem Mord“. Die völkerrechtliche Legitimität jedenfalls ist fragwürdig. Vor allem: Gezielte Tötungen sind nur schwer vom politischem Mord und Attentat abzugrenzen. Wer bestimmt, wer als Terrorist gilt? Regierungen, die gegen Abweichler und Oppositionelle vorgehen, militärische Spezialeinheiten, die ganz und gar undurchsichtige machtpolitische Strategien umsetzen sollen?

„Gezielte Tötungen sind nur schwer vom politischem Mord und Attentat abzugrenzen.“

Vier europäische Staaten besitzen bewaffnete Drohnen, zwei von ihnen setzen sie bereits zur „Terrorismusbekämpfung“ ein. Weitere vier erwägen eine Bewaffnung bereits bestellter Modelle, darunter auch Deutschland. Alle führenden Hersteller unbemannter Waffensysteme aus den USA, China, der Türkei und Israel könnten dann in Europa vertreten sein. Sowohl China als auch die Türkei drängen mit bewaffneten Drohnen verschiedener Hersteller verstärkt auf den Weltmarkt. Nach den USA war lange Zeit Israel der zweitgrößte Exporteur unbemannter Systeme, die meisten Drohnen israelischer Hersteller wurden jedoch unbewaffnet verkauft. Mittlerweile hat China laut verschiedenen Zählungen diesen Platz eingenommen. Demnach wird die bewaffnete Langstreckendrohne „Wing Loong“ seit 2014 von Saudi-Arabien und mittlerweile von zahlreichen weiteren Ländern in Afrika und im Nahen Osten eingesetzt, während die bewaffnete „Bayraktar TB2“ aus der Türkei bislang nur von Katar und Aserbaidschan bestellt wurde.

Ab 2028 wollen Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und womöglich weitere EU-Mitgliedstaaten auf die ebenfalls bewaffnungsfähige „Eurodrohne“ umsatteln, die europäische Rüstungsfirmen unter Führung von Airbus bis dahin serienreif entwickelt haben wollen. Sie soll als Langstreckendrohne zur Aufklärung über feindlichem Gebiet eingesetzt werden und auch bewaffnet operieren. Das Bundesverteidigungsministerium beschreibt dies als „Wirkung gegen stationäre und bewegliche Einzelziele“. Mit einem „überlappenden Einsatz mehrerer Systeme“ will die Bundeswehr bis zu fünf Tage durchgehend über feindlichem Gebiet aufklären. Geplant ist die Beschaffung von 21 Drohnen und 16 Bodenkontrollstationen.

„Selbst das kleine Serbien hat eine Lieferung von Kampfdrohnen aus China geordert. Wir sehen: Ein Land kann nicht klein genug sein für große Rüstungseinkäufe.“

Selbst das kleine Serbien ist an Drohnen interessiert und hat eine Lieferung von Kampfdrohnen aus China geordert. Sechs Drohnen vom Typ CH-92A (mit der romantischen Bezeichnung „Rainbow“) sowie 18 Luft-Boden-Raketen sollen bereits auf einem Militärflughafen nahe Belgrad eingetroffen sein. Serbien hatte insgesamt neun Drohnen bestellt, diese sollen zusammen rund 27 Millionen Euro gekostet haben. Vereinbart ist laut den Berichten ein Folgeauftrag über weitere 15 Drohnen. Wir sehen: Ein Land kann nicht klein genug sein für große Rüstungseinkäufe.

Auch die schwarz-rote Bundesregierung diskutiert seit 2014 über eine adäquate Beschaffung. Das Verteidigungsministerium hat hierzu eine „Drohnendebatte“ durchgeführt und dem Bundestag einen Bericht mit Argumenten für die Bewaffnung seiner bereits bestellten israelischen „Heron TP“ übermittelt. Zur Begründung heißt es, die Bundeswehr brauche eigene unbemannte Waffensysteme, da die „Partner“ (gemeint sind die USA, Großbritannien und Frankreich) in gemeinsamen Einsätzen zwar über bewaffnete Drohnen verfügen, diese allerdings „häufig an anderen Orten im Einsatzgebiet gebunden sind“.

Aktuelle Kriegsschauplätze dienen zur Erprobung der „Ware“ und auch als Werbung für die Hersteller. In Ländern wie Libyen werden Kampfdrohnen aus China und der Türkei sogar auf beiden Seiten des Bürgerkriegs eingesetzt: Die Türkei stellt der Tripolis-Regierung ihre „Bayraktar TB2“ zur Verfügung, während China die Tobruk-Regierung im Osten des Landes mit der „Wing Loong“ beliefert. Die Plattform „Defense World“ zählt in Libyen allein für 2020 insgesamt 25 abgeschossene oder abgestürzte Drohnen, wobei die Türkei 17 Bayraktar TB2 verloren haben soll. Als erstes europäisches Land hatte Großbritannien mit der Beschaffung bewaffneter Drohnen aus den USA begonnen. Die ab 2007 gelieferte „MQ-9 Reaper“ ist der Nachfolger der „Predator“ des US-Herstellers General Atomics. Sie wird seit 20 Jahren in verschiedenen Ausführungen vom amerikanischen Militär sowie von den Geheimdiensten in weltweiten Kampfeinsätzen oder für „extra-legale“ Hinrichtungen eingesetzt.  Die Individualisierung des Krieges wirft neue Fragen auf. Brauchen wir eine neue Genfer Konvention? Oder führen ohnehin längst Geheimdienste Regie, die im Kampf gegen das Böse nach eigenen Gesetzen handeln?

Ob Drohnen, Bomben, Raketen, diverses Kriegsgerät oder „Kleinwaffen“ – die Welt rüstet auf. Der SIPRI-Bericht schätzt den Umfang des internationalen Waffenhandels auf 80 bis 100 Milliarden US-Dollar –  pro Jahr – und diese Zahl dürfte eher konservativ geschätzt sein.

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