17.02.2013

Von Frust und Fleischeslust

Essay von Wolfgang Branscheid

Fleischessen ist zunehmend in der Kritik. Der Agrarwissenschaftler Wolfgang Branscheid resümiert die aktuelle Verzichtsdebatte: Fleischprodukte werden vor allem unter den Aspekten Lebensmittelsicherheit, Klimaschutz und Tierschutz kritisiert – oft mit schwachen Argumenten.

Fleisch weist eine hohe Einkommenselastizität auf. Das heißt: Steigt das Einkommen, steigt auch der Fleischverzehr. Er steigt jedoch nicht ins Unendliche. Bei deutschen Besserverdienenden scheint der Sättigungspunkt erreicht. Das gilt jedenfalls für die Trendsetter im Ernährungsverhalten, die sich unter dem Kürzel LOHAS subsumieren lassen, Anhänger des „Lifestyle of health and substainabilty“: Wer zu ihnen gehört, isst weniger Fleisch oder hält zumindest die Einschränkung des Fleischverbrauchs für „politisch korrekt“.

Insgesamt geht der Fleischverzehr in Deutschland allerdings noch nicht zurück. Er zeigt sogar leichte Aufwärtstendenzen. Denn der elitären Gruppe der Fleischverweigerer steht eine offenbar wachsende Bevölkerungsschicht gegenüber, die wenig verdient und vorrangig an materiellen Gesichtspunkten, insbesondere dem Preis, orientiert ist, unter ihnen vermutlich viele Ausländer. Obwohl über deren Ernährungsverhalten wenig bekannt ist, dürfte davon auszugehen sein, dass gerade bei ihnen auch zukünftig mehr Einkommen zu höherem Fleischverbrauch führt.

Das hat Folgen für das Renommee des Produkts: Fleisch und Cola bleiben für die „Armen“; Salat, Sekt und Selters signalisieren die Zugehörigkeit zu den besseren Kreisen.

„Noch nie gab es für den Verbraucher eine solche Fülle von Ernährungsempfehlungen wie heute. Häufig allerdings fehlt der fundierte sachliche Hintergrund.“

An den Ansprüchen der Bessergestellten orientieren sich offensichtlich auch einige wichtige Nichtregierungs-Organisationen (NGOs). Ihre Initiativen verstärken publizistisch die vermeintlich negativen Aspekte des Fleischverzehrs. Dabei geht es weniger um Qualitätsfragen als um ideelle, politische und um ethische Gesichtspunkte. Die wichtigsten darunter sind Lebensmittelsicherheit, Klimaschutz und Tierschutz, auf die im Folgenden eingegangen wird.

Lebensmittelsicherheit und kein Ende

Die Fleischbranche als Ganzes hat in den letzten 20 Jahren den gesundheitlichen Verbraucherschutz weit vorangebracht. Beispiele dafür sind die Etablierung von Qualitätsmanagement- und Dokumentationssystemen und von Qualitätssicherungs-Konzepten wie HACCP. An Hackfleisch zeigt sich exemplarisch, wie groß die erreichten Fortschritte sind: früher durfte es nur am Tage der Herstellung abgegeben werden, heute kann es bis fünf Tage danach ohne gesundheitliche Risiken angeboten werden.

Auch die Situation bei Rückständen und Schadstoffen ist, anders als in der Öffentlichkeit vermittelt, durchaus nicht besorgniserregend. Selbst bei den Antibiotika ist nicht der Rückstand das Problem als vielmehr deren „Rückwirkung“, also die Wirkung auf die Resistenzeigenschaften von Bakterien.

„Die heftigen Angriffe auf Fleisch dauern an, obwohl es eines der wertvollsten Lebensmittel überhaupt ist.“

Spektakuläre Vorkommnisse wie die Beunruhigung der Verbraucher mit der Prionen-Erkrankung BSE um die Jahrtausendwende sind aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar: Die größte Besorgnis löste damals die Befürchtung aus, die 1996 erstmals diagnostizierte „variante Creutzfeld-Jakob-Krankheit“ (vCJD), verursacht durch BSE, könnte Tausende von Menschen das Leben kosten. Während die BSE-Erkrankungsfälle bei Rindern in England 1992 mit über 35.000 Tieren ihr Maximum erreichten, zählte man auf dem Höhepunkt der vCJD-Erkrankung im Jahr 2000 lediglich 28 Fälle; danach gingen die Erkrankungen rasch zurück. Bei einer unterstellten Inkubationszeit von ca. 13 Jahren für vCJD geht demnach die Entwicklungsdynamik beider Erkrankungen nicht erkennbar miteinander einher.

Die Fleischwirtschaft hat also gewaltige Fortschritte in Sachen Lebensmittelsicherheit gemacht. In der öffentlichen Diskussion wird dies jedoch eher gering geschätzt. Die heftigen Angriffe auf Fleisch dauern an, obwohl es eines der wertvollsten Lebensmittel überhaupt ist.

Fleisch macht krank?

Hartnäckig halten sich die Anwürfe, Fleisch fördere Dickdarmkrebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Die wissenschaftlichen Daten zumindest zu den beiden letzteren Fragestellungen sind wenig überzeugend. Für die Cholesterinproblematik darf sogar als gesichert gelten, dass die Verbindung zum Fleischverzehr nicht zutrifft.

Hinsichtlich des Dickdarmkrebses (kolorektales Karzinom CRC) ist die Diskussion nicht abgeschlossen. Gelegentlich kommt es in diesem Zusammenhang zu unnötiger Polemik. So hat Nobelpreisträger Harald zur Hausen 2008 mit einem Spiegel-Interview eine Diskussion über Papilloma-Viren aus Rindfleisch als Ursache des Dickdarmkrebses in Gang gesetzt. Das Bundesinstitut für Risiko-Bewertung, BfR, hat daraufhin die völlige Inkompetenz des Laureaten in dieser Angelegenheit ungewöhnlich deutlich hervorgehoben. Im Gegensatz zu dem spektakulär aufgemachten Interview blieb die BfR-Reaktion in der Öffentlichkeit unbeachtet.

Gesichert ist, dass die in den vorliegenden Studien für den Fleischverzehr berechneten relativen Risikofaktoren zum Dickdarmkrebs vergleichsweise niedrig und die Effekte vielfach statistisch nicht abgesichert sind. Gleichzeitig können Mischeffekte nicht ausgeschlossen werden. So sind Fleischesser überdurchschnittlich oft Raucher und neigen zu einer weniger gesundheitsbewussten Lebensführung.

„Die anatomisch-physiologische Ausstattung des Menschen ist bestens auf Fleischverzehr eingestellt.“

Trotzdem bleiben Rotfleisch und Fleisch- und Wurstwaren weiter im Verdacht, unter anderem im Hinblick auf den Zusatz von Nitritpökelsalz und neuerdings auf den Inhaltsstoff Myoglobin als oxydativ wirksamer Substanz. Interessante Ergebnisse erbrachte in diesem Zusammenhang die Oxforder EPIC-Studie: Danach erkranken Vegetarier im Hinblick auf alle Krebsarten zusammengenommen seltener als Fleischesser, Dickdarmkrebs dagegen kommt bei Vegetariern häufiger vor als bei Fleischessern. Berücksichtigt man die selten beachtete Gesamtmortalität, schneiden offenbar „Fleischesser“ im Vergleich zu Vegetariern sogar keineswegs schlechter ab. Weil Druck Gegendruck erzeugt, sucht die Wissenschaft seit gut 10 Jahren auch nach gesundheitlichen Argumenten für den Fleischverzehr. Bei Rindfleisch schien sich eine vertiefte Untersuchung des Fettsäuremusters als „gewinnbringend“ zu erweisen. Rindfleisch und Milch sowie Schafprodukte enthalten einen deutlich höheren Anteil als andere Lebensmittel an einer bestimmten zweifach ungesättigten Fettsäure (konjugierte Linolsäure CLA), der eine besonders hohe gesundheitliche Bedeutung für den Menschen zugemessen wird. Zudem kommt der CLA-Gehalt der Bioproduktion gerade recht: Er lässt sich im Rinderfett durch Weidehaltung bzw. Grasfütterung, wie sie bei Bio besonders bevorzugt werden, glatt verdoppeln. Im Endeffekt entpuppen sich diese Forschungsergebnisse jedoch als irrelevant. Der absolute Gehalt an der CLA ist selbst nach Verdoppelung grundsätzlich gering. Er relativiert sich weiter, weil die verzehrten Teilstücke wenig Fett enthalten. Man müsste täglich Rindersteaks in Kilo-Einheiten verzehren, um in die möglicherweise gesundheitlich wirksamen Bereiche vorzudringen. Für die Schweinemast zeigen Untersuchungen den scheinbar positiven Fütterungseffekt, dass der Gehalt an Omega-3-Fettsäuren beachtlich gesteigert werden kann, wenn den Tieren zum Beispiel Leinsaat in der Ration verabreicht wird. Schweinefleisch kann dennoch in der absoluten Menge aus gleichem Grund wie beim Rind keinen wesentlichen Beitrag zur täglichen Bedarfsdeckung bei diesen Fettsäuren leisten. Die Leinsaat-Zufütterung wirkt sich außerdem negativ auf die Qualität aus. Das Schweinefett ist weniger kernig, es wird schneller ranzig und lässt sich schlechter verarbeiten. Bereits von Natur aus haben Schweine- und Geflügelfett ein optimales Verhältnis zwischen gesättigten, einfach ungesättigten und mehrfach ungesättigten Fettsäuren; spezielle Futtermischungen bringen in dieser Hinsicht keine Vorteile. Generell kann man wichtige Ernährungskomponenten wie bestimmte ungesättigte Fettsäuren dem Verbraucher ohne Beteiligung des Nutztiermagens eleganter zur Verfügung stellen. Rapsöl in der Marinade der Steaks oder in der Salatsoße hilft da wesentlich sicherer weiter. Vermutlich wird die Fleischwirtschaft dennoch weiterhin versuchen, Fleisch als funktionelles Lebensmittel zu propagieren. Dabei wäre der Hinweis auf dessen gesundheitliche „Kernkompetenz“ wesentlich stichhaltiger: auf den Nährstoffreichtum bei geringer Energiedichte, auf die Menge und Qualität seiner Inhaltsstoffe und deren biologische Verfügbarkeit, auf die Fettarmut, die harmonische Fettzusammensetzung und schließlich auf die anatomisch-physiologische Ausstattung des Menschen, die auf Fleischverzehr bestens eingestellt ist.

Dunkle Schatten auf unsern Rindern

Die Diskussion zum Klimawandel hat auch die Nutztierhaltung erfasst. Das Thema ist komplex, zumal es um die generelle Forderung des nachhaltigen Wirtschaftens geht. Da liegt die Simplifizierung mit einer Zuspitzung auf den CO2-Footprint auf der Hand. Mit der Publikation Livestock’s long shadow hat die FAO als zuständige Institution für Landwirtschaft und Ernährung bei den Vereinten Nationen hier eine unglückliche Vorreiterrolle übernommen. Die Wiederkäuer gerieten dabei besonders in die Schusslinie. Allein die Rinder verursachen danach ein Drittel des weltweiten Methanausstoßes. Methan ist als Klimagas 23 mal wirksamer als CO2. Livestock‘s long shadow wurde denn auch im Spiegel entsprechend ausführlich gewürdigt. Eine anschließende, wesentlich sachlichere Publikation aus derselben Arbeitsgruppe der FAO (Livestock in the balance) blieb in der Öffentlichkeit völlig unbeachtet.

Geht man von der in den Klimamodellen geschätzten Klimawirksamkeit von Methan, Lachgas und CO2 aus, so bestehen zwischen den Systemen der Fleischerzeugung graduelle und ziemlich unerwartete Unterschiede. Nimmt man die CO2-Äquivalente zum Maßstab, wird die Rindfleischproduktion gegenüber der Schweinefleischerzeugung und noch mehr der Geflügelproduktion am stärksten in Frage gestellt – je intensiver also, desto besser auch für die Umwelt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass vor allem der Fleischverzehr als negativer Beitrag zum Klimaschutz hervorgehoben wird. Milch etwa steht weitgehend außer Frage, obwohl ja Milcherzeugung zwangsläufig an Rinderhaltung und Fleischerzeugung gekoppelt ist.

„Um alle Hunde und Katzen in Deutschland zu füttern, braucht man eine Menge Fleisch, die die gesamte Bruttoeigenerzeugung an Fleisch in Österreich übertrifft.“

Da also offenbar die intensive Produktion bei allen Fleischarten nicht nur ökonomisch sondern auch ökologisch Vorteile bietet, schneidet die Bioproduktion im Vergleich zur konventionellen in nichts besser ab. Intensiv gehaltene Tiere, die mit Soja oder Getreide gefüttert werden, legen schneller an Gewicht zu als Tiere in Weidehaltung und bei extensiver Fütterung. Dadurch sinken der Anteil, der aus dem Erhaltungsbedarf der Tiere resultiert, und damit auch die Methan-Emissionen pro Kilo erzeugtem Fleisch.

Allerdings entsteht so ein klassischer Zielkonflikt: Die Intensivierung durch eiweiß- und stärkereiches Kraftfutter verstärkt die Nahrungskonkurrenz der Rinder zum Menschen. Rinder und ebenso Schafe sollten eher rohfaserreiche Futtermittel verwerten, die sonst keinen Eingang in die Nahrungskette finden würden. Die Methanbildung könnte aber auch unter diesen Verhältnissen um bis zu 10 Prozent vermindert werden, wenn antibiotisch wirksame Leistungsförderer eingesetzt würden. Diese wurden früher auch in Deutschland verwendet und waren auf nur speziell für Tiere zugelassene Substanzen beschränkt. Heute sind diese in Europa jedoch heftig umstritten und daher nicht mehr einsetzbar. Sollte der IPCC mit seinen dramatischen Klimaprognosen Recht behalten, dann müssten gerade solche Leistungsförderer als Zukunftstechnologie berücksichtigt werden. Die Klimawirkung von Schweinen und besonders von Geflügel ist sehr viel geringer als die der Rinder, weil die Methanemissionen weitgehend fehlen. Sie stehen jedoch – wieder dieser Zielkonflikt – in enger Nahrungskonkurrenz zum Menschen.

Will man die Fleischproduktion nachhaltig gestalten, reicht es nicht, den Klima-Effekt und den CO2-Fußabdruck zu berücksichtigen. Der Agrarwissenschaftler Gerhard Flachowsky und andere schlagen deshalb vor, die Ausbeute an essbarem Protein auf der Basis von sechs Faktoren zu bewerten: dem Verbrauch an Treibstoffen, Ackerflächen, Futtermitteln – insbesondere solchen mit Lebensmittelkonkurrenz –, Phosphor und Wasser sowie Emissionen von CO2-Äquivalenten.

Sollte sich das Erdklima so entwickeln, wie das IPCC prognostiziert, muss schnellstens auch die Frage gestellt werden, wer zukünftig noch leben darf. Negativ wird die Antwort zwangsläufig für alle ausfallen müssen, die in strikt anthropozentrischer Sicht ohne Nutzen für das Überleben der Menschheit sind. „Parasitäre“ Nahrungskonkurrenten des Menschen im Fleischverzehr wie Hunde und Katzen werden dann keinen Platz mehr auf diesem Planeten haben. Um alle Hunde und Katzen in Deutschland zu füttern, braucht man eine Menge Fleisch, die die gesamte Bruttoeigenerzeugung an Fleisch in Österreich übertrifft. Dass die Rigorosität, die hier gegenüber Hunden und Katzen konstruiert wird, nicht etwa utopisch ist, wenn es für die Menschheit eng wird, zeigt sich in der „Ein-Kind-Politik“ in China. Dort hat sich die Ausmerzung (Abtreibungsquote zeitweise über 30 je 100 Lebendgeburten) sogar schon massiv gegen die eigene Spezies gerichtet.

Tierschutz und anrüchige Folgen

Neun von zehn Verbrauchern in Deutschland bezeichnen es einer Umfrage zufolge als wichtig, dass ein Lebensmittel aus tierartgerechter Haltung stammt; für 71 Prozent steht der Preis im Vordergrund. Die erhebliche Schnittmenge zwischen den beiden gegenseitig unverträglichen Optionen zeigt, wie gebrochen die Verbraucher tatsächlich sind. Die Fleischwirtschaft reagiert auf Tierschutzziele vorrangig dann, wenn sich damit ein wirtschaftlicher Vorteil verbindet. Die Kritik an der betäubungslosen Kastration männlicher Ferkel und die darauf folgende Begeisterung für die Ebermast zeigen exemplarisch, wie schnell Tierschutz für die Landwirtschaft attraktiv wird und Qualitätsbedenken ins Hintertreffen gerät: Masteber nehmen mit wesentlich weniger Futteraufwand zu und bilden dabei mehr Muskelfleisch als kastrierte Tiere. Allerdings: Je nach Bewertungsgrundlage entwickeln ein Drittel und mehr der Eber mit der Geschlechtsreife einen urinartigen und im Lebensmittel sehr auffälligen Sexualgeruch (Androstenon). Wie damit umzugehen ist, wird vertrauensvoll dem Verbraucher überlassen, der ja aus reiner Tierliebe und in Unkenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge die Kastration ablehnt. Ob er und sie bei aller Liebe Eberfleisch aber dann tatsächlich kaufen, wird sich zeigen.

Fleischverzehr – aus dem Abseits zurück zur Mitte

Noch nie gab es für den Verbraucher eine solche Fülle von Ernährungsempfehlungen wie heute. Medien, Verbraucherorganisationen und staatliche Ernährungsberatung bis hin zu den Hausärzten melden sich zu Wort. Häufig allerdings fehlt der fundierte sachliche Hintergrund. Selbst die Wissenschaft nutzt in hohem Maße scheinbare Risiken für ein Spiel mit der Angst, das sich vordergründig in Forschungsmitteln und persönlichem Renommee gut auszahlt. Die Themenkarrieren von BSE, Influenza und Dickdarmkrebs zeigen, wie das abläuft.

Auch die Klimadiskussion weist auf Attitüden der Beteiligten hin, die nicht nur von der Sorge um den Fortbestand der Welt getragen sind. Über die unglückliche Rolle des Weltklimarates IPCC ist hier nicht zu diskutieren. Die Schrift Lifestock‘s long shadow war für die FAO zwar ein Renner, ist aber für die Fleischwirtschaft nicht zum Guten ausgeschlagen und hat zu der unglücklichen Verkürzung der Sicht auf den scheinbar einfachen CO2-Footprint geführt. Die Sicht der Politik geht in die gleiche Richtung. Besonders die deutsche Politik hat sich in der Fortschreibung des Kyoto-Protokolls anspruchsvolle Ziele der „CO2-Einsparung“ vorgegeben. Aufgrund der „Energiewende“ sind diese so einfach wie bisher nicht mehr zu erreichen. Neben den großen Energieverbrauchern – Energieerzeuger, Schwerindustrie – könnten die Landwirtschaft und besonders die Tierproduktion plötzlich in den Blickpunkt politischer Regulierungswünsche rücken. Die CO2-Diskussion wird dabei ganz sicher auch die Biolandwirtschaft betreffen. Für sie verschärft die extensive Nutzung der Futtermittel die CO2-Problematik und der im Vergleich zur konventionellen Produktion um cirka 20 Prozent höhere Flächenverbrauch setzt ökologisch falsche Zeichen für eine Ressource, auf diesem Erdenrund nur begrenzt verfügbaren ist.

Wie immer die Klimadiskussion geführt wird, Lebensmittel können dabei weltweit betrachtet nicht zur Disposition stehen. Bestehende Umweltprobleme und Defizite in der gesellschaftlichen Akzeptanz müssen deshalb im Rahmen eines gesamtheitlichen Konzeptes angegangen werden.

„Eine weltweite Minderung des Fleischverzehrs ist nicht denkbar.“

Nachhaltigkeit im Sinne der Definition der Brundtland-Kommission baut auf dem Dreiklang von Ökologie-Ökonomie-Soziologie. Eine gesellschafts- und umweltverträgliche Fleischwirtschaft müsste demnach auf einer weiteren Intensivierung und der Entwicklung integrierter Maßnahmen auf fundierter Datengrundlage fußen. Ziel müsste sein, Ressourcenverbrauch, Kontaminanten und Emissionen zu minimieren und die Umwelt zu schonen. Dies geht nur mit modernen Techniken und Hilfsmitteln, deren Notwendigkeit und Wirksamkeit wissenschaftlich abgesichert sind. In Deutschland könnte, wie die Gentechnikdiskussion zeigt, eine solche Ausrichtung daran scheitern, dass die Gesellschaft unter einer ausgeprägten Technikfeindlichkeit leidet, soweit es um Lebensmittel geht. Als letzte Forderung der Nachhaltigkeit wäre auf eine tragfähige Kapitalverzinsung gerade in der Landwirtschaft zu achten, die eine wichtige Basis der Generationenfolge in den Betrieben sein dürfte.

Auch der Tierschutz bietet zukünftige Konfliktfelder für die gesellschaftliche Akzeptanz und er steht daher mitten drin im Zielgebiet der Nachhaltigkeit. Tierhaltung in Großbeständen und haltungsbedingte Verhaltens- und Gesundheitsstörungen, Forderung nach Auslauf bzw. Freilandhaltung bei Schweinen und generell großzügig bemessener Stallplatz bei allen Tierarten, Schwänzekupieren beim Schwein, Schnabelkürzen und immer wieder die Tiertransporte sind die Fragen, auf die teilweise Antworten fehlen. Dabei steht der gesellschaftliche Druck in einigen Aspekten erst am Anfang. Der Ausgang der Diskussion um die Käfighaltung von Legehennen zeigt aber, wie ausweglos von einer bestimmten Eskalationsstufe an über Lösungen diskutiert wird und wie dann letzten Endes ein Weg gewählt wird, der weder für die Tiere noch für die Verbraucher zufriedenstellend ist. Die unreflektiert gewollte Freiland- und Großgruppenhaltung ist den Hennen mit ihrer fixierten Verhaltensnorm der Hackordnung alles andere als zuträglich, und die Eiqualität fällt unter diesen Haltungssystemen im wichtigen hygienische Kriterium der Salmonellenkontamination praktisch unter den Tisch. Angemerkt sei dazu: Auch der ohne weiteres auffindbare Bio-Betrieb mit 3.000 Legehennen liegt schon mitten in dem Bereich, der als „Massentierhaltung“ empfunden wird, mit allen hässlichen Konsequenzen für die Gesundheit der Tiere. Und weiter hat das Vorauseilen der deutschen Landwirtschaft in der Legehennenhaltung 2009/10 mit marktwirtschaftlicher Zwangsläufigkeit zum Abwandern der Produktionskapazitäten in das benachbarte, noch deutlich verhaltener reglementierte Ausland geführt. Auch davon blieb für die Verbraucher und schon gar für den Tierschutz, aber auch nicht für die deutsche Landwirtschaft weder Nützliches noch Gutes.

Diese Bevormundung der primär Betroffenen durch sekundäre interessierte Gruppen und Meinungsführer wird nicht nur anhalten, sondern sich verstärken. Vom Fleischverzehr wird das jedoch nur eine sich elitär fühlende Klasse abhalten, eine weltweite Minderung ist ohnedies nicht denkbar. Denkbar ist aber eine zunehmende Abwanderung der Tierproduktion aus Deutschland, schon jetzt steht vielfach die Hofnachfolge angesichts des schlechten Rufs der Veredelungswirtschaft unter Druck. Die kaum geminderte Fleischnachfrage müsste dann aus einem Produktionsgebiet abgedeckt werden, das völlig dem heimischen Einfluss entzogen wäre. Bei Bananen und Sojamilch sind wir ja genau daran gewöhnt, bei Fleisch (und Milch sowie Eiern) wird da wohl eine kleine Umstellung nötig sein. Am Ende wird das aber nicht ohne Folgen für die ohnedies prekäre Struktur des ländlichen Raumes abgehen, denn Geld verdient der traditionelle Familienbetrieb vor allem in der Tierproduktion.

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