28.02.2024

Unkritisch Reisen: Turkmenistan

Von Niels Hipp

Titelbild

Foto: Privat

Im zentralasiatischen Turkmenistan herrscht Personenkult. Es fehlt in dem abgeschotteten Land an Opposition, nicht aber an Sehenswürdigkeiten für historisch interessierte Touristen.

Heute setzen wir unsere „unkritische Reise“ fort, und zwar nach Turkmenistan, das ich im Jahr 2019 bereist habe. Der Titel bedeutet nicht, dass überhaupt keine Kritik am Reiseland geübt werden soll, sondern setzt der Schlagseite in Sendungen wie der WDR-Dokureihe „Kritisch reisen“ etwas entgegen. Bei Turkmenistan handelt sich um einen Staat in Zentralasien, der bis 1991 zur UdSSR gehörte.

Das Land ist ziemlich abgeschottet, was sich trotz erheblicher Gas- und Ölreserven in Armut gerade auf dem Land zeigt. Viele Internetseiten sind nicht verfügbar, Whatsapp ist komplett gesperrt. Die Grenzkontrollen bei der Einreise (an der Landgrenze zu Usbekistan) gehören zu den strengsten, die ich je erlebt habe. Der Geheimdienst soll sehr aktiv sein, hört man hinter vorgehaltener Hand, überall müsse man mit Spitzeln rechnen.

Die Hauptstadt Aschgabat lässt sich am ehesten als Mischung aus Las Vegas und Pjöngjang beschreiben. Alles macht einen monströsen Eindruck: Es gibt breite Straßen, hohe weiße Häuser und riesige beleuchtete Springbrunnen. Diese Bauten wurden nach 1991 errichtet, östlich des Stadtzentrums aus der Sowjetzeit. Alte Gebäude, insbesondere orientalische Stadtviertel, existieren nicht mehr, sie wurden bei einem Erdbeben 1948 zerstört.

Oh Du, geliebter Führer“, lautet der Titel eines Buchs von Thomas Kunze und Thomas Vogel, welches Personenkult im 20. und 21. Jh. thematisiert. An diesen Titel musste ich beim Besuch Turkmenistans, vor allem der Hauptstadt, denken. Einen auffälligen Personenkult gab es und gibt es teilweise noch heute für den ersten Präsidenten Turkmenistans, Saparmurat Nijasow, genannt Turkmenbashi (Haupt der Turkmenen), der das Land von 1991 bis zu seinem Tod 2006 regierte. Der zweite Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow, der von 2007 bis 2022 amtierte, setzte diesen Personenkult fort. 2019 hingen überall im Land Bilder von ihm, selbst in den Flugzeugen von Turkmenistan Airlines. In den Hotellobbys lagen Zeitungen aus, auf denen Präsidentenporträts fast die komplette erste Seite füllten. Ob diese mittlerweile – zumindest teilweise – durch Fotos seines Sohnes Serdar Berdimuhamedow, des dritten Präsidenten Turkmenistans, ersetzt wurden, vermag ich nicht zu beurteilen.

„Individualreisen sind nicht möglich: Von der Einreise bis zur Ausreise muss ein staatlich lizensierter Führer dabei sein.“

Die Pflege von Personenkult ist nicht ungewöhnlich in Zentralasien, man findet ihn –allerdings weniger extrem – in Kasachstan und Tadschikistan, und natürlich auch im turkmenischen Nachbarland Iran. In Turkmenistan finden sich protzige Bauwerke, wie der von Nijasow erbaute, 95 Meter hohe Neutralitätsbogen, der allerdings 2010 an den Rand der Stadt verlegt wurde. Sehr skurril ist das Ruhnama-Monument, ein Denkmal in Buchform mit dem Konterfrei von Nijasow. Ruhnama ist die von Nijasow geschaffene Ideologie für das unabhängige Turkmenistan. Sie sei – so die Autoren Kunze und Vogel – „ein wirres Durcheinander aus eigener geschönter Biografie, Anlehnungen an Bibel und Koran, halbwissenschaftliche historische Abhandlungen, Gedichten, tagespolitischen Einsprengseln und unzähligen moralischen Anleitungen“. Diese nationalistische Ersatzideologie entstand, nachdem das Zeitalter des Marxismus-Leninismus (ML) 1991 zu Ende gegangen war. Die Reiseleiterin erzählte, sie sei für ihre Lizenz auch über „Ruhnama“ geprüft worden, was an die DDR erinnert, wo ML auch bei fachfremden Prüfungen – etwa im Ärzteexamen – abgefragt wurde.

Apropos Reiseleiterin: Individualreisen sind nicht möglich, schon gar kein Backpacking: Von der Einreise bis zur Ausreise muss ein staatlich lizensierter Führer dabei sein. Das wird zwar nicht so extrem gehandhabt wie in Nordkorea, aber der Aufenthalt außerhalb des Hotels auf eigene Faust ist eher unerwünscht. Dass man die ganze Zeit über einen Führer benötigt, treibt die Reisekosten in die Höhe, wenngleich das Land – im Gegensatz etwa zu Bhutan oder den Nationalparks in Tansania – nicht explizit nur hochpreisigen Tourismus will.

In Turkmenistan gibt es mittlerweile drei Parteien: Die Demokratische Partei, d.h. die Partei des Präsidenten, die Partei der Industriellen und Unternehmer sowie die Agrarische Partei. Wahlen spielen allerdings keine Rolle, im Parlament sitzt keine Opposition; der Präsident bestimmt alles. Das erinnert – unter anderen ideologischen Vorzeichen – an die DDR: Bei den dortigen Blockparteien, der (Ost-)CDU, der LDPD, der NDPD und der DBD, wurde die bestimmende Rolle der Einheitspartei SED nicht in Frage gestellt. Die Demokratische Partei Turkmenistans erfüllt dort heute die Rolle der SED. Das Parlament – die DDR-Volkskammer – spielte ebenfalls kaum eine Rolle, ähnlich wie im heutigen Turkmenistan.

Das Ganze ist bezogen auf Deutschland aber leider nicht nur Historie, denn man könnte mittlerweile versucht sein, auch an die heutige Situation zu denken: Erstens benutzen CDU, CSU, FDP, Grüne und Linke für sich den Begriff der demokratischen Parteien, der AfD aber wird dieses Gütesiegel im Diskurs verweigert. Zweitens dominiert grünes Denken, ohne dass SPD, FDP, Union und Linke dazu eine inhaltliche Alternative präsentieren wollten. Manche sehen in den etablierten Kräften schon – vielleicht etwas überspitzt – Quasi-Blockparteien. Wenigstens bleibt man in Deutschland – außerhalb der Wahlkämpfe – von Bildern von Merkel, Scholz oder Habeck im öffentlichen Raum verschont. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

„Eine Turkmenistanreise lässt sich gut mit einer Reise ins Nachbarland Usbekistan kombinieren.“

Turkmenistan ist für Kulturreisende ein sehr interessantes Reiseland. Zunächst wäre da die Hauptstadt Aschgabat mit dem oben geschilderten Personenkult und dem Prunk und Protz. Für historisch Interessierte sehr sehenswert sind die Ruinen von Alt-Nisa wenige Kilometer von Aschgabat entfernt. Dieser Ort war vom 3. Jahrhundert v. Chr. bis zum 3. Jahrhundert n.Chr.  die Hauptstadt des Partherreichs, welches bis nach Persien und Mesopotamien reichte und auch das Römische Reich herausforderte. Im äußersten Norden Turkmenistan liegt Kunya-Urgentsch, die Hauptstadt von Choresmien. Dort findet man Gebäude aus dem 11. bis 16. Jh. mit einer Festung sowie mehrere Minarette und Mausoleen.

Im Südosten von Turkmenistan liegt – unweit der modernen Stadt Mary – an der alten Seidenstraße die Ruinenstadt Merw, die vom 6. Jahrhundert v. Chr. bis zum 18. Jahrhundert n. Chr. besiedelt war. Das bedeutendste Gebäude ist das Mausoleum von Sultan Sanjar (1118-57). Außerdem kann man dort unter anderem die Abdillakhan-Kala-Festung aus dem 15. Jahrhundert, die gut erhaltenen Ruinen der Festung Kyz-Kala aus dem 6. bis 8. Jahrhundert und verschiedene weitere Mausoleen sowie Festungen aus dem 12. bis zum 15. Jahrhundert besichtigen.

89 Prozent der Bevölkerung Turkmenistans sind – zumindest nach offiziellen Angaben – Muslime. Nach sieben Jahrzehnten verordnetem Atheismus in der UdSSR hat die Bedeutung der Religion zwar nicht so gelitten wie in der DDR, aber ein sehr religiöses Land ist Turkmenistan nicht. Man sieht gerade auf dem Land Frauen mit Kopftuch, das ist aber die traditionelle turkmenische Kleidung. Es ist kein Hijab, erst recht kein Niqab (wie in Saudi-Arabien), kein Tschador (wie im Nachbarland Iran) und erst recht keine Burka (wie im Nachbarland Afghanistan). Zumindest in den Großstädten ist der Moscheebesuch selten. Moscheen dominieren auch nicht das Stadtbild. Die Turkmenbashi-Ruhy-Moschee in Aschgabat entstand für den ersten Präsidenten Turkmenistans, nicht weil die anderen Moscheen zu klein geworden wären. Er ist auch dort begraben worden. Ich habe in einer knappen Woche im Land keinen einzigen Muezzinruf gehört. Dafür bekämpft das Regime aber islamistische Gewalt sehr entschieden.

Hauptsächlich spricht Turkmenistan Geschichts- und Archäologiefans an. Vereinzelt wird von Reiseveranstaltern – nach den kulturellen Highlights – auch Badeurlaub am Kaspischen Meer angeboten. Für einen reinen Badeurlaub allerdings eignet sich das Land nicht, da sind das Mittelmeer oder das Rote Meer (etwa Hurghada) deutlich empfehlenswerter. Eine Turkmenistanreise lässt sich gut mit einer Reise ins Nachbarland Usbekistan kombinieren; unweit vom usbekischen Chiwa ist ein Grenzübergang, den auch Ausländer nutzen können.

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