21.10.2024

Unkritisch Reisen: Georgien

Von Niels Hipp

Titelbild

Foto: Olga_Fil via Pixabay

Im südkaukasischen Georgien, zwischen Stalins langem Schatten und der Marktwirtschaft, finden am Samstag Wahlen statt. Zu den Sehenswürdigkeiten des Landes gehören nicht zuletzt orthodoxe Kirchen.

Heute reisen wir nach Georgien, einen Staat zwischen Kaukasus und Schwarzem Meer in Vorderasien, den ich im Jahr 2016 besucht habe.

Bei Georgien denkt man gerade als Deutscher – 75 Jahre nach Gründung der DDR – unweigerlich an den sowjetischen Diktator Josef Stalin (1878-1953), aber auch – 35 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer – an den sowjetischen Außenminister und späteren Staatspräsidenten Georgiens, Eduard Schewardnadse (1928-2014). Josef Stalin wurde 1878 als Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili in Gori, einer heute mittelgroßen Stadt in Zentralgeorgien, die damals zum Russischen Zarenreich gehörte, geboren.

Dort gibt es seit 1957 ein Stalin-Museum: Das Geburtshaus des späteren Diktators wird von einem Pavillon überdacht, der an einen griechisch-römischen Tempel erinnert. Das eigentliche Museumsgebäude dahinter wiederum wirkt gotisch. In weiten Teilen strahlt das Museum eine feierliche, teilweise fast heilige Atmosphäre aus. An einer kritischen Auseinandersetzung mit einem der größten Massenmörder aller Zeiten mangelt es komplett, sein Leben und Wirken werden sehr unkritisch dargestellt. Es ist wirklich ein Museum für Sowjetnostalgiker. Eine Neugestaltung der Ausstellung ist auch im seit 1991 unabhängigen Georgien bis heute nicht erfolgt, was das ambivalente Verhältnisse zu Stalin zeigt: Einerseits war er für den Tod unzähliger Georgier verantwortlich, andererseits gibt es in dem kleinen Land, das nicht einmal vier Millionen Einwohner zählt, einen gewissen Stolz darauf, dass ein „Großer der Weltgeschichte“ einer der ihren war.

Schewardnadse wurde 1928 in dem kleinen Dorf Mamati in Westgeorgien, damals Georgische Sozialistische Sowjetrepublik innerhalb der UdSSR, geboren. Als Gorbatschows Außenminister brachte er im Jahr 1990 entgegen dem Widerstand vieler Kommunisten und Armeegeneräle die deutsche Einheit auf den Weg und unterzeichnete im September 1990 den Zwei-Plus-Vier-Vertrag für die deutsche Einheit. Nach der Unabhängigkeit Georgiens 1991 war er von 1992 bis 1995 Vorsitzender des georgischen Staatsrats und von 1995 bis 2003 georgischer Präsident, bis er im Rahmen der „Rosenrevolution“ 2003 zum Rücktritt gezwungen wurde. Ihm ist kein Museum gewidmet.

„Nach dem Sturz Schewardnadses initiierte der neue Präsident Micheil Saakaschwilli Reformen wie Privatisierungen, aber auch die Senkung der Einkommenssteuer und anderer Steuerarten.“

Nachdem von der Zeit des Kalten Krieges und dessen Ende die Rede war, kommen wir nunmehr zu den Fragen: Wie hat sich Georgien seitdem wirtschaftlich entwickelt? Und wie sieht das Verhältnis zu Russland aus? Nach dem Ende der UdSSR tat sich Georgien ökonomisch zunächst schwer. Nach dem Sturz Schewardnadses initiierte der neue Präsident Micheil Saakaschwilli, der später in der Ukraine Gouverneur wurde und im Heimatland zu langjähriger Haft verurteilt wurde, Reformen wie Privatisierungen, aber auch die Senkung der Einkommenssteuer und anderer Steuerarten. Außerdem bekämpfte er die Korruption, einmal indem er die Regulierung zurückdrängte, denn weniger Regulierung bietet weniger Anlässe für Korruption, und zweitens dadurch, dass er auf einen Schlag 35.000 Polizisten entließ und 15.000 neue einstellte – was in einem Land ohne Berufsbeamtentum auf Lebenszeit allerdings einfacher umzusetzen ist. Der Erfolg dieser Maßnahmen schlug sich in hohen Wachstumsraten nieder, anfangs zweistellig, in den 2010er-Jahren immer zwischen ca. drei und gut sieben Prozent pro Jahr. Das gestaltet sich freilich in einem Land mit einem BIP pro Kopf von knapp 6700 US-Dollar (2022) – also weit unter dem globalen Durchschnitt – viel einfacher ist als in „reiferen“ Volkswirtschaften wie den westeuropäischen.

Das Verhältnis zu Russland ist ambivalent: Georgien war von 1801 bis zu dessen Ende 1917 Teil des Zarenreichs, 1921 wurde die Georgische Sozialistische Sowjetrepublik gegründet. Von 1922 bis 1991 war Georgien dann Teil der russisch dominierten UdSSR. Georgier haben aber immer wieder zur Elite der UdSSR gezählt, wie die o.g. Beispiele Stalin und Schewardnadse zeigen. Nach dem Ende der Sowjetunion begann der Streit um die Regionen Abchasien und Südossetien: Diese gehörten zur Sowjetzeit zur Georgische SSR und in diesen Grenzen erklärte sich Georgien 1991 für unabhängig, wobei die beiden Gebiete zu dieser Zeit selbst nach Unabhängigkeit strebten. Nachdem die Situation schon Anfang der 1990er-Jahre eskaliert war, kam es 2008 zum Kaukasuskrieg: Russland griff zugunsten von Südossetien ein, der Konflikt schwappte aber nach Abchasien über und selbst Gori im georgischen ‚Kernland‘ wurde bombardiert. Als Folge des Kriegs entstanden die fast nur von Russland akzeptierten Republiken Abchasien und Südossetien, vergleichbar mit der Situation in Transnistrien (Moldawien) oder – bezogen auf die Türkei – in Nordzypern.

„Georgiens Antrag auf EU-Mitgliedschaft liegt momentan auf Eis, u.a. weil das georgische Parlament ein Gesetz verabschiedet hat, das eine schärfere Kontrolle von aus dem Ausland (mit)finanzierter NGOs vorsieht.“

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine 2022 stellte Georgien einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft, der aber momentan auf Eis liegt, u.a. weil das georgische Parlament ein Gesetz verabschiedet hat, das eine schärfere Kontrolle von aus dem Ausland (mit)finanzierter NGOs vorsieht. Am kommenden Samstag finden Parlamentswahlen statt; ob die mit absoluter Mehrheit regierende Partei Georgischer Traum erneut einen derartigen Wahlsieg erringt, wird sich zeigen. Die Partei ist eine Catch-all-Party mit konservativer und „rechtspopulistischer" Stoßrichtung, war aber von 2015-23 auch Mitglied in der Sozialdemokratischen Partei Europas, bevor sie dem Ausschluss durch Austritt zuvorkam. Außerdem finden Ende des Jahres Präsidentschaftswahlen statt.

Was kann man in Georgien besuchen? Zunächst ist die Hauptstadt Tiflis mit ihrer Altstadt mit vielen Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, mehreren georgisch-orthodoxen Kirchen, der Festung Nariqala, der „Mutter Georgiens“-Statue sowie der Schwefelbäder sehenswert. Weiter westlich liegt Gori mit dem oben genannten Stalin-Museum. In der Nähe Goris befindet sich die Jahrtausende alte Höhlenstadt Uplisziche. Auf dem Weg nach Kutaissi kann man noch das Kloster Gelati (Unesco-Weltkulturerbe) besichtigen. Ganz im Westen des Landes liegt das Schwarze Meer mit den Städten Batumi und Poti.

Wieder im Raum Tiflis sollte man sich nach Mzcheta begeben. Dort, in der Hauptstadt des antiken Iberiens, befinden sich die historisch bedeutsame Dschwari-Kirche aus dem 6. Jahrhundert und die ebenfalls sehr sehenswerte Swetizchoweli-Kathedrale aus dem 11. Jahrhundert, beides Unesco-Weltkulturerbestätten. In der Nähe kann man die Ananuri-Kirche aus dem 16/17. Jahrhundert besichtigen. Ein Besuch Georgiens lässt sich gut kombinieren mit Reisen in die beiden benachbarten Kaukasusrepubliken Armenien und Aserbaidschan.

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