29.11.2017

Umweltverträgliches Ableben

Von Christoph Lövenich

Titelbild

Foto: Katrina_S via Pixabay / CC0

Der Öko-Lifestyle macht vor dem Tod nicht halt. Eine zeitgeistkonforme Beerdigung dient dem umweltsündigen Menschen als letzter Ablasshandel.

„Stellen Sie sich vor“, liest man beim Bonner Bestattungsunternehmen Hebenstreit & Kentrup, „jemand hat sich sein Leben lang bemüht, ökologisch nachhaltig und, so gut es eben geht, im Einklang mit seiner Umwelt zu leben. Nun soll der letzte Fußabdruck, der hinterlassen wird, natürlich ebenfalls möglichst grün sein.“ Gewiss: Nicht nur von der Wiege bis zur Bahre, sondern bis ins Jenseits plagt das grüne Gewissen.

Und so hat das Bestattungshaus mit seinem Konzept der „Grünen Linie“, die auch nach dem letzten Atemzug nicht überschritten werden darf, beim European Funeral Innovation Award 2017 den ersten Platz gewonnen. „Der biologische Kreislauf dient dabei als Idealvorstellung von Nachhaltigkeit und stellt gleichzeitig den würdigsten Abschluss eines umweltfreundlichen und gut gelebten Lebens dar.“ Ein alter Gedanke, schon vom Autorenkollektiv des Alten Testaments formuliert: „bis du zum Erdboden zurückkehrst; denn von ihm bist du genommen“. Aber das Ökodenken als neue Religion muss in Sachen Bestattungsrituale noch etwas Eigenes draufsetzen. Holzsarg, Griffe – „auch die Innenausstattung ist vollständig biologisch abbaubar.“ Und der Inhalt erst, er kann größtenteils von geeignetem Erdgetier verspeist werden (Vorsicht: nicht vegetarisch, nicht auf Spuren von Gluten getestet).

Die verwendeten Särge sind „von Natur aus automatisch ‚Bio‘“ sowie „aus regionalem und nachhaltigen Forstbetrieb.“ Prima. Nachhaltigkeit kommt aus der Fortwirtschaft und hat auch nur dort Sinn (nicht bei industrieller Produktion, Dienstleistungen oder dem Fortschritt menschlicher Gesellschaften überhaupt). Im Wald steht sie aber unter Druck: Ausgerechnet die Nachhaltigkeitsfetischisten verwechseln nämlich die Realität mit dem „Dschungelbuch“ und legen holzwirtschaftliche Flächen lahm, damit mitten im Industrieland Deutschland möglichst viele „Urwälder“ entstehen. Und für diverse der Windräder wegen abgeholzte Bäume können auch keine neuen Särge mehr nachwachsen.

„Es fehlen die klimaneutralen Passiv-Krematorien, wo tote Ökos nicht verbrannt, sondern kompostiert werden.“

„Die Trauergäste erhalten auf Wunsch Einladungen auf Naturpapier und können den ortsnahen Friedhof (falls möglich) zu Fuß, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen.“ Tja, dann dürfen aber nur die in der Nähe Wohnenden überhaupt eingeladen werden. Wenn so einem grünen „Anywhere“ erst mal seine Kumpels aus Kanada oder Neuseeland die letzte Ehre erweisen, reißt es der Flughafenbus auch nicht mehr raus. Da müsste dann nicht nur – wie angeboten – die Information rein online erfolgen können, sondern gleich die ganze Zeremonie im Internet, sonst müssen für die Emissionen wieder Ausgleichszahlungen geleistet werden, als Form postmodernen Ablasshandels.

Einmal auf dem Friedhof angekommen, empfängt einen der Blumenschmuck „möglichst aus heimischem Freilandanbau“. Dort ist die Auswahl „natürlich von Mai bis September am vielfältigsten.“ Timing ist alles, auch beim korrekten Ableben. Auch der Grabstein ist mehr als nur ein Gesteinsobjekt. Von „ortsansässigen Steinmetzbetrieben hergestellt“ trägt er zu „Nachhaltigkeit und fairem Handel“ bei. Und zur Festigung der ohnehin vorhandenen Geschäftsbeziehungen der beteiligten Unternehmen…

Der Friedhof selbst entfaltet als Biotop „mit seiner unwahrscheinlichen Artenvielfalt“ eine „positive Wirkung auf das Stadtklima“, die eine „Senkung der Temperatur bei Erhöhung der Luftfeuchtigkeit, Bindung von Staub und Produktion von Sauerstoff“ mit sich bringt. Und ist Ruheoase – das übrigens schon immer, so dass er nicht selten Zeuge sein konnte, wie so mancher Zeitgeist verwelkte und zu Grabe getragen wurde. Von der Feuerbestattung ist freilich nirgendwo die Rede, es fehlen wohl noch die klimaneutralen Passiv-Krematorien, wo tote Ökos nicht verbrannt, sondern kompostiert werden.

„Als Grabbeigabe empfiehlt sich ein Buch von Toni Hofreiter.“

Die von Hebenstreit & Kentrup angebotene „grüne“ Beerdigung dürfte sich von einer normalen wohl hauptsächlich im Preis unterscheiden. Die Jury des Innovationswettbewerbs lobt denn auch „eine geniale Verbindung von Zeitgeist, Marketing und Wertebewusstsein“. Zahlungskräftige Kunden modischen Ökoglaubens können mit Signalwörtern eingefangen werden, die Lobpreisung ihrer Angehörigen ist ihnen gewiss. Als Grabbeigabe empfiehlt sich ein Buch von Toni Hofreiter.

Nun ist am Ideenreichtum findiger Unternehmer erst mal nichts auszusetzen, aber solche Angebote tragen zur Festigung eines Ökodenkens bei, in der sich der Mensch als permanente Belastung für die Natur betrachtet und sich von morgens bis abends nur noch fragt, wie er denn umweltkorrekt handeln müsse. Daraus entstehen soziale Normen und Verbotsgesetze, durch die sich eine fortschrittliche Gesellschaft letztlich ihr eigenes Grab schaufelt.

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