18.06.2025
Trumps Kulturkampf trifft einen wunden Punkt
Von Mirjam Epstein
US-Präsident Donald Trump geht gegen woke Auswüchse vor und wird dafür kritisiert. Es ist jedoch notwendig, die Hegemonie der Identitätspolitik in Frage zu stellen.
Dass Donald Trumps kulturpolitische Offensive Protest provozieren würde, war zu erwarten. Doch die moralische Entrüstung, mit der sein Eingriff in die Kulturlandschaft quittiert wird, offenbart einen ideologischen Reflex – und ein Selbstverständnis, das sich selbst längst als politisches Projekt versteht.
Kaum zurück im Amt, ließ Trump sämtliche DEI-Programme (Diversity, Equity, Inclusion) in staatlichen Behörden auf Bundesebene streichen – zuletzt traf es mit dem Kennedy Center eine der symbolträchtigsten Kulturinstitutionen des Landes. In der Tagesschau wurde prompt der Vergleich zur Kulturpolitik Joseph Goebbels’ gezogen. Solche Analogien sind nicht nur historisch grotesk – sie offenbaren eine Reflexstruktur: Sobald Trump agiert, setzt in vielen medialen Milieus die Fähigkeit zur Selbstkritik aus.
Dabei wäre gerade hier Reflexion nötig. Trumps Maßnahmen sind nicht bloß autoritärer Impuls. Sie richten sich gegen ein kulturelles Selbstverständnis, das sich über Jahre hinweg nahezu widerstandslos in Institutionen eingeschrieben hat – und jede Infragestellung inzwischen als Sakrileg wertet. Was einst als Emanzipationsbewegung begann, ist zur hegemonialen Ideologie geworden.
„Die moralische Autorität verschiebt sich – weg von der Idee gemeinsamen Fortschritts, hin zu einer Kultur der Anklage.“
Die Identitätspolitik, hervorgegangen aus der Bürgerrechtsbewegung und dem Black Feminism der 1960er- und 70er-Jahre, etwa im Umfeld des Combahee River Collective, ist heute mehr als ein Diskurs: Sie bildet den dominanten Deutungsrahmen gesellschaftlicher Wirklichkeit. Zwischen 2010 und 2025 hat sich der vormals akademische Randdiskurs zum politischen Leitmotiv entwickelt – mit durchgreifender Wirkung auf Medien, Universitäten, Unternehmen und Behörden. Universitätsbewerber müssen in Diversity Statements ideologische Gefolgschaft belegen. In Seminaren werden westliche Klassiker wie Kant systematisch verdrängt. Der Zwang zur moralisch sensiblen Sprache hat sich von Campussen über Redaktionen bis in Verwaltung und Wirtschaft ausgebreitet – verankert in Schulungskatalogen, Sprachregelungen und Compliance-Vorgaben. Die neue Moral kennt kein Fragezeichen. Sie tritt auf mit dem Absolutheitsanspruch religiöser Gebote – eine identitätspolitische Ersatztheologie, die keine Abweichung duldet.
Was als historisches Bewusstsein begann, ist zur sakralisierten Kränkungshierarchie geworden. Die moralische Autorität verschiebt sich – weg von der Idee gemeinsamen Fortschritts, hin zu einer Kultur der Anklage. In ihr wird Macht aus Verwundung abgeleitet. Nicht mehr das Individuum zählt, sondern das Kollektiv der Verletzten. Differenz, einst Etappe auf dem Weg zur Gleichheit, wird zum strukturtragenden Prinzip – aus ihr leiten sich nicht Ansprüche auf Teilhabe, sondern auf Vorrang ab.
Doch Aufklärung meinte etwas anderes. Kant hielt daran fest: Das Wirkliche muss sich am Ideal messen lassen, nicht umgekehrt. Vernunft, Urteilskraft, Freiheit – das waren die Fundamente einer Ordnung, die den Einzelnen emanzipieren wollte, nicht ihn in kollektive Identitäten auflösen.
„In den Machtzentren bleibt die Hegemonie der Identitätspolitik weitgehend unangetastet.“
Gegen diese Idee richten sich die neuen Theorien. Charles Mills, Judith Butler und ihre Epigonen kehren das Prinzip um: Nicht Autonomie, sondern Abhängigkeit gilt als Ursprung moralischer Wahrheit. Wer nicht marginalisiert ist, hat nichts zu sagen. Die Vernunft – eine „westliche“ Fiktion. Das Subjekt – ein Konstrukt der Herrschenden. So wiederholt sich ein Grundzug der Moderne: die Aufteilung der Welt in Gruppen – diesmal mit moralischem Vorzeichen. Aus universalem Fortschrittsglauben wird partikularer Betroffenheitskult. Gruppenrechte überlagern Individualrechte. Identität ersetzt Urteil. Moral ersetzt Politik.
Heute aber kehrt sich diese Moral in ihr Gegenteil. Sie beruft sich auf Pluralität, duldet aber kaum Abweichung. Nicht Vielstimmigkeit dominiert, sondern ein normativer Anspruch auf Unantastbarkeit. Zwar regt sich innerhalb progressiver Milieus eine leise Müdigkeit gegenüber pädagogischer Bevormundung und ideologischer Überfrachtung. Doch in den Machtzentren bleibt die Hegemonie der Identitätspolitik weitgehend unangetastet.
Trumps Entscheidung, exklusive Förderprogramme zu beenden, wirkt drastisch – aber sie trifft einen wunden Punkt: den Verlust eines gemeinsamen Maßes. Kritik gilt nicht mehr als legitimer Teil demokratischer Auseinandersetzung, sondern als Angriff auf ein moralisches Selbstbild. Die Heftigkeit der Reaktionen verweist weniger auf den Inhalt seiner Maßnahmen als auf die Erschütterung eines stillschweigenden Monopols.
Eine Demokratie aber, die abweichende Stimmen nicht mehr aushält, gefährdet sich nicht durch ihre Gegner – sondern durch ihren eigenen moralischen Hochmut.