01.08.2018

Tiere haben keine Würde

Von Andrea Seaman

Titelbild

Foto: PDPhotos via Pixabay / CC0

In der Schweiz gibt es neue Vorschriften zur Tötung von Hummern und Haustieren. Die Vorstellung einer Tierwürde aber beschränkt den Menschen und seine Freiheit.

In der Schweiz ist es seit dem 1. März dieses Jahres verboten, Hummer in nicht betäubtem Zustand zu kochen und sie auf Eis, in Eiswasser, statt in ihrem natürlichen Milieu zu transportieren. Bevor diese Krebstiere in heißem Wasser landen, muss man sie elektrisch betäuben oder mit einem Messer durch ihr Gehirn fahren. Wer vergisst, dem Gesetz Folge zu leisten oder sich gegen diesen Unsinn auflehnt, riskiert bis zu drei Jahre Gefängnisstrafe. Mehrere Studien, denen zufolge der wässrige Hummertod eine angeblich schmerzhafte Angelegenheit sein soll, haben den Schweizer Bundesrat zu diesem neuen Gesetz veranlasst.

Die Tierschützer feiern damit einen weiteren Sieg auf Grundlage der in der Schweizer Verfassung verankerten Würde des Tieres. Aber die Würde der Gastronomen bleibt außen vor. Entweder sie müssen nun aufhören, Hummer zu servieren, weil die Hummer-Schockgeräte zu teuer oder nicht auf dem Schweizer Markt erhältlich sind, oder sie müssen die Tiere – durch die mechanische Betäubungsmethode zerstört – in zwei Hälften geteilt auftischen. An dieser Stelle muss gesagt werden: Die Vorstellung, dass Tiere Würde haben, ist buchstäblich ein Witz.

Zumindest fing es als Witz an. Thomas Taylor (1758–1835), ein englischer Platoniker, ärgerte sich über Thomas Paines „Die Rechte des Menschen“ und Mary Wollstonecrafts „Die Rechte der Frau“. Er hielt es für angebracht, die von ihm verachtete Erweiterung der Freiheit durch eine Satire mit dem Titel „Zur Verteidigung der Rechte der Tiere“ zu kritisieren. Das war offensichtlicher Spott. Aber jetzt ist daraus bitterer Ernst geworden. Und, wie wir sehen werden: Genau wie zu Zeiten Taylors die Tierrechte als Mittel benutzt wurden, um Menschenrechte zu verleugnen, ist der Begriff der Tierrechte heute Ausdruck einer Feindschaft gegenüber der Freiheit.

„Der Begriff der Tierrechte ist heute Ausdruck einer Feindschaft gegenüber der Freiheit.“

Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Studien, die dem Hummer eine Gefühlsintensität bescheinigen, und anderen Studien, die genau dies verneinen, übersehen diese einen wesentlichen Punkt. Nämlich, dass sich der Schmerz der Tiere grundlegend von dem des Menschen unterscheidet. Sie heben sich so sehr voneinander ab, dass Tierschmerzen wohl überhaupt nicht als „Schmerz“ bezeichnet werden können. Oft wird dieser Unterschied vergessen, weil die meisten Tierrechtsbegeisterten, wenn sie von den Qualen sprechen, die Tiere erleiden, diese mit menschlichem Leid gleichsetzen. Dies führt fälschlicherweise dazu, die industrielle kulinarische Schlachtung von Tieren mit dem Holocaust zu vergleichen.

Doch der menschliche Schmerz ist von dem des Tieres im Wesentlichen völlig verschieden. Wenn ich Ihnen, zum Beispiel, an Ihr Schienbein trete, werden Sie sich sowohl der Ursache Ihres Leidens als auch der Auswirkungen aller Aktivitäten, die mit dem Einsatz Ihres Beines verbunden sind, bewusst sein. Außerdem könnten Sie sich entscheiden, im Zorn zurückzuschlagen. Menschen empfinden Schmerz über etwas, während Tiere nur „Schmerz“ erleiden.

Tiere, wie der Hummer, reagieren lediglich mechanisch auf Reize. Der Mensch denkt über seinen Schmerz nach und kann sich entscheiden, ihm auf vielfältige Weise zu begegnen: ihm trotzen, ihn überwinden, gar zum Vergnügen aufsuchen oder sich seinetwegen in eine existentielle Krise treiben lassen. Zudem schmerzen uns viele Dinge, die ihren Ursprung nicht in der Biologie haben, wie der Tod eines Verwandten, die Scham oder die Tatsache, dass der Bundesrat dumme Gesetze erlässt.

Für den Philosophen Raymond Tallis liegt der Unterschied zwischen Mensch und Tier hauptsächlich im Wort „dass“.  1 Dies lässt sich so veranschaulichen: Wir können sagen, dass ein Mensch weiß, dass sein Ferrari in Flammen steht. Aber was ist mit seinem Hund? Können wir sagen: „Der Hund ist sich bewusst, dass das Auto brennt“? Nur wenn wir annehmen, dass er ein Selbstbewusstsein besitzt und weiß, was ein Auto und was Feuer ist. Und wenn er das weiß, dann muss ihm auch eine ganze Menge mehr bekannt sind, z.B. was Straßen, Reifen und Radios sind. Kurz gesagt, etwas nur zu wissen, oder „zu wissen, fühlen oder denken, dass etwas (der Fall ist)“, impliziert eine ganze Litanei an zusätzlichem Wissen, von dem wir nicht annehmen können, dass ein Tier darüber verfügt. Wenn ein Tier in irgendeiner Weise über mindestens eine Sache Bescheid wüsste, dann müsste es selbstbewusst sein, denn um etwas zu wissen, muss man sich bewusst sein, dass man selbst ein von dem, was bekannt ist, getrenntes Wesen ist.

„Der Hummer ist unseres Mitleids genauso unwürdig wie ein Insekt.“

Deshalb kommen die Tiere nie an das „dass“ heran. Ein Hund fühlt, sieht, wittert und riecht, aber er fühlt, sieht, wittert und riecht nie, „dass (etwas der Fall ist)“. Solche Geschöpfe sind der Vernunft und der Freiheit beraubt, die z.B. notwendig sind, um moralische Gesetze aufzustellen, um zu verstehen, dass man bestimmte Handlungen, wie Mord, niemals begehen sollte.

Nun mag man einwenden, der Hummer verdiene unser Mitleid unabhängig davon, ob er Schmerzen fühlen kann oder von der Welt des „dass“ ausgeschlossen ist. Dies kann ich nicht nachvollziehen. Wir stampfen mit Recht auf Kakerlaken und Insekten herum, bringen Ratten und Mäuse zumeist recht unbekümmert um, jagen Hasen, Löwen und Füchse. Und den Hummer – auch „die Kakerlake des Meeres“ genannt – will man aus irgendeinem Grund verschonen? Er ist unseres Mitleids genauso unwürdig wie ein Insekt. Wem das aus meinem Mund zu barsch klingt, den verweise ich auf den Geschäftsführenden Direktor des Hummerinstituts in Maine (USA), Robert Bayer: „Einen Hummer zu kochen ist nichts anderes, als ein großes Insekt zu kochen“. Folglich sollte es uns nicht kümmern, wenn ein Hummer, der dazu bestimmt ist, von einem hungrigen Kunden verspeist zu werden, bei seiner Tötung für ein paar Sekunden eine Störung seines Nervensystems erfährt.

Der grundlegende Fehler des neuen Schweizer Gesetzes besteht in der Vorstellung, dass Hummer mit Würde behandelt werden müssten. „Würde“ als Begriff kann jedoch nur auf Wesen angewendet werden, die einen freien Willen haben. Immanuel Kant schrieb, dass im Gegensatz zum irrationalen Tier (einer „Sache“), „der Mensch […] als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen“ existiert. Wenn man also Hummern Willensfreiheit einräumt, vermenschlicht man sie „als Zweck an sich selbst“ und versachlicht so notwendigerweise zugleich den Menschen. Das ist weder zufälliges Versehen noch etwas Besonderes, wenn man bedenkt, wie politische Fragen mit Tierbezug mittlerweile diskutiert werden.

Heutzutage ist der freie Wille auch von den politischen Eliten und der Politik im Allgemeinen bedroht. Bedroht von Hate-Speech-Verboten, von der EU oder MeToo bis hin zu Gesetzen über Krustentiere. In jedem dieser Fälle verwerfen wir die aufgeklärte Idee des Individuums als Selbstzweck, um es als Mittel und Gegenstand von Zielen zu verwenden, die nicht seine eigenen sind.

„Ich rate daher den Bürgern der Schweiz, Hummer weiterhin bei vollem Bewusstsein in den Tod zu werfen.“

Die Tötung von verletzten oder kranken Tieren, bei denen die medizinische Behandlung hoffnungslos oder zu schmerzhaft ist, wird ebenfalls in der neuen Rechtsvorschrift vorgeschrieben. Dies wird Misstrauen zwischen Besitzern und Tierärzten hervorrufen. Ich hatte mal einen alten Hund, der Wasser in der Lunge hatte. Ich brachte ihn früh am Morgen wegen eines Atmungsproblems alleine zum Tierarzt und er empfahl mir, ihn einzuschläfern. Ich protestierte und der Tierarzt, der trotz der Abwesenheit des Restes meiner Familie den Hund unbedingt sofort töten wollte, musste sich glücklicherweise meinen Wünschen beugen. Wir beschlossen, ihn einen Monat später in Gegenwart derer zu töten, die ihn schon immer geliebt hatten. Mit dem neuen Gesetz wäre der Tierarzt gezwungen gewesen, meinen Hund in Abwesenheit seiner „Familie“ zu töten.

Muss unserem Bundesrat erklärt werden, dass Tierhalter wegen dieses Gesetzes dazu tendieren werden, mit ihren schwer kranken oder verletzten Haustieren gar nicht erst beim Tierarzt vorstellig zu werden, da dann ihre pelzigen Liebsten auf Anordnung des staatlichen Leviathans eingeschläfert werden könnten? Es ist ein unmenschliches Gesetz und entmenschlicht gleichzeitig die Besitzer, indem es sie von der Verantwortung gegenüber ihren Haustieren entbindet.

Ich rate daher den Bürgern der Schweiz, die nicht für dieses Hummer-Gesetz gestimmt haben, und großen Köchen der Schweiz, von denen es viele gibt, sich diesem Gesetz zu widersetzen und Hummer weiterhin bei vollem Bewusstsein in den Tod zu werfen. Und man sollte Tierärzte, die sich anmaßen, mit dem eigenen Hund zu tun, was nur ihren Besitzern erlaubt sein sollte, daran hindern – notfalls gewaltsam. Denn wir dürfen nicht der Ideologie der Tierrechtsverrückten nachgeben, die irgendwie kein Problem damit haben, Hummer einer Lobotomie auszusetzen und Haustierhalter zu degradieren.

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