01.10.2018

Strauß – der letzte Progressive

Von Christoph Lövenich

Titelbild

Foto: Nationaal Archief via WikiCommons / CC0 1.0

Am 3. Oktober jährt sich der Todestag von Franz-Josef Strauß (CSU) zum 30. Mal. Er war Gegner der Grünen, weil er für technischen Fortschritt und Wohlstand stand. Von seinem Erbe ist wenig übrig.

Als die Bundesrepublik gegründet wurde, lag im Süden ein Agrarland, in dem sich Kuh und Henne gute Nacht sagten und in dem eine Partei regierte, die von der katholischen Geistlichkeit durchsetzt war. Bayern mit der CSU. Doch jene Partei erhielt damals einen Generalsekretär, durch den sich das gründlich ändern sollte: Franz-Josef Strauß. Er schüttelte seinen Christsozialen den Weihrauchmuff aus ihren Kleidern und erweiterte ihren Horizont über den blau-weißen Himmel hinaus. Im Richtungsstreit setzte sich sein Flügel schließlich gegen die Altvorderen durch. Die „‚moderne‘ und auf ganz Deutschland blickende CSU verkörperte Strauß in besonderer Weise“, urteilt der Marburger Geschichtsprofessor Wolfgang Krieger, „er bekannte sich ausdrücklich zur ‚Entklerikalisierung und Liberalisierung‘ der CSU“. 1

„Konservativ heißt an der Spitze des Fortschritts marschieren“, erklärte er im rührigen Jahr 1968. Das hieß für ihn insbesondere: Moderne Technologien und größerer Wohlstand. Als CSU-Parteichef hatte er nicht unwesentlichen Anteil daran, den Schuhplattler-Staat in einen High-Tech-Standort zu verwandeln und bedeutende Industrie anzusiedeln. (Freilich nicht ohne die Hilfe von Subventionen und des Länderfinanzausgleiches.) Als Bundesminister für Atomfragen widmete sich Strauß schon in den 1950er-Jahren den Chancen der Atomkernenergie. Manche diesbezügliche Weichenstellungen nutzten deren Potential zwar nicht optimal, aber am Grundgedanken sicherer, günstiger und relativ sauberer Energie durch zeitgenössische Technik hielt der CSU-Politiker zeitlebens fest.

Auch und gerade, als sich ab den 1970ern eine militante Allianz ökoromantischer Fortschrittsfeinde aus klassisch antimodern-ländlichen und neulinks-großstädtischen Kräften formierte. Strauß, der Atomkraftgegner „apokalyptische Narren“ genannt haben soll, wäre heute angesichts der Weltuntergangsprophetien der „Klimawandelgegner“ ziemlich entsetzt. „Wer der Meinung ist, dass der Strom von der Steckdose kommt und nicht von Kraftwerken kommt“, wetterte er im Wahlkampf 1980, „der soll SPD und FDP wählen“. Mittlerweile bieten sich dem Stimmbürger da noch viel mehr Möglichkeiten …

„Es geht darum, ob wir materiellen Fortschritt durch Technik wollen oder ob wir den Ast absägen möchten, auf dem unser wachsender Wohlstand beruht.“

Man kann an Strauß vieles bemängeln, von der Korruption über seine Rolle bei der Spiegel-Affäre bis hin zu diversen seiner Ansichten. Seine Fehleinschätzung Helmut Kohls mündete schließlich in der machtpolitischen Unterlegenheit gegenüber dem Pfälzer Kanzler. Der von BRD-„Linken“ und DDR stets dämonisierte Bayer aber verkörperte wenigstens noch etwas, was den heutigen „politischen Pygmäen“ abgeht.

Beim Bau der Wiederaufbereitungsanlage (WAA) Wackersdorf in der Oberpfalz schaukelten sich Mitte der 1980er-Jahre die Gemüter hoch. Bei einem Auftritt im Landtagswahlkampf 1986 sah sich Franz-Josef Strauß in einem Nachbarort einer erregten Menge gegenüber aus diversen Pfarrern, reisenden Öko-Aktivisten, strickenden Hausfrauen und anderen weniger produktiven Gesellschaftsmitgliedern. Der bestehende „Widerstand“ – jüngst wieder in einem Film glorifiziert – wollte den Ministerpräsidenten niederschreien, doch dieser ließ sich vom Gebrüll nicht irritieren und holte in seiner Rede zum Gegenschlag aus:

„Wir können für eine vorausschaubare Zukunft auf die Kernenergie nicht verzichten, weil es für sie keinen Ersatz gibt. Wer Ihnen etwas anders sagt, der lügt Sie an oder er versteht nichts von den Dingen.

Und bitte, man kann auf alles verzichten.

Man kann in einem Zelt wohnen und sagen, wir brauchen kein Haus mehr.

Man kann mit dem Rad fahren und sagen, wir brauchen kein Auto mehr.

Man kann mit dem Segelschiff fahren und kann sagen, wir brauchen keinen Flugverkehr mehr.

Aber das ist doch keine Zukunftsgestaltung. Das ist doch der Marsch in die Vergangenheit.“

Das hatte Strauß sehr richtig erkannt. Es ging nie nur um die Kernenergie. Es geht darum, ob wir materiellen Fortschritt durch Technik wollen oder ob wir den Ast absägen möchten, auf dem unser wachsender Wohlstand beruht. Mehr als eine Generation später sind wir mit Energie-, Agrar- und Verkehrswendehälsen konfrontiert, die unseren Konsum und unsere Versorgungssicherheit (bei Strom, Nahrung, Transport usw.) moralisierend beschimpfen wie einst die Kleriker in Wackersdorf.

„Die neue Linke heißt, an der Spitze des Rückschritts zu marschieren.“

Nachdem Strauß am 3. Oktober 1988 gestorben war, dauerte es noch ein gutes halbes Jahr, bis der WAA-Bau – trotz der vielen bereits in ihn investierten Milliarden – eingestellt (und nach Frankreich verlagert) wurde. Ohne ihren Anführer wirkte die CSU sogleich eierloser. Da passt es ins Bild, dass zu dieser Zeit ein gewisser Horst Seehofer den Karriereschritt zum Parlamentarischen Staatssekretär in Bonn nehmen durfte. (Ob Strauß den jemals mit seiner berüchtigten Frage „Haben Sie überhaupt Abitur?“ brüskiert hat, ist nicht bekannt.) Seit der Stoiber-Zeit in den 1990er-Jahren, so Ex-Bundesregierungssprecher Peter Hausmann, CSU, habe sich seine Partei nicht mehr ambitionierten Projekten gewidmet, sondern sich mehr an Stimmungen und Umfragen orientiert. 2 Der jetzige Ministerpräsident Markus Söder hat sich bereits als Umweltminister von der Atomkraft distanziert. Und Horst Seehofer würde am liebsten mit dem Grünen Winfried Kretschmann koalieren.

Kretschmann, der noch die Chance hat, genau wie Strauß nach zehn Jahren im Amt eines Ministerpräsidenten 73-jährig dahinzuscheiden, hat vor ein paar Monaten den Bayern posthum des Verrats am Konservatismus geziehen, und zwar vorrangig energie- und umweltpolitisch begründet. In einem teils predigthaften Text auf der Website seiner baden-württembergischen Regierung prangert der Grüne an, der Strauß’sche Konservatismus habe „das Bewahrende […] verdrängt“ und „einem naiven Fortschrittsglauben“ Vorschub geleistet, „der dem Konservatismus eigentlich fremd sein sollte und lange eher auf Seiten der Linken angesiedelt war.“ Tja: Die neue Linke heißt, an der Spitze des Rückschritts zu marschieren. Regressive Left, auch bei vielen anderen Themen, von der Meinungsfreiheit bis zur Identitätspolitik. Und der „naive Fortschrittskonservatismus“ bzw. „die naive Technikgläubigkeit“, wie Kretschmann sie mehrfach erwähnt, klingt seltsam aus dem Munde eines naiven Naturromantikers, dessen Partei mit Windmühlen zuverlässigen Strom und mit Agraresoterik Nahrungsmittelsicherheit herstellen will.

„Gottes Schöpfung“ beschwört der grüne Missionar Kretschmann und legt sich fest: „Naturschutz ist deshalb Heimatschutz im besten Sinn“ – eine Parole, die an das bekannte „Umweltschutz ist Heimatschutz“ aus dem Munde der NPD und ähnlicher Organisationen wie Die Rechte und Der III. Weg erinnert. Heimatlos hingegen würde sich heute wohl Strauß fühlen. „Grüne Ideen gedeihen nicht in den Quartieren der Arbeiter“, erkannte er klarsichtig anno 1987. „Sie gedeihen in den Luxusvillen der Schickeria.“ Und heute? Im Freistaat könnte es in ein paar Wochen zur Großen Koalition aus CSU und Grünen kommen. „O tempora, o mores“, würde der humanistische Philologe Strauß ausrufen, und: „Sic transit gloria mundi.“

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