13.04.2017

Sorry, Juncker, die EU ist nicht wie die USA

Kommentar von Tom Bailey

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Foto: Fotocitizen via Pixabay / CC0

Fans der EU vergleichen den Staatenverbund gerne mit den USA. Dabei gibt es einen grundlegenden Unterschied zwischen den beiden Einheiten: ihr Verhältnis zur Demokratie.

Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, hat den US-Präsidenten Donald Trump ermahnt, eine positivere Haltung gegenüber der EU zu zeigen. Falls Trump weiterhin den Brexit unterstützen und die EU im Allgemeinen herabwürdigen sollte, wird er, so Juncker, eine Sezession in Ohio und Austin, Texas, fördern.

Junckers Drohungen sollten nicht ernst genommen werden. In Ohio gibt es nicht einmal im Ansatz sezessionistische Bestrebungen. Vermont, das eine solche, wenn auch nur kleine, Bewegung besitzt, wäre diesbezüglich eine bessere Wahl. Texas hat unterdessen zwar eine Geschichte der Unabhängigkeit, aber Austin ist wahrscheinlich die am wenigsten sezessionistische Stadt im Bundesstaat. Wäre die Wahl gegeben, würden sich die linksliberalen Bürger Austins wohl eher vom Staat Texas als von der gesamten Union trennen.

Juncker ist dafür bekannt, bizarre Dinge zu sagen und zu tun (schauen Sie sich nur dieses Video eines betrunkenen Junckers an, wie er europäische Führungskräfte schlägt). Aber sein Vergleich zwischen den USA und der EU spricht für sich – er sieht die zwei Verbünde offensichtlich als vergleichbar an und dabei ist er nicht der Einzige. Beide Seiten, EU-Unterstützer und Euroskeptiker, glauben, dass die „Vereinigten Staaten von Europa“ das Endziel des EU-Projekts seien. Während der stürmischsten Tage der Euroschuldenkrise haben viele Kommentatoren ebenfalls Parallelen zwischen den beiden Verbünden gezogen – beide verfügen über wohlhabende, nördliche Staaten, die ärmere, südlichen Staaten durch finanzielle Transferleistungen unterstützen.

„Die Vereinigten Staaten gründen sich auf den Prinzipien der Selbstbestimmung und der Selbstregierung.“

Diese Parallelen existieren, aber gibt es aber einen fundamentalen Unterschied zwischen den beiden Einheiten. Sie wurden aus verschiedenen Ideen heraus geboren, haben einen anderen philosophischen Unterbau – insbesondere was ihr Verhältnis zur Demokratie angeht. Die Vereinigten Staaten gründen sich auf den Prinzipien der Selbstbestimmung und der Selbstregierung. Das wird bereits in den ersten Worten der Präambel der US-Verfassung mit den Worten „we the people“ ausgedrückt.

Noch deutlicher wird dieser Gedanke in der Unabhängigkeitserklärung der USA, auf der laut dem verstorbenen Historiker Harry Jaffa das gesamte Unterfangen der Vereinigten Staaten und ihres Experiments der Selbstregierung beruht. Sie verkündet, dass alle Menschen gleich sind. Aus diesem Grund kann die Regierung ihre „gerechte Macht nur aus der Zustimmung der Regierten“ ableiten. Aus dieser Doktrin fließt der Grundgedanke der Volkssouveränität.

Die Grundlage der EU ist hingegen die Angst vor der Volkssouveränität. In den Augen von EU-Ideologen sind selbstverwaltete Nationen eine gefährliche Angelegenheit. Aus dieser misanthropischen Perspektive ist die demokratische Souveränität nicht etwa ein moralisches Gebot, sondern ist vielmehr eine fürchterliche Sache, die in Völkermord und Tyrannei enden könnte. Junckers Europäische Kommission, die nicht gewählt wird, bezeugt das europäische Bestreben, Politik aus der Reichweite der Massen zu halten.

„Die Grundlage der EU ist die Angst vor der Volkssouveränität.“

John Fonte vom amerikanischen Hudson Institute führt an, dass es im Westen zwei konkurrierende Visionen bezüglich der Ordnung unserer Welt gibt. Auf der einen Seite stehen jene, die an selbstverwaltete, demokratisch verfasste Nationalstaaten glauben, so wie es in der Unabhängigkeitserklärung der USA ausgedrückt wird (Fonte bezeichnet dies als „Philadelphische Souveränität“, da die Unabhängigkeitserklärung in Philadelphia verfasst wurde). Auf der anderen Seite gibt es jene, die auf eine „transnationale“ oder globale Führung vertrauen (nicht zu verwechseln mit einem „globalen Staat“, an den nur Verschwörungstheoretiker wie Alex Jones glauben).

Die Globalisten halten Philadelphische Souveränität entweder für unmöglich oder für nicht erstrebenswert. Ihrer Auffassung nach können Regierungen und Staaten weiterhin über eigene Gesetze und Besonderheiten verfügen, aber vom Volk gewählte Regierungen sollten niemals die höchste Autorität innehaben. Stattdessen sollte die Volkssouveränität, um es mit den Worten des amerikanischen Politikwissenschaftlers Walter Russell Mead zu sagen, in einen „immer engeren Rahmen aus allgemein anerkannten Gesetzen und Normen sowie ein immer effektiveres Netz aus globalen Institutionen gegossen werden, die die Autorität nationaler Regierungen ergänzen und in vielen Fällen ersetzen.“ Das ist das Prinzip, auf dem die Europäische Union gründet.

Tatsächlich versucht die EU, sich selbst als Modell globalen Regierens zu vermarkten. In seiner Berichterstattung über den G20-Gipfel 2009 in London schrieb der Financial-Times-Reporter Gideon Rachman, die EU „präsentiere ihre Marke einer supranationalen Regierung als globale Vorlage“. Der Gipfel, sagte er, „war auf seltsame Weise vertraut“. Er fühlte sich an, als wäre er in Brüssel: „Das Abendessen der Führungskräfte am Abend vor dem Gipfel; ein Tag, der damit verbracht wird, ein undurchdringliches, fachsprachliches Kommuniquézu verhandeln; das Einrichten von obskuren Arbeitsgruppen; die Räume für nationale Pressekonferenzen nach dem Gipfel…“ Obwohl die G20 keine Regierungsmacht hat, „wurde der Kern von etwas Neuem geschaffen“.

„Die EU versucht, sich selbst als Modell globalen Regierens zu vermarkten.“

Dieses Neue ist die transnationale Politik und die EU ist heute das Modell für transnationales Regieren – ein Prototyp für jene, die davon träumen, dass die Welt der demokratischen Nationalstaaten der Vergangenheit angehört.

Philosophisch gesehen sind die Vereinigten Staaten das Gegenteil dessen. Sie sind ihren demokratischen Idealen nicht immer gerecht geworden. Nach der Geburt der US‑amerikanischen Demokratie arbeiteten viele in der neuen politischen Elite daran, Kontrollen einzuführen, um der Volksdemokratie Grenzen aufzuerlegen. Auch haben die USA in der Vergangenheit selbst das Recht auf Selbstverwaltung anderer Staaten verletzt. Dennoch ist das Gründungsprinzip der USA die Volkssouveränität – ohne äußere Institutionen, die über ihr stehen.

Der Brexit sollte in diesem Kontext betrachtet werden: ein Ringen zwischen denjenigen, die an Volkssouveränität oder Philadelphische Souveränität, glauben und anderen, die politische Entscheidungen lieber supranationalen Institutionen überlassen. Das Brexit-Votum war nicht nur eine Ablehnung der EU, es war auch eine Ablehnung der Idee, dass bürgerferne Institutionen, globale Konferenzen und undurchsichtige Bürokratien unsere Angelegenheiten leiten sollten und entscheiden sollten, nach welchen Gesetzen wir leben.

Dies ist keine rein amerikanische Einstellung. Der Streit um die Volkssouveränität prägte die neuere europäische Geschichte. So wie die Vereinigten Staaten von Amerika nicht mit den Vereinigten Staaten von Europa gleichgesetzt werden können, nach denen Juncker sich sehnt, kann auch Europa nicht mit der antidemokratischen Bürokratie der EU gleichgesetzt werden.

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