08.02.2016

Gefühl gegen Zahlen?

Kommentar von Ralph Janik

Im Zuge der Flüchtlingsdebatte wächst bei vielen Menschen ein Gefühl der Unsicherheit. Dabei wollen objektive Fakten und subjektives Sicherheitsempfinden nicht so recht zusammenpassen. Eklatant ist der Vertrauensverlust gegenüber Experten und Behörden.

Es ist dieser Tage nicht sonderlich angenehm, eine Tageszeitung aufzuschlagen oder die Nachrichten anzusehen. Selbiges gilt freilich auch für Facebook, Twitter und Co. Wohin man auch blickt, man wird mit dem Schlechten dieser Welt konfrontiert. Kriege, fern und etwas weniger fern, Vergewaltigungen, gewaltsame Ausschreitungen – es ist schwer, da noch guter Dinge zu bleiben. Oft empfiehlt sich eine Mediendiät, also der bewusste Verzicht auf den täglichen Konsum von Nachrichten. (Ich habe es selbst probiert – zwar nicht lange durchgehalten – und in der Tat, die Befindlichkeit bessert sich. Nur bei den verschiedenen Belanglosigkeiten aus den Weiten des Smalltalks mitzureden, wird schwieriger.)

Der Grund für den medialen Überhang schlechter Nachrichten ist allseits bekannt: Schlechte Nachrichten verkaufen sich besser. Was, wie eine BBC-Reportage zusammenfasst, vor allem auf zwei psychologische Ursachen zurückgeführt werden kann 1: Erstens ist unser Gehirn evolutionär darauf konditioniert, auf Schlechtes – Gefährliches – stärker zu reagieren als auf Gutes. Man spricht von „negativity bias“, also der Wahrnehmungsverzerrung zugunsten des Negativen. Plakativ gesagt: Um zu überleben, ist es wichtiger, einen Säbelzahntiger frühzeitig zu bemerken, als sich an einem besonders schönen Abendhimmel zu erfreuen.

„Schlechte Nachrichten verkaufen sich besser“

Zweitens haben wir für gewöhnlich ein positives Bild von uns selbst und der Welt, in der wir uns bewegen. Menschen neigen stärker zu Optimismus, als man glauben mag. In unseren Breiten sind die meisten der Ansicht, ein besseres Leben zu führen als der Durchschnitt. Schlechte Nachrichten stören diese positive Grundstimmung und erregen gerade dadurch umso mehr unsere Aufmerksamkeit – ein Mechanismus, den Medienschaffende im Kampf um Auflagen, Quote und Klicks zu nutzen wissen.

Subjektives Sicherheitsempfinden am Tiefstand

Im Moment, so jedenfalls mein persönlicher Eindruck, bekommt der durchschnittliche Medienkonsument besonders viele schlechte Nachrichten serviert. In den letzten Tagen las ich beim Scrollen auf meiner Facebook-Timeline beziehungsweise auf den Websites überregionaler Medien von Schlägereien in Asylbewerberheimen, einer erstochenen Flüchtlingshelferin, Vergewaltigungen und unterhalb dieser Schwelle liegenden sexuellen Belästigungen, Raubüberfällen, kriminellen Araberclans, einer überforderten bis kollabierenden Staatsmacht, No-go-Areas, Anschlägen auf Asylheime, zügellosen „Rockerbanden“, vom Schusswaffeneinsatz gegen einen AfD-Plakataufsteller oder dem Anstieg rechtsextremer Gewalt. Kurzum: Alles, was der Fundus an unangenehmen Neuigkeiten so zu bieten hat.

Hinzu kommt, dass man über Facebook leichter denn je davon erfährt, wenn jemand im unmittelbaren oder dem erweiterten Bekanntenkreis Opfer einer Straftat wie etwa eines Einbruchs wurde. Damit rückt die Kriminalität erschreckend nahe, sie wird greifbar; an die Stelle anonymer Opfer tritt jemand, den man kennt oder den zumindest jemand kennt, den man kennt. Es hätte einen somit auch selbst erwischen können!

Es ist wenig verwunderlich, dass das momentane allgemeine Unbehagen neue Höhen erreicht; die privaten Waffenverkäufe steigen, Pfefferspray ist der neueste Verkaufshit bei Amazon 2 und so manche versuchen, mit „Survival Guides“ 3 und dazugehörigen angsteinflößenden Werbebildern 4 Geld zu verdienen. Das subjektive Sicherheitsempfinden – also die persönliche Einschätzung der eigenen Sicherheit beziehungsweise der Gefahr, selbst Opfer einer Straftat zu werden – war noch vor ein paar Jahren wohl wesentlich höher. 5

Sinkendes Vertrauen in den Staat

Dem subjektiven Sicherheitsempfinden wird das objektive gegenübergestellt – also die tatsächliche, faktisch-mathematische Gefahr, dass einem etwas zustoßen könnte. Das bekannteste Beispiel für diesen Gegensatz betrifft die Angst vor Terroranschlägen im Vergleich zu Autounfällen. Obwohl die reale Gefahr von ersteren statistisch ungleich niedriger ist, ist die subjektive Angst wesentlich höher – zumal die meisten Menschen sich in Übereinstimmung mit den obigen Ausführungen für überdurchschnittlich gute Autofahrer halten.

Demgemäß betonen führende Vertreter aus den Reihen der Ministerien, der Polizei oder auch Kriminologen immer wieder, dass die Sicherheit äußerst hoch ist oder kein Anstieg in Sachen Verbrechen vorliegt, ja die Zahlen vielleicht gar sinken: Eben erst verlautbarte Christian Pfeiffer, der ehemalige Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, dass Deutschland so sicher wie seit dem Jahr 2000 6 nicht mehr sei. Auch Österreich verbucht laut Karl-Heinz Grundböck vom Innenministerium insgesamt eine sinkende Kriminalitätsrate, 7 wobei der Anteil von Kriminalität durch Asylwerber lediglich zwei Prozent der Gesamtkriminalität ausmachen soll.

Allein, vielen fehlt mittlerweile der Glaube. Seit den Ereignissen von Köln und dem damit zusammenhängenden medialen Versagen liest man immer öfter davon, dass die Polizei etwa dazu angehalten wird, über Vergehen von Flüchtlingen nicht zu berichten. 8 Von einem „Schweigekartell“ 9 ist die Rede. Zusätzlich tritt die ungefilterte Verbreitung von Verschwörungstheorien, Gerüchten, Unwahrheiten oder jedenfalls verzerrenden Darstellungen hinzu. „Se non è vero, è ben trovato“ – „Wenn schon nicht wahr, dann gut erfunden.“

„Führende Vertreter aus den Reihen der Ministerien, der Polizei oder auch Kriminologen betonen immer wieder, dass die Sicherheit äußerst hoch ist“

Das schafft Skepsis: Werden ganz allgemein, also nicht nur in Bezug auf Flüchtlinge, essentielle und unangenehme Informationen bewusst unterschlagen? Verstärkt wird der Eindruck durch unüberlegte und aktionistische Politikerstatements, die oft zusätzliche Ängste schüren. Man denke nur an die berühmt-berüchtigte Antwort des deutschen Bundesinnenministers Thomas de Maizière auf die Frage, wieso ein Fußball-Länderspiel in Hannover abgesagt wurde – „ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“ 10

Hinzu kommt die schon seit Langem weitverbreitete allgemeine Skepsis gegenüber Zahlen: „Trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hat“, lautet das uralte Mantra, von dem man immer dann liest, wenn Zahlen im Spiel sind.

Hier liegt die Crux beim sorgsamen Umgang mit Informationen in emotional derart aufgeladenen Zeiten wie diesen. Das subjektive Sicherheitsgefühl scheint niedrig wie schon lange nicht, während selbst den offiziellen Angaben immer weniger Vertrauen entgegengebracht wird. Mehr noch, viele fühlen sich durch Beschwichtigungen von offizieller Seite zusätzlich bestätigt – vielleicht sind diese ja umso notwendiger, wenn die Sache wirklich im Argen liegt? Die Politik und ganz allgemein der Staatsapparat, aber fallweise auch die sich Fragen der Sicherheit widmende Wissenschaft, haben heute mit einem massiven und in der Form vielleicht noch nie dagewesenen Imageproblem zu kämpfen. Die Glaubwürdigkeit dürfte einen Tiefstand erreicht haben. Schwer zu sagen, wie man da gerade in Zeiten von Web 2.0 wieder herauszukommen gedenkt.

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