01.01.2009

Sand im Getriebe der Angstpolitik

Kommentar von Kai Rogusch

Über den oberflächlichen Charakter der Kritik an der Sicherheitspolitik.

Die Angstpolitik verliert an Schwung – zumindest auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik. Zum einen ist der sozialdemokratische Koalitionspartner der Unionsparteien nicht mehr bereit, deren Ansinnen zur umfassenden Legalisierung des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren zu unterstützen. Zudem hat auch der Wunschpartner christdemokratischer Politiker, die FDP, angekündigt, Widerstand gegen die gerade beschlossene Novelle des BKA-Gesetzes zu leisten. Das Ansinnen, dem Bundeskriminalamt auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung umfassendste Kompetenzen zu geben, stößt nun auch auf Widerstand in etlichen Bundesländern: Dort melden die jeweiligen sozialdemokratischen Koalitionspartner Bedenken an gegen die geplante Zentralisierung der Terrorbekämpfung. Vergeblich müht sich Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble überdies um eine Verfassungsänderung, die gewährleisten soll, dass künftig der kleinere Koalitionspartner in den Landesregierungen nicht mehr „störende“ Verzögerungen der Sicherheitspolitik verursachen kann.

Doch wird dies etwas am Trend der Untergrabung rechtsstaatlicher Standards ändern? Nein. Die langfristige Orientierung der Sicherheitspolitik an Notstandsszenarien wird anhalten. Denn heute hat es sich die Politik zur Gewohnheit gemacht, auf plötzliche und unverstandene Krisen mit einer darauf zugeschnittenen Ad-hoc-Gesetzgebung zu reagieren. Dabei rückt verfassungsrechtliche „Bedenkenträgerei“ zwangsläufig an den Rand. Gerade die Sicherheitspolitik wird weiter danach trachten, Kapital aus dem chronischen Empfinden der Unsicherheit zu schlagen.

Am Beispiel des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) lässt sich der eher opportunistische Charakter der Kritik an der Angstpolitik erkennen. Die „bremsende“ Rechtsprechung des BVerfG erweist sich einerseits als ein bedeutendes Hindernis bei der Etablierung einer „neuen Sicherheitsarchitektur“. Doch schaut man sich die Rechtsprechung genauer an, so erkennt man, dass dort oft nur die oberflächlichen Auswüchse der Sicherheitspolitik „korrigiert“ – aber grundlegende Prämissen und Instrumente letztlich akzeptiert werden. Aus diesem Grund wird sich an der Tendenz zum „präventiven Sicherheitsstaat“ vermutlich nichts ändern. Ein Beispiel dafür, wie das BVerfG dem deutschen Gesetzgeber eine jener „schallenden Ohrfeigen“ verabreicht, aber am gerügten Gesetz letztlich nichts Wesentliches ändert, ist die Nichtigerklärung des deutschen Gesetzes zum Europäischen Haftbefehl. Die Medien lobten damals die höchsten deutschen Richter für ihre freiheitliche Wächterfunktion und rügten zugleich die „inkompetenten“ Politiker. Dass man aber deutsche Staatsbürger auch nach einer dem BVerfG gemäßen „Korrektur“ des Europäischen Haftbefehls ans Ausland ausliefern und sie damit sowohl nach den strafprozessualen Regularien als auch den materiellen Voraussetzungen der Strafbarkeit und den Rechtsfolgen strafbarer Handlungen ausländischen Rechtsordnungen unterstellen kann, fand in der Presse keine Erwähnung.

Auch am Verfahren zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung wird die letztlich „staatstragende“ Rolle des BVerfG deutlich. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik haben 34.939 Bürger einen Rechtsanwalt mit der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde beauftragt. Ein kritischer Blick auf die bislang ergangenen „einstweiligen Anordnungen“ des Bundesverfassungsgerichts lässt auf seine eher „verzögernde“ Rolle schließen; der Maschinerie der Sicherheitspolitik streut man nur Sand ins Getriebe. Das gilt auch für den Europäischen Gerichtshof, der die europarechtliche Rechtsgrundlage für die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten zum Zwecke zukünftiger Kriminalitätsbekämpfung an europäischen „Grundrechten“ messen will.

Die Angstszenarien eines dauerhaften „Krieges gegen den Terror“ haben zuletzt zwar an Überzeugungskraft verloren: Zu durchsichtig sind sie, als dass sich mit ihnen die Verabschiedung unseres Gemeinwesens von „herkömmlichen“ Prinzipien des Rechtsstaates ohne Weiteres begründen ließe. Am Beispiel der Vorratsdatenspeicherung kann man jedoch gleichzeitig erkennen, dass auch das Bundesverfassungsgericht die Orientierung an übergreifenden Sicherheitsbelangen letztlich akzeptiert. Das gilt gerade für die Vorstellung einer durch alle Bürger ermöglichten „Sicherheitsvorsorge“.

Auf „Vorrat“ gespeicherte Daten sollen für den Fall, dass sich der Verdacht einer erheblichen kriminellen Tat auftut, eine möglichst lückenlose Rekonstruktion des kriminellen Werdegangs auffälliger Handlungen ermöglichen. Letztlich handelt es sich um eine Form milderer „Bürgeropfer“: Jeder Bürger, ganz gleich ob verdächtig oder unverdächtig, soll seinen Tribut auf dem Altar der Sicherheit leisten. Auch die im Bundesinnenministerium angestrebte Zentralisierung von in Pässen und Personalausweisen gespeicherten biometrischen Daten soll einen „Vorrat“ an kriminalistisch nutzbarem Material gewährleisten. Auf diese Weise leistet jeder Bürger, ob er es nun will oder nicht, seinen Beitrag zur Kriminalprävention. Die bisherigen einstweiligen Anordnungen des BVerfG jedenfalls lassen darauf schließen, dass uns die Vorratsdatenspeicherung erhalten bleiben wird – und mit ihr die Philosophie des „Bürgeropfers“. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wird zwar die Richtlinie, die der nationalstaatlichen Einführung der Vorratsdatenspeicherung zugrunde liegt, in ihrer gegenwärtigen Form und Begründung vermutlich kassieren – aber nicht den Gegenstand selbst. Zu deutlich stehen an Sicherheitsbelangen orientierte Erwägungen im Zentrum der bisherigen Argumentation.

Das Bundesverfassungsgericht lässt die Vorratsdatenspeicherung an sich bestehen – nur der Zugriff der Sicherheitsbehörden auf die gespeicherten Daten wird einigen Beschränkungen unterworfen. Von Personen, die sich einer der vielen Katalogtaten verdächtig machen, die die Überwachung der Telekommunikation rechtfertigen, können die für jeweils sechs Monate gespeicherten Telekommunikationsverbindungsdaten jedenfalls weiterhin herangezogen werden. Überdies betont der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts jene „unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung“, die die Weiterleitung der aus der Vorratsspeicherung gewonnenen Daten an die Strafverfolgungsbehörden verlangten. Damit richtet das höchste deutsche Gericht seinen Fokus auf die Frage der künftigen Ausgestaltung der im Grundsatz befürworteten Vorratsdatenspeicherung.

Der Trend zum Sicherheitsstaat verlangsamt sich – doch ein Ende findet er nicht. Auch das neue BKA-Gesetz stößt zwar auf Widerstand der Opposition. Zusammen mit den vorübergehenden Bedenken der Sozialdemokraten wird dieser Umstand den Zentralisierungsschub in der Sicherheitspolitik lediglich aufschieben. Nachdem der Gesetzgeber nämlich schon mit der Etablierung der Antiterrordatei die Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten weiter aufgeweicht hat, erhält das Bundeskriminalamt zum Zwecke der vorbeugenden Bekämpfung des „internationalen Terrorismus“ die bereits in den Länderpolizeigesetzen enthaltene Bandbreite polizeilicher Befugnisse – von der Verhaftung über die akustische und optische Überwachung von Wohnräumen bis hin zur Online-Durchsuchung. Die eher technischen Einwände der Sozialdemokraten ob eines besser ausgestalteten Richtervorbehalts oder eines besseren Schutzes der Berufsgeheimnisträger werden am Kern der BKA-Gesetzesnovelle nichts ändern. Und obwohl auch die Militarisierung der Innenpolitik, die sich an Diskussionen über einen verstärkten Einsatz der Bundeswehr im Inneren der Republik festmacht, im Zuge koalitionsinterner Reibereien derzeit vor dem vorläufigen Aus steht, werden uns Diskussionen, die angeblich auf die Schließung sogenannter „Sicherheitslücken“ aus sind und die rechtstaatliche Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Sicherheit infrage stellen, als ein Dauerbrenner in der gegenwärtigen Politik der gefühlten Unsicherheit erhalten bleiben.

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