08.09.2017

Showdown um Russland-Sanktionen

Von Slava Wagner

Titelbild

Foto: UC Rusal Photo Gallery via Flickr / CC BY 2.0

Die USA verhängen neue Sanktionen – und sogar die Bundesregierung ist dagegen. Dabei war absehbar, dass Wirtschaftssanktionen eine Sackgasse sind.

Die jüngsten US-Sanktionen gegen Russland schlagen hohe Wellen: US-Präsident Donald Trump unterzeichnete Anfang August ein Gesetz, das die bisher drastischste Ausweitung der amerikanischen Wirtschaftssanktionen gegen die Russische Föderation vorsieht. Vom Senat mit absoluter Mehrheit bestätigt, soll das Gesetz die Reaktion auf die bislang noch immer unbewiesene Einmischung Russlands in den US-Wahlkampf sein.

Doch im Vergleich zu den vorangegangenen Sanktionen im Zuge der Ukraine-Krise gibt es einen grundlegenden Unterschied: Die aktuellen „Strafmaßnahmen“ erweisen sich als zweischneidiges Schwert, das sich auch gegen die Interessen Europas richtet. Sie sehen unter anderem Strafen gegen europäische Firmen vor, die im Energiebereich mit russischen Unternehmen kooperieren – das betrifft besonders den Bau der Pipeline Nord Stream 2 zwischen Deutschland und Russland.

Wenig überraschend stemmt sich die Bundesregierung gegen diese Maßnahmen. Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries bezeichnete die neuen Sanktionen als „völkerrechtswidrig“ und drohte den USA mit „Gegenmaßnahmen“. Außenminister Gabriel und der österreichische Bundeskanzler Kern äußerten sich empört über die Einmischung in die europäische Energiesicherheit. Sie sehen eine Gefährdung der Gasversorgung Europas. Die eigentliche Intention hinter den Sanktionen sei der „Verkauf amerikanischen Flüssiggases und die Verdrängung russischer Erdgaslieferungen vom europäischen Markt“. Sogar Kanzlerin Merkel schaltete sich ein. Ihr Vorwurf: „Die USA handelten aus reinem Eigeninteresse – und gefährdeten die europäische Gasversorgung.“ Das ist beachtlich, da sie in den letzten Jahren noch „härtere Sanktionen“ gegen Russland forderte.

„Wirtschaftssanktionen haben nie zur Lösung politischer Konflikte beigetragen.“

Offenbar trafen die US-Sanktionen einen wunden Punkt europäischer, aber vor allem deutscher Politik. Denn Nord Stream 2 soll als Pipeline einen steigenden europäischen Erdgasbedarf sicherstellen. Gleichzeitig gilt das Milliardenprojekt als infrastrukturelle Aufwertung des Industriestandorts Deutschland.

Über 1200 Kilometer durch die Ostsee, vom russischen Wyborg bis zum deutschen Gasterminal nahe Greifswald, soll die 9,5 Milliarden Euro teure Pipeline Durchleitungskapazitäten von 55 Milliarden Kubikmetern Erdgas im Jahr schaffen. Zusammen mit dem maximalen Transitvolumen der ersten Nord-Stream-Pipeline von 50 Milliarden Kubikmetern und den 25 Milliarden Kubikmetern der Jamal-Pipeline über Weißrussland und Polen hätte Deutschland mit insgesamt 130 Milliarden Kubikmetern Erdgas eine höhere Durchleitungskapazität als die Ukraine mit etwa 125 Milliarden. 1

Deutschland könnte damit zum wichtigsten Erdgas-Drehkreuz Europas werden. Unternehmen könnten Gas ans EU-Ausland weiterverkaufen und Transitgebühren einnehmen. Es ist also wirtschaftspolitisch nachvollziehbar, dass die Bundesrepublik ihre Interessen gegenüber den USA verteidigt. Darüber hinaus darf man grundsätzlich Zweifel anmelden, inwieweit diese Sanktionen ein geeignetes Mittel sind, die Russische Föderation politisch zum Einknicken zu bringen.

Sanktionen haben noch nie etwas bewirkt

Trotz mehr als drei Jahren Sanktionen und Ölpreisverfall befindet sich die russische Wirtschaft wieder im Aufwärtstrend. Politisch hat man mit den Sanktionen ohnehin keinen der erwünschten Effekte erzielt – Russland hat weder die Krim an die Ukraine zurückgeben, noch seine Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine eingestellt. Man könnte sogar gegenteilig argumentieren: Putin und seiner Gefolgschaft konnten mit dem Verweis auf einen äußeren Feind die Machtposition im eigenen Land noch festigen.

Auch historisch betrachtet haben Wirtschaftssanktionen nicht zur Lösung politischer Konflikte beigetragen. Man denke etwa an die Sanktionen gegen den Iran oder das Embargo gegen Kuba. Auch die diktatorische Führung Nordkoreas denkt trotz aller Sanktionen nicht daran aufzugeben, wie die jüngste Eskalation im Atom-Konflikt zeigte.

Ein besonders plakatives Beispiel ist der Irak: Auf Initiative der USA verhängte die UN 1991 Sanktionen, um Saddam Hussein und sein Land im Zuge der Golf-Krise zu isolieren. Am Ende litt die Bevölkerung, während die Machtclique um Saddam Husseins die Zügel weiter fest in der Hand hielt. Unterm Strich sorgte die „nahezu totale Wirtschaftsblockade“ der UN-Sanktionen 1991 für den Verlust von „97 Prozent aller Importe und 90 Prozent aller Exporte“. Damit einher gingen Nahrungsmittel- und Medikamentenknappheit sowie die Ausbreitung von Krankheiten wie Cholera und Typhus. Richard Garfield von der Columbia University gelangte in einer Studie zum Schluss, dass „die Zunahme der Kindersterblichkeit zwischen 1991 und 2002 zum Tod von 345.000 bis 530.000 irakischen Kindern geführt hat.“ Andere Schätzungen gehen sogar von bis zu 880.000 Toten aus. Das tragische Resümee: viele Tote, keine Ergebnisse. Erst ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg, in dessen Folge erneut Hunderttausende starben, musste her, um Hussein zu stürzen.

„Deutsche Unternehmen investieren zunehmend direkt in der Russischen Föderation, um Exportblockaden zu umgehen.“

Der wichtigste Grund, weshalb solcherlei Sanktionen nicht funktionieren, liegt wohl darin, dass die Herrschenden in den betroffenen Staaten nie in solch einem kritischen Ausmaß betroffen sind wie die normale Bevölkerung. Das gilt auch im Fall Russland. Hier kommt noch hinzu, dass das Land wirtschaftlich deutlich unabhängiger und stärker ist als die oben genannten Beispiele.

Fragwürdige Bilanz

Wie in den historischen Beispielen haben die Sanktionen zwar die russische Wirtschaft geschwächt, politisch aber den Kreml keinen Zentimeter, noch nicht einmal einen Millimeter von seinem Kurs abgebracht. Tatsächlich ist Russland „deutlich nationalistischer geworden und [hat sich] von Europa entfernt“, konstatiert der SPD-Politiker und Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums, Matthias Platzeck. „Schauen Sie sich an, was sich bisher durch die Sanktionen bewegt hat. Seither ist alles schlechter geworden." Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft schätzt einen bilateralen Gesamtumsatzschaden zwischen EU und Russland in „dreistelliger Milliardenhöhe“. Laut Berechnungen des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) aus dem Jahr 2015 sind europaweit weit mehr als zwei Millionen Arbeitsplätze und rund 100 Milliarden Euro an Wertschöpfung in Gefahr. Der deutsche Export nach Russland brach von 2012 bis 2016 um fast 50 Prozent ein.

Dafür investieren deutsche Unternehmen nun zunehmend direkt in der Russischen Föderation, um Exportblockaden zu umgehen. Das ist beachtlich, denn 2011 war das Land noch „bei vielen westlichen Konzernen als Standort äußerst unbeliebt“. Gerade die russische Führung träumte schon immer von einem Technologietransfer durch deutsche Unternehmen, die in Vergangenheit aber eher Waren exportierten anstatt Großbetriebe im Land aufzubauen. Das ändert sich aktuell: Das deutsche Investitionsvolumen in Russland entsprach alleine in der ersten Jahreshälfte 2016 demjenigen des gesamten Jahres 2015 (letzteres lag laut Bundesbank bei 1,78 Milliarden Euro). 2014 waren es gerade einmal 350 Millionen. Gewissermaßen tragen die Sanktionen insgesamt zu einem positiven ausländischen Investitionsklima in Russland bei. Das haben sich die Sanktionsbefürworter wahrscheinlich so nicht vorgestellt.

„Während die USA Druck auf die „europäischen Partner“ ausübt, hat sie ihr Außenhandelsbilanzvolumen mit Russland erhöht.“

Die im Gegenzug von Russland verhängten Sanktionen trafen vor allem die ohnehin krisengebeutelten Sparten der europäischen Landwirtschaft. So erwischte das von Russland Ende 2014 verhängte Einfuhrverbot diverser europäischer Lebensmittel die mit Dumpingpreisen zu kämpfende Milchwirtschaft. Ähnlich schlecht erging es den Obstbauern, insbesondere den polnischen, deren Apfelexporte zu einem Drittel nach Russland gingen, und die jetzt auf ihren Waren sitzen bleiben. Der Kilopreis im polnischen Inland sei um die Hälfte gefallen, heißt es. In Polen, Italien und Griechenland entstanden jeweils Schäden in dreistelliger Millionenhöhe. Daraus ist sogar die denkwürdige Twitter-Kampagne „Iss Äpfel gegen Putin!“ erwachsen. Da es auch deutsche Obstbauern betrifft, äußerte sich Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt mit dem denkwürdigen Reim „An apple a day keeps Putin away“ und biss demonstrativ in einen Apfel.

Die unfreiwillige Komik dieser „Kampfansage“ kann nicht davon ablenken, dass durch die Sanktionen die Interessen der exportorientierten EU-Landwirtschaft wohl dauerhaft geschädigt wurden. Denn so war die russische Landwirtschaft gezwungen, ihre Produktion drastisch auszubauen. Benjamin Bidder von Spiegel Online beschreibt, wie seit Beginn der Sanktionen „Russlands Landwirtschaft einen bemerkenswerten Boom“ erlebe, denn „russische Landwirte haben seit Herbst 2014 auf ihrem Heimatmarkt kaum noch Konkurrenz.“ Dies gilt für eine breite Palette an Waren der Lebensmittelindustrie. Aber auch das große Agrarbusiness scheint eine seit Sowjetzeiten nicht mehr gekannte Renaissance zu erleben. So hat 2015 Russland mehr Weizen exportiert als die USA und ist neuerdings auf dem ersten Platz der Weizenexporteure weltweit. Lebensmittelimporte aus Europa konnte Russland durch andere Hersteller ersetzen, beispielsweise durch lateinamerikanische Firmen. Mit anderen Worten: Selbst wenn die gegenseitigen Sanktionen eines Tages aufgehoben werden, wird es für EU-Agrarexporteure sehr schwer, die verlorenen Marktanteile auf dem russischen Absatzmarkt wieder zurückzuerobern.

Amerikanische Doppelstandards

Die Sanktionen, bei denen vor allem aus Washington Einigkeit zwischen den USA und Europa gefordert wird, sind sehr willkürlich und selektiv verteilt. 2015 sagte der damalige US-Vizepräsident Joe Biden vor EU-Parlamentariern, dass Klagen über teure Sanktionen „unangebracht und ärgerlich“ seien. Es sei der Zeitpunkt gekommen, „an dem die USA und Europa fest zusammenstehen müssen“. Tatsächlich sind damit seitens der USA aber vor allem solche Sanktionen gemeint, die nicht sie selbst betreffen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter äußerte dazu: „Sanktionen fordern die USA in Bereichen, in denen Europa eng mit Russland verbunden ist. Gleichzeitig weiten sie ihren relativ geringen Handel mit Russland drastisch aus. Hier steht die Glaubwürdigkeit der westlichen Gemeinschaft auf dem Spiel.“

„Nicht Wandel durch Annäherung, sondern Wandel durch Handel!“

Während die USA Druck auf die „europäischen Partner“ ausüben, haben sie ihr Außenhandelsbilanzvolumen mit Russland erhöht. Nur sechs Prozent des russischen Außenhandelsvolumens entfallen auf die USA. 47 Prozent hingegen auf die EU. Es wird ersichtlich, dass die Sanktionen vor allem die EU und die Russische Föderation wirtschaftlich auseinanderdividieren. Umso erstaunlicher erscheint die heuchlerische Wirtschaftspolitik der USA. Matthias Platzeck zufolge haben sich während der Sanktionszeit „gerade auch US-amerikanische Unternehmen Marktanteile gesichert [...] und zwar relevante Marktanteile“. Wie ist das möglich? „Zum Teil wurde dort mit Ausnahmegenehmigungen gearbeitet – und diese betreffen auch sanktionierte Güter.“ Als beispielsweise die US-Luftwaffe spezielle Raketentriebwerke brauchte, die nur aus russischer Produktion erhältlich waren, wurde prompt eine solche „Ausnahmegenehmigung“ erteilt. Auch in anderen Bereichen läuft die technologische Zusammenarbeit zwischen den USA und Russland gut: So weitete der amerikanische Öl-Gigant ExxonMobil die Kooperation mit Gazprom aus, um mit Spezialtechnologie Gasfelder im arktischen Meer Russlands zu erschließen.

Langsam kommt, was kommen musste: Die europäische Politik erkennt, dass die Sanktionen erstens nicht die erhofften politischen Resultate gebracht haben, zweitens vor allem den USA wirtschaftliche Vorteile verschafft haben und drittens die EU und Russland sich zum Nachteil beider Seiten immer weiter voneinander entfernt haben. Daneben sollte man noch folgendes bedenken: Grundsätzlich lassen sich Sanktionen nur schwerlich mit der Idee einer freien Marktwirtschaft in Einklang bringen, da sie Unternehmen aus politischen Gründen in ihrem Handeln einschränken. Sanktionen zerstören internationale Wirtschaftsverflechtungen und damit eine zentrale Voraussetzung für den Wohlstand eines Landes. So schaffen sie beste Voraussetzungen für jedwede Art von Autoritarismus. Denn letztlich verfestigen sie autoritäre Machtstrukturen, anstatt ein Umdenken anzustoßen. Vor diesem Hintergrund sollten wir auf ein altes Prinzip in modifizierter Form setzen: Nicht Wandel durch Annäherung – sondern Wandel durch Handel.

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