08.04.2024

Ritualmordlegende in neuer Form

Von Daniel Ben-Ami

Die tragische, versehentliche Tötung von Helfern im Gaza-Streifen durch die israelische Armee wird für antisemitische Propaganda missbraucht.

Israels unbeabsichtigte Tötung von sieben Mitarbeitern einer Hilfsorganisation bei einem Luftangriff in Gaza letzte Woche war zweifellos eine Katastrophe. Die hektische Diskussion über die Tragödie deutet jedoch darauf hin, dass zumindest aus Sicht vieler prominenter Kommentatoren mehr dahintersteckt, als es den Anschein hat. Eine neue Version der Legende jüdischer Ritualmorde hat sich durchgesetzt, und sie verzerrt die Art und Weise, wie über den Krieg zwischen Israel und der Hamas diskutiert wird.

Israel wird fälschlicherweise beschuldigt, einen Völkermord am palästinensischen Volk zu begehen, es ausrotten zu wollen. Die Tatsache, dass Israel einen Selbstverteidigungskrieg führt – gegen einen Feind, die Hamas, die Israel zerstören will und am 7. Oktober gnadenlos Zivilisten ermordet und vergewaltigt hat – scheint von vielen Beobachtern vergessen worden zu sein. Es wird auch kaum anerkannt, dass die Hamas derzeit einen brutalen Guerillakrieg gegen Israel führt und dabei das ausgedehnte Tunnelnetz nutzt, das sie gebaut hat, während sie den Gazastreifen zwischen 2006 und 2023 kontrollierte.

Es sollte kein Zweifel daran bestehen, dass die Tötung der Helfer ein Unfall war. Eine solche Operation absichtlich durchzuführen, wäre aus der Perspektive Israels und dessen Eigeninteresse völlig irrational. Außerdem liegen keine Beweise dafür vor, dass es sich um etwas anderes als einen schrecklichen Irrtum gehandelt hat. Es ist wahrscheinlich, dass ein gewisses Maß an Fahrlässigkeit im Spiel war. Um jedoch eindeutige Schlussfolgerungen zu ziehen, müssen wir die Ergebnisse der von den israelischen Streitkräften, unabhängigen Organisationen und den Medien durchgeführten Untersuchungen abwarten.

Aber Anti-Israel-Aktivisten zeigen keine solche Geduld. Für sie bestätigt die Tötung lediglich ihre Vorurteile über Israel als einzigartig blutrünstigem Staat. Dies ist die moderne Version der mittelalterlichen Ritualmordverleumdung – die geistig umnachtete Vorstellung, dass es in der Natur der Juden liegt, Nicht-Juden und insbesondere Kinder töten zu wollen. Sie geht bis ins Norwich des 12. Jahrhunderts zurück, als Juden des rituellen Mordes an einem christlichen Jungen beschuldigt wurden. Seitdem hat sie immer wieder ihr hässliches Gesicht in Episoden fieberhaften antijüdischen Hasses gezeigt.

„Es wird kaum verstanden, dass Israel nicht nur von der Hamas, sondern auch von der Hisbollah im Libanon und von den Huthis im Jemen durch einen echten Völkermord bedroht wird.“

Die aktuelle Version der Ritualmordlegende spiegelt sich auch in der Behauptung wider, dass sich Israel nicht gegen einen Todfeind verteidigt, sondern einen Völkermord in Gaza begehe. Die „Völkermord"-Anschuldigung ist lange vor dem aktuellen Konflikt entstanden. Sie reicht viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurück und wird ungeachtet irgendwelcher Beweise wiederholt. Seit 1967, als Israel den Gazastreifen erstmals besetzte, ist die Bevölkerung des Gazastreifens von etwa 400.000 auf über zwei Millionen Menschen angewachsen– ein Anstieg um mehr als das Fünffache. Diese Zahlen widerlegen die Vorstellung, dass Israel die palästinensische Bevölkerung auslöschen will.

Aber die Kritiker Israels sind dabei, den Propagandakrieg zu gewinnen. Zusätzlich zu der lächerlichen Unterstellung eines „Völkermords" wird Israel als globales militärisches Ungetüm hingestellt, obwohl es Ägypten, dem Iran und der Türkei waffenmäßig weit unterlegen ist. Es wird auch kaum verstanden, dass Israel nicht nur von der Hamas, sondern auch von der Hisbollah im Libanon und den Huthis im Jemen, die von Iran und Katar unterstützt werden, durch einen echten Völkermord bedroht wird.

Das Wort „Völkermord" mag heutzutage überstrapaziert werden, aber es beschreibt die Bedrohung, der Israel ausgesetzt ist, ziemlich genau. Die politischen Bewegungen und Länder, die den Islamismus – eine totalitäre Bewegung, die im Namen des Islam agiert – unterstützen, haben sich offen dazu bekannt, Israel zu zerstören und seine Bürger abzuschlachten. Israel kämpft einen Existenzkampf gegen einen unerbittlichen Feind.

Leider hat der Westen offensichtlich nicht den Mut, sich dem Kampf gegen den Islamismus anzuschließen. Schon Wochen vor der Tötung der Helfer wurde deutlich, dass die westlichen Mächte, einschließlich der USA, davor zurückschrecken, Israel bei der Zerschlagung der Hamas zu unterstützen. Sie haben zunehmend auf einen Waffenstillstand  gedrängt, obwohl dies der Hamas nur die Möglichkeit geben würde, sich neu zu formieren und wieder aufzubauen. Gleichzeitig gibt es im Westen selbst zahllose andere Beispiele für eine Beschwichtigungspolitik gegenüber dem Islamismus.

„Die woken Eliten und die Islamisten haben eine Menge gemeinsam. In ihren Augen steht Israel, ein moderner Nationalstaat, der bereit ist, sich zu verteidigen, für vieles, was sie ablehnen.“

Die Reaktion auf die tragische Tötung der Helfer zeigt, wie sehr Israel unter Druck gerät. Die westlichen Eliten scheinen der Überzeugung zu sein, es läge in Israels Natur, unschuldige Zivilisten töten zu wollen. Der Erfolg dieser antisemitischen Propaganda – dieser neu aufgelegten Ritualmordlegende – zeigt, dass Israels Position noch verwundbarer geworden ist. Es sieht sich nicht nur einer unerbittlichen Feindseligkeit seitens der islamistischen Bewegung gegenüber, sondern genießt auch eine immer geringere Unterstützung durch den Westen.

Zu wenige im Westen scheinen zu verstehen, welche Bedrohung der Islamismus darstellt. Er ist eine moderne Form des Totalitarismus. Israel mag an vorderster Front stehen, aber der Islamismus ist überall eine Bedrohung für Demokratie und Freiheit – ganz zu schweigen von der echten völkermörderischen Kraft im Nahen Osten.

Vielleicht ist es kein Wunder, dass große Teile unserer politischen Führung das nicht erkennen können. In ihrer Skepsis gegenüber dem Fortschritt und der Moderne sowie dem Nationalstaat, den sie für überholt halten, und ihrer Verbundenheit mit der Identitätspolitik, haben diese woken Eliten und die Islamisten eine Menge gemeinsam. In ihren Augen steht Israel, ein moderner Nationalstaat, der bereit ist, sich zu verteidigen, für vieles, was sie ablehnen.

Die Aufgabe, den Antisemitismus zu verstehen – und die irrationale, israelfeindliche Form, die er heute annimmt –, ist dringlicher denn je. Das Schicksal der Juden und das Schicksal der freien Gesellschaften überall hängen davon ab.

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