02.04.2024

Israel steht allein da

Von Kolja Zydatiss

Titelbild

Foto: Rafael Nir via Unsplash / CC0

Die Solidarität mit Israel nach dem schlimmsten Terroranschlag seiner Geschichte hat sich verflüchtigt. Berlin hat für den jüdischen Staat nur noch weltfremde Forderungen und Belehrungen übrig.

Vor meinem örtlichen Rathaus in Berlin-Tempelhof ist noch die Israelflagge gehisst. Doch von der demonstrativen Solidarität offizieller deutscher Stellen mit dem jüdischen Staat unmittelbar nach dem Oktober-Pogrom der Hamas ist sechs Monate später kaum noch etwas übrig geblieben.

Die Bundesrepublik hat sich einem gemeinsamen Appell der 27 EU-Mitgliedsstaaten angeschlossen, in dem Israel aufgefordert wird, keine Bodenoffensive in Rafah zu beginnen. Dies ungeachtet der Tatsache, dass die Stadt der Rückzugsort der Hamas-Führung und ihrer letzten Bataillone ist und mehr als 130 Geiseln weiterhin von der Terrororganisation festgehalten und misshandelt werden.

Annalena Baerbock fliegt nach Nahost und besucht zuerst den Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas und arabische Staaten. Israel kommt später dran. In Ramallah hält die Bundesaußenministerin lächelnd die Hand des Holocaustleugners Abbas, fordert die israelische Regierung auf, aus dem „Drehbuch des Terrors auszubrechen“ und sagt: „Natürlich sind meine Gedanken bei den Geiseln und erst recht bei den Menschen, die in Gaza leben, den zwei Millionen Palästinensern.“ Auch ohne diesen unsäglichen Satz wären die Prioritäten der Bundesregierung deutlich geworden.

„Die alte Doktrin, dass die Israelis es sich nicht leisten können, auch nur einen einzigen Krieg zu verlieren, wenn sie nicht Opfer eines Völkermordes werden wollen, hat nichts von ihrer Gültigkeit verloren.“

Deutschland hat seine Zahlungen an das Palästinenserhilfswerk UNRWA wieder aufgenommen, obwohl mindestens zwölf Mitarbeiter der UN-Organisation am Hamas-Terrorangriff am 7. Oktober beteiligt waren und einem Bericht des Wall Street Journals zufolge rund zehn Prozent aller UNRWA-Mitarbeiter im Gazastreifen Verbindungen zu den Terrororganisationen Hamas oder Islamischer Jihad haben. Für das schlimmste Massaker an Juden seit der Shoah sollen die Palästinenser mit einer Zweistaatenlösung belohnt werden, so die offizielle Linie Berlins.

Der Antisemitismusbeauftragte von Baden-Württemberg, Michael Blume (CDU), fordert indessen den israelischen Premier Benjamin Netanjahu in Anspielung auf die berühmte Berliner Rede von Ronald Reagan auf, die Mauer um das Westjordanland niederzureißen, Israel also verwundbarer für weitere antijüdische Pogrome und Terroranschläge zu machen. Blume darf man übrigens laut einem Urteil der Pressekammer des Hamburger Landgerichts aus dem Jahr 2023 einen Antisemiten nennen, weil es dafür „hinreichende Anknüpfungstatsachen“ gebe.

In den letzten Wochen ist klar geworden: Das offizielle Berlin lehnt die rechtsreligiöse Regierung in Israel inzwischen mehr oder weniger kategorisch ab. Das, obwohl die allermeisten Israelis laut Umfragen den harten Kurs im Gazastreifen befürworten. Obwohl validen Umfragen zufolge rund 70 Prozent der Palästinenser die Hamas unterstützen. Obwohl die Hamas angekündigt hat, immer wieder mit Massakern wie am 7. Oktober zuschlagen zu wollen, bis das frühere Mandatsgebiet Palästina judenrein ist. Obwohl das israelische Militär im Gazastreifen die Verhältnismäßigkeit zu wahren sucht. Obwohl es nach Einschätzung des US-Militärexperten John Spencer sogar eine weltweit beispiellos humane Form der Kriegsführung in dicht besiedelten städtischen Gebieten praktiziert, indem es die Zivilbevölkerung im Voraus vor Angriffen warnt und andere Maßnahmen zu deren Schutz trifft. Obwohl Israel nicht nur im Gazastreifen sondern auch an den anderen De-facto-Fronten Westjordanland und Libanon mörderische Islamistengruppen in Schach halten muss. Obwohl die alte Doktrin, dass die Israelis es sich nicht leisten können, auch nur einen einzigen Krieg zu verlieren, wenn sie nicht Opfer eines Völkermordes werden wollen, nichts von ihrer Gültigkeit verloren hat.

„Wohl auf Druck des ‚woken‘, ‚dekolonialistisch‘ denkenden Flügels der Demokraten nennt die Biden-Regierung die bevorstehende Bodenoffensive in Rafah eine ‚rote Linie‘."

Auch die Haltung der US-Regierung kann nicht mehr, wie noch vor einigen Monaten, als eine grundsätzliche Solidarität mit Israel bezeichnet werden. Wohl auf Druck des „woken“, „dekolonialistisch“ denkenden Flügels der Demokraten nennt die Biden-Regierung die bevorstehende Bodenoffensive in Rafah eine „rote Linie“ und distanziert sich zunehmend von Netanjahu. Ein offener Bruch scheint immer wahrscheinlicher.

Zu den weltfremden Forderungen aus Berlin und Washington gesellen sich die Machenschaften von offen israelfeindlichen Regierungen wie Belgien und Irland, die Israel die letzten Verbindungen zur westlichen Welt abschneiden wollen und eine regelrechte Hetzkampagne gegen den jüdischen Staat führen – sehr zur Freude von allerlei identitätspolitischen Aktivisten, islamischen Lobbys und Dritte-Welt-Liebhabern.

Kein Wunder also, dass Variationen der altbekannten antisemitischen Täter-Opfer-Umkehr fast überall im Westen auf dem Vormarsch sind: Die Juden sind schuld. Die einzige funktionierende Demokratie im Nahen Osten ist so allein wie schon lange nicht mehr.

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