24.11.2025

Rentenstreit: Boomerbashing statt Lösungen?

Von Sabine Beppler-Spahl

Die Generationendebatte bei der Rente – jüngst auch von der Jungen Union verstärkt angetrieben – spaltet nach dem Prinzip „teile und herrsche“. Wir brauchen jedoch gemeinsame Lösungen.

Sind die Babyboomer schuld an Deutschlands Problemen? Diesen Eindruck gewinnt man zumindest, wenn man die aktuelle Rentendebatte verfolgt. Deutschland steht zweifellos vor enormen Herausforderungen – und die Rentenpolitik gehört zu den drängendsten. Doch hinter der Frage der „Generationengerechtigkeit“ verbirgt sich längst mehr: eine giftige Mischung aus Angst vor Überalterung, Sorge um steigende Staatsausgaben und eine tiefsitzende Furcht, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Fast könnte man meinen, die große moralische und politische Verunsicherung unserer Zeit breche sich in der Rentendebatte wie in einem Prisma.

„Boomer-Bashing“ ist zur neuesten intellektuellen Mode geworden, schreibt Volkswirtschaftsprofessor Peter Bofinger im September. Er reagiert damit auf Marcel Fratzschers Buch „Nach uns die Zukunft“, in dem der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) behauptet, keine Generation seit der Aufklärung habe ihren Kindern so viele Chancen geraubt wie die Babyboomer. Kritiker nennen Fratzscher nicht ohne Grund den Lieblingsökonomen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Seine Thesen sind weder neu noch originell, sondern reihen sich ein in eine Serie moralischer Anklageschriften – etwa Luisa Neubauers Werk „Gegen die Ohnmacht – meine Großmutter, die Politik und ich“. Die Botschaft ist stets dieselbe: Die Boomer lebten nach dem Motto „nach uns die Sintflut“ und hinterließen ihren Kindern eine ruinierte Welt.

Besorgniserregend wird es, wenn plötzlich nicht nur grün-ökologische Aktivisten, sondern auch Vertreter der Jungen Union und andere Konservative in diesen Chor einstimmen. Zu den realen Haushalts- und Finanzierungsproblemen tritt dann noch eine weit gefährlichere Schwäche: ein erschreckender Mangel an Mut und Ideen. Unsere Debatten leiden an historischer Amnesie.

Als Konrad Adenauer 1957 die beitragsfinanzierte Rente einführte, war sie durchaus umstritten – und dennoch Ausdruck eines robusten Zukunftsoptimismus. Sie befreite Millionen alter Menschen, die Krieg und Entbehrung erlebt hatten, aus der drohenden Altersarmut. Adenauers berühmtes Diktum „Kinder kriegen die Menschen immer“ erwies sich später als zu optimistisch, aber der politische Geist war ein anderer: lösungsorientiert und nach vorn gewandt.

„Die JU sucht sich einen Konflikt, der bequemer ist als die notwendige Auseinandersetzung um die verfehlte Energiepolitik, die ungelöste Asylfrage oder die berüchtigte Brandmauer.“

Heute, da die Wirtschaft schrumpft und Millionen Babyboomer in den Ruhestand gehen, dominiert Pessimismus. Deutschland hat das neunthöchste Durchschnittsalter der Welt und wird bis 2035 etwa fünf Millionen Arbeitskräfte verlieren. Während in den 1960er Jahren sechs Beschäftigte einen Rentner finanzierten, sind es heute nur noch zwei – Tendenz fallend. Der Staat muss die Rentenkasse jährlich mit über 100 Milliarden Euro stützen, obwohl auch die Beitragszahler längst stärker belastet werden.

Doch die Diagnose einer Krise darf nicht zu pauschalen Schuldzuweisungen führen. Ein künstlich aufgeblasener Generationenkonflikt ist das Letzte, was Deutschland braucht. Er löst keines der realen Probleme. Der Kampf der Jungen Union wird gerne als mutig und wegweisend gefeiert – in Wahrheit offenbart er vor allem den fortschreitenden Zerfall der CDU. Die JU sucht sich einen Konflikt, der bequemer ist als die notwendige Auseinandersetzung um die verfehlte Energiepolitik, die ungelöste Asylfrage oder die berüchtigte Brandmauer, die die Union in eine Koalition mit der SPD trieb – jener SPD, mit der sie jetzt über Renten streitet.

Der Streit ist Ausdruck von Frustration: Der Jugendflügel ist wütend, weil ihr früherer Held Friedrich Merz nach seinem Einzug ins Kanzleramt einen Großteil seiner Wahlversprechen gebrochen hat. Diese Wut entlädt sich nun in einer bizarren Debatte über die Stabilisierung des Rentenniveaus nach 2031, die den Koalitionsvertrag verletze – ausgerechnet jenen Vertrag, den die JU ansonsten trotz aller Zumutungen verteidigt. Die Warnung vor Kosten von 115 Milliarden Euro bis 2040 ist Zukunftsspekulation aus dem Lehrbuch: Niemand weiß, welche Regierung in drei Jahren regiert – geschweige denn, welche Politik sie machen wird.

„Ganz im Geiste unseres nationalen Zukunftspessimismus wird fälschlich angenommen, alles werde gleich bleiben oder schlimmer.“

Ganz im Geiste unseres nationalen Zukunftspessimismus wird fälschlich angenommen, alles werde gleich bleiben oder schlimmer. Diese rückwärtsgewandte Rhetorik hat Tradition – man denke an den verstorbenen JU-Chef Philipp Mißfelder, der 2003 forderte, Senioren ab 85 keine Zahnprothesen oder Hüftgelenke mehr zu finanzieren. Oder an Kommentare wie jenen bei Nius: „Streicht den Boomern die Rente zusammen!“, über einem Foto eines lachenden alten Kreuzfahrtpaares – als wäre Lebensfreude im Alter ein moralisches Vergehen. Der Kommentator Ben Brechtken fordert einen „Unterbietungswettkampf“ bei den Renten und behauptet: „Die Boomer sind keine Opfer des Systems, sie sind das System“. Die Hoffnung setzt er – ganz wie die politische Linke und die Umweltbewegung – auf eine jugendliche Revolte gegen die „Sünden“ der Eltern: wahlweise zu viele Kinder (im ökologischen Narrativ) oder zu wenige (im demographischen).

Diese gefährlichen Scheinlösungen spielen unfähigen Politikern in die Hände, die zentrale Probleme nicht anpacken wollen. Merz, angeblich Sprachrohr der Alten, facht den Konflikt selbst an, indem er den Jungen erklärt, man könne mit Rentenkürzungen keine Wahlen gewinnen. Das stimmt zwar – aber es ist eine billige Ausrede, um notwendige Reformen zu vermeiden: längeres Arbeiten, Mischsysteme oder andere unbequeme, aber realistische Schritte.

Viele Babyboomer haben ohnehin akzeptiert, dass sie länger arbeiten müssen – das Rentenalter liegt inzwischen bei 67. Sie haben Jahrzehnte zum Wohlstand dieses Landes beigetragen, den Solidaritätszuschlag für die Wiedervereinigung gestemmt und – häufig – Wehrdienst abgeleistet. Die Vorstellung, diese Generation sei eine homogene, privilegierte und gierige Gruppe, ist absurd; sie ignoriert Klassenunterschiede und unterstellt eine bizarre Verschwörung älterer Menschen gegen ihre eigenen Kinder.

„Die großen Probleme Deutschlands lassen sich nur gemeinsam lösen – mit der Energie der Jugend und der Erfahrung des Alters.“

Deutschland braucht keinen künstlichen Generationenkonflikt, der nur neuen Fatalismus erzeugt. Er schadet Älteren wie Jüngeren gleichermaßen – und lenkt ab von den wahren Ursachen unseres ökonomischen Niedergangs: dem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität, der wachsenden Bürokratie, einer technokratischen Politik ohne Mut und einer Kultur, die echte Debatten scheut. Wer die Babyboomer zum Sündenbock macht, liefert den politischen Eliten eine bequeme Ausrede, statt Lösungen zu liefern. Es ist eine klassische „Teile-und-herrsche“-Strategie gegen die Solidarität, die wir dringend bräuchten.

Denn die meisten jungen Menschen durchschauen diese rückwärtsgewandte Anti-Boomer-Rhetorik. Sie wissen: Die großen Probleme Deutschlands lassen sich nur gemeinsam lösen – mit der Energie der Jugend und der Erfahrung des Alters. Nur so lassen sich die Fehler der politischen Elite korrigieren: die verheerende Energiepolitik, der wachstumsfeindliche Umweltaktionismus und die Rentenpanik, die nichts anderes ist als ein Symptom dieser grundsätzlichen Schieflage.

Wir sollten nicht zulassen, dass wir uns auf diese Weise gegeneinander ausspielen und spalten lassen.

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