16.09.2011

Pyrrhussieg für fortschrittsfeindliche Imker

Kommentar von Hans-Jörg Jacobsen

Nach einem Urteil des EuGH hat Honig in Europa „gentechnikfrei“ zu sein. Aber die Urteilsbegründung kann sich noch als Bumerang für die gentechnikfeindlichen Kläger erweisen. Eine Welle teurer Sicherheitsuntersuchungen wird auf die Imker zukommen.

Die weisen Herren des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg haben einmal mehr bewiesen, dass sie mit der Realität der Menschen in Europa so ihre Probleme haben. Am 6.9.2011 entschieden sie, dass europäischer Honig bitte schön frei von Pollen mit Spuren nicht zugelassener Gentechnisch veränderter Organismen (GVO) zu sein hat. Das Gericht urteilte über die Klage eines bayerischen Imkers, dessen Bienenstöcke in der Nähe eines Versuchsfeldes mit gentechnisch verändertem Mais (Mon810) gestanden hatten. Im Honig dieser Bienen wurde 2005 Pollen des GVO-Mais nachgewiesen. Der Imker vernichtete, unterstützt von Gentechnikgegnern, theatralisch den Honig und verklagte daraufhin den Freistaat Bayern auf Schadensersatz. Das Verfahren durchlief mehrere Instanzen bis es schließlich in Luxemburg aufschlug.

Im Urteil zu den „Genmais“-Pollen stellte das EuGH nun fest, dass es sich bei den Pollen um eine „Zutat“ bei einem Lebensmittel handelt. Das klingt harmlos, ist aber lebensmittelrechtlich von allerhöchster Brisanz. Denn nun muss der Honig, bzw. seine Zutat, wie jede andere auch einer umfangreichen Sicherheitsbewertung unterzogen werden. Gemeinhin ist eine „Zutat“, was vom Hersteller wissentlich „hinzugetan“ wird, um beispielsweise die Qualität oder die Haltbarkeit eines Lebensmittels zu verbessern – daher ist der Begriff eigentlich logisch und nachvollziehbar. So wird vielen Lebensmitteln als Konservierungsstoff etwa das heißgeliebte Vitamin C (vulgo: Ascorbinsäure) zugesetzt.

Doch bei den Pollen ist das etwas anders: Diese werden nämlich nicht von intentional handelnden Menschen, sondern von Mutter Natur „zugesetzt“ und sind somit eigentlich ein „natürlicher“ Inhaltsstoff, wie etwa die bei einigen zu allergischen Reaktionen führenden bovinen Antikörpermoleküle in der Kuh-Milch.  Dabei ist übrigens allen – auch dem ansonsten gentechnik-kritischen Verbraucherfunktionär Gerd Billen – völlig klar, dass von den monierten „Genmais“-Pollen im Honig keine Gesundheitsgefahr ausgeht. Der Mon810 ist einst regulär zugelassen worden und damit sicher. Er befindet sich nur gerade im bürokratischen Verfahren einer EU-Wiederzulassung und hat dabei schon alle wichtigen Sicherheitsprüfungen absolviert. Zum Verhängnis wurde ihm, bzw. dem Pollen, dass nach der alten und bald erneuerten Zulassung die ausdrückliche Mon810-Verwendung als Pollen nicht einbezogen war. Der banale Grund dafür ist schlicht, dass bei der Erstzulassung 1998 nach damals geltendem EU-Recht niemand auf die Idee kommen konnte, die Auswüchse unserer aktuellen Risikoobsessionen zu erahnen.

Dass Pollen am ehesten als „natürlicher“ Inhaltsstoff zu betrachten ist hätten natürlich auch die Richter in Luxemburg wissen können, denn auch sie können sich auf ihren Verstand und vermutlich auch auf einen wissenschaftlichen Dienst stützen, dem es aber unter Umständen an den entsprechenden Qualifikationen fehlt. Doch vorsorglich war ihnen dieser feine Unterschied, was eine „Zutat“ und was ein „Bestandteil“ eines Lebensmittels ist, vorab in einem klar formulierten Papier des Lebensmittelexperten und einstigen Bereichsleiter der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel, Prof. Klaus-Dieter Jany, zur Kenntnis gebracht worden. Aber vielleicht haben die Richter den Inhalt nicht verstanden oder nicht verstehen wollen?

Nach der Verkündung des Urteils brachen die Gentechnikgegner in Jubel aus, und die Befürworter der Grünen Gentechnik schwiegen betreten angesichts der offenkundigen intellektuellen Bedürfnislosigkeit des EuGH. Oder haben die Richter weiter gedacht, als wir alle ahnen? Interessant ist, dass sich das Urteil nicht nur auf Pollen von gentechnisch veränderten Pflanzen bezieht, sondern auf alle Pollen, also auch auf Pollen, die von Pflanzen stammen, die Giftstoffe produzieren, wie etwa Echium plantagineum. Dabei handelt es sich um eine im Mittelmeerraum beheimatete und auf Trockenstandorten anzutreffende blau blühende Pflanze, die lebertoxische Alkaloide enthält. Nicht zu vergessen sind überdies etliche Pflanzen, die in Gartencentern, botanischen Gärten oder auch Hausgärten blühen. Sie stammen mitunter aus fernen Kontinenten und tragen unverträgliche Inhaltsstoffe, die man besser nicht verzehren sollte. Und was ist mit Pflanzen, die starke Allergene in sich tragen? Auch sie werden trotzdem weiter von Bienen angeflogen, um Pollen zu naschen. All dieser Pollen dürfte als Honig-„Zutat“ zukünftig schwerlich grünes Licht bei den Sicherheitsbewertungen erhalten – auch wenn das einhergehende Risiko beim Verzehr für Menschen am Ende noch so klein sein sollte.

Für den Imker und die ihn unterstützenden Organisationen brechen jetzt also harte Zeiten an, denn genau betrachtet ist das bejubelte EuGH-Urteil ein Pyrrhus-Sieg. Was jetzt logisch folgen muss, sind Untersuchungen jeden Honigs auf Pollen und entsprechende Gefährdungspotenziale. Das verursacht immense Kosten für die Lebensmittelindustrie, die Honig in allen möglichen Produkten einsetzt. Ob alle Imker im Nachhinein mit der Klage durch alle Instanzen froh werden, darf also bezweifelt werden. Klar ist, dass der Gesetzgeber nunmehr klare Regelungen zur Kennzeichnung von Honig und Honigprodukten schaffen muss, und dies unabhängig davon, ob es sich um Pollen aus GVO oder aus anderen Pflanzen dreht. Richtig und bedauerlich ist nicht zuletzt, dass der Honig zunächst einmal sein Image als „gesundes“ Lebensmittel stark eingebüßt hat.

Interessant ist übrigens auch ein weiteres Urteil des EuGH zu nationalen Anbauverboten von in Europa zugelassenen gentechnisch veränderten Pflanzen wie dem Mon810-Mais: Hier hat der EuGH die Hürden sehr hoch angelegt und ein entsprechendes Verbot in Frankreich für gesetzwidrig erklärt. So kann nach diesem Urteil ein nationales Verbot nur dann erlassen werden, wenn ein erhebliches Risiko für die Umwelt besteht. Das ist beim Mon810 nicht der Fall. Damit ist im Grunde auch das von Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) erlassene Mon810-Anbauverbot für Deutschland hinfällig, denn es begründet sich auf wissenschaftlich sehr schwammige Daten, die mittlerweile allesamt widerlegt sind, bzw. es teilweise schon vor dem Verbot waren. Man darf gespannt sein, wie sich die Ministerin nun verhält.

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