25.05.2023

Prostitution in schwierigem Fahrwasser

Von Martyra Peng

Titelbild

Foto: Massimo Catarinella via WikiCommons / CC BY-SA 3.0

Repressive Politik bedroht die Prostitution in Deutschland und Europa. Illiberale Regelungen, die abolitionistische Lobbyorganisationen noch verschärfen wollen, schaden den Betroffenen.

Verschiedene Gruppen arbeiten an der Zerstörung der Prostitution in Deutschland und Europa. Der Motor ist die NGO European Women Lobby (EWL), die hauptsächlich durch die Europäische Kommission finanziert wird und für ein prostitutionsfreies Europa wirbt. Neben der EWL ist die CAP International aktiv. Die CAP, vom schwedischen Staat gesponsert, ist die vielleicht bedeutendste abolitionistische Lobby der Welt.

Die Neo-Abolitionisten in Europa fordern das „Schwedische Modell“, eine gesetzliche Regelung nach schwedischem Vorbild, die seit 1999 mittlerweile in acht Staaten Sexkunden kriminalisiert sowie Dritte, die aus Einnahmen von Prostitution profitieren, darunter Angehörige, Kinder und Vermieter.

In Deutschland gibt es seit 2017 eine Registrierungspflicht. Das Prostituiertenschutzgesetz sieht vor, dass jeder Sexarbeiter sich bei der Behörde als Prostituierte anmelden, beraten und registrieren muss. Weiterhin sind Sexarbeiter verpflichtet, den Prostitutionsausweis immer bei der Arbeit zu tragen, um sich jederzeit bei Kontrollen auszuweisen. Nur unter Vorlage eines Hurenpasses, wie er in der Szene genannt wird, dürfen Sexarbeiter in legal angemeldeten Bordellen arbeiten. Aus Sorge um den Datenschutz, etwa die Datenweitergabe an das Finanzamt, bildet der stigmatisierende Hurenpass eine Hürde für viele Sexarbeiter. Auch können viele sich nicht registrieren, da sie einen unsicheren Aufenthaltsstatus haben oder über keine Papiere und keinen Wohnsitz in Deutschland verfügen.

„Zahlen und Studien, die Prostitutionsgegner in Dauerschleife predigen, sind empirisch nicht haltbar.“

Viele Bordelle erhalten jedoch keine Genehmigung, höchstens eine Duldung. Diese kann durch lokales Baurecht nachträglich unterlaufen werden. Viele Betriebe werden nur geduldet, d.h. es entsteht keine Planungssicherheit und sie müssen jederzeit mit Schließung rechnen. Sie können es sich gar nicht leisten, illegalisierte Sexarbeiter zu beschäftigen.

Eine Politik der Ächtung von Prostitution in Europa und der Welt, wie von Prostitutionsgegnern gefordert, kann man nicht mit Aussagen begegnen, wie „glücklich und selbstbestimmt“ (deutsche, weiße, privilegierte) Sexarbeiter arbeiten oder das es sich bei Kriminalität nur um „ein paar schwarze Schafe“ handelt. Man muss die Ursachen der Prostitutionsgegnerschaft klar erkennen und benennen. Dazu gehören alle möglichen Formen von Gewalt und Ausbeutung, die prekäres Arbeiten generell begleiten. Prekäres Arbeiten steht in direkter Verbindung mit fehlenden sozialen Chancen, Bildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten, armutsgetriebener Migration.

Studien zur Stimmungsmache

Die Zahlen und Studien, die Prostitutionsgegner in Dauerschleife predigen, sind empirisch nicht haltbar. Seit den 1980er Jahren sind Schätzungen über die Gesamtzahl von Sexarbeitern in Deutschland im Umlauf, die von 200.000 bis 700.000 reichen. Verbreitet ist eine von Ende der 1980er Jahre, die von 400.000 ausgeht. Von Seiten der Abolitionisten wie Alice Schwarzer wurde die Zahl von Menschen in der Zwangsprostitution ebenfalls als sehr hoch eingeschätzt. Hier wurde offenbar der prozentuale Anteil an migrantischen Sexarbeitern in Deutschland, der zuletzt bei 80 Prozent lag, einfach gleichgesetzt mit der Zahl von (sexuell) ausgebeuteten Frauen, die tatsächlich bei rund 400 erfassten Fällen im Jahr liegt (freilich ohne Dunkelfeld). In der Realität konnte meine Zählung1 von Werbeanzeigen von Sexarbeitern im Jahr 2019, die in Wohnungen, als Escort, in Bordellen und auf der Straße arbeiten, zeigen, dass meine Datenerhebung auf eine Gesamtzahl von 50.000 hinwies. Diese Anzahl weist in die gleiche Richtung einer offiziellen Erhebung, die 2019 40.400 registrierte Sexarbeiter erfasste.  Diese Zahl halbierte sich in den letzten Jahren im Zuge der coronabedingten Bordellschließungen, die neue informelle Strukturen entstehen ließen.

Viele Studien können als Junk Science bezeichnet werden, da sie nicht alle wissenschaftlichen Kriterien erfüllen, mehr von Ideologie getrieben sind als von methodischer Sorgfalt, wie z.B. die immer wieder bemühte Studie von Melissa Farley aus 2004. Darin wird unterstellt, dass 54 (Ex-)Junkies in einem Hamburger Drogenrehabilitationszentrum stellvertretend für Sexarbeiter in ganz Deutschland stünden und dass die Schlussfolgerung der Studie lautete, dass die Legalisierung der Prostitution verantwortlich für hohen Drogenkonsum sei. Da der Drogenkonsum unter den Junkies in ihrer Stichprobe hoch ist, müsste man folgern, dass der Drogenkonsum in der gesamten Bevölkerung Deutschlands und in jedem Land, das die Prostitution legalisiert hat, hoch ist! Das ist natürlich völliger Unsinn. Das Beispiel zeigt, wie Farley die Stichproben der Untersuchung manipuliert. Sie macht das in der Studie immer wieder.

„Repressive Politik führt jedoch niemals zum Verschwinden von Prostitution, sondern zu einem Anstieg an Gewalt, Abhängigkeiten und Ausbeutung von Prostituierten.“

Eine kanadische Richterin nannte die Äußerungen von Farley, einer Chefideologin der abolitionistischen Doktrin, problematisch, und befand, dass Janice Raymond, eine weitere Chefideologin und Gründerin der großen Lobbyorganisation CATW International, eher eine Verfechterin bestimmter Positionen als eine Expertin sei.

Nicht nur in Europa, in fast allen Ländern dieser Welt gibt es repressive Politik, um Prostitution zu bekämpfen und das Geschäft unmöglich zu machen. Repressive Politik führt jedoch niemals zum Verschwinden von Prostitution, sondern zu einem Anstieg an Gewalt, Abhängigkeiten und Ausbeutung von Prostituierten, und gefährdet die Gesundheit der Sexarbeiter. Dies weisen über 154 wissenschaftliche Studien international nach. Umgekehrt fehlen allerdings Beweise dafür, dass repressive Maßnahmen Prostitution, (sexuelle) Ausbeutung und/oder Menschenhandel beseitigen oder sogar reduzieren würden. Nun, dafür gibt es Beweise, dass die Gewalt, die Abhängigkeiten und die Ausbeutung zunehmen.

Folgen der Repression

Menschen ohne Papiere, mit ungeregelten Aufenthaltsstatus arbeiten häufig privat und isoliert, weil sie offiziell überhaupt nicht in zertifizierten Bordellen arbeiten dürfen, da sie sich dort ausweisen müssen und sie sich gar nicht mit dem stigmatisierenden Hurenpass registrieren können (s.o.), um Sexarbeit legal auszuüben.

Je enger die Räume legalen Arbeitens werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Prävention, Aufklärung und Zugang zu sozialen und gesundheitlichen Diensten versagen und Sexarbeiter für Hilfsangebote unerreichbar sind.

Außerdem könnte unabhängige Sexarbeit vorbei am Plattformkapitalismus zunehmend unmöglich werden. Denn Dating-Plattformen spielen eine zentrale Rolle für die Möglichkeit autonomer Sexarbeit jenseits der Abhängigkeit von Dritten und Vermietern. Viele Sexarbeiter arbeiten deshalb häufig isoliert und allein, weil sie nicht für Dritte mitverdienen wollen. Insofern sind Dating-Plattformen und soziale Netzwerke für einen Großteil der Sexarbeiter in den westlichen Staaten die wichtigste Quelle der Kontaktanbahnung mit Kunden geworden. Sollte mit den europäischen Digitalgesetzen flächendeckend ein Verifizierungszwang für Plattform-Nutzer kommen, werden staatenlose Menschen, Menschen ohne gültigen Aufenthaltstitel aus Nicht-EU-Staaten kaum Möglichkeiten haben, in der Prostitution Geld zu verdienen, außer sie weichen auf den Straßenstrich, in informelle Strukturen aus, wo sie sich in Gefahr und Ausbeutung bringen können.

„Während der Corona-Regulierung sind Gewalt, auch ungewollte Schwangerschaften bei Sexarbeiterinnen gestiegen, die während der Bordellschließungen in Wohnungen weiter arbeiteten.“

Isolierte Sexarbeit ist allerdings immer auch ein riskantes Unterfangen. Das zeigt sich seit der Corona-Regulierung verstärkt. Während dieser Zeit sind Gewalt, auch ungewollte Schwangerschaften bei Sexarbeiterinnen gestiegen, die während der Bordellschließungen in Wohnungen weiter arbeiteten. Dies geht aus Meldungen von Beratungsstellen und Medienberichten aus Kassel, Berlin und Zürich hervor, wo auch polizeiliche Ermittlungsergebnisse öffentlich wurden.

Denn Huren in Laufhäusern mit Security sind weniger schutzlos, wenn die Freier am Eingang und im Haus geprüft und gefiltert werden, wie es in den Rotlichtbezirken von Hamburg und Frankfurt seit Jahrzehnten die Regel ist. Die meisten Konflikte in treten nur auf, wenn Kunden angetrunken sind, Drogen konsumieren, wenn der Kunde sich dann über schlechten Service beschwert, weil er keinen hoch kriegen kann und sein Geld zurück haben will oder die Zeit ohne Bezahlung überzieht.

Die Ursachen für die sog. „Zwangsprostitution“ – ca. 400 Fälle/Jahr laut BKA – die häufig durch Beziehungsgewalt zustande kommt, wo Frauen durch Betrugsmaschen, vermeintlich hohe Verdienste, Liebesschwindel, in emotionale Abhängigkeit gebracht werden, um sie finanziell auszubeuten, ist vergleichbar mit dem Schicksal vieler ungebildeter und meist junger naiver Frauen, die ‚aus Liebe‘ Verträge unterschreiben und auf den gemeinsamen Schulden später sitzen bleiben. Meist Frauen, die jung und gutgläubig sind, liefern sich unwissentlich manipulativen Menschen aus, die sie einschüchtern und klein halten. In Deutschland wie in vielen anderen Ländern ist Beziehungsgewalt das höchste Sicherheitsrisiko. Wenn man jedoch Ängste nur auf das Rotlicht projiziert, geraten all die anderen Spielwiesen der Gewalt aus dem Blick. Man kann behaupten, dass die Skandalisierung des Rotlichts eine Ablenkungsstrategie ist, um nicht die allumfassende Kultur der Gewalt zu beleuchten.

„Belgien hat als einziges EU-Land Prostitution vollständig entkriminalisiert und den Sexarbeitern mehr soziale Rechte gegeben.“

Dass hauptsächlich Migrantinnen und Transgender häufiger Opfer von Gewalt in der Sexarbeit werden, ist dem Umstand geschuldet, dass die überwiegende Zahl an Sexarbeitern in Deutschland und Europa Migranten sind, die durch Verbote, unsicheren Aufenthaltsstatus oft auf Dritte angewiesen sind, sie eher in der isolierten Wohnungsprostitution oder auf der Straße tätig sind, wo sie (transfeindlicher) Gewalt und rassistischen Kunden ausgesetzt sind; wenn Kunden, die Alkohol und Drogen konsumieren und das Hurenstigma verinnerlicht haben, Prostituierte nicht als autonom handelnde Menschen wahrnehmen, sondern als Personen dritter Klasse, Menschen ohne Rechte am Rand der Gesellschaft.

Stigmatisierung und Doppelmoral

Dubiose Vereine bzw. NGOs nutzen die Sprachlosigkeit stigmatisierter und marginalisierter Gruppen aufgrund von Stigma und fehlender Outing-Möglichkeit aus und sammeln in ‚ihrem Interesse‘ Spendengelder ein, um die Branche weiter zu kriminalisieren, und um mit manipulierten Opferzahlen benachteiligte Menschen ‚zu retten‘.2 Wie sollen Menschen einer stigmatisierten Branche bitte Vertrauen in Staat und Gesellschaft, in scheinbare Verbündete haben, wenn sie von allen Seiten verarscht werden? Wenn die gleichen Politiker, die migrationsfeindliche Gesetze oder Prostitutionsgesetze erlassen, die für beschissene Arbeitsbedingungen sorgen, zuvor am Straßenstrich oder im SM-Studio bedient wurden?

Das einzige, was diskriminierte, stigmatisierte, arme und sprachlose Menschen tröstet, ist, Geld für sich und ihre Familien zu verdienen, auch mit Prostitution. Sie wissen, dass sie verachtet werden von einer Gesellschaft, die ihre Armut ausnutzt, ihre Körper konsumiert und sie in rechtlosen Räumen und Staaten auf den Müll wirft, wenn sie krank sind und keinen Profit mehr abwerfen.

Deshalb braucht es Regulierung in einem Entkriminalisierungsmodell3, damit alle Seiten sicher, gesund und weitgehend geschützt Geld verdienen können – auch Vermieter, die gute Arbeitsbedingungen bereitstellen. Und keine Politik, die Strukturen der Sicherheit zerstört und Menschen in illegalisierte Orte ohne Rechte zwingt. Belgien ist hier federführend in Europa und hat als einziges EU-Land Prostitution vollständig entkriminalisiert und den Sexarbeitern mehr soziale Rechte gegeben. In Belgien kann man Sexarbeit legal ausüben, ohne Bedingungen zu erfüllen, die Barrieren bilden und die legale Ausübung von Sexarbeit verhindern.

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