06.09.2017

Nein, Prostitution ist keine moderne Sklaverei

Kommentar von Ella Whelan

Titelbild

Foto: Massimo Catarinella via WikiCommons / CC BY-SA 3.0

Die Kriminalisierung von Sexdienstleistungen untergräbt die Freiheit der Frau.

Prostitution ist ein schwieriges Thema. Auf der einen Seite sind sich die meisten einig, dass es wohl angenehmere Berufe als den der Prostituierten gibt. Dieser ist häufig gefährlich und geht meistens mit Ausbeutung einher. Auf der anderen Seite gibt es aber auch genügend Prostituierte, oder „Sexarbeiterinnen“, die im Sex mit Männern gegen Bezahlung keinen Unterschied zu anderen bezahlten Dienstleistungen sehen, und sich deshalb für die Legalisierung des Gewerbes starkmachen.

Einstellungen zur Prostitution sind teilweise extrem. Da hat man zum Beispiel bibeltreue Puritaner, die schon die bloße Erwähnung von Sex nervös macht – von Sex als Dienstleistung ganz zu schweigen. Und dann gibt es Feministen wie Julie Bindel, für die Prostitution „moderner Sklaverei“ ist; in Deutschland vertritt Alice Schwarzer eine ähnliche Position.

Für Bindel sind Frauen, die ihren Körper verkaufen, nicht frei – ebenso wenig wie es die Sklaven in der Geschichte waren. Der Begriff der „Sexarbeiterin“ sei nur Kosmetik. Prostitution sei Missbrauch und finde in jeder Stadt und jedem Dorf, in allen Kulturen und allen Regionen dieser Welt statt. Bindel ist bekannt für ihre feste Überzeugung, dass alle Männer eine Missbrauchsneigung in sich tragen. Prostitution sei dafür ein klarer Beweis. Prostituierten stecken in Schulden und Problemen. Man müsse ihnen genauso helfen wie anderen Opfergruppen der modernen Sklaverei.

„Bindels Argumentation steht völlig mit den Kernansichten des modernen Feminismus im Einklang.“

Bindel versucht sich von der üblichen Auffassung des zeitgenössischen Feminismus abzuheben. Sie kritisiert „pseudo-liberale Linke“, die die Legalisierung von Prostitution unterstützen und den „abstoßenden Handel menschlichen Fleisches“ verteidigen. Tatsächlich steht Bindels Argumentation aber völlig mit den Kernansichten des modernen Feminismus im Einklang, auch wenn die Meinungen darüber, ob Sexarbeit legal sein sollte, auseinandergehen. Das Frauenbild ist das gleiche: Frauen sind moralisch schwach und müssen vor sich selbst gerettet werden.

Indem Bindel Prostitution mit moderner Sklaverei gleichsetzt, also mit einem Zustand, in dem Frauen gefangen gehalten werden, spielt sie mit dem klassischen und sexistischen Rollenbild der verfolgten Unschuld. Ja, nicht überall auf der Welt genießen Frauen die gleichen Rechte wie in Europa. Aber wenn wir uns auf das Land beschränken, in dem Bindel lebt und über das sie in ihrem Artikel schreibt – Großbritannien – dann gibt es dort schlichtweg keine Epidemie der „Sexsklaverei“. Prostitution kommt vor – häufig unter unerfreulichen Umständen – aber diese Frauen sind keine Objekte, sie können ihre eigenen Entscheidungen treffen.

Nach dem „Sexual Offences Act“ und dem „Policing and Crime Act“ ist der Austausch von Sex für Geld in privater Umgebung theoretisch erlaubt. Allerdings sind sowohl das Ansprechen von Männern durch Prostituierte und der Autostrich, als auch der Besitz oder die Leitung eines Bordells und die Zuhälterei illegal – im Unterschied zu Deutschland, wo dies grundsätzlich – innerhalb bestimmter Grenzen – legal ist. Eine von Feministen wie Bindel abgelehnte Entkriminalisierung der Prostitution würde die Freiheit der Frauen stärken – weniger gegenüber den Zuhältern als vielmehr gegenüber der Polizei und dem Staat. Denn staatliche Instanzen sollten niemals darüber bestimmen dürfen, wann, wie, mit wem und aus welchen Gründen erwachsene Menschen Sex haben können.

„Der wichtigste Grund für die Entkriminalisierung von Prostitution ist die Emanzipation der Frau.“

Zu den Unterstützern einer Entkriminalisierung der Prostitution in Großbritannien gehören der Vorsitzende der britischen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, und ein Großteil der Grünen. Diese setzen sich allerdings nur für die Legalisierung des Anbietens von Sex ein, was meistens von Frauen ausgeht; die Annahme des Angebots würde weiterhin eine kriminelle Handlung bleiben. Diese Maßnahme scheint wie ein Versuch, die Nachfrager zu bestrafen, erschwert aber tatsächlich auch das Leben der Prostituierten. Ihre Kunden sehen sich aufgrund der Angst vor Kriminalisierung gezwungen, im Untergrund Prostituierte aufzusuchen, was für diese noch mehr Risiken und Unsicherheiten bedeutet.

Selbsterklärte Anti-Mainstream-Feministen wie Bindel wollen Prostitution verbieten. Wir sollten ihre misanthropischen Variante des Feminismus in Frage stellen, in der Akademikerinnen schwächere Frauen vor ihren schlechten, vermeintlich falschen Entscheidungen „schützen“ sollen. Der wichtigste Grund für die Entkriminalisierung von Prostitution ist die Emanzipation der Frau.

Die Argumentation, dass das Leben von Frauen erschwert werden sollte, weil diese sich dafür entschieden haben, ihren Körper auf eine bestimmte Weise zu nutzen, schafft einen gefährlichen Präzedenzfall. Sie untergräbt die körperliche Autonomie der Frau. Schlimmer noch: Die Feministen, die sich für ein Verbot von Prostitution stark machen, schwächen damit die intellektuelle und moralische Grundlage der Emanzipation – nämlich, dass Frauen autonom sein können und auch sein sollen. Wenn Bindel und andere andeuten, dass Frauen in Wirklichkeit nicht freiwillig ihren Körper für Geld anbieten, untergräbt das die mühevoll erkämpfte Vorstellung, dass Frauen moralisch autonom sind und auch in schwierigen Situationen ihre eigenen Entscheidungen treffen können. Konsequent zu Ende gedacht, geben diese Feministen damit das eigentliche Ideal auf, dass Frauen und Männer gleichberechtigt und gleichermaßen kompetent sind. So verlieren sie mehr, als sie gewinnen.

„Frauen sind selbst am besten dazu geeignet, für sich zu entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten.“

Damit will ich nicht sagen, dass uns Prostitution gleichgültig sein sollte. Bindel trifft hierzu eine wichtige Unterscheidung zwischen dem Mythos der glücklichen Prostituierten – dem „Es ist das gleiche wie das Auffüllen von Regalen“-Argument – und der Realität des Lebens einer Prostituierten, in dem Gefahren und Herzschmerz oft an der Tagesordnung stehen. Für viele Prostituierte ist ihr Job ein Mittel, um mit anderen Probleme zurechtzukommen – etwa einer Alkohol- oder Drogensucht – und das Leben als Prostituierte ist oft sehr beschwerlich. Das ist ein Lebensstil, den die wenigsten selbst erdulden oder aktiv bewerben würden.

Schlimmer noch als eine Gesellschaft, in der verzweifelte Frauen manchmal ihren Körper verkaufen, ist aber eine, in der wie selbstverständlich behauptet wird, dass manche Frauen nicht in der Lage sind, rationale Entscheidungen zu treffen und der Staat deshalb ihre körperliche Autonomie kontrollieren muss. Der weibliche Körper wird ohnehin schon zu sehr von Gesetzen kontrolliert – etwa durch Einschränkungen von Abtreibungen unter bestimmten Umständen. Frauen haben damit, anders als Männer, nicht die alleinige Macht über ihren Körper. Ein Skandal, denn dadurch wird die individuelle Souveränität der Frau geschwächt – genauso wie durch zusätzliche Gesetze, die es Frauen erschweren, eigenständig zu entscheiden, ob sie ihren Körper zum Geldverdienen nutzen wollen.

Bindel hat mehr mit den zeitgenössischen, schicken Medienfeministen gemein als sie sich eingestehen möchte. Auch diese betrachten Frauen als Opfer, die nicht in der Lage sind, eigene Entscheidungen zu treffen oder eigenständig in Handlungen einzuwilligen, und deshalb „Hilfe“ benötigen. Es ist jedoch durchaus möglich, sich für die Entkriminalisierung von Prostitution einzusetzen und gleichzeitig anzuerkennen, dass es weitaus bessere Jobs für Frauen gibt. Wenn man nämlich an die Autonomie der Frau glaubt und darauf vertraut, dass jede Frau – auch eine arme oder verzweifelte Frau – am besten für sich selbst entscheiden kann, wie sie ihr Leben führen will.

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