02.02.2016

Pflanzenschutzsteuer? – Unverantwortlich!

Interview mit Joseph-Alexander Verreet

Weniger Chemie auf den Äckern. So lautet ein Ziel der Agrarwende. Doch „Chemie“ ist notwendig für Qualität und Quantität der Erzeugnisse. Manches Gutachten zum Thema dient eher der Politik als der wissenschaftlichen Untersuchung.

Kirsten Müller: Die Landwirte setzen aus gutem Grund Pflanzenschutzmittel ein, die Kritik daran wird jedoch immer massiver. Warum ist ein Verzicht nicht möglich?

Joseph-Alexander Verreet: Europa ist einer von mehreren Gunststandorten für den Ackerbau auf der Welt. Hier werden in Kombination von Boden und Klima Höchsterträge bei den Kulturpflanzen realisiert. Das heißt aber auch, dass sich die Landwirte Pflanzenschädlingen und Krankheiten sowie Beikräutern als Nahrungskonkurrenten der Nutzpflanzen erwehren müssen. Das gelingt zum Teil durch acker- und pflanzenbauliche Maßnahmen wie Fruchtfolge und Sortenwahl sowie pflanzenhygienische Anbausysteme. Das allein reicht jedoch nicht aus, um hohe Erträge und beste Qualitäten zu sichern. Hierfür ist ein gezielter, sprich integrierter Pflanzenschutz notwendig.

Trotzdem wächst die Kritik der Bevölkerung.

Ja. Das ist wirklich besorgniserregend, zumal es in der Vergangenheit nie solch hochwertige Produkte vom Acker gegeben hat. Ganz klar haben echte oder initiierte Lebensmittelskandale für Verunsicherung gesorgt. Aber: Bei aller Kritik muss man dem chemischen Pflanzenschutz zuschreiben, dass die Lebenserwartung der Menschen steigt. Das lässt sich nicht allein auf den medizinischen Fortschritt zurückführen, sondern in starkem Maße auch auf die erhöhte Qualität von Nahrungsmitteln in einer stabilen und ausreichenden Menge.

„Ganz klar haben echte oder initiierte Lebensmittelskandale für Verunsicherung gesorgt“

Was hat sich beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gegenüber früher geändert?

In der Historie gab es Jahre, in denen bestimmte Krankheitserreger zu Totalverlusten führten. Unsere Vorfahren behandelten damals Saatgut mit Arsen und Quecksilber. Das muss man sich heute mal vorstellen! Hier hat die interdisziplinäre Forschung in Zusammenarbeit mit der landwirtschaftlichen Praxis gewaltige Fortschritte gemacht. Unser Institut zum Beispiel entwickelt seit 22 Jahren Bekämpfungsschwellenwerte gegen Krankheitserreger. Mithilfe moderner Prognosemodelle wie des Integrierten Pflanzenschutzsystems IPS gelingt es, die Aufwandmengen deutlich zu verringern.

Allein beim Weizen kann man inzwischen anstatt der bislang üblichen drei bis vier Fungizidspritzungen heute mit maximal 1,9 Behandlungen auskommen – und das bei einem mehr als halbierten Mitteleinsatz sowie gleichbleibender Ertrags- und Befallskontrolle. Im Rahmen des Wissenstransfers können die Modelle von den Landwirten im Internet genutzt werden (siehe Kasten; d. Red.). Um es klar zu sagen: Durch den chemischen Pflanzenschutz und andere phytosanitäre ackerbauliche Maßnahmen und die Pflanzenzüchtung wird der chemische Pflanzenschutz auf das absolut notwendige Mindestmaß beschränkt. Das gehört heute zur guten fachlichen Praxis.

Das Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung behauptet aber, der Verbrauch von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland sei gestiegen.

Die absolute Menge sagt nichts über die Aktivsubstanz pro Hektar und deren Toxizität aus. Da muss man differenzieren. Ich bin sicher, dass die Landwirte schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen sehr genau darauf achten, ob und wie viel Pflanzenschutzmittel sie einsetzen. Die Präparate sind ja ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor.

„Der chemische Pflanzenschutz wird heute auf das absolut notwendige Mindestmaß beschränkt“

Viele Menschen sehen den Ökolandbau als Lösung, um völlig von der Chemie auf dem Acker wegzukommen. Teilen Sie diese Auffassung?

Der Ökolandbau erfordert aus phytosanitären Gründen eine deutlich andere Fruchtfolgegestaltung als der konventionelle Ackerbau. Die Fruchtwechsel sind weiter, Monokulturen wie etwa beim Weizen problematisch. Auf einem Hochertragsstandort wie Schleswig-Holstein aus ideologischen Gründen auf Menge und Qualität verzichten zu wollen, halte ich für unverantwortlich. Abgesehen davon werden auch im ökologischen Landbau nachweislich Pestizide eingesetzt.

Sie sagen, der chemische Pflanzenschutz wird von den Landwirten ohnehin behutsam betrieben. Landwirtschaftsminister Robert Habeck dagegen will über eine Pflanzenschutzsteuer den Einsatz reglementieren. Was halten Sie davon?

Vor dem Hintergrund dessen, dass wir heute hochqualitative Nahrungsmittel haben, ärgert mich dieses Vorhaben. Denn es ist ein politisches Ziel, das fachlich einseitig untersucht wurde, und sowohl Landwirte als auch die Bevölkerung verunsichert.

„Auch im ökologischen Landbau werden nachweislich Pestizide eingesetzt“

Minister Habeck stützt sich bei seiner Argumentation pro Pflanzenschutzsteuer auf das von ihm in Auftrag gegebene Gutachten des Helmholtz-Zentrums. Es wurde von den Autoren im Oktober in Berlin vorgestellt. Sie waren dabei und – mit Verlaub – offensichtlich not amused.

Scharf beobachtet. An diesem Gutachten haben Toxikologen, ein Ökonom, ein Jurist und ein Sozialwissenschaftler gearbeitet. Kein einziger Fachexperte des allumfassenden Fachgebietes Pflanzenschutz, der sogenannten Phytomedizin, war beteiligt. Demnach wurden auch keine fachlichen Argumente aus Sicht der Phytomedizin berücksichtigt. Das ist mein Hauptkritikpunkt! Die Politik ist nun mal die Legislative. Es gibt genug Beispiele: Wenn man ein bestimmtes Ziel erreichen will, lässt man Fachleute leider gern außen vor.

Eine Steuer würde quasi bedeuten, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln pauschal zu senken. Welche Folgen hätte das für Erträge und Qualitäten?

Eine Pflanzenschutzsteuer von 20 oder 25 Prozent würde sicherlich in bestimmten Situationen in der Landwirtschaft zu einer Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes führen. Aber verschiedene wissenschaftlich fundierte Expertisen stellen fest, dass ein Verzicht auf Pflanzenschutz eine um 50 Prozent verringerte Ertragsleistung pro Flächeneinheit bewirkt. Das erklärt sich dadurch, dass die Unkräuter zunehmen und dass unterschiedliche Krankheitserreger wie Viren, Bakterien oder Schadpilze weniger oder nicht bekämpft werden. Das führt zu starken Ausbreitungen. Damit einher geht natürlich ein erheblicher Qualitätsverlust. Unsere verarbeitende Industrie könnte die „ungeschützt“ erzeugten Produkte nicht mehr zur Herstellung von hochwertigen, gesunden Nahrungs- oder Futtermitteln verwenden.

„Wenn man ein bestimmtes Ziel erreichen will, lässt man Fachleute leider gern außen vor“

In Schleswig-Holstein wurden in den vergangenen Jahren sowohl im Versuchswesen als auch im amtlichen Pflanzenschutzdienst Stellen stark zusammengestrichen. Passt das zu den politischen Forderungen?

Das ist auch so ein Punkt, der mich bei dem Thema umtreibt. Die Politik will, gestützt auf den stets herangezogenen Mehrheitswillen der Gesellschaft, dass die Landwirtschaft im Sinne von Verbrauchern, Umwelt- und Naturschutz produziert. Das erfordert eine kompetente, neutrale pflanzenschutzfachliche Unterstützung der Praxis. Doch wie soll das gehen, wenn man die Offizialberatung immer weiter schwächt und so die Ackerbauern im Regen stehen lässt? Diese Frage sollte sich vor allem Minister Habeck stellen.

Befürworter der Pflanzenschutzsteuer führen immer wieder das Beispiel Dänemark an. Dort wurde 1986 eine solche Steuer eingeführt. Über die Folgen ist im Papier des Helmholtz-Zentrums nichts zu lesen. Welche Erkenntnisse haben Sie?

Das war dort ebenfalls eine rein politische Vorgabe. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist – wie beabsichtigt – gesunken. Die Folge: Krankheitserreger an den Kulturpflanzen konnten nicht mehr im phytosanitären Sinne kontrolliert und eliminiert werden. Bis zur Einführung der Pflanzenschutzsteuer war Dänemark ein Exportland für Qualitätsweizen. Mittlerweile sind die Qualitäten so abgesackt, dass die nördlichen Nachbarn nun Weizen importieren müssen. Eine solche Entwicklung darf man sehenden Auges am Gunststandort Schleswig-Holstein nicht zulassen.

„Bis zur Einführung der Pflanzenschutzsteuer war Dänemark ein Exportland für Qualitätsweizen“

Frankreich will binnen zehn Jahren den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln halbieren. Halten Sie es in naher Zukunft für möglich, chemische durch biologische Maßnahmen in einem so starken Umfang zu ersetzen?

Nein, es sei denn, man nimmt eine ähnliche Entwicklung wie in Dänemark in Kauf. Auch Frankreich würde vom Export- zum Importland von Qualitätsweizen. Die Franzosen verfügen wie Schleswig-Holstein über Höchstertragsstandorte wie das Pariser Becken. Ein Absinken der Erträge und Qualitäten wäre absehbar. Letztlich ist der politische Wille die eine Seite, die andere ist die Ethik. Die Gunstregionen in unseren Breiten müssten zur stabilen Nahrungsmittelversorgung mehr Getreide importieren. Das ginge ganz klar zulasten von Drittländern. Das muss die Politik zwingend mit ins Kalkül ziehen.

Wo sehen Sie praktische Möglichkeiten, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu verringern?

Es gibt etwas, das mich schon meine ganze Dienstzeit über begleitet – die Einführung einer Art Stiftung Warentest im Bereich Pflanzenschutz, einen Pflanzenschutz-TÜV, wenn Sie so wollen. Wir haben im Bereich der Prognose in der Bundesrepublik vielzählige Modelle. Diese sollten geprüft, gegebenenfalls verbessert und mit einem TÜV-Stempel versehen werden. Eine Prüfung solch innovativer Konzeptionen und Methoden findet zurzeit nicht statt, um den Pflanzenschutzmitteleinsatz zu optimieren. Ich würde mir wünschen, dass auch von der politischen Seite in die vergleichende Prüfung von Modellen mehr Geld investiert würde und auch in die Entwicklung solch moderner Konzeptionen von Methoden. Eben weil die Nahrungsmittelerzeugung ein so wichtiger gesellschaftlicher Faktor ist. Eine Pflanzenschutzsteuer taugt hierzu nicht.

Das Interview führte Kirsten Müller vom Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Mithilfe einer Internetplattform können Landwirte sehen, wie sich chemische Pflanzenschutzmittel zielgenau einsetzen und der Spritzaufwand bedarfsgerecht verringern lassen. Seit 2005 existiert das sogenannte Integrierte Pflanzenschutzmodell IPS. Es ermöglicht, Epidemien von Pilzkrankheiten an Raps, Weizen und Zuckerrüben genau vorherzubestimmen und so ihre Bekämpfung optimal zu planen.
Auf der Website von IPS-Modellen erfahren Landwirte schnell und mit wenigen Klicks, wann der Schädlingsbefall noch akzeptabel beziehungsweise wann er wirtschaftlich nicht mehr vertretbar ist. Der Nutzer gibt Daten wie Kalenderwoche und Sorte ein und erhält binnen Sekunden ein Diagramm. Wie wahrscheinlich eine Epidemie in seiner Region ist, erfährt er, wenn er auf der Landkarte seinen Standort (Zuckerrübe und Raps deutschlandweit, Weizen schleswig-holstein-weit) wählt.

Auf der Homepage kann er auch Warnmeldungen per E-Mail abonnieren. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre haben Wissenschaftler des Kieler Instituts für Phytopatholgie an mathematischen Modellen gearbeitet, die die ökologischen Bedürfnisse der Kulturpflanzen in genaue Formeln fassen. Untersucht wurde zum Beispiel auch, bei welchen Witterungsverhältnissen welche Pflanze wie reagiert. Daraus entstand eine umfangreiche Datenbank. Die tagesaktuellen Werte des Deutschen Wetterdienstes generieren kleine rote Fähnchen auf der Onlinekarte, die signalisieren, wo Gefahr durch eine Epidemie im Verzug ist.

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