14.12.2017

Nicht Hybris, sondern Machtkalkül

Von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: SPÖ/Thomas Jantzen via Flickr / CC BY-SA 2.0

Martin Schulz will die „Vereinigten Staaten von Europa“ und wird für größenwahnsinnig erklärt. Dabei ist der Vorschlag bloß die logische Konsequenz seines technokratischen Politikverständnisses.

Als der glücklose SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz kürzlich die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa binnen sieben Jahren forderte, warfen ihm zahlreiche Kommentatoren einen Realitätsverlust vor. Die FAZ sprach von einer „Überkompensation nach seiner krachenden Niederlage als Kanzlerkandidat“ und der „Hybris eines Berufseuropäers“. Sahra Wagenknecht von der Linkspartei bezeichnete den Vorschlag als „weltfremd“.

Zwischenzeitlich hat eine Emnid-Umfrage ermittelt, wie groß die Ablehnung von Schulz‘ Vorschlag in der Bevölkerung ist. Demnach würden nur 30 Prozent der Deutschen die Idee eines so vereinten Europas befürworten. Das Umfrageergebnis dürfte Martin Schulz, der seit Jahren den Glaubwürdigkeitsverlust der EU beklagt, kaum überrascht haben. Schon während der ersten Monate des jüngsten Bundestagswahlkampfs warnte der Spiegel, dass „die in Brüssel“ beim einfachen Bürger nicht unbedingt wohlgelitten seien. Wahrscheinlich blieb Schulz deshalb beim Thema EU auffällig wortkarg (und das, obwohl ihn die SPD ursprünglich nicht nur als Retter Deutschlands, sondern auch Europas angepriesen hatte). Im Wahlkampf jedenfalls war von seiner Vision noch nichts zu hören.

Nein, es ist keine Weltfremdheit, die Martin Schulz zu seinem Vorpreschen veranlasst hat. Er weiß sehr wohl, dass die Mehrheit – in Deutschland und in anderen europäischen Staaten – seinen Vorschlag ablehnen würde, wenn er zur Abstimmung stünde. Deshalb rückt er erst nach der Wahl mit ihm heraus, statt ihn offen und ehrlich im Wahlkampf zur Diskussion zu stellen. Deswegen wirkt auch der Einwand seines Parteifreundes Sigmar Gabriel so scheinheilig, wenn er sagt, die Politik werde doch dafür kritisiert, dass sie keine Visionen habe, „und jetzt hat mal jemand eine Idee – nämlich Martin Schulz die Idee, wie sich es mit Europa weiterentwickeln soll. Und dann fallen gleich alle über ihn her.“

„Es ist keine Weltfremdheit, die Martin Schulz zu seinem Vorpreschen veranlasst hat.“

In der Tat hätte man sich in diesem Wahlkampf Visionen von Martin Schulz gewünscht. Stattdessen wurde beklagt, wie „grausam“ der Wahlkampf für den Kandidaten sei. Dabei hatten sich im Wahlkampf nur die Schwächen des Kandidaten gezeigt. Schulz glaubte, ohne Programm und Konzept Mehrheiten für sich gewinnen zu können. Was im abgeschiedenen EU Parlament möglich ist – durch Deals und theatralische Selbstdarstellung eine glänzende Karriere zu machen – reichte dem Wähler nicht aus. Vor dem Hintergrund ist es zu verstehen, dass Martin Schulz den Ausbau der EU fordert, einer Organisation, die schon immer dem Zweck gedient hat, die Politik vom Druck der Wähler abzuschirmen.

Wenn Schulz also Europa als unsere Lebensversicherung bezeichnet, die den Nationalstaat sinnvoll ergänzen soll, dann sollte uns Bürgern klar sein, was er damit meint: Die weitere Stärkung einer politischen Sphäre, die dem Wählerwillen (den er ohnehin verachtet) möglichst weit entrückt ist. Der autoritäre Tonfall seines Vorschlags ist dabei nicht zu überhören. Der von Schulz geforderte Verfassungsvertrag soll nicht von den Bürgern Europas, sondern von den Mitgliedsländern unterzeichnet werden. Wer nicht unterzeichnet, fliegt raus.

Diese Vision einer europäischen Zwangsgemeinschaft sei undemokratisch und spalterisch, schreibt Kommentator Holger Steltzner in der FAZ. Doch ist der Begriff „Vision“ hier überhaupt angemessen? Der Mann, der noch vor wenigen Monaten den Bürgern versprach, die Demokratie „aus der Opposition heraus“ zu verteidigen, ist nicht nur bereit, entgegen all seinen Versprechungen wieder eine Große Koalition zu bilden. Er schreckt auch nicht davor zurück, die Demokratie zu schwächen.

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