31.10.2011

Next step 10 Milliarden!

Kommentar von Thilo Spahl

Sieben Milliarden sind geschafft. Und mit Hilfe der modernen Landwirtschaft können wir noch viel mehr Menschen ernähren. Dauerhaft nutzbare Anbauflächen sind genug vorhanden. Wie Probleme wie „Übernutzung“, Erosion oder Versalzung beherrschbar sind.

Sieben Milliarden sind geschafft. Nun wollen wir den weiteren Aufstieg bis zum Bevölkerungsgipfel von neun bis zehn Milliarden Menschen ins Auge fassen, den wir den aktuellen Prognosen zufolge in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erreichen werden. Danach wird die Weltbevölkerung nach heutiger Einschätzung wieder abnehmen.

Wenn heute von einer Bedrohung durch die wachsende Zahl von Menschen und die schwindenden Ressourcen die Rede ist, stellt sich also die Frage, ob wir eine Zunahme um etwa 40 Prozent bewältigen können. Angesichts der Tatsache, dass es uns gelungen ist, in den vergangenen zwei Jahrhunderten an Köpfen um 700 Prozent zuzunehmen und gleichzeitig den Wohlstand enorm zu steigern, dürfte uns der noch verbleibende Weg eigentlich nicht schrecken.

In den letzten 37 Jahren ist die Weltbevölkerung um 3 Milliarden Menschen gewachsen, gleichzeitig ist die Lebenserwartung im weltweiten Durchschnitt von 1950 bis heute bei Männern und Frauen um jeweils 50 Prozent, in absoluten Zahlen von 45 auf 67 bzw. von 48 auf 72 gestiegen. 1950 hatte gerade einmal 1 Prozent der Weltbevölkerung eine Lebenserwartung von über 70 Jahren, heute sind es 57 Prozent. Die Verdopplung der Lebenserwartung ging einher mit einer Halbierung der Fertilität: Die Zahl der Kinder pro Frau ist im globalen Durchschnitt von 5,0 in 1950 auf 2,6 in 2000 gesunken. Sinkt sie auf 2,1, endet das globale Bevölkerungswachstum.

Das heißt, die Weltbevölkerung wächst noch. Sie wächst aber immer langsamer. Für die nächsten 3 Milliarden zusätzlichen Erdenbürger, wenn es überhaupt so viele sein werden, haben wir laut UN-Prognose 72 Jahre Zeit, also fast doppelt so viel wie für die letzten 3 Milliarden. Wenn wir wie bisher auch den Wohlstand weiter stark anheben wollen und die Lebenserwartung, die der wichtigste Indikator dafür ist, wie gut es den Menschen geht, weiter erhöhen wollen (die UN Prognose liegt global bei 80 Jahren für das Jahr 2083), dann stehen wir gewiss vor einer Herausforderung. Aber nicht vor einer größeren als 1974.

Zu wenig fruchtbare Böden?

Zu den unleugbar begrenzten Ressourcen, die nicht ohne Weiteres substituiert werden können, zählen fruchtbare Böden. Die Pflanzen, die wir selbst essen oder an die Tiere verfüttern, die wir essen, müssen irgendwo wachsen. Glücklicherweise steigt jedoch der Flächenbedarf sehr viel langsamer als die landwirtschaftliche Produktion. In der Vergangenheit wurde die Erhöhung der Agrarproduktion größtenteils durch bessere Anbaumethoden mit höheren Ernten erreicht. In den letzten 50 Jahren waren diese für rund 78 Prozent der Produktionssteigerung verantwortlich, während 15 Prozent durch Nutzung zusätzlichen Landes erzielt wurden und etwa 7 Prozent durch zusätzliche Ernten. Nach Einschätzung der FAO wird das auch in den nächsten Jahrzehnten so sein. Da derzeit weniger als 40 Prozent der prinzipiell geeigneten Flächen (und 11 Prozent der gesamten globalen Landfläche) zum Pflanzenanbau genutzt werden, wird auch im 21. Jahrhundert die Reservefläche erheblich bleiben.

Die Bevölkerung wächst weiter, die benötigte Ackerfläche pro Kopf sinkt trotz wachsendem individuellen Konsum aber gleichzeitig kontinuierlich. Und auch die Intensivierung muss nicht im gleichen Tempo voranschreiten wie in der Vergangenheit. Da das Bevölkerungswachstum immer langsamer wird und sich die Versorgungssituation in vielen Ländern schon deutlich verbessert hat, also weniger Nachholbedarf besteht, ist in den kommenden Jahrzehnten nur noch ein Anstieg der Produktivität um rund 1 Prozent pro Jahr notwendig, während es in den 1960er bis 1990er Jahren über 2 Prozent waren. Da die Erträge in weiten Teilen der Welt noch immer relativ gering sind, sollte diese Steigerung durch verbesserte Pflanzensorten, bessere Düngung, Bewässerung und Technikeinsatz machbar sein, ohne dass die schon heute vorhandenen Möglichkeiten voll ausgereizt werden müssten.

„Übernutzung“ der vorhandenen Flächen?

Fläche ist dank Intensivierung also kein Problem. (Nur der ökologische Landbau schlägt mit seinen relativ niedrigen Erträgen bekanntlich eine andere Richtung ein. Das fällt als Lifestyle-Phänomen einer kleinen Gruppe von Wohlstandsbürgern im globalen Maßstab glücklicherweise jedoch kaum ins Gewicht.) Doch wie sieht es mit der Qualität der Böden aus? Sind sie nicht längst durch „Übernutzung“ bedroht und büßen zunehmend ihre Fruchtbarkeit ein? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Es gibt eine Reihe von Faktoren, die die Qualität von Böden beeinträchtigen. Erosion durch Wind und Wasser, Versalzung, Auslaugung, Kontamination durch Schadstoffe und unsachgemäßen Einsatz von Agrochemikalien, Bodenverdichtung und Austrocknung. Die Einschätzungen, wie stark Böden im globalen Maßstab an Qualität verloren haben, gehen jedoch stark auseinander.

Eines ist mit Blick auf die Zukunft wichtig: All diese Faktoren lassen sich durch angepasste Anbaumethoden beherrschen. Der Wert von Böden kann auch bei intensiver landwirtschaftlicher Nutzung dauerhaft erhalten bleiben. So etwas wie eine natürliche „Abnutzung“ gibt es nicht. Die Herausforderung besteht darin, die entsprechenden Kenntnisse und notwendigen Hilfsmittel zum Erhalt der Bodenfruchtbarkeit möglichst breit zugänglich zu machen, insbesondere in armen Regionen.

Erosion durch Wasser ist vor allem in Hanglagen ein Problem, bei starken Regenfällen kann der Boden weggespült werden. Von Winderosion sind besonders freie Flächen in trockenen Gebieten betroffen. Versalzung ist ein Problem bei bewässerten Flächen. Sie kann durch Drainagen und Tröpfchenbewässerung vermieden werden. Auslaugung entsteht, wenn dem Boden Nähstoffe und Mineralien, die von Pflanzen aufgenommen werden, nicht in ausreichendem Maße durch Düngung zurückgegeben wird. (Kunstdünger ist, nebenbei bemerkt, wie Matt Ridley kürzlich im Wall Street Journal erläuterte, eine wunderbare erneuerbare Ressource. Er wird aus Luft hergestellt und kehrt am Ende, wenn Pflanzen von Bakterien zersetzt werden, wieder in die Luft zurück.) Die Herstellung von Ammoniak mit Hilfe des Haber-Bosch-Verfahrens ist zwar energieintensiv, insgesamt entfallen in Westeuropa jedoch nur 5 Prozent des Energieverbrauchs auf die Landwirtschaft, einschließlich der Düngemittelproduktion. Bei einer Verdopplung der landwirtschaftlichen Erzeugung würde sich der Anstieg des Gesamtenergiebedarfs also im einstelligen Bereich bewegen. Eine Ausweitung der Düngemittelproduktion zur Erreichung besserer Erträge ist prinzipiell ökonomisch. Gleichzeitig ist der Einsatz von Düngemittel natürlich ein Kostenfaktor, so dass überall, wo mit modernen Methoden Landwirtschaft betrieben wird, der Einsatz mittlerweile stark reduziert wurde, in Deutschland hat sich der Verbrauch seit den 1980er Jahren fast halbiert. Überdüngung, die mit einigen negativen Auswirkungen auf die Umwelt einhergeht, wird im Westen fast nur noch durch die Viehzucht und das unnötige Ausbringen zu großer Mengen Gülle verursacht.

Als wichtigste Maßnahme zur Vermeidung von Erosion durch Wasser und Wind gilt die pflugarme oder pfluglose Bewirtschaftung. In einer Studie der FAO heißt es: „Conservation tillage, i.e. reduced or no tillage, is the key to sustainable arable land management as it protects the soil resources, increases the efficiency of water use and, of special importance in semi-arid areas, reduces the effects of droughts.“ Solcher „No till“-Anbau, auch als „Direktsaat“ bezeichnet, der weltweit schon auf 117 Millionen Hektar praktiziert wird und rapide zunimmt, wird besonders durch herbizidtolerante gentechnisch veränderte Sorten erleichtert. Anstelle den Boden mit dem Pflug aufzuwühlen, wird Unkraut durch ein Herbizid abgetötet, und es verbleibt als schützende Mulchschicht auf dem unbeschädigten Boden. Neben der Verhinderung von Erosion wird durch Direktsaat auch der Treibhausgasausstoß deutlich vermindert.

Böden sind kein limitierender Faktor. Aus Sicht der Landwirtschaft können wir heute ganz klar sagen, dass sie in der Lage sein wird, auch 10 Milliarden Menschen zu ernähren. Und falls wir uns entscheiden sollten, noch mehr Flächen der Erholung und dem Naturgenuss zu widmen, steht uns auch die Möglichkeit offen, die Agrarproduktion noch sehr viel weiter von der Bodennutzung zu lösen. Der Flächenbedarf ließe sich noch um Größenordnungen reduzieren, bis hin zur Variante des vom Acker gänzlich gelösten „Urban Farming“, wie es der Mikrobiologe Dickson Despommier von der Columbia Universität propagiert, bei dem in einem Hightech-Gewächshochhaus auf einer innerstädtischen Fläche von zwei Hektar so viel Nahrung produziert werden könnte wie auf 1000 Hektar Ackerland.

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