31.03.2011

Nato-Krieg gegen Libyen: Allianz ohne Plan und Humanismus

Analyse von Alexander Horn

Die militärische Intervention des Westens in Libyen ist falsch, illegitim und gefährlich, findet Alexander Horn. Ihr fehlt es an Plan und Strategie. Sie wird von gesellschaftlichen Stimmungen angetrieben. Die deutsche Antihaltung ist prinzipienlos. Die Libyer müssen sich selbst befreien

Der Bundesregierung, wie auch dem gesamten westlichen Lager fehlt jede Strategie im Umgang mit den Entwicklungen in den arabischen Ländern. Nirgends zeigt sich dies so deutlich wie im von NATO-Staaten forcierten Krieg in Libyen. Die Intervention wird vor allem von kurzsichtigen Motiven geleitet, die von gesellschaftlichen Stimmungen im Westen bestimmt sind. Bereits der internationale Abstimmungsprozess, der schließlich zur durch die UN-Resolution 1973 gedeckten militärischen Intervention in Libyen geführt hat, verrät die fehlende strategische Ausrichtung des Westens in Bezug auf diesen Krieg. Gleichzeitig wird einmal mehr seine Konfusion im Umgang mit den arabischen Aufständen offenbar.

Über einen längeren Zeitraum zeigten die westlichen Regierungen wenig Interesse, sich in die Kampfhandlungen zwischen Rebellen und dem Gaddafi-Regime hineinziehen zu lassen. Zu groß waren die Befürchtungen nach den Erfahrungen westlicher Interventionen in Somalia, Jugoslawien, Irak und Afghanistan erneut in einen Konflikt hineingezogen zu werden, der im Fiasko enden würde. Als sich das Blatt zuungunsten der Rebellen wendete, waren es einmal mehr die üblichen Wegbereiter westlicher Interventionen, die sich an vorderster Front für eine Flugverbotszone zum Schutz der Bevölkerung vor Gaddafi einsetzten. So forderte etwa der Chef der Grünen im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit, als einer der ersten die Durchsetzung einer Flugverbotszone aus humanitären Gründen.

Lange Zeit zeigten vor allem die USA wenig Begeisterung für eine Intervention. Doch dann wurden innerhalb von 24 Stunden durch die Kehrtwende der NATO-Führungsmacht Fakten geschaffen. Als sich die US-Regierung plötzlich für eine Flugverbotszone und die Bombardierung Gaddafis einsetzte, war der Weg für eine Militärintervention bereitet. Aber bis heute kursieren nicht nur bei den Franzosen, Briten und Amerikanern unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der richtigen militärischen Vorgehensweise oder Kommandostrukturen, sondern sogar über die grundlegende Frage nach den eigentlichen Zielen dieses Krieges. Sie reichen von der bloßen Durchsetzung des Flugverbotes über eine Unterstützung der Rebellen aus der Luft bis hin zur Absetzung Gaddafis. Letztere Forderung wird regelmäßig auch vom deutschen Außenminister Westerwelle bekundet: „Oberst Gaddafi muss abtreten“, lautet die unzweideutige Botschaft des Vizeregierungschefs eines Landes, welches weder an den Kampfhandlungen teilnimmt noch der UN-Resolution zugestimmt hat.

Die offenen Widersprüche in der Haltung der Bundesregierung reflektieren die Planlosigkeit des Westens am eklatantesten. Nach der deutschen Enthaltung zur Libyen-Resolution im UN-Sicherheitsrat, ist vom Außenminister über den sehr pauschalen Hinweis auf „politische und militärische Risiken“ hinaus keine konkretere Begründung für die deutsche Position vernehmbar gewesen. Im Gegenteil kann von einer deutschen „Position“ kaum gesprochen werden. Als Antwort auf die Kritik der NATO-Bündnispartner auf die fehlende Unterstützung des Libyenwaffengangs wurde von Seiten der Bundesregierung sofort beteuert, dass die militärischen Anstrengungen ihrer westlicher Verbündeter etwa durch AWACS-Aufklärungsflugzeuge oder zusätzliche Soldaten in Afghanistan militärisch unterstützt werden sollen. Auch sonst signalisierte Berlin vollkommene Zustimmung zum Vorgehen des Westens.

Aufgrund der westlichen Konzept- und Strategielosigkeit fällt es auch den Kritikern nicht leicht, für diesen Krieg eine plausible Begründung zu finden. Inzwischen wird von Kritikern aus Reihen der Partei DIE LINKE die Auffassung vertreten, dass in Libyen ein Krieg um Öl geführt würde. In Anbetracht der Abhängigkeit Libyens vom Ölverkauf und der Tatsache, dass der Westen Gaddafi vor kurzem noch als guten Geschäftspartner und Stabilitätsgaranten schätzte, eine wenig plausible Auffassung.

Das Fehlen eines klaren strategischen Ziels, geschweige denn eines klaren Kriegsziels geben ebenso Anlass zu großer Sorge, wie die erneute Missachtung des Völkerrechts durch die westliche Allianz, auf die der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel in der F.A.Z. hingewiesen hat. Die Politik des Westens wird immer unberechenbarer und ihre militärischen Manöver können eine unvorhersehbare Dynamik entfalten. Es ist längst nicht abgemacht, dass die westliche Allianz nicht irgendwann doch mit Bodentruppen agiert, wo inzwischen bereits über die Bewaffnung der Rebellen gestritten wird und CIA-Agenten im Land agieren. Der Bürgerkrieg in Libyen wird so immer weiter internationalisiert und die Kriegsparteien in Libyen verkommen dadurch immer mehr zu Marionetten westlicher Launen und kurzsichtiger Spielereien. Denn in der gegenwärtigen Situation spielt gerade kurzatmiger und in nicht geringem Maße innenpolitisch motivierter Aktionismus eine wesentliche Rolle. Die Position Frankreichs verdeutlicht diesen Trend sehr eindrucksvoll.

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy verfolgt seine eigene zynische Agenda in Libyen. Seit Wochen treibt Frankreich, das sich gegenüber den arabischen Diktatoren als der wohl international größte Wendehals geriert, die Eskalation des Konfliktes maßgeblich an. Vor wenigen Wochen musste Sarkozy die französische Regierung umbilden und einen unbelasteten Außenminister präsentieren, nachdem sich einzelne Minister öffentlich mit einigen arabischen Despoten gemein machten und als deren Günstlinge enttarnt wurden. Hierfür geriet Sarkozy im Vorfeld der wichtigen Kommunalwahlen innenpolitisch stark unter Druck und wurde an den Wahlurnen abgestraft. Mit Blick auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr hofft Sarkozy nun offenbar, durch die Rolle des Kriegsherrn in einem „gerechten Krieg“ sein ramponiertes Ansehen im Inland zu verbessern und auf internationaler Bühne für Frankreich eine Führungsrolle im Mittelmeerraum zu reklamieren. Dieser Versuch erscheint bisher umso vielversprechender, da andere westliche Staaten weit weniger Interesse an einer fortgesetzten militärischen Eskalation bekundeten– mit Ausnahme des sich ebenfalls bellizistisch gebärdenenden Großbritanniens unter dem krampfhaft um staatsmännisches Profil ringendem Premier James Cameron. Da und dort dient die Rhetorik der Menschrechte zur Legitimierung der Kriegspolitik. In Frankreich tat sich dabei der Philosoph und ehemalige Irakkriegsbefürworter Bernard-Henri Levi besonders hervor. Er forderte Sarkozy zur Anerkennung der Rebellenregierung und zu einem humanitären Militäreinsatz auf. Manche Kommentatoren feiern ihn sogar als eigentlicher Treiber hinter der UN-Resolution.

Auch in Deutschland sind es vor allem die „Menschenrechtler“ innerhalb und außerhalb der Politik, die in Anbetracht der Konfusion der Bundesregierung einen immer stärkeren Einfluss auf das Geschehen ausüben. Auch scheint der humanitäre Schein der militärischen Intervention umso plausibler, wenn es schwer erscheint nachvollziehbare geostrategische Interessen des Westens nachzuweisen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass etwa der Grünen Politiker Tom Königs, Chef des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, sich als einer der vehementesten Kritiker der Bundesregierung geriert. Die Deutschen sieht er seit der UN-Abstimmung im Konzert mit China und Russland als „oberste Bedenkenträger“. Stattdessen solle Deutschland, „den nordafrikanischen Nachbarn klarmachen, dass wir für den Schutz der Zivilbevölkerung einstehen, auch wenn es schwierig wird.“ Auch der Parteichef der Grünen, Cem Özdemir sowie die Fraktionschefin der Grünen, Renate Künast, kritisierten die Enthaltung der Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat scharf und fordern eine wesentlich härtere Linie. Özdemir betonte, dass Deutschland an der Seite der Demokratiebewegung, statt auf der Seite Russlands und Chinas stehen müsse. Es gehe darum ein klares Signal an Libyens Staatschef Gaddafi zu senden. Es ist beeindruckend wie hartnäckig versucht wird, den humanitären Schein des Krieges gegen Gaddafi aufrechtzuerhalten während jeder tagtäglich in der Presse noch immer die Folgen der ebenso als humanitäre Interventionen bezeichneten Kriege in Irak und Afghanistan beobachten kann.

Der ganze Zynismus im Umgang mit den Volksaufständen in den arabischen Ländern zeigt sich jedoch im Umgang mit den Menschen. Während die „Revolutionen“ allenthalben mit großen Worten gewürdigt werden, überwiegt die Skepsis gegenüber den Menschen. Besonders deutlich wird dies im Hinblick auf die destabilisierende Wirkung, die von den politischen Umwälzungen ausgeht. Mit äußerster Sorge beobachtetet und konterkariert die EU die Versuche der Menschen aus ihren Heimatländern zu fliehen. Entgegen aller Worthülsen, ist die größte Sorge der Europäer nach wie vor eine „Flucht biblischen Ausmaßes“, wie der italienische Außenminister vor kurzem bekundete. Es geht den Europäern vor allem um die Gewährleistung der Sicherung der EU-Außengrenzen. Italien, das mit der Bewältigung der Flüchtlingsproblematik gegenwärtig alleine gelassen wird, hat der neuen tunesischen Regierung nun Geld angeboten, wenn sie den Flüchtlingsstrom effektiv eindämmt. Während die Menschen offenbar bleiben sollen, wo sie sind, werden kaum Anstalten unternommen den neuen Demokratien moralisch, politisch oder wirtschaftlich die Hand zu reichen. Anstatt dem demokratischen Aufbruch massive Unterstützung zuzusagen, neue Wirtschafts- und Infrastrukturprojekte zu initiieren oder etwa Energieprojekte wie Desertec zu forcieren, sind westliche Politiker- z.B.  Westerwelle, der vor wenigen Wochen in Tunesien und in Ägypten weilte - geradezu erpicht darauf, sich mit den nach Demokratie strebenden Menschen zu zeigen, um sich selbst einen positiven Anstrich zu verpassen. Der Bundesregierung liegt offenbar wenig daran, die konkreten Bedürfnisse zum wirtschaftlichen Aufbau und zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu erfragen. Die vorläufigen Hilfszusagen der Bundesregierung von insgesamt jeweils 3,2 Millionen EURO für „Demokratieförderfonds“ für diese Länder laufen im Gegenteil darauf hinaus, den Menschen zu erklären, wie Sie sich im Sinne westlicher Vorstellungen verhalten sollten. Daran ändert auch ein auf 100.000 EURO dotiertes Austauschprogramm für tunesische Akademiker wenig. Diese Herangehensweise ist umso fragwürdiger, wenn man sich vor Augen führt, welche Rolle auch die EU und Deutschland spielen könnten, um den Demokratiebewegungen in den arabischen Ländern durch entsprechende Angebote und Hilfe zusätzlichen Auftrieb zu geben. So aber beeinflusst der Westen den Aufstand in Libyen in entsprechend negativer Art und Weise und zeigt, dass er an einer dynamischen Bewegung weder in Libyen noch in den anderen arabischen Ländern ein originäres Interesse hat. Auch die allenfalls verhaltene Kritik gegen das militärische Eingreifen des monarchistischen Saudi-Arabien im ebenfalls monarchistischen Bahrein offenbaren, wo die westlichen Regierungen tatsächlich stehen.

Der Gang der weiteren Entwicklung in Libyen ist schwer zu prognostizieren. Es ist aber jetzt schon sicher, dass der Krieg die Libyer zu Opfern westlicher Ambitionen macht. Die demokratische Initiative, die die Libyer mit ihrem Aufstand übernommen haben, wird durch die gegen die Menschen gerichtete Politik zunehmend frustriert und zurückgedrängt werden. Die zynische westliche Politik wird auch zu einer zunehmenden Destabilisierung der arabischen Welt beitragen. Die militärische Allianz, die auf alles andere als humanitäre Hilfe ausgerichtet ist, muss ihren Krieg sofort beenden. Die Befreiung Libyens von dem Despoten Gaddafi muss die Sache der Libyer selbst sein.  Während wir dies fordern, sollten wir für die uneingeschränkte Solidarität mit den Menschen und für massive wirtschaftliche und politische Unterstützung der Demokratiebestrebungen in Arabien eintreten.

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