16.11.2011

Michael Bloombergs Kreuzzug gegen Limonade

Kommentar von Nathalie Rothschild

Mit seinem Kampf gegen Tabak, Fastfood und Limonade beschneidet der gesundheitsbesessene Bürgermeister New Yorks individuelle Freiheiten. Die Prohibition feiert ihr Comeback ausgerechnet in einer Stadt, die weltweit lange als Inbegriff der Freiheit und des Hedonismus galt

In den Vereinigten Staaten ist die Prohibition der 1920er Jahre plötzlich wieder hochaktuell. Auf PBS lief im Oktober die dreiteilige Doku-Serie „Prohibition – The noble experiment“, und HBO strahlte die zweite Staffel seiner Drama-Serie „Boardwalk Empire“ aus, die im Atlantic City der Prohibitionszeit spielt. Doch nicht nur im Fernsehen feiert die Prohibition, der 1932 aufgehobene achtzehnte Zusatz zur US-Verfassung aus dem Jahr 1919, derzeit fröhliche Wiederauferstehung. Auch Politiker wie der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg tun ihr Bestes, um den „Trunk des Bösen“ zu bannen.

Ein uneingeschränktes Alkoholverbot steht zwar nicht auf Bloombergs Agenda, doch er und sein enger Mitstreiter, Gesundheitsdezernent Dr. Thomas A. Farley, haben ihr Visier auf ein süßeres Ziel gerichtet. Kurz nachdem sie im letzten Jahr eine Limonadensteuer [1] befürwortete, reichte die Stadt New York beim US-Landwirtschaftsministerium (USDA) einen Antrag ein, der es Armen verbieten sollte, mit Lebensmittelmarken zuckerhaltige Getränke zu erwerben. Diese Initiative ist Teil des Plans des Gesundheitsfreak-Duos Bloomberg-Farley, New York in einen schlankeren, saubereren und grüneren Ort zu verwandeln. Anders gesagt: Ihre Mission ist es, eine Stadt so richtig keimfrei zu machen, die einst für ihre Haltung, sich keinen Bockmust aufhalsen zu lassen, weltweit bekannt und beliebt war. Also hinweg mit den Autos und her mit den Fahrrädern, fort mit den Burgern und her mit den Müsliriegeln. Letzte Woche sagte Bloomberg gar vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen [2], es sei „die höchste Pflicht“ von Regierungen, „gesunde Lösungen zur sozialen Norm zu machen.“

Seine Limonaden-Prohibition wollte der Bürgermeister als zweijähriges Pilotprojekt durchführen, um herauszufinden, wie sie sich auf Gesundheitsprobleme auswirken würde. Er und Farley vermuteten [3], dass das Unterbinden des Limonadegenusses unter finanzschwachen Bürgern „mehr dazu beitragen könnte, die Menschen vor den schädlichen Folgen vermeidbarer Krankheiten wie Diabetes und Fettleibigkeit zu schützen, als alle anderen Mittel, die derzeit anderswo im Lande diskutiert werden, was zudem den Steuerzahler wenig oder gar nichts kostet.“

Der Antrag wurde allerdings im August vom Landwirtschaftsministerium abgelehnt, das ihn als „zu umfassend und komplex“ befand, um ihn umzusetzen und zu bewerten. Als Alternative schlug ein Vertreter des Ministeriums vor [4], die Stadt solle andere Anstrengungen unternehmen, um den Konsumenten „gesunde Entscheidungen“ nahezubringen.

Natürlich waren Bloomberg und Farley über die Aussicht enttäuscht, dass es den Armen weiter frei stehen soll, ihre Lebensmittelmarken für Zeug zu verschleudern, dass sie gerne haben. Und an diesem Punkt treten zwei Wissenschaftler zur Verteidigung unseres Duos an. In einem Beitrag im Journal of the American Medical Association [5] argumentieren Kelly D. Brownell und Dr. David S. Ludwig, die US-Bundesregierung solle bitte wenigstens selbst eine Studie zum Thema durchführen, wenn sie es gewählten Politikern schon nicht erlaube, ihre Theorie zu testen, dass die Gesundheit der Amerikaner sich verschlechtern werde, wenn die Armen weiter zuckerhaltige Getränke kaufen.

Doch die Limokrieger sollten nicht zu deprimiert sein. Schließlich hat das Landwirtschaftsministerium lediglich festgestellt, dass Bloombergs Eingabe in ihrer jetzigen Form zwar unpraktikabel und ihr möglicher Erfolg schwer zu bemessen ist, den dahinterstehenden Kerngedanken aber im Wesentlichen akzeptiert. Dazu gehört insbesondere die Vorstellung, dass städtische Behörden sich damit beschäftigen sollen, was die New Yorker konsumieren, dass sie Menschen „anregen“ sollen, die „richtigen“ Entscheidungen zu treffen und sie von den „falschen“ abhalten und dass es Bloomberg, Farley und ihresgleichen zukomme, festzulegen, welche nun die richtigen und die falschen Entscheidungen sind.

In seiner Eigenschaft als New Yorker Bürgermeister hat Bloomberg Kriege gegen alles Mögliche geführt, vom Tabak – Rauchverbote in der Öffentlichkeit, einschließlich Parks und Stränden – bis zu Transfetten und Salz. Die Filialen der großen Restaurantketten in New York sind jetzt verpflichtet, ihre Kunden über Kalorienzahlen zu informieren. Und natürlich geschieht das alles nur zum Besten der New Yorker. Dabei maßt man sich herablassend an, uns nach seinem Bilde umzuformen, dem Bilde des modisch dürren, langweilig-anständigen, kalorienzählenden Herrschers von New York.

Joel Berg, Geschäftsführer der New Yorker Anti-Hunger-Koalition, hat es treffender formuliert als das Landwirtschaftsministerium, als er sagte [6], das Limonadenverbot sei nicht nur „ein Irrweg und impraktikabel“, sondern beruhe obendrein „auf der falschen Annahme, die Armen seien irgendwie unverständig oder kulturell minderwertig“. Berg betrachtet den Versuch, den Empfängern von Lebensmittelmarken die Limonade abzugewöhnen, als Versuch, das Mikromanagement der Lebensgewohnheiten der Armen zu übernehmen. Voller Snobismus wird unterstellt, dass Bürger mit geringem Einkommen nicht wissen, was gut für sie und ihre Familien ist, und dass sie – wie Kinder, die Taschengeld erhalten – klare Regeln brauchen, wofür sie ihre Lebensmittelmarken verwenden dürfen und wofür nicht.

Bloomberg und seine Co-Gesundheitszaren zeigen in der Tat eine widerwärtige Obsession für die Gewohnheiten der Armen. So lehnte beispielsweise das US-Landwirtschaftsministerium 2004 eine offizielle Anfrage aus Minnesota ab, die darauf abzielte, Beziehern von Lebensmittelmarken den Kauf von Junkfood zu untersagen [7]. Und im Sommer 2008 führte Bloomberg ein sogenanntes „Gemüsewagen-Programm“ [8] ein, um mit Obst und Gemüse gefüllte Verkaufswagen auf die Straßen zu bringen. Dieser Plan zielt insbesondere auf die ärmeren Gegenden ab, wo die Vollwertküche keine Chancen hat und die bevorzugten Mahlzeiten eher vor Fett triefen als vor ernährungsmoralischer Selbstgefälligkeit.

So riecht der Limonadenverbots-Entwurf nach herablassendem Snobismus. Bloomberg hat etwa kein Pilotprojekt lanciert, um herauszufinden, wie eine Beschränkung des Latte-Konsums der Mittelschicht geeignet wäre, Leben und Geld zu retten – obwohl z.B. ein Vollmilch-Kaffee-Latte bei Starbucks mehr Kalorien enthält [9] (200 Kalorien in Portionen von ca. 340 Gramm) als ein Limonadengetränk (124–189 Kalorien). Selbst bei Verwendung von fettarmer Milch schlägt ein Kaffee-Latte noch mit 120 Kalorien zu Buche – und das ohne Zucker oder Schokostreusel.

Bedauerlicherweise kann man sich über die Ablehnung von Bloombergs Vorhaben nur mit Einschränkungen freuen, da gleichzeitig das Prinzip abgesegnet wurde, politische Entscheidungsträger hätten das Recht oder gar die Pflicht, uns die kleinen Freiheiten wegzunehmen, unser Leben bis ins kleinste Detail zu managen und uns auf die Übernahme des Lebensstils hinzusteuern, den die keuschen Spaßbremsen im Rathaus pflegen.

Während die amerikanische Verfassung eine wahre Ode an die Freiheit ist, ging es beim 18. Verfassungszusatz darum, Freiheiten zu beschränken. Wenn politische Entscheidungsträger heute behaupten, dass ihre höchste Pflicht sei, kleinliche aber drastisch freiheitsbeschränkende Entscheidungen darüber zu treffen, was wir essen und wie wir aussehen, erlebt der moralisierende, freiheitserstickende Geist der Prohibitionsära gerade ein Comeback.

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