09.01.2023

Männer – was sind das eigentlich für Leute?

Von Jan Henrik Holst

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Foto: Pexels via Pixabay / CC0

Männer sind ein janusköpfiges Geschlecht: Sie stehen für „toxische Männlichkeit“ genau wie für die größten Errungenschaften der Menschheit. Letzteres wird heutzutage oft übersehen.

Wenn irgendwo ein Amoklauf geschieht, war es so gut wie sicher ein Mann; das lehren uns die Nachrichten all der vergangenen Jahre. Dabei ist es gleichgültig, ob die Meldung aus den USA, Südkorea, Deutschland oder Finnland kommt: Es war ein Mann. Wenn Morde verübt werden, sind weit häufiger Männer als Frauen die Täter. Auch bei Sexualstraftaten, ob an Erwachsenen oder Kindern, sind die Männer leider klar vorne, und so ließe sich die Reihe noch für ein paar weitere Verbrechen fortsetzen. All das ist unbestreitbar, empirisch belegbar, und die Lebenserfahrung sagt nichts anderes.

Frauen sind bei all diesen Untaten durchaus auch dabei, aber in weit geringerem Umfang – bei Amokläufen sind sie sogar in derart drastischer Form unterrepräsentiert, dass man sich schon fast Sorgen um die Gleichberechtigung machen muss. Männergefängnisse existieren in weitaus größerem Ausmaß als Frauengefängnisse, und das liegt nicht etwa daran, dass sich Frauen seltener erwischen lassen, sondern es hängt tatsächlich mit den zugrundeliegenden Straftaten zusammen. Auch unterhalb der Ebene schwerwiegender Straftaten setzt sich das Bild fort: Physische Gewalt in Partnerschaften geht öfter von Männern als von Frauen aus, und auch bei Problemen wie allzu aufdringlichem Baggern und Stalking liegen die Männer vorne.

Durch die Geschlechterdiskussion geistert nun heutzutage der Begriff der „toxischen Männlichkeit". (Er hat es auch zu einem Wikipediaeintrag geschafft.) Will man seinen Diskussionspartner ernst nehmen, so kann man ja durchaus einmal versuchen, sich darunter etwas vorzustellen, und wird vielleicht zu dem Ergebnis gelangen, dass die starke Überrepräsentanz der Männer bei den oben genannten Untaten und Fehlleistungen gemeint sein könnte. Ein Bezug ist nicht abzustreiten – jedoch liegen die Dinge etwas komplizierter. Drei Anmerkungen sind fällig.

„Die reine Tatsache einer Gruppenzugehörigkeit, für die man nichts kann, lädt einem keine Schuld auf.“

Erstens sind eben auch Frauen zu einigem fähig. Zum Beispiel können sie durch Manipulation und Intrigen Männer zu etwas anstiften, waschen sich dann die Hände in Unschuld und sind es selber nicht gewesen. Zudem können sie etwas auch selbst erledigen, bis hin zu den schlimmsten Dingen. Das alles ist ein weites Feld, aber ein anderes. So interessant auch weitere Ausführungen dazu wären: Es soll an dieser Stelle stattdessen um Männer gehen.

Sippenhaft für Männer

Zweitens geht mit dem Verwenden des Begriffs „toxische Männlichkeit" gewöhnlich einher, dass diese irgendwie mit allen Männern zu tun habe, und damit nicht nur denjenigen innewohne, die sich danebenbenehmen. Genaueres bleibt zwar nebulös, aber die trendige Phrase suggeriert, Männlichkeit an sich sei toxisch. Dann hängen auch alle Männer da drin, logisch. Da gilt es jedoch einzuhaken und zu warnen.

Denn es dürfen nicht die Männer in ihrer Gesamtheit in Sippenhaft genommen werden. Der allergrößte Teil der Männer ist nicht mit von der Partie. Hier liegt der Irrtum des Zuweisens von Kollektivschuld vor. Dieser Irrtum resultiert aus einem Gruppendenken, das auch in anderen Bereichen heute sein Unwesen treibt. Weiße werden für den Kolonialismus des 19. Jahrhunderts in Haftung genommen, Juden mit dem Staat Israel in Verbindung gebracht, auch wenn sie dort nicht leben. Im Fall der Geschlechter besagt das Gruppendenken, dass, wenn ein Exemplar Mann durchgedreht ist, es irgendwie wieder alle gewesen seien, auch derjenige, der lediglich vorm Fernseher zu viele von den Schnittchen weggefuttert hat. Der überwiegende Teil der Männer lehnt die Gewaltausübung und die ganzen traurigen Taten ab, aber ganz entschieden! Und diese Männer müssen sich auch nicht entschuldigen, denn sie tragen keine Schuld: Die reine Tatsache einer Gruppenzugehörigkeit, für die man nichts kann, lädt einem keine Schuld auf. Schon ein Verschieben des Betrachtungswinkels von der Gruppe auf das Individuum wirkt Wunder.

Es muss etwas faul sein, wenn die Schuld weniger Männer auf alle extrapoliert wird. Dennoch wird argumentiert: Toxische Männlichkeit schlummre in jedem Mann, und es sei eigentlich nur eine Frage des Zeitpunkts, wann sie vulkanartig ausbricht und ihr Unheil vollbringt. Falls diese nicht ausbricht, sei das lediglich Glück zu verdanken. Das Gift ist omnipräsent, aber latent; Männer sind demnach Wölfe in Schafspelzen. Vermutlich aber trifft nicht einmal dies, dieser Umweg ins Theoretische und Spekulierende, zu. Die meisten Männer meistern ihr Leben, ohne größere Mengen an Mist zu bauen.

„Bei allen Unzulänglichkeiten kann der Mann keine prinzipielle Fehlkonstruktion der Natur sein, denn sonst wäre er in der Evolution nicht so geworden, wie er ist.“

Denn bei allen Unzulänglichkeiten kann der Mann keine prinzipielle Fehlkonstruktion der Natur sein, denn sonst wäre er in der Evolution nicht so geworden, wie er ist. Selektion sortiert vieles aus. Zudem hatten über Jahrmillionen die Weibchen durch die Partnerwahl einen Einfluss darauf, welche Männchen einen Reproduktionsvorteil genießen. Wahr ist, dass noch aus der Zeit des Höhlenmenschen Aggression und Kraft im Mann genetisch verankert sind, aber diese sind eben notwendig, um zum Beispiel einen Säbelzahntiger zu erlegen oder irgendein heutiges Pendant, zum Beispiel in Form körperlich schwerer Arbeit, zu meistern. Das ist nicht gleichzusetzen mit Fehlverhalten.

Fazit: Toxische Männlichkeit ist ein real existierendes Phänomen, aber sie ist nur dort zu konstatieren (und zu brandmarken), wo sie tatsächlich vorliegt. Sippenhaft ist nicht nur unfair, sie verkennt die biologischen Fakten rund um die Natur des Mannes.

Fortschritt und Errungenschaften

Drittens liegt ein Problem darin, wenn Gewalt, Straftaten und sonstiges Fehlverhalten die einzigen Assoziationen sind, die mit dem Geschlecht „männlich" verbunden werden. Es gibt nämlich das hochinteressante Faktum, dass auch die Fortschritte in der Menschheitsgeschichte ganz überwiegend von Männern erreicht wurden. Das führt uns gedanklich auf ganz neues Terrain und erfordert daher die bei weitem ausführlichste Diskussion der drei Punkte.

Zunächst einmal dazu, was gemeint ist. Beispielsweise ist der weitaus größte Anteil der naturwissenschaftlichen und mathematischen Erkenntnisse auf Männer zurückzuführen, z. B. zum Aufbau des Universums oder zur Infinitesimalrechnung (Analysis). Gleiches gilt für Entdeckungen und Erfindungen wie Auto oder Telefon, ohne die wir die moderne Zivilisation nicht erreicht hätten; das gilt auch noch mehrheitlich für die jüngsten rund um Computer und Internet. Hinzu kommen medizinische Fortschritte, von denen alle, Männer und Frauen, profitieren.

Es lässt sich beobachten, dass diese Erfolge mit Wesenszügen zusammenhängen, die bei Männern bevorzugt vorkommen. Männer machen immer etwas, bauen Geräte zusammen und auseinander. Das sind manchmal die Vorboten von Erfindungen später im Leben. Schon als Teenager fiel mir auf, dass in meinem Umfeld viele Jungs Rock-Musik machten, zu dem Zweck also Keyboards, E-Gitarren und so fort erwarben und zu hantieren lernten, Mädchen jedoch nicht. Sie wären jedoch willkommen gewesen; daran wäre es nicht gescheitert. Auf der Bühne wäre es ja später durchaus interessanter gewesen, wenn da nicht nur Jungs gestanden hätten. Später kauften sich junge Männer Sequencer-Programme und sogenannte Module, mit denen man nach schwieriger Einarbeitung – da war viel gefordert – elektronische Tanzmusik produzieren konnte. Junge Frauen taten so etwas nicht.

„Es gibt einen Unterschied zwischen gleichen Chancen und gleichen Ergebnissen; erstere führen nicht automatisch zu letzteren.“

Dies sind banale, aus persönlicher Erfahrung stammende Beispiele, aber der dahinter stehende Tatendrang – oft gepaart mit Wagemut und Unbeirrbarkeit –, ist relevant, der sich auch auf vielfältige andere Art äußern kann. Natürlich gibt es Fälle, in denen es anders ist und in denen auch Frauen extrem analytisch vorgehen und zu Ergebnissen kommen. Es geht jedoch um die statistischen Verhältnisse: Das kommt eher bei Männern vor. Auch kommen Forschungsergebnissen zufolge sowohl sehr hohe als auch sehr niedrige Intelligenz eher bei Männern vor.

Wir haben also zum einen den Zusammenhang zwischen Männern und Untaten, daneben aber einen zweiten Zusammenhang zwischen Männern und positiven Errungenschaften. Sie heben sich nicht auf und sind nicht einmal Gegensätze, sie bestehen jedoch beide. Das zweite entschuldigt oder rechtfertigt das erste nicht, aber das zweite steht als etwas Interessantes neben dem ersten. Männlichkeit ist übrigens eine facettenreiche Sache, und es gibt vielleicht auch noch ein drittes Forschungsfeld, ein viertes und weitere an ihr zu finden, aber das kurioseste Spannungsfeld ist somit wohl freigelegt. Auch können sich Kreativität und Böses in einer Person vereinigen. Was Männer für Leute sind, das ist sehr heterogen.

Überrepräsentierte Männer

Dieser zweite Zusammenhang, die zwischen Männern und positiven Errungenschaften, ist nun weit weniger im Blickfeld und allgemein anerkannt. In unserer heutigen Zeit wirkt es geradezu so, als sei er gar nicht vorhanden.

Nobelpreise z.B. gehen mehr an Männer als an Frauen. Wenn Männer und die erwähnten positiven Errungenschaften in einem Zusammenhang zueinander stehen, stellt sich die Frage nach der Ursache. Manche antworten: Jaaaa, aber Frauen hätten nicht die Gelegenheit zu den großen Entdeckungen gehabt, sie sei ihnen nicht gegeben worden. Das ständige Diskriminieren und Unterdrücken in der Menschheitsgeschichte habe verhindert, dass Frauen ähnliche Leistungen erreichten. Frauen wie die Naturwissenschaftlerin Marie Curie sind dann die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Es könnte etwas Wahres dran sein; deswegen bin ich ein Verfechter dessen, dass Frauen genau die gleichen Chancen bekommen wie Männer und dass das Geschlecht keine Rolle spielt. Nur so nutzen wir das ganze in der Gesellschaft vorhandene Potential. Jedoch ist das in westlichen Ländern schon lange der Fall, und man rennt mit der Aussage offene Türen ein. Zudem gibt es einen Unterschied zwischen gleichen Chancen und gleichen Ergebnissen; erstere führen nicht automatisch zu letzteren. Wir werden sehen, wie sich die Dinge in den folgenden Jahrzehnten entwickeln, aber es ist gut möglich, dass sich nicht wesentlich etwas daran ändert, dass im Segment großer Leistungen mehr Männer vertreten sind.

„Der Glaube, der Mensch sei hinsichtlich seiner Erbanlagen tabula rasa und demzufolge durch die Gesellschaft beliebig formbar, ist ein Irrtum.“

Denn es spricht vieles dafür, dass biologische Ursachen eine Schlüsselrolle für den empirischen Befund spielen. Drang zu Analysen und zu Taten, besonders in ihren Extremformen, treten eher bei Männern auf. Da kann man noch so sehr einen „Girl‘s day" veranstalten (einen Tag, an denen Mädchen Berufe nahegebracht werden sollen, die häufiger Jungs interessieren) und „Gender mainstreaming" betreiben (die forcierte Konvergenz der Geschlechter). Der Glaube, der Mensch sei hinsichtlich seiner Erbanlagen tabula rasa und demzufolge durch die Gesellschaft beliebig formbar, ist ein Irrtum. Wenn sich von selbst bei jemandem geschlechtsuntypische Interessen bilden, ist dies natürlich völlig in Ordnung und soll auch gefördert werden. In einer freien, produktiven Gesellschaft darf jeder so sein, wie er will, auch wenn dies nicht Stereotypen entspricht. Die geschilderte statistische Gesamtbilanz wird das aber nicht abschaffen.

Man soll nichts herbeizwingen und nicht einmal etwas erwarten, was nicht eintreten wird. Man wünschte sich glatt, das Geschilderte wäre anders, da wir dann weniger Konfliktpotential in der Gesellschaft hätten. Einflussreiche geistige Strömungen heute leben von Wunschvorstellungen darüber, wie die Welt sein müsste, und peitschen dann alles zur Seite, was nicht in den Kram passt. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert.

Bei den Untaten von Männern wird viel eher zugestanden, dass sich da archaische, biologische Dinge Bahn brechen. Warum sollte es nicht auch in einem positiven Bereich so sein? Der einzige Grund, dies abzulehnen, könnte doch nur auf ein Weltbild zurückzuführen sein, das bewusst oder unbewusst Männern nichts Positives zutraut. In diesem Weltbild taugen Männer zu Gewalttätern, aber nicht zu Wohltätern. Wie gefährlich solches Denken ist, ist vielerorts noch gar nicht erkannt worden.

„Das Hauptproblem liegt in unserer eigenartigen Zeit. Aber auch aus dieser wachsen wir wieder heraus.“

Es scheint eher, dass die Geschlechter in der Geschichte meistens kooperiert haben – das ist viel klüger für die Horde oder die Gemeinschaft, das galt schon zu Zeiten des Höhlenmenschen. Es wäre auch heutzutage besser – wir bekommen es in der gegenwärtigen Phase nur nicht so gut hin. Stattdessen haben wir die Geschlechter verbal und oft auch juristisch separiert und dann gegeneinander aufgehetzt und ausgespielt.

Die herausgearbeitete Janusköpfigkeit ist ein interessantes Faktum, wenn man sich mit dem Thema Männer beschäftigt. Es ist eine Aufgabe der Gesellschaft, das Ausmaß toxischer Ereignisse, nennen wir sie mal so, so weit wie möglich zu minimieren. Das heißt auch nicht, dass man den Bezug zur Männlichkeit nicht thematisieren dürfe.

Auf der anderen Seite darf man sich vielleicht auch einmal darüber freuen, was an Fortschritten erzielt worden ist, bei denen Männer die größere Rolle gespielt haben. Das kann so interpretiert werden, dass in Männern eine Ressource für die Menschheit liegt. Die Evolution hat sie uns an die Hand gegeben – verspielen wir sie nicht. Dazu brauchen wir selbstbewusste Männer und nicht zusammengefaltete. Manche Männer brauchen auch eine Identifikationsmöglichkeit, eine Art positiven Fingerzeig: Das und das kann man auch alles aus seinem Leben machen.

Ein Anerkennen der Natur – das wäre eine Leistung unserer Gesellschaft. Sie passt nicht in unsere Zeit und ist vielleicht beim gegenwärtigen Stand der Ereignisse nur schwer vorstellbar. Sie sollte aber irgendwann kommen. Denn das Hauptproblem liegt in unserer eigenartigen Zeit. Aber auch aus dieser wachsen wir wieder heraus.

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