06.11.2017

Männer brauchen keine Männerrechtler

Von Tom Slater

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Foto: Pexels via Pixabay / CC0

Männerrechtsaktivisten beschwören einen Geschlechterkampf und inszenieren Männer pauschal als Opfer. Tatsächlich benachteiligten Männern aus der Arbeiterschicht hilft das nicht weiter.

Seit mindestens 50 Jahren sprechen Journalisten, Publizisten und Aktivisten von einer „Krise der Männer“. Diese Krise ist inzwischen eine Art Running Gag geworden. Etwa alle zehn Jahre erscheint eine neue Schar von Büchern auf dem Markt, die sich mit der Verfassung unserer Jungen und Männer auseinandersetzen. Aktuell befinden wir uns wieder inmitten eines solchen Zyklus. Seit der Finanzkrise 2008 gelten Männer – zumindest in Kreisen, die nicht extrem feministisch sind – als die maßgeblichen Verlierer der schwachen wirtschaftlichen Lage. Der Finanzcrash hat alte Sorgen um den scheinbaren Niedergang der Männer, ihre Sinnkrise in einer „post-patriarchalischen“ Gesellschaft, wiederaufleben lassen.

Hanna Rosin beschreibt in ihrem Buch „The End of Men“, wie die Finanzkrise die amerikanische Mittelklasse aushöhlte, Männer und Frauen davon aber unterschiedlich betroffen waren. Nach Rosin beschleunigte die Krise bestimmte ökonomische Tendenzen, die offenbar Männern zum Nachteil reichten, während sie Frauen eher nutzten. Seit 2000 gingen in der US-Wirtschaft über sechs Millionen Arbeitsplätze im Produktionssektor verloren. Im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie im Dienstleistungssektor – Bereiche, die von Frauen dominiert werden – gab es hingegen einen Jobzuwachs.

Dadurch, schreibt Rosin, verloren Männer zunehmend an Halt, während es Frauen überlassen war, „die Scherben aufzukehren“. Das langfristige Schrumpfen der produzierenden Industrie geht Hand in Hand mit dem Anstieg arbeitender Frauen und dem Rückgang männlicher Erwerbstätigkeit.

„Die ‚Krise der Männer‘ ist inzwischen eine Art Running Gag geworden.“

Gemäß dem amerikanischen Bundesamt für Statistik (ONS) stieg in den Jahren von 1971 bis 2013 die Erwerbsquote der Frauen von 53 auf 67 Prozent, während sie bei den Männern von 92 auf 76 Prozent zurückging. (In der Bundesrepublik Deutschland verlief die Entwicklung ähnlich.) Laut dem ONS ist dies nur teilweise auf den Abbau von Eintrittsbarrieren für Frauen zurückzuführen. Das Ende der Ungleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz und die Angleichung ihrer Gehälter erklären diese Zahlen demnach nicht vollständig. Vielmehr scheint der Rückgang des männlich dominierten produzierenden Sektors – beginnend in den 1960er Jahren – den größten Anteil am Rückgang der männlichen Erwerbstätigkeit zu haben.

Allerdings geht es um mehr als nur das Phänomen von mehr sogenannten „Frauenberufen“ und weniger „Männerberufen“. Innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten haben Frauen traditionelle Männerberufe erobert. Laut der amerikanischen Arbeitsstatistik besetzten Frauen 2011 51,4 Prozent der Führungs- und anspruchsvollen Fachpositionen, 61,3 Prozent der Stellen im Rechnungswesen sowie etwa die Hälfte aller Positionen im Bank- und Versicherungswesen. Die Entwicklungen deuten darauf hin, dass Frauen Männer in der Medizin schon sehr bald zahlenmäßig übertreffen werden. Dies spiegelt ein Phänomen wider, das Rosin als jenes der „Gummifrauen“ und „Pappmänner“ bezeichnet. Demnach sind Frauen flexibel, anpassungsfähig und ergreifen eher neue ökonomische Chancen, während Männer erstarrt scheinen und sich gegenüber Veränderungen verweigern.

Die Veränderung westlicher Arbeitsmärkte bedingt eine höhere Nachfrage nach Arbeitskräften mit universitärer Ausbildung – und auch hier fallen Männer notorisch zurück. Aktuellen Zahlen aus Großbritannien zufolge besuchen Frauen inzwischen mit einer 35 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit eine Universität als Männer. Am schlechtesten schneiden hier Jungen aus der weißen Arbeiterschicht ab – gerade einmal 8,9 Prozent gehen zur Uni. Im Zuge weniger Generationen hat sich im Hochschulbereich das Geschlechterverhältnis faktisch umgekehrt. An einigen US-Colleges denkt man sogar darüber nach, das Konzept der positiven Diskriminierung auch auf männliche Bewerber anzuwenden.

„Im Zuge weniger Generationen hat sich im Hochschulbereich das Geschlechterverhältnis faktisch umgekehrt.“

Frauen mögen in Vorstandsetagen und den Machtkorridoren immer noch unterrepräsentiert sein. Dennoch sind ihre Fortschritte bemerkenswert. Wie Rosin es ausdrückt: „Die heutigen Umstände erscheinen eher als die letzten Artefakte einer ausklingenden Ära und weniger als dauerhafter Zustand.“ Gleichzeitig stagniert die Rolle der Männer, sowohl in der Arbeitswelt als auch in der Familie. Frauen arbeiten mehr und kümmern sich auch mehr um Erziehung. Männer hingegen arbeiten weniger und sind etwas mehr an der Kinderaufzucht beteiligt. Den Männern, schlussfolgert Rosin, „ist die alte Männlichkeits-Architektur abhandengekommen, ohne dass sie diese durch eine neue ersetzt haben.“

Männerrechte

Die schwierige Situation zeitgenössischer Männer führte zum Aufkeimen der sogenannten „Männerrechtsbewegung“. Bis vor Kurzem wurde diese Bewegung als skurrile, verbitterte Antwort auf den Feminismus und die Errungenschaften der Frauen abgetan. Zunehmend finden Männerrechtler jedoch Anschluss an den Mainstream. In Großbritannien schreiben etwa Publizisten und Aktivisten wie Martin Daubney und Peter Lloyd Zeitungskolumnen und sind zur Hauptsendezeit in den Nachrichten zu sehen. Sogar einige Abgeordnete wie Philip Davis haben sich der „Männerkrise“ angenommen. Dabei sind die Anliegen der Männerrechtsaktivisten im Laufe der Jahre ziemlich konstant geblieben.

Als Begründer der Männerrechtsbewegung gilt Warren Farrell, ein ehemaliger feministischer Aktivist, der einst Gloria Steiner zu seinen politischen Unterstützern zählte. Farrell verfasste 1993 mit „Mythos Männermacht“ den Gründungstext der Bewegung. Darin beschäftigte er sich mit jenen Phänomenen, die ursprünglich als Kennzeichen männlicher Macht interpretiert wurden. Er definierte diese zu Zeichen männlicher Unterordnung um und stellte damit den feministischen Konsens auf den Kopf. Farrell argumentierte, dass Frauen und die Familie von Männern die Leistungs- und Versorgerrolle einfordern und damit eine Form männlicher Unterdrückung aufrechterhalten, welche die Gesellschaft beharrlich ignoriere.

„Männerrechtler fixieren sich auf die morbidesten Seiten männlicher Erfahrungen.“

Nach Farrell war die wirtschaftliche und soziale Dominanz der Männer eine Illusion. Er definierte Macht als die Fähigkeit, Kontrolle über das eigene Leben zu haben. Obwohl Männer oberflächlich betrachtet ökonomische und soziale Freiheit genießen, werden sie – so Farrell – dazu sozialisiert, restriktive, selbstzerstörerische und unbefriedigende Verpflichtungen einzugehen – sowohl gegenüber der Familie als auch gegenüber Frauen im Allgemeinen. In einem bizarren Abschnitt beschäftigte sich Farrell gar mit der Frage, ob Männer die neuen „Nigger“ seien: „Schwarze wurden durch Sklaverei zu riskanten Tätigkeiten gezwungen, Männer werden durch Sozialisation in gefährliche Jobs gedrängt … Wenn Schwarze ihren Sitzplatz einem Weißen überließen, nannten wir es Unterwürfigkeit, wenn Männer ihren Sitzplatz Frauen überlassen, nennen wir es Höflichkeit“.

Heute tummelt sich Farrells amerikanische Anhängerschaft rund um „A Voice for Men“ – eine Webseite, die von dem ehemaligen Suchttherapeuten und Kraftfahrer Paul Elam betrieben wird. Die Seite deckt ein breites Themenspektrum ab, etwa die Schieflage im Elternrecht oder die Verwässerung rechtlicher Standards bei sexuellen Übergriffen. Ebenfalls thematisiert wird die Tatsache, dass amerikanische Männer sich noch immer von der Armee als potentielle Rekruten registrieren lassen müssen. Die tatsächliche Wahrscheinlichkeit, für einen Kriegseinsatz eingezogen zu werden, ist äußerst gering. Doch für Farrell ist die Registrierung ein Beleg dafür, dass Männer noch immer das „entbehrliche“ Geschlecht sind, die einzige gesellschaftliche Gruppe, die vorsätzlich einem „Genozid“ ausgeliefert werden kann. Farrell betont außerdem, dass Männer bis heute Branchen wie die Bauwirtschaft dominieren, die eine hohe Sterblichkeitsrate aufweisen.

Männerrechtler der alten Garde treten gewiss exzentrischer auf als ihre jüngeren Mainstream-Abkömmlinge. Gemein ist aber allen, dass sie sich auf die morbidesten Seiten männlicher Erfahrungen fixieren. Vor allem beschäftigt sie die Suizidrate. In Europa und Nordamerika ist die große Mehrheit der Selbstmörder männlich. Männerrechtler werten das als Beweis, dass die empathielose Gesellschaft den Trend zu männlicher Selbstzerstörung ignoriert oder vielleicht gar vorantreibt. Wer entgegnet, dass die hohe Suizidrate junger Männer ein Produkt ihrer allgemein sehr niedrigen Mortalität ist oder darauf hinweist, dass die Zahl der erfolglosen Selbstmordversuche bei Frauen höher als bei Männern ist, ist für die Männerrechtler Teil des Problems.

„Tatsächlich ist die Männerrechtsbewegung ein Spiegelbild des Feminismus.“

Oft wird die Männerrechtsbewegung ziemlich oberflächlich als frauenfeindliche Antwort auf den Feminismus dargestellt. Kritiker haben etwa in schamloser Manier behauptet, dass die Männerrechtsideologie den 22-jährigen Studenten Elliot Rogers inspirierte, der 2014 im kalifornischen Isla Vista sechs Menschen tötete, 14 weitere verletzte und ein frauenfeindliches „Manifest“ hinterließ. Ein Männerrechtsaktivist wie Elam macht es sich gewiss nicht leicht, wenn er in „satirischen“ Artikeln dazu aufruft, „gewalttätige Schlampen“ zu schlagen oder Vergewaltiger freizusprechen. Dennoch ist die Bewegung im Großen und Ganzen eher therapeutisch als zornig.

Tatsächlich ist die Männerrechtsbewegung ein Spiegelbild des Feminismus. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurden die freiheitlichen Forderungen der Frauenbewegung durch eine neue Form von Feminismus verdrängt. Dieser scheint davon besessen zu sein, alle Frauen pauschal als Opfer darzustellen. Zeitgenössische Feministen propagieren nicht nur Mythen wie die „Rape Culture“ (Vergewaltigungskultur) oder den „Gender Pay Gap“ (ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen). Sie stellen auch Verbindungen zwischen vollkommen zusammenhangslosen Themen her, so als würden „sexistische“ Popmusik und Tampon-Steuern fließend in häusliche Gewalt übergehen. Wer um jeden Preis nach weiblichen Opfern sucht, dabei alle anderen sozialen Faktoren ausblendet und die Erfahrungen aller Frauen in einen Topf wirft, der wird schließlich auch fündig. Die Männerrechtsbewegung beweist, dass beide Seiten dieses Spiel beherrschen.

Den Geschlechterkampf überwinden

In einer Zeit, in der westliche Männer mit wachsender ökonomischer und sozialer Unsicherheit kämpfen, ist die maskulinistische Geschlechterpolitik paradoxerweise wenig hilfreich. Das Denken der Männerrechtler trägt nicht zum Verständnis der aktuellen Situation bei. Vielen Männerrechtlern ist zwar bewusst, dass die männliche Arbeiterklasse weitgehend abgeschrieben und ausrangiert wurde, dass diese Männer schwindende Job-Chancen haben und ihre gesellschaftliche Rolle zunehmend unklar ist. Ihre Tendenz, alles durch das Geschlechterprisma zu betrachten, macht sie jedoch blind für die Kräfte, die hier tatsächlich im Spiel sind.

„Der ultimative blinde Fleck sowohl der Männerrechtsbewegung als auch des Feminismus ist die Klassenfrage.“

Früheren Generationen, die für die Gleichstellung der Geschlechter gekämpft haben, war stets bewusst, dass die bestehenden Ungleichheiten vor allem ökonomischer, rechtlicher und sozialer Natur waren. Doch die zeitgenössische Geschlechterpolitik mit ihrem Diktum, dass das Private politisch sei, denkt vor allem in Kategorien wie Opferstatus und Anerkennung. Das wirkt eher verwirrend als aufklärend. Heute ist die Frage, wie die Gesellschaft Männer und Frauen sieht und wertschätzt, unglaublich wichtig geworden. Der Männerrechtsaktivist Peter Lloyd drückt es so aus: „Schalten Sie einen beliebigen Fernseh- oder Radiosender ein und sie werden dort eine Debatte über Männer vorfinden – manchmal als Debatte über Frauen getarnt. Sie werden feststellen, dass diese Diskussionen ohne uns stattfinden. Das beeinflusst allmählich unsere Welt“.

Der ultimative blinde Fleck sowohl der Männerrechtsbewegung als auch des Feminismus ist die Klassenfrage. Diese Blindheit ermöglicht es Frauen, die eine Eliteuniversität besuchen, Jungs aus der Arbeiterschicht als „privilegiert“ zu bezeichnen. Die Tatsache bleibt: Es sind nicht einfach „Männer und Jungs“ deren Lebenschancen durch ihre Geburtsumstände beschränkt sind, sondern Männer und Jungs der Arbeiterklasse.

Um der Probleme tatsächlich Herr zu werden, müssen wir in den sauren Apfel beißen und uns Gedanken darüber machen, wie wir die verschwundenen Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe ersetzen können. Es muss uns gelingen, ein Wirtschafts- und Bildungssystem zu schaffen, das allen gerecht wird. Eine Therapiestunde unter Männerrechtsaktivisten wird da nicht weiterhelfen. Viele Fragen bleiben unbeantwortet. Warum konnten sich Frauen so erfolgreich an die neue, post-industrielle Welt anpassen, während Männer zurückfielen? Werden Frauen in Zukunft die Hochschulen dominieren? Eines ist jedoch klar: Sollten Männer tatsächlich verloren sein, wird ihnen die Geschlechterpolitik nicht helfen, den richtigen Weg zu finden.

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