26.10.2017

Für Männer und Frauen mit Eiern

Von Kai Rogusch

Titelbild

Foto: NeuPaddy via Pixabay / CC0

Die neue Bühnenshow des Journalisten und Buchautors Matthias Heitmann ist eine Breitseite gegen den misanthropischen Zeitgeist.

Eine Premiere der besonderen Art gab es am 6. Oktober 2017 im ehrwürdigen Frankfurter Kabarett-Theater „Die Schmiere“ zu erleben: Mit dem Arbeitsauftrag „Kein Kabarett, keine Lesung, keine Langeweile“ schickten sich der Buchautor Matthias Heitmann sowie der Radio- und Fernsehmoderator Tim Lauth an, in ihrem ersten Bühnenprogramm „Die Zeitgeisterstunde“ nicht nur dem Mainstream-Denken das Fürchten zu lehren, sondern auch gegen die oft zynischen und misanthropischen Rituale deutscher Comedy- und Kabarett-Traditionen zu verstoßen.

Im Rahmen der ausverkauften Veranstaltung beschäftigte sich „Zeitgeisterjäger“ Heitmann in facettenreichen Schlagabtauschen mit dem bis eben noch oberflächlichen glatten „Lauth-Sprecher“ mit der Frage, wie man die oftmals heimtückischen und trügerischen Erscheinungsformen des so genannten Zeitgeistes entlarven und verjagen kann. Matthias Heitmann, seit mehr als 20 Jahren als Journalist und Autor tätig und nach eigenen Worten ein „querulantisch-humanistischer Geradeausdenker“, moniert, dass sich der Zeitgeist „in das Denken der Menschen einschleicht und es trübt und lähmt“.

„Heitmann moniert, dass sich der Zeitgeist in das Denken der Menschen einschleicht, es trübt und lähmt.“

Gegen diese lähmende Weltdeutung argumentieren, streiten, scherzen und singen Heitmann und Lauth in der „Zeitgeisterstunde“ an und bringen das Publikum immer wieder zum Staunen und Augenrollen. Statt in einer bisweilen deprimierenden Perspektive des lärmenden Stillstandes zu verharren, loten die beiden (wie auch in ihrer auf dem Regionalsender Antenne Frankfurt laufenden Sendung „Der WochenWahnsinn“) zahlreiche Gründe für Optimismus aus.

So outet sich Heitmann beispielsweise als vehementer Befürworter des „Brexit“, den er als eine befreiende Zäsur und als Ende des politischen Winters in Europa deutet. Der EU brauche man, sollte sie zerfallen, nicht nachzutrauern. „Wenn die Idee von Europa irgendetwas mit Freiheit und Demokratie zu tun hat, dann ist die EU europafeindlicher als die meisten ihrer Kritiker“, so ist es an diesem Abend in der „Schmiere“ zu hören. Zu solchen Sätzen muss man sich trauen.

Wer den Mut aufbringt, den Zeitgeist zu entlarven, kann zuversichtlich in die Zukunft sehen. Man muss sich nur von den allzu einfachen Deutungsmustern unserer Tage lösen. Heitmann rebelliert gegen das Schwarz-Weiß-Denken und motiviert Lauth – dem man förmlich ansieht, wie das Denken einsetzt und Flügel verleiht – zur allmählichen Befreiung von den Fesseln seines bisherigen Denkens. Dem Zeitgeist wird auf der Bühne das wohlfeile Gewand vom Leibe gerissen, und dies auf überaus unterhaltsame, optimistische und doch auch zum Nachdenken anregende Art und Weise.

„Immer mehr Menschen spüren, dass ein ‚weiter so‘ nicht möglich ist.“

Auch den Verfechtern des angeblich „guten Lebens“ geht es in der „Zeitgeisterstunde“ an den Kragen. Dass sich gerade die selbsternannten „guten Menschen“ in Wirklichkeit in eine allzu einfache Welt selbstgezimmerter Übersichtlichkeiten flüchten, zeigen Heitmann und Lauth in einer lehrreichen wie humorvollen Abfolge von teils slapstickartigen Wortwechseln, gefilmten Interviews, Lesungen, Gesangseinlagen und Poetry-Slams.

Am Ende des rund zweistündigen Programms steht die Aufforderung, sich weder mit der Opferkultur noch mit der zur Kastration ausgeweiteten Feminisierung der Gesellschaft abzufinden. Heitmanns Schlusssatz „Wir brauchen mehr Männer und Frauen mit Eiern.“ hallt nach – gerade auch nach dem Ergebnis der Bundestagswahl, das in der „Zeitgeisterstunde“ als Anfang eines politischen Erdrutsches gedeutet wird. Und darin liegt laut Heitmann eine große Chance: Immer mehr Menschen spüren, dass ein „weiter so“ nicht möglich ist. Der politische Frühling steht vor der Tür, auch wenn er zunächst ziemlich modrig riecht. Heitmann und Lauth präsentieren in der „Zeitgeisterstunde“ einen Ausblick darauf, wie und zu welchen Themen wir uns in Zukunft vielleicht ein wenig intensiver, aber auch kontroverser auseinander- und anschließend wieder zusammensetzen sollten.

Die nächste „Zeitgeisterstunde“ mit Matthias Heitmann und Tim Lauth findet am Freitag, den 3. November 2017 im Frankfurter Kabarett-Theater „Die Schmiere“ statt. Weitere Infos und Kartenbestellungen unter www.zeitgeisterstunde.de.

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