07.02.2017

Licht aus, Pullover an

Analyse von Fred F. Mueller

Titelbild

Foto: AnRo0002 via WikiCommons / CC0

Die Stilllegung von Kernkraftwerken für Sicherheitsüberprüfungen und unzureichende Ökostromimporte führten in Frankreich diesen Winter zu großen Engpässen bei der Stromversorgung.

Den Ernst der Lage verdeutlicht eine Meldung des Manager-Magazins vom 19. Januar 2017. Unter der Überschrift „Blackout-Gefahr – Atomkraftwerke schwächeln – In Frankreich gehen die Lichter aus“ wird gemeldet, dass die Stadtverwaltung von Paris wegen der extremen Stromknappheit an etwa 330 öffentlichen Gebäuden die Außenbeleuchtung ausschalten ließ.

Weitere von der französischen Regierung im Rahmen einer groß angelegten Kampagne angeregte Stromsparmaßnahmen: Franzosen sollen mehr Treppen steigen, statt den Fahrstuhl zu benutzen, und auf große E-Mail-Anhänge verzichten, um Serverleistung zu sparen. Wohnräume sollen nur auf 19 Grad geheizt werden, Bewohner dickere Pullover tragen und häufiger die Lichter ausmachen. Selbst großen Industriebetrieben wie der Aluminiumschmelze von Rio Tinto Alcan in Dünkirchen will man notfalls die Stromzufuhr kappen.

Normalerweise sollte man solche Vorschläge angesichts der Erfordernisse moderner Industrienationen für einen schlechten Witz halten. Doch leider ist dies kein Scherz, sondern bitterer Ernst. Ohne die Unterstützung der Nachbarländer über das europäische Verbundnetz wären in der „Grande Nation“ vermutlich bereits im November 2016 die Lichter ausgegangen. Wie kam es dazu?

Abbildung 1: Stromerzeugungsanteile in Frankreich (Quelle: Wikipedia)

Sorgen bei der Kernkraft

Eigentlich hatte Frankreich bereits vor Jahrzehnten voll auf die Kernenergie gesetzt und mit aktuell 58 Kraftwerken den mit Abstand größten Bestand in Europa. Sie decken den Strombedarf des Landes zu über 70 Prozent (siehe Abb. 1). Damit hätte das Land bei konsequenter Fortführung bis heute ein stromsorgenfreies Dasein. Diverse politisch bedingte Fehlplanungen führten jedoch zu Überkapazitäten, außerdem wurde die französische Kernenergiepolitik von Nachbarländern aus heftig befehdet. Dies führte dazu, dass Neubau beziehungsweise Ersatz von Kernkraftwerken bisheriger Bauart auf die lange Bank geschoben wurden und man wegen der in Europa vorherrschenden Sicherheitsbedenken mit dem European Pressurized Water Reactor (EPR) einen neuen Reaktortyp entwickelte, der wegen der übertriebenen Berücksichtigung von Einwänden und Vorbehalten weitaus komplexer und teurer ausfiel als seine Vorgängermodelle. Von diesem sind bisher jedoch erst zwei Exemplare im Bau, wobei es sowohl in Olkiluoto (Finnland) als auch in Flamanville (Frankreich) zu massiven Problemen mit Termin- und Kostenüberschreitungen kam.

Hinzu kam, dass 2016 bei der Überprüfung der vorhandenen Reaktoren technische Mängel aufgrund der Verwendung möglicherweise fehlerhafter Stahllegierungen festgestellt wurden. Deshalb wurde im Oktober 2016 beschlossen, zahlreiche Kernkraftwerke im rollierenden Verfahren zur Durchführung der erforderlichen Kontrollen für jeweils mehrere Wochen abzuschalten. Dadurch kam es bereits im November 2016 zu massiven Stromengpässen. An der französischen Strombörse EPEX schnellte der Preis im Day-Ahead-Handel fallweise auf bis zu 850 Euro/MWh hoch. Das entspricht dem 20- bis 40-Fachen des sonst üblichen Niveaus von um die 20–40 Euro/MWh.

„Franzosen sollen mehr Treppen steigen und auf große E-Mail-Anhänge verzichten“

Um den befürchteten Kollaps in der stärksten Kälteperiode, die üblicherweise im Januar auftritt, zu vermeiden, bereitete Frankreich zusammen mit Nachbarländern Notfallpläne vor. Den Beteiligten war klar, dass Frankreich aus seinen Nachbarländern – Schweiz, Belgien, Großbritannien, Spanien und vor allem aus Deutschland – erhebliche Mengen Strom importieren musste. Deshalb erhöhten beispielsweise die deutschen Netzbetreiber kurzfristig die Übertragungsfähigkeit von Stromtrassen nach Frankreich, zudem wurden geplante Wartungsarbeiten an Stromleitungen außerplanmäßig verschoben. Dass dies nachteilige Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit in Deutschland haben könnte, sei hier nur am Rande vermerkt.

Eine noch wichtigere Rolle dürfte jedoch spielen, dass die Genehmigungsstellen in Frankreich ihre Terminvorgaben an die Notfallsituation angepasst haben. So meldete die World Nuclear News am 16. Januar, dass die zuständige Aufsicht bereits am 12. Januar die Genehmigung zur Wiederinbetriebnahme von neun Reaktoren – Bugey 4, Dampierre 3, Fessenheim 1, Gravelines 2 und 4, Saint-Laurent B1 sowie Tricastin 1, 3 und 4 – erteilt habe. Zugleich wurde der fällige Inspektionstermin von Tricastin 2 mit ausdrücklichem Bezug auf den Stromengpass um zwei Wochen nach hinten verschoben. Ohne dieses Timing, das immerhin rund zehn GW an Reaktorleistung rechtzeitig zum vermuteten Höhepunkt der Kältewelle verfügbar machte, hätte Frankreich möglicherweise sehr massive Probleme mit der Stromversorgung mit der Gefahr eines Blackouts bekommen. Verglichen mit diesen notfallmäßig verfügbar gemachten Kapazitäten ist die Abschaltung von ein paar Fassadenbeleuchtungen kaum der Rede wert.


Abbildung 2: Schein und Sein: Ungeachtet der riesigen Erzeugungskapazität von mehr als 90.000 MW (blaue Linie) lieferte die Prognose für die EE-Stromerzeugung am 21. Januar 2017 lediglich Werte zwischen 2100 und 8500 MW (Daten: https://transparency.entsoe.eu)

Kein Verlass auf deutschen Ökostrom

Wie steht es jedoch um die Fähigkeit Deutschlands zur Hilfestellung in Form von Stromlieferungen? Während grünlinke Klimarettungsapostel ständig Jubelmeldungen über die zunehmende Erzeugung von Strom aus erneuerbarer Energie verbreiten, zeigt die Realität am besonders kritischen Wochenende vom 20.–22. Januar, wie verlassen sowohl Deutschland als auch Frankreich gewesen wären, wenn Deutschland nicht noch immer über einen kompletten Kraftwerkspark verfügen würde, der einspringt, wenn Wind und Sonne wegen „Dunkelflaute“ mal wieder keine Lust haben, nennenswerte Mengen an Strom zu produzieren. Abbildung 2 zeigt, dass die insgesamt über 90.000 MW an installierter Solar- und Winderzeugungskapazität laut Prognose am 21. Januar lediglich zwischen 2100 und maximal 8500 MW ins Netz liefern würden. Das reicht fallweise nur für etwas mehr als die Straßenbeleuchtung in beiden Ländern. Grund hierfür ist der geradezu lächerliche Nutzungsgrad der erneuerbaren Stromerzeuger Wind und Sonne bei „Dunkelflaute“ (siehe Abb. 3).

Abbildung 3: Nutzungsgrad der gesamten über Deutschland sowie die deutsche Nord- und Ostsee verteilten Wind- und Solarkapazitäten am 21. Januar 2017 (Daten: https://transparency.entsoe.eu )

Selbst zusammengenommen erreichte am 21. Januar der Nutzungsgrad nur in der Mittagszeit kurzfristig etwas mehr als neun Prozent, während der Minimalwert nur bei rund 2,4 Prozent liegt. Der Blick auf den Verlauf zeigt sofort, dass es vor allem die Winderzeugung war, die eine geradezu lächerlich schlechte Leistung ablieferte. Damit werden gleich zwei Mythen der Windlobby auf einmal widerlegt. Selbst deutschlandweit weht der Wind nicht immer irgendwo. Die Hoch- und Tiefdruckgebiete, die den Wind antreiben, sind so großflächig, dass Mangel oder Überproduktion meist in ganz Deutschland gleichzeitig auftreten. Gleichzeitig beweist der Kurvenverlauf, dass dies auch für den angeblich „grundlastfähigen“ Offshore-Wind gilt, denn die Produktion der großen Windparks in Nord- und Ostsee ist in den Zahlen mit enthalten. Und dies war beileibe keine Ausnahme: Vergleichbare Bedingungen mit deutlich bis dramatisch unterdurchschnittlicher Produktion von Strom aus Sonne und Wind herrschten in Deutschland während gut der Hälfte des Zeitraums vom 1. bis zum 22. Januar.

Konsequenzen für den Strompreis

Eine Vorstellung davon, welche Auswirkungen eine überwiegend auf Wind und Sonne ausgerichtete Stromerzeugung nicht nur auf die Verfügbarkeit, sondern auch auf den Preis von Strom habe dürfte, vermittelt Abbildung 4. Sie zeigt die an der Strombörse EPEX im Verlauf des 20. Januar erzielten Preise für elektrische Energie im Vergleich zum Preisniveau zur problemlosen Situation am 15. Juli 2016.

Abbildung 4: Im Verlauf des 20. Januar an der Strombörse EPEX erzielte Day-Ahead-Preise im Vergleich zu einer „Normalsituation“ am 15. Juli 2016 (Daten: https://transparency.entsoe.eu)

„Die Versorgungslage war wegen der unzureichenden Produktion von deutschem Ökostrom teilweise kritisch“

Trotz aller ergriffenen Nothilfemaßnahmen war die Versorgungslage wegen der unzureichenden Produktion von deutschem Ökostrom teilweise recht kritisch. Die hektische „Fieberkurve“ der EPEX-Preise vom 20. Januar ist ein deutliches Indiz der angespannten Versorgungslage. Das Preisniveau lag in der Spitze um bis zu rund 700 Prozent über dem üblichen Level. Damit entspricht der Börseneinkaufspreis schon nahezu dem Strompreis von rund 16 Cent, den französische Endverbraucher 2015 zahlten. Man muss sich als Verbraucher klar machen, dass solche Situationen bei häufigerem Auftreten in erheblichem Maße auch auf die Endverbraucherpreise durchschlagen würden. Noch deutlicher wird diese Warnung, wenn man berücksichtigt, dass am 7., 8. und 14. November 2016 in der Spitze sogar Preise von bis zu 850 Euro pro MWh gezahlt wurden. Das entspricht einem Börseneinkaufpreis von sage und schreibe 85 Cent. Das waren zwar nur sehr kurzfristige steile Spitzen, doch vermitteln sie eine Vorstellung davon, welche preislichen Auswirkungen eine derart angespannte Situation bei der Stromverfügbarkeit haben kann, wenn die Stromproduktion bei immer weiter gehender Stilllegung zuverlässiger Kern- und Kohlekraftwerke ernsthaft und für mehr als nur ein paar Stunden den Bedarf unterschreitet.

Interessanter Nebenaspekt der beschriebenen Ereignisse dürften die Auswirkungen auf die energiepolitischen Positionen der französischen Sozialisten sein. Die für Energie zuständige Ministerin Ségolène Royal zeichnete ebenso wie ihr ehemaliger Lebensgefährte François Hollande für die 2011 erhobene Forderung verantwortlich, dass von 24 der 2011 noch verbliebenen 58 französischen Kernkraftwerke bis spätestens 2025 stillgelegt werden. Das Kernkraftwerk Fessenheim sollte sogar sofort abgeschaltet werden. Vermutlich hat sie in den letzten Wochen jeden Abend auf Knien Dankgebete dafür gesprochen, dass ihre Regierung dieses Vorhaben bisher nicht umgesetzt hat. Mehrheitsfähig dürfte eine solche Politik nach den jetzigen Ereignissen so schnell nicht mehr werden.

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