17.03.2021

Landwirtschaft im „perfekten Sturm“

Von P. Michael Schmitz

Titelbild

Foto: Kolja Zydatiss

Würden Pläne wie Tierwohlabgabe, „European Green Deal“ und „Farm-to-Fork“ umgesetzt, wären große Teile der deutschen Landwirtschaft endgültig in ihrer Existenz bedroht.

Die Landwirte in Deutschland werden immer mehr zu Sündenböcken der Nation erklärt. Man wirft ihnen pauschal Verstöße gegen Umwelt-, Klima- und Tierschutz vor. Ihre Familien werden angefeindet. Einbrüche in Viehställe sind keine Seltenheit mehr. Umwelt- und Verbraucherorganisationen, Medien, Kirchen, Wissenschaft und Politik fordern einschneidende Änderungen der bisherigen Wirtschaftsweise, eine „Wende“ in der Agrarpolitik.

Unsere Vorlieben und Gewohnheiten beim Essen werden ebenso wie marktwirtschaftliche Grundprinzipien in Frage gestellt. Immer ehrgeizigere Ziele für den Umwelt-, Klima- und Tierschutz werden formuliert. Gesetzliche Standards und Dokumentationspflichten werden fortlaufend verschärft. Was offenbar keinen interessiert, sind die Folgen für die Landwirte und ihre Marktpartner.

Gleichzeitig müssen diese Landwirte die Folgen der Pandemie und von Viruserkrankungen bei Wildtieren bewältigen. Corona führte zu Schlachthofschließungen, in Norddeutschland wütet die Vogelgrippe, wegen des Ausbruchs der Afrikanischen Schweinepest bei Wildschweinen kam der Schweinefleischexport nach China, Japan und Südkorea zum Erliegen. Existenzbedrohende Markteinbrüche waren die Folge. Hoffnungslosigkeit und Resignation greifen um sich. Unter Tränen berichtete die niedersächsische Ministerin Otte-Kinast dem Landesparlament in Hannover von der Verzweiflung der Landwirte und ihrer Familien über den Schweinestau in den Ställen und die katastrophalen Preise. Sie zitierte aus Telefonaten mit Landwirten, die nicht mehr ein und aus wüssten: „Sie sagen, ich töte meine Schweine und werde mich umbringen“.

Die deutsche Landwirtschaft befindet sich in einem „perfekten Sturm“ (In Anlehnung an den US-Bestseller „The perfect storm. A true story of men against the sea“ von Sebastian Jungers,1 wonach verschiedene Komponenten ungünstig zusammentreffen, sich gegenseitig verschärfen und zu einer maximalen Katastrophe führen). „Hat Landwirtschaft in Deutschland noch eine Zukunft?“ fragte der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, auf dem letzten Bauerntag. Wohl zu Recht: Viele Landwirte und ihre Familien fühlen sich von Politik und Gesellschaft allein gelassen. Dabei hatten sie aus ihrer Sicht alles getan, um die Ernährung zu sichern, die Umwelt zu schonen und ihre Tiere pfleglich zu behandeln. Die Erfolgsstory ist bemerkenswert. Hat ein Landwirt 1950 lediglich zehn Personen ernährt, waren es 2016 bereits 135. Dieser enorme Leistungsfortschritt ist vor allem das Ergebnis einer modernen, arbeitsteilig orientierten und unternehmerisch geführten Landwirtschaft.

„Viele Landwirte und ihre Familien fühlen sich von Politik und Gesellschaft allein gelassen.“

Auch im Ausland sind deutsche Agrar- und Ernährungsprodukte immer beliebter. Etwa ein Drittel der deutschen Erzeugung wird exportiert, drei Viertel davon gehen an die EU-Partnerländer, rund ein Viertel an Drittstaaten wie die Schweiz, die USA, China, Nordafrika und Saudi Arabien. In der Corona-Pandemie haben die heimischen Landwirte trotz einiger Lieferkettenprobleme eine stabile und weitgehend störungsfreie Lebensmittelversorgung gesichert. Die Agrar- und Ernährungswirtschaft hat sich als systemrelevanter Sektor der deutschen Volkswirtschaft erwiesen.

Die Landwirtschaft kann zugleich Erfolge im Umwelt-, Klima- und Tierschutz vermelden. Die Stickstoff-Emissionen aus der Landwirtschaft haben sich zwischen 1990 und 2014 fast halbiert. Die Treibhausgasemissionen sanken um 18 Prozent. Und es wird mehr produziert bei geringerer CO2-Belastung. Der Arzneimitteleinsatz in der Tierhaltung und die Tierverluste sind deutlich zurückgegangen. 40 Prozent aller Betriebe nehmen freiwillig an staatlich geförderten Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen teil. Die Landwirte sind bereit, weitere Schritte zu gehen – wenn diese fachlich begründbar und wirtschaftlich verkraftbar sind. An beiden Voraussetzungen fehlt es aber gerade in Deutschland.

Zerrbilder in den Köpfen

Gegner einer modernen, arbeitsteiligen und technologieoffenen Landwirtschaft dominieren die öffentliche Debatte über Agrarthemen. Sie haben ein Geschäftsmodell entwickelt, mit ausgesuchten Negativbeispielen ein Zerrbild der deutschen Landwirtschaft zu zeichnen; damit wollen sie radikale Änderungen rechtfertigen und politisch durchsetzen. In den Medien finden sie breite Unterstützung. Aus diesem Zusammenspiel haben sich die Zerrbilder in den Köpfen unserer urban geprägten Gesellschaft festgesetzt.

„Gegner einer modernen, arbeitsteiligen und technologieoffenen Landwirtschaft dominieren die öffentliche Debatte über Agrarthemen.“

Kampfbegriffe wie industrielle Massentierhaltung, Ackergifte, Monokultur, Agrarfabrik, Arten- und Höfesterben entfalten ihre Wirkung beim Bürger. Eine sachliche Diskussion um Verbesserungspotenziale im Agrarsektor ist nicht mehr möglich. Gefordert werden stattdessen rückwärtsgewandte Maßnahmen: kein chemischer Pflanzenschutz, keine Gentechnik, deutlich weniger Düngung, kleine Viehbestände, die Abkehr von der Exportorientierung und die Hinwendung zur regionalen Produktion in kleineren Betrieben.

Die Politik reagiert bislang aus Angst vor dem Wähler auf diese radikalen Forderungen mit einer Doppelstrategie. Zum einen werden Standards und Regulierungen für die Landwirtschaft fortlaufend verschärft, gerne auch im nationalen Alleingang und gegen fachlichen Rat. Zum anderen werden außerparlamentarische Kommissionen eingesetzt, deren Arbeitsergebnisse in Gesetze einfließen sollen. Jüngste Beispiele sind das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, bekannt als „Borchert-Kommission“, und die „Zukunftskommission Landwirtschaft“.

Die Zusammensetzung solcher Kommissionen erfolgt handverlesen nach politischem Kalkül; demokratische Auswahlprinzipien oder fachliche Anforderungen spielen keine Rolle. Das stört offenbar niemanden. So ist die Zukunftskommission Landwirtschaft nur zu einem Viertel mit Fachleuten aus der Landwirtschaft besetzt. Die 30-köpfige Borchert-Kommission beruft sich in ihrem Abschlussbericht darauf, dass die Kritik an der intensiven Nutztierhaltung „aus der Mitte der Gesellschaft heraus“ erfolge. Bei solchem Anspruch ist Vorsicht geboten. Gesellschaftliche Präferenzen und Mehrheiten spiegeln sich im Parlament wider. Und für Verbraucherpräferenzen ist das Verhalten der Bürger an der Ladenkasse allemal aussagekräftiger als Lippenbekenntnisse.

Tierwohlabgabe mit Konstruktionsfehlern

Die Borchert-Kommission kommt zum Ergebnis, ein höheres Tierwohlniveau sei „gesellschaftlich gewünscht“. Die Mehrkosten für die Landwirtschaft werden auf 1,2 bis 2,4 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Die Kommission nimmt an, dies würde von der Gesellschaft auch honoriert, und sie schlägt dazu eine „Tierwohlabgabe“ vor – z.B. 40 Cent pro Kilo Fleisch, 15 Cent pro Liter Milch, 2 Cent pro Ei. Sie soll bei Handel und Gastronomie auf die Preise aufgeschlagen werden.

„Eine sachliche Diskussion um Verbesserungspotenziale im Agrarsektor ist nicht mehr möglich. Gefordert werden stattdessen rückwärtsgewandte Maßnahmen.“

Da wird schon ihr zentraler Konstruktionsfehler deutlich. Verbrauchsteuern wie die Tierwohlabgabe werden je nach Reaktion der Marktbeteiligten auf Endverbraucher- und Angebotspreise des Handels überwälzt. Weichen die Verbraucher dem Preisanstieg erwartungsgemäß durch Kaufzurückhaltung und Umschichtung im Warenkorb aus, trägt der Handel die höhere Steuerlast. Diese wird er auf Verarbeiter und Erzeuger landwirtschaftlicher Produkte rücküberwälzen. Die Tierwohlabgabe würde dann auf die Erlöse der Landwirte durchschlagen. Im Klartext: Über niedrigere Preise würden sie ihre Tierwohlprämie selbst finanzieren. Und wahrscheinlich fielen ihre Erlöseinbußen höher aus als die Prämien. Schlimmstenfalls würden die Landwirte komplett auf den zusätzlichen Kosten für mehr Tierwohl sitzenblieben. Was passiert zum Beispiel, wenn die Landwirte in mehr Tierwohl investieren, aber sich doch keine verbesserte gesellschaftliche Akzeptanz einstellt? Nach aller Erfahrung ist damit zu rechnen, dass kampagnenstarke Tierschutzaktivisten und -lobbyisten immer ehrgeizigere Zielbilder aufstellen und immer weitergehende Forderungen erheben. Planungssicherheit für Landwirte bliebe Utopie. Und die Umsetzung wäre für viele Betriebe finanziell nicht mehr zu verkraften.

Ohnehin stehen die Empfehlungen der Borchert-Kommission auf wackligen Füßen. Sie setzen nicht nur voraus, dass die Verbraucher die höheren Preise akzeptieren. Abgabe und Tierwohlprämien müssten auch dem strengen EU-Beihilferecht entsprechen und auch dann weiter fließen, wenn das höhere Niveau Standard geworden ist. Keine dieser Annahmen ist realistisch.

Es sei denn, man wäre bereit, Deutschland von Europa und vom Weltmarkt abzuschotten. Dann jedoch würden Marktanteile und mit ihnen Einkommen und Arbeitsplätze verlorengehen. Diese Zusammenhänge hat die Kommission wenig bis gar nicht untersucht. So hat die Gesinnungsethik mit ihrem überwiegend auf das Tierwohl begrenzten Blick leichtes Spiel gegenüber der Verantwortungsethik, die einem breiteren Blickwinkel auf die Folgen der geplanten Maßnahmen verpflichtet ist. Die große Akzeptanz der Borchert-Empfehlungen verwundert nicht wirklich. Wer ist schon gegen Tierwohl? Und wenn dann noch den Landwirten eine Kompensation ihrer Mehrkosten versprochen wird, scheint die Welt für die Gesinnungsethiker in Ordnung zu sein.

Problematische Lenkungseffekte

Die Borchert-Empfehlungen haben aber noch weitere Schwächen. Eine Abgabe, die pro Kilogramm erhoben wird, schlägt bei teurem Rindfleisch weit weniger durch als bei preiswertem Geflügelfleisch. Wäre das im Sinn einer klima- und umweltpolitisch gewollten, moderaten Lenkungswirkung? Zwischen und innerhalb der Produktgruppen käme es zugleich zu erheblichen Preisverzerrungen für Verarbeiter und Erzeuger, was mit Sicherheit weitere Diskussionen und Korrekturwünsche auslösen würde. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie dann eine solche von verteilungs- und umweltpolitischen Lenkungsabsichten überlagerte Festlegung von Tierwohlabgaben durch Experten und Politiker ausgehen würde.

„Über niedrigere Preise würden die Landwirte ihre Tierwohlprämie selbst finanzieren.“

Ähnlich problematisch wäre die sozialpolitische Flankierung, die die Kommission vorschlägt. Damit einkommensschwächere Haushalte von der Tierwohlabgabe nicht zu schwer getroffen werden, regt sie beispielsweise an, die Hartz-IV-Sätze anzuheben oder die Einkommensteuer zu senken oder pauschale Transfers zu leisten. Allerdings ist der Verzehr von Fleisch und Milchprodukten auch in diesen Haushalten sehr unterschiedlich. Wie will man da einen „gerechten“ Ausgleich schaffen? Zudem könnten sich noch ganz andere Akteure, z.B. Sozialverbände, Gewerkschaften, Parteien, NGOs, mit weitergehenden Umverteilungsabsichten in die Diskussion einmischen. Es käme zu einem absurden Sammelsurium an Einzelmaßnahmen, das keiner sinnvollen Verteilungsnorm mehr entspricht.

Ein ähnliches Schicksal wäre der Tierwohlprämie für die Landwirte beschieden. Ihre höheren Kosten für Ställe und Haltung sollen lediglich zu 80 bis 90 Prozent kompensiert werden. Zu befürchten ist, dass auch hierbei wieder verteilungspolitische Elemente eine Rolle spielen, indem etwa Betriebe mit kleineren Beständen zu Lasten größerer Betriebe bevorzugt werden.

Das ganze System würde nicht zuletzt einen horrenden Aufwand an Verwaltung und Kontrolle mit sich bringen. Bei einem deutschen Alleingang schließlich wäre die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Land- und Ernährungswirtschaft auf europäischen und internationalen Märkten ernsthaft gefährdet.

Der gelenkte Verbraucher

Noch tiefer in die Planwirtschaft führen die jüngsten Vorschläge des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zur „Politik für eine nachhaltigere Ernährung“. Der Beirat ist erkennbar der Ansicht, dass die Verbraucher überfordert sind, der Werbung für „ungesunde“  Lebensmittel zu widerstehen und beim Einkauf die richtige Wahl zu treffen. Wobei zu fragen ist, ob es überhaupt „ungesunde“ Lebensmittel als solche gibt. Ist es nicht vielmehr die Ernährung insgesamt, die als gesund bzw. ungesund zu bezeichnen wäre?

„Es käme zu einem absurden Sammelsurium an Einzelmaßnahmen, das keiner sinnvollen Verteilungsnorm mehr entspricht.“

Jedenfalls fordert der Beirat eine „faire Ernährungsumgebung“, um eine „nachhaltige“ Auswahl von Lebensmitteln zu erreichen. Dazu schlägt er vor:

• die reduzierte Mehrwertsteuer für tierische Produkte abzuschaffen;
• die Mehrwertsteuer für Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte zu senken;
• zuckerhaltige Getränke zu besteuern und
• längerfristig eine „Nachhaltigkeitssteuer“ auf alle Lebensmittel zu beschließen.

Es bleibt allerdings ein Rätsel, wie man mit diesen Maßnahmen Preise so steuern will, dass gleichzeitig Gesundheit, Soziales, Umwelt und Tierwohl berücksichtigt werden, wie vom WBAE postuliert. Das überrascht aber auch nicht weiter, weil der WBAE bei seiner Definition von nachhaltiger Ernährung die Wirtschaft ausblendet. Immerhin gesteht er zu, dass sein Konzept den Landwirten hohe Anpassungslasten abverlangen und erhebliche soziale und ökonomische Herausforderungen mit sich bringen würde, die von der Politik begleitet werden müssten. Wobei man wieder bei den problematischen Borchert-Empfehlungen zur Tierwohlprämie, Tierwohlabgabe und ihrer sozialen Flankierung wäre.

Interessanterweise rechtfertigt der WBAE seine Vorschläge für tiefe Eingriffe in das Konsumverhalten mit einem angeblichen Marktversagen. Er setzt stattdessen großes Vertrauen in die Weisheit und Weitsicht von Politikern, die dann auf Empfehlungen genehmer Expertengremien zum vermeintlichen Wohl der Verbraucher an den Preisschrauben drehen. Die Gefahr des Politikversagens wird offensichtlich gering geschätzt.

Auch Brüssel bläst zum Generalangriff

Ebenso bedrohliche Signale für die Land- und Ernährungswirtschaft kommen aus Brüssel. Im Rahmen des „European Green Deal“, der Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen möchte, verfolgen die Farm-to-Fork- und die Biodiversitäts-Strategie der EU-Kommission folgende Ziele schon bis 2030:

Der chemische Pflanzenschutz und der Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung sollen halbiert und der Düngemitteleinsatz um mindestens 20 Prozent vermindert werden. Der Anteil des Ökolandbaues soll von derzeit acht auf 25 Prozent steigen. Auf mindestens zehn Prozent der Äcker und Wiesen sollen „artenreiche Landschaftselemente“ entstehen, und mindestens 30 Prozent der Landgebiete Europas sollen als Schutzzonen ausgewiesen werden.

„Interessanterweise rechtfertigt der WBAE seine Vorschläge für tiefe Eingriffe in das Konsumverhalten mit einem angeblichen Marktversagen. Die Gefahr des Politikversagens wird offensichtlich gering geschätzt.“

Der Präsident des Deutschen Bauernverbands spricht von einem Generalangriff auf die europäische Landwirtschaft und ihre Wettbewerbsfähigkeit. Internationale Konkurrenten werden dann Produktions- und Marktanteile gerne übernehmen. Der Effekt ist womöglich sogar negativ. Wandert die Produktion an Standorte außerhalb der EU, die weniger streng reguliert sind, verschlechtern sich sogar die globalen Umwelt- und Klimabilanzen. Auch dem Tierwohl wäre damit nicht gedient.

Zudem scheint die Kommission mit der neuen GAP größere nationale Spielräume für die Agrar- und Umweltpolitik zu planen. Die Sorgen der deutschen Landwirte sind vor diesem Hintergrund berechtigt. Schon heute haben sie durch die kostentreibenden Alleingänge der deutschen Politik laut einer HFFA-Studie gegenüber europäischen Wettbewerbern Mehrkosten in Höhe von 246 Euro je Hektar zu tragen. Bei solchen Größenordnungen mag man sich nicht darauf verlassen, dass die Verbraucher bereit sind, genug Geld auszugeben, um die Vorreiterrolle der heimischen Landwirtschaft zu würdigen. Das Einkaufsverhalten der übergroßen Mehrheit gibt dazu jedenfalls keinen Anlass.

Landwirtschaft vom Winde verweht?

Würden die vorgelegten Pläne und Konzepte umgesetzt, wären große Teile der deutschen Landwirtschaft endgültig in ihrer Existenz bedroht. Dabei braucht man sie nicht nur in ihrer gesellschaftlichen Schlüsselfunktion, der Ernährungssicherung. Auch für den Umwelt-, Klima- und Tierschutz ist sie unverzichtbar. Immerhin bewirtschaften und gestalten die Landwirte 50 Prozent der Landfläche Deutschlands. Werfen sie das Handtuch, sind diese Schutzgüter nicht unbedingt in besseren Händen.

„Würden die vorgelegten Pläne und Konzepte umgesetzt, wären große Teile der deutschen Landwirtschaft endgültig in ihrer Existenz bedroht.“

Für eine nachhaltige Landnutzung kommt es also maßgeblich darauf an, die Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft zu erhalten. Dann sind Landwirte auch in der Lage und bereit, mehr für Umwelt-, Klima- und Tierschutz zu tun. Die Politik für diese Schutzgüter sollte allerdings mit sehr viel mehr Augenmaß betrieben werden. Vermeidet man allzu drastische Eingriffe und Wendemanöver in der Agrar- und Ernährungspolitik, wahrt man die Chance für Korrekturen.

Eine Reformpolitik der kleinen lernenden Schritte ist abrupten Änderungen vorzuziehen. Gerade beim Klimaschutz als globales und sektorübergreifendes Phänomen macht es nämlich beispielsweise keinen Sinn, singulär nur die Tierproduktion verantwortlich zu machen oder vom Verbraucher zu fordern, auf Fleisch zu verzichten. Statt mit sektoralem Klein-Klein in der Agrar- und Ernährungspolitik Klimaschutz zu betreiben, sollte die Politik endlich die Vorschläge der Fünf Weisen ernst nehmen, das erfolgreich erprobte Konzept des EU-Emissionshandels auf möglichst viele weitere Sektoren zu übertragen. Der Preis bildet sich dann von allein und lenkt die CO2-Einsparaktivitäten an Stellen mit den geringsten Vermeidungskosten. In der Branche gibt es bereits erste Überlegungen für diesen Richtungswechsel. So mahnt der Präsident der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft, Hubertus Paetow die Nutzung marktpolitischer Instrumente in der Klimapolitik an, z.B. die Einbeziehung der Landwirtschaft in den europäischen Emissionshandel.                  

Um den aktuell perfekten Sturm mit seiner zerstörerischen, existenzbedrohenden Wirkung zu überstehen, wäre aus Sicht der Landwirtschaft deshalb:

• mehr Verständnis einer urban geprägten Gesellschaft für die Belange und Sorgen der Landwirte und ihrer Familien notwendig;
• mehr Vertrauen in marktwirtschaftliche Steuerungsmechanismen und Kooperationsformen hilf-reich;
• die Rückbesinnung auf die unbestreitbaren Vorteile von Arbeitsteilung und offenen Märkten für Einkommen und Beschäftigung im gesamten Agribusiness empfehlenswert;
• die Abneigung der Gesellschaft gegenüber technologischen Fortschritten und Innovationen im Agrar- und Ernährungsbereich zu überwinden;
• auch die moderne konventionelle Landbewirtschaftung als effizienter und effektiver Weg zur Umsetzung von Nachhaltigkeit zu akzeptieren.

Nimmt man die Landwirte auf diese Weise mit in eine grünere Zukunft, bleibt die Ernährungssicherung als zentrale Schlüsselfunktion des Sektors erhalten. Davon profitiert nicht nur die heimische Bevölkerung. In vielen Entwicklungsländern herrschen klimabedingt schwierigere Agrarverhältnisse als hierzulande. Der deutschen und europäischen Landwirtschaft mit besten Standortvoraussetzungen kommt damit auch eine weltbürgerliche Verantwortung bei der Bekämpfung von Hunger und Mangelernährung zu.

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