04.05.2015

Kohle versus Klima

Kommentar von Heinz Horeis

Sollten wir Kohle nutzen, um Armut und Unterentwicklung weltweit zu beenden? Oder sollten wir aufgrund vager Befürchtungen auf Kohle verzichten und damit große Teile der Welt in Armut belassen? Die Antwort liegt nahe, meint der Wissenschaftsjournalist Heinz Horeis

Kohle ist nützlich und unersetzlich. Kohle sorgt für eine verlässliche Stromversorgung im Land der Energiewende. Kohle beseitigt Armut in den sich entwickelnden Ländern. Kohle liefert den Strom, den zusätzliche zwei Milliarden Menschen bis zur Jahrhundertmitte benötigen. Mehr Wertschätzung für den schwarzen Brennstoff wäre angebracht. Doch gerade in den reichen Ländern, die durch Kohle groß geworden sind, ist das Gegenteil der Fall: Umweltverbände laufen Sturm gegen alte und neue Kohlekraftwerke. Stadträte kippen den Bau längst projektierter Anlagen. Der Chefredakteur des Magazins Solarpraxis räsoniert über „menschenfeindliche Kohle“, Greenpeace reimt „Tod aus dem Schlot“ und für den Amerikaner James Hansen – Planetenforscher, Klimaaktivist und ehemaliger Berater Al Gores – ist Kohle „die mit Abstand größte Bedrohung für die Zivilisation und alles Leben auf der Erde“. Kohlekraftwerke bezeichnet er als „Todesfabriken“ und die Züge, die den Brennstoff anliefern, als „Todeszüge“. [1]

Diese Angriffe gelten dem „bösen“ Kohlendioxid – ein geruchloses, unsichtbares und ungiftiges Gas, das bei der Verbrennung von Kohle, Gas, Holz oder Pflanzenmasse frei wird. Mehr Kohlendioxid in der Atmosphäre, so die herrschende Meinung, führe zu einer katastrophalen weltweiten Erwärmung. Schuld trage der Mensch, denn schließlich sorge dieser mit seinen industriellen Aktivitäten für immer mehr CO2 in der Luft. Die Idee von der „menschengemachten globalen Erwärmung“ ist inzwischen tief in die Poren der Industriegesellschaften eingesickert. In Politik und Medien ist sie ein nicht mehr zu hinterfragender, faktenresistenter Glaubenssatz. Daran zu zweifeln gilt als Sakrileg.

Tatsächlich gibt es genügend Grund zum Zweifeln. Vorhersagen treffen nicht ein. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts würde die globale Temperatur weit über jedem Wert der vergangenen 100.000 Jahre liegen, sagte der schon erwähnte James Hansen 1986 voraus. Zur Jahrhundertwende prognostizierte ein führender englischer Klimaforscher, dass Schneefall in wenigen Jahren ein „sehr seltenes und aufregendes Ereignis“ sein würde. Kinder würden gar nicht mehr wissen, was Schnee sei. George Monbiot, führender britischer Klimaaktivist, schnallte sich anlässlich ein paar kalter Tage im Januar 2009 noch einmal seine Schlittschuhe unter. Das könnte, so stellte er mit Wehmut fest, für lange Zeit das letzte Mal sein. Nun, der gute George hatte seitdem mehrfach Gelegenheit, seine Schlittschuhe wieder hervorzukramen. Einige kalte Winter, auch in Deutschland, haben derartige Vorhersagen rasch widerlegt.

„Ausgeprägte Warmzeiten gab es schon, bevor der Mensch Kohle verbrannte“

Der Weltklimarat (IPPC) spricht kaum noch von globaler Erwärmung. Es geht jetzt um „Klimawandel“ und „extreme Wetterereignisse“. Diese Begriffe sind angenehm vage. Klimapolitiker können damit alles – ob Kälte oder Hitze, Dürre oder Regenfluten – dem menschengemachten Kohlendioxid in die Schuhe schieben. Ein echter Propagandacoup. Als Bedrohung gilt nunmehr etwas, das es schon immer gegeben hat und auch in Zukunft geben wird. Weder Klimawandel noch Extremwetter sind schließlich etwas Neues. Das Klima wandelt sich ständig. Eiszeiten überzogen mehrfach große Teile der Erde und werden es auch in Zukunft tun. Es gab ausgeprägte Warmzeiten mit höheren Temperaturen als heute. Es gab und gibt außergewöhnliche Wetter, große Sturmfluten, Starkregen, gewaltige Stürme, Überschwemmungen usw. All das, was heute passiert, gab es schon in der Vergangenheit – bevor der Mensch Kohle verbrannte.

Was haben eigentlich Klimapolitik und Energiepolitik miteinander zu tun? Beides sind sehr verschiedene Dinge. Energiepolitik befasst sich mit technisch-wirtschaftlichen Fragen. Ihre Aufgabe ist es, für Milliarden von Menschen große Mengen an Energie billig, effizient und jederzeit verlässlich bereitzustellen. Nur dadurch können moderne Industriegesellschaften leben und überleben. Klima ist eine grundlegend größere Sache als Energie. Wie Abbildung 1 zeigt, wandelt sich das Klima auf der Erde seit Urzeiten ständig und regelmäßig, in geologischen Zeiträumen, in großen und in kleinen Zyklen, ohne um Erlaubnis zu fragen. Die Vorstellung, der moderne Mensch könne in dem winzigen Zeitfenster, in dem er existiert, mehr als eine kleine Delle im Klimageschehen hinterlassen, ist absurd. [2]



Abbildung 1: Temperaturverlauf der letzten 420.000 Jahre (Vostok-Eiskern, Antarktis) [3]


Und noch etwas unterscheidet Energie und Klima. Das Energieproblem können wir lösen. Es ist einfach und überschaubar: Wie lässt sich mehr Energie für mehr Menschen bereitstellen? Kohle spielt dabei heute eine Schlüsselrolle, mittelfristig und auf Dauer die Kernenergie. Das Klima hingegen ist komplex und liegt im Wesentlichen außerhalb unserer Reichweite. Klima ist deshalb auch kein „Problem“, denn Probleme kann man lösen. Das Klima ist – ganz einfach. Wir sollten uns freuen, dass es derzeit so ist, wie es ist – nämlich recht gut temperiert.

Lösen lassen sich allerdings Probleme, die als Folgen von Klimaänderungen auftreten. Steigt der Meeresspiegel, baut man Deiche – so wie es die Holländer machen. Droht Trockenheit und fehlt Wasser, muss man es über Rohre oder Kanäle herbeileiten (siehe Kalifornien) oder effizient nutzen (siehe Israel). Gegen Hitzewellen helfen Klimaanlagen. Energiereiche Gesellschaften können sich an natürliche Veränderungen weitgehend anpassen, energiearme nicht. Wenn Klimaaktivisten lamentieren, dass ein Klimawandel vor allem arme Länder treffe, so gibt es dafür Abhilfe: Macht die armen Länder reich, stärkt damit ihre Widerstandsfähigkeit. Dazu ist Kohle zwar keine perfekte, aber die derzeit beste verfügbare Lösung.

Nicht die Kohlenutzung ist menschenfeindlich, sondern die herrschende Klimapolitik, die diese Lösung verhindern will.

Schuldiges Kohlendioxid?

Die ersten systematischen Untersuchungen dazu, inwieweit CO2 das Klima beeinflusst, stammen aus den 1970er-Jahren. So veröffentlichte das Internationale Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien 1980 das erste globale Energieszenario, betitelt „Energie in einer endlichen Welt“. Das Thema Energie und Klima wird auf 20 Seiten behandelt, 3 Seiten befassen sich mit dem möglichen Einfluss von CO2. Die Modellrechnung ergab, je nach eingeschlagener Energiestrategie, eine Temperaturerhöhung um weit weniger als ein Grad (Kernenergieszenario) bzw. bis zu vier Grad (fossile Energiestrategie) bis zur Mitte dieses Jahrhunderts.

Die amerikanische Akademie der Wissenschaften veröffentlichte 1979 einen Bericht, den ein Team unter Leitung des renommierten MIT-Meteorologen Jule G. Charney erstellt hatte. [4] Die Meteorologen untersuchten das, was Forscher heute als „Klimasensitivität“ bezeichnen: Welche Temperatur ist bei einer Verdopplung des CO2-Gehalts in der Atmosphäre zu erwarten? Ergebnis: Eine mittlere Erwärmung von 3 Grad Celsius (entsprechend einer Spanne von 1,5 bis 4,5 Grad Celsius). Regional würde dies zu merklichen Klimaänderungen führen.

Die Autoren beider Teams betonen ausdrücklich, dass die Modellrechnungen mit vielen Ungewissheiten behaftet seien und keine zuverlässigen Prognosen liefern könnten. Interessant ist, dass der Weltklimarat die Bandbreite eines möglichen Temperaturanstiegs heute nicht besser einschätzt als die Wissenschaftler vor über drei Jahrzehnten. Auch die heutigen Modelle, produziert mit superteuren Hochleistungsrechnern von tausenden von Wissenschaftlern, bewegen sich im Bereich von 1,5 bis 4,5 Grad Celsius. Dass „verlässliche“ Vorhersagen immer noch fehlen, mag daran liegen, dass das Erdklima ein sehr komplexes System ist. Und wie der Weltklimarat einmal selbst feststellte: Komplexe Systeme sind prinzipiell nicht vorhersagbar! [5]

Auch lässt sich dem Kohlendioxid die Alleinschuld nicht mehr so einfach zuweisen, wie es Alan Gore einst machte. Gore verwies auf Daten, wonach Temperatur und atmosphärischer Kohlendioxidgehalt über zehntausende von Jahren im Gleichschritt verlaufen. Schlussfolgerung: Mehr Kohlendioxid ergibt steigende Temperaturen. Dumm nur, dass eine genaue Analyse der aus Eisbohrkernen gewonnen Daten das Gegenteil ergab: Das CO2 folgt der Temperatur im Abstand von einigen hundert Jahren. Wird es wärmer, geht mehr natürliches Kohlendioxid in die Atmosphäre.

„Die Erwärmung fällt geringer aus, als von den meisten Klimamodellen vorhergesagt“

Auch aktuell stehen die Klimaretter vor einem Problem: In den letzten 15 Jahren ist die globale Temperatur nahezu gleich geblieben, während der CO2-Gehalt in der Atmosphäre in dem Zeitraum kräftig zugenommen hat. Rund ein Drittel aller CO2-Emissionen durch fossile Brennstoffe seit Beginn der Industrialisierung 1750 fallen in diesen kurzen Zeitraum. [6] Offenbar hängt die globale Temperatur nicht eins zu eins von einer einzigen Stellschraube (dem CO2-Gehalt in der Atmosphäre) ab. Andere Faktoren dürften ebenfalls für Klima und Temperatur verantwortlich sein.

Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning, die Autoren von Die kalte Sonne, gehen davon aus, dass ein höhererCO2-Gehalt bis 2035 zwar zu einer geringfügig höheren Temperatur führen könnte. Dieser Anstieg werde allerdings durch natürliche Abkühlungsprozesse mehr als ausgeglichen. Übrig bleibe am Ende eine leichte globale Abkühlung. [7] Auch der Weltklimarat verschließt sich der Wirklichkeit nicht länger. Im fünften Assessment-Bericht vom September 2013 hat er die für 2025 erwartete Erwärmung von 0,7 auf 0,5 Grad Celsius gesenkt – allerdings stillschweigend. In der Öffentlichkeit läuten weiterhin die Alarmglocken.

Der renommierte schwedische Klimatologe Lennart Bengtsson, ehemals Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, ist ebenfalls skeptisch, was die gängigen Vorhersagen angeht. „Prognosen“, so schrieb er im April 2014 in der NZZ [8], „sind mehr eine Sache des Glaubens als ein Faktum.“ Auch die Sensitivität des Klimas bezüglich desCO2 werde seiner Meinung nach überschätzt. Die Erwärmung falle markant geringer aus als von den meisten Klimamodellen vorhergesagt. Angesichts dieser bescheidenen Faktenlage warnt Bengtsson vor übereilten Entschlüssen:

„Bevor man […] radikale und hastige Änderungen am heutigen Energiesystem vornimmt, muss es robuste Beweise für einen beträchtlichen Klimawandel geben. Davon sind wir noch weit entfernt.“

Der Weltklimarat setzt gegen solche Einwände das „Vorbeugeprinzip“: Auch wenn noch nicht alle Fragen geklärt seien, müsse man doch vorsichtshalber das Energiesystem umbauen. Dabei geht es allerdings weltweit um immense Beträge, die dann an anderer Stelle fehlen. So steckt Deutschland mal eben „auf Verdacht“ eine Billion Euro in ineffiziente Energie aus Wind, Sonne und Mais. Ärmere Länder können sich diese Verschwendung nicht leisten. Sie müssen in effiziente Energieträger wie Kohle investieren, um die Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung heute zu verbessern. Geld im vorauseilenden Gehorsam auszugeben, um eine mögliche, vage bestimmte Gefährdung irgendwann in ferner Zukunft zu vermeiden, ergibt keinen Sinn.

Ohnehin lässt sich die Energieversorgung so ausbauen, dass auch mit weniger Kohlendioxid der allgemeine Wohlstand steigt. Allerdings nicht mit ineffizienten Energietechnologien. Das erfordert moderne Kohlekraftwerke, Erdgas und Fracking und einen forcierten Ausbau der Kernenergie. Stattdessen pocht die westliche Klimakaste auf erneuerbare Energien, die teuer sind und zur Kohlendioxidminderung verschwindend wenig beitragen. Die deutsche Energiewende demonstriert das beispielhaft.

Kampf gegen Kohle

Folgt man Al Gore, so steht mit dem „menschengemachten katastrophalen Klimawandel“ die Zukunft unseres Planeten auf dem Spiel. Wenn es so schlimm ist, wieso hat man dann nicht schon längst auf die wirksamste Technologie zurCO2-Vermeidung gesetzt – die Kernenergie? Warum gehen NGOs und Grüne massiv gegen Kohle vor, selten aber gegen Öl und Erdgas? Warum hat der Sierra Club, die größte und älteste US-amerikanische Umweltgruppe, zwischen 2007 und 2010 über 25 Millionen US-Dollar von der Erdgasindustrie erhalten – zur Finanzierung der Kampagne Beyond Coal („Jenseits der Kohle“)? [9]

Die Drohung mit dem Klimawandel, so scheint es, lässt sich vielfältig für diverse Eigeninteressen einsetzen. Klimawandel ist eine profitable Geschäftsgrundlage von NGOs und Umweltgruppen, gibt den globalen Klimabürokraten üppige Pfründe, hilft (oder schadet) im Wettbewerb der verschiedenen Energietechnologien. Nicht zuletzt dient die Drohung mit dem Klimawandel als Waffe, um die sich entwickelnde Welt klein zu halten. Die jüngste Häutung der Weltbank belegt dies.

„Heute macht die Weltbank Klimapolitik“

Einst war die Bank angetreten, um die Armut in der Welt zu beseitigen. Heute macht sie Klimapolitik und streitet gegen Kohle – trotz deren Schlüsselrolle im Kampf gegen Armut. Das zeichnete sich bereits 2010 ab. Da ging es um einen Kredit von fast vier Milliarden US-Dollar für ein neues großes Kohlekraftwerk in Medupi, Südafrika, mit sechs Blöcken à 800 Megawatt. Weltweit opponierten die Klimaaktivisten. Die Vertreter der USA, Großbritanniens, der Niederlande, Italiens und Norwegens versagten dem Projekt die Unterstützung; alle Vertreter der sich entwickelnden Länder stimmten dafür und machten so den Kredit möglich. [10]

Ende 2012 veröffentlichte die Weltbank den Klimabericht „Turn down the Heat“ [11]. Darin wird vor einer „noch in diesem Jahrhundert dramatisch wärmeren Welt“ gewarnt – mit den üblichen „verheerenden Folgen“: Überschwemmte Küstenstädte, nie gekannte Hitzewellen, Wassermangel, Ernteausfälle, trockene Gebiete werden trockener, nasse Gebiete werden nässer, Stürme werden stürmischer. Ein Katastrophenszenario, das, so hoffte Jim Yong Kim, der damals neu gewählte Präsident der Weltbank [12], „schockiert und zum Handeln zwingt“.

Von der Weltbank hatte man derartigen Aktionismus nicht erwartet, von den Autoren des Berichts allerdings schon: Sie stammen aus dem Potsdamer Institut für Klimafolgenabschätzung (PIK) und seinem Ableger Climate Analytics. Die Weltbank, zumindest die Mehrheit des Gouverneursrats, steht hinter dem Bericht. Auf der Website heißt es, dass die Weltbank all ihre Geschäfte immer stärker durch die Klimabrille betrachten und nur noch in „seltenen Fällen“ neue Kohlekraftwerke finanzieren werde. Immer mehr Geld wird in die „grüne“ Energie investiert. 2012 waren es bereits 44 Prozent der für Energieprojekte vorgesehenen Kredite.

„Auf Banken und Kreditgeber wird Druck ausgeübt, nicht in Kohlekraftwerke zu investieren“

Ungewöhnlich harsch kritisierte Milton Catelin, der Geschäftsführer des Weltkohleverbandes [13], den Schwenk der Weltbank unter ihrem neuen Chef. Von einer Entwicklungsbank zur Bekämpfung weltweiter Armut habe Kim sie zu einem politischen Werkzeug zur Förderung erneuerbarer Energien gemacht.

„Er [Kim] ist nunmehr das Sprachrohr der entwickelten Nationen, die den Fluss überschritten haben, der Armut von Wohlstand trennt. Jetzt wollen sie die Brücke hinter sich verbrennen – zum Schaden von Milliarden von Menschen in der sich entwickelnden Welt.“

Greenpeace, Friends of the Earth, die Grünen – sie scheren sich nicht um diesen Schaden. „De-invest“ – das Ende der Investition in Kohle ist bei Umweltgruppen inzwischen eine wichtige Forderung. Auf Banken und Kreditgeber wird Druck ausgeübt, nicht in Kohlekraftwerke zu investieren. So opponiert das CEE Bankwatch Network, finanziell unterstützt von der EU, sehr professionell gegen „schädliche Energieprojekte“, insbesondere Kohle, in der Türkei, Mittel- und Südosteuropa. [14]

Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Kampagne im Namen der Umwelt Armut und Tod befördert. In der Nachkriegszeit hat DDT Millionen von Menschen vor dem Tod durch Malaria bewahrt. Ab 1970 wurde sein Einsatz aufgrund massiven Drucks von westlichen Grünen und Umweltverbänden weitgehend eingestellt. Die Folge für die Dritte Welt: Millionen von Erkrankungen und Todesfällen durch Malaria. Wie schon das DDT-Verbot trifft auch die grüne Kampagne gegen Kohle vor allem die Bevölkerung der armen Länder und wird dort, sollte sie Erfolg haben, Armut, Krankheit und Tod bringen.

Glasperlen für die Armen

Im Juni 2013 stellte Barak Obama seinen „Klimaaktionsplan“ vor, mit dem er die Vereinigten Staaten und die Welt auf den Pfad der „sauberen Energie“ führen will. Den sich entwickelnden Ländern will er beim Übergang zu „saubereren Energiequellen“ helfen. Sie sollen die „schmutzige Phase ihrer Entwicklung überspringen und sich einer globalen kohlenstoffarmen Wirtschaftsweise anschließen“, sagte der Präsident bei der Vorstellung des Plans. [15] „Sie müssen nicht all die Fehler machen, die wir gemacht haben.“

Welche Fehler? Ist Industrialisierung, ist Wohlstandsgesellschaft, ist hohe Lebensqualität ein Fehler? Wer so redet, hat vor allem eine Angst: Dass die Menschen in den Entwicklungsländern genauso viel Auto fahren, wie die Menschen es hier tun. Lernt also von uns Reichen, nicht reich zu werden. Begnügt euch mit Glasperlen, nutzt ineffiziente neue Energie anstelle der alten bewährten Energie.

„Da, wo viel billige Energie gebraucht wird, haben die Ökoenergien wenig Freunde“

Wie so etwas aussieht, ist einem Bericht des Weltklimarats aus dem Jahr 2011 zu entnehmen. Bis Mitte dieses Jahrhunderts könnten danach „beinahe 80 Prozent des weltweiten Energiebedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt werden.“ Dies sei durch eine massive Senkung des weltweiten Energiebrauchs realisierbar. [16] Ist das Zynismus, Dummheit oder Absicht? In einer insgesamt ohnehin energiearmen Welt [17], in der die Bevölkerung wächst, weniger Energie zu verbrauchen, bedeutet weiterhin Armut und Elend.

Weltweit stammen etwa 13 Prozent der genutzten Energie aus erneuerbaren Quellen, vor allem aus Holz, Pflanzen und Dung – den ältesten Energiequellen der Menschheit. Diese, vor allem zum Kochen und Heizen benutzten nicht-kommerziellen Brennstoffe herrschen in den ärmsten Regionen der Welt vor. Afrika hängt zu fast 50 Prozent von ihnen ab. [18] Der Anteil von Sonne und Wind, den Erneuerbaren der neuesten Mode, hat sich im letzten Jahrzehnt zwar fast verdreifacht, ist mit etwa zwei Prozent Anteil am Weltenergieverbrauch winzig (siehe Abbildung 2).[19] Da, wo viel billige Energie gebraucht wird, haben die Ökoenergien wenig Freunde. Wer angesichts dieser Größenordnung meint, man könnte den Riesenbatzen an fossiler Energie, den der Mensch täglich nutzt, durch Energie aus ineffizienten erneuerbaren Quellen wie Sonne, Wind und Biomasse ersetzen, der irrt gewaltig.



Abbildung 2: Größenordnung globaler Energienutzung 2013


Es gibt zwei einfache Gründe dafür, warum grüne Energiequellen nicht für eine zuverlässige und billige Energieversorgung taugen: ihre geringe Leistungsdichte und ihr schwankendes Aufkommen.

„Zahlreiche Studien belegen die Ineffizienz der grünen Energie“

Diese grundlegenden Mängel lassen sich durch Forschung nicht abstellen, höchstens durch teure „Krücken“ wie Energiespeicher lindern. Diese Mängel sind der Grund dafür, dass Solarzellen und Windräder letztlich ungeeignet sind, um Stromnetze zuverlässig zu beliefern. Sie können einen Beitrag leisten – aber warum sollte man dafür teure Energiequellen nehmen? – oder sie könnten Regionen mit Strom versorgen, die noch an kein Netz angeschlossen sind. Alles andere ist Geldverschwendung bzw. Geldumverteilung.

Zahlreiche Studien belegen die Ineffizienz der grünen Energien. Hier sind ein paar neuere: Ein Autor der Washingtoner Brookings Institution suchte den „besten Weg zu einer kohlenstoffarmen Zukunft“. Ergebnis: Verglichen mit Strom aus Kernreaktoren, großen Wasserkraftwerken und Erdgas sind Wind- und Solarstrom ein „sehr teurer und ineffizienter Weg zur Senkung der CO2-Emissionen“. [20] Das Center for Global Development hat untersucht, wie man am wirksamsten Armut verringert: grün oder fossil. Investierte man zehn Milliarden Dollar in Solar- und Windstromerzeuger, so die Autoren, ließen sich damit 20 bis 27 Millionen Menschen versorgen. Für den gleichen Geldbetrag gebaute Gaskraftwerke lieferten allerdings Strom für 90 Millionen Menschen! [21] Mit Erneuerbaren bleiben also 70 Millionen Menschen im Dunkeln.

„Auch die Armen müssen sich den Strom leisten können“

Das erste Windrad zur Stromerzeugung drehte sich 1888. 1954 bauten Forscher in den Bell-Laboratories die erste Solarzelle in ihrer heutigen Form. Beide Technologien sind also schon sehr lange auf der Welt. Aus eigener Kraft haben sie sich nie zu wirtschaftlicher Reife entwickeln können. Ihr Einsatz blieb immer auf Nischen beschränkt. Inzwischen tragen sie zwar zwei Prozent zur weltweiten Energiezeugung bei – doch nur dank massiver Subventionen. Wettbewerbsfähig sind sie immer noch nicht; ohne Vorzugsbehandlung können sie auch zukünftig nicht überleben. Wie kann man da erwarten, dass China, Südafrika oder Indien derart leistungsschwache Energietechniken zur Grundlage ihrer Entwicklung machen könnten?

Die renommierte indische Umweltaktivistin Sunita Narain wurde nach ihren Pro-Kohle-Äußerungen (Siehe Teil I, Kohle gegen Armut) massiv von NGOs angegriffen. Im Magazin Bussiness Standard [22] hat sie ihre Meinung noch einmal bekräftigt. Indien mit seinem riesigen, unerfüllten Bedarf an Strom könne Kohle kurzfristig nicht ersetzen. Denn auch die Armen müssten sich den Strom leisten können. Sie greift die Anti-Kohle-Gruppen an, die größtenteils von großen US-amerikanischen NGOs geführt würden. Sie findet es „heuchlerisch“, von Indien zu verlangen, auf Kohle zu verzichten. „Aus Sicht [der Reichen] müssen die Armen der Welt die Last des Klimawandels tragen, zu Erneuerbare Energien übergehen und ihren Verbrauch senken.“ Das, so schließt sie, sei die „Definition von Gerechtigkeit in der Welt des reichen Mannes.“

Krach ums Klima

Im Dezember 2009 trafen die Führer der wichtigsten Länder der Welt auf der Weltklimakonferenz in Kopenhagen zusammen. Dabei waren auch 40.000 Funktionäre, Beamte, NGO-Aktivisten und Journalisten. Sie erlebten einen Showdown zwischen den Industrienationen und den großen sich entwickelnden Staaten. Die ersten wollten eine internationale Begrenzung der Emissionen erreichen, die zweiten beharrten auf ihrem „Recht auf eine Zukunft in Wohlstand“. Es wurden turbulente Gespräche – man schrie, man sperrte aus, man traf sich insgeheim. Barack Obama erzwang sich Zutritt zu einem verdeckten Treffen der Staatschefs von China, Indien, Brasilien und Südafrika. Am Ende hatte der Westen verloren. Es gab keine verbindlichen Absprachen. Mit der Klimakanzlerin war Schluss. Zurück in Berlin schwor Angela Merkel, sie würde sich nie wieder so demütigen lassen. Auf den Nachfolgekonferenzen in Cancun und Warschau fehlte sie, ebenso wie andere europäische Staatschefs. [23]

Die westlichen Politiker hätten es besser wissen können. Wenige Wochen vor dem Kopenhagener Treffen veröffentliche Ding Zhongli, Chinas Top-Klimaforscher, in der Pekinger Zeitschrift Science Times einen langen Artikel zum bevorstehenden Klimagipfel. [24] Ding ist Vizepräsident der chinesischen Akademie der Wissenschaften. Man kann davon ausgehen, dass er in der Klimafrage die offizielle Meinung der Pekinger Führung vertritt.

„China teilt die Angst vor einem ‚katastrophalen Klimawandel‘ nicht“

Für die Idee, dass Temperaturanstieg und CO2-Konzentration gesichert korrelierten, so schreibt Ding, gebe es keine verlässlichen wissenschaftlichen Belege. Einige Geologen glaubten, dass die globale Temperatur von der Sonne und eiszeitlichen Ereignissen bestimmt würden. Die menschliche Aktivität könne deshalb nicht der einzige Faktor für den Temperaturanstieg der letzten hundert Jahre sein. Warum, so fragt der Autor, legten die Industriestaaten dann ein solch „fragwürdiges wissenschaftliches Konstrukt“ auf den Tisch internationaler Verhandlungen? Ihre wahre Absicht sei nicht die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs, sondern die Beschränkung der wirtschaftlichen Entwicklung der Schwellen- und Entwicklungsländer.

Anschließend stellt Ding ein fast schon hinterhältiges Konzept vor, an dem alle Forderungen seitens der Industrieländer an China abperlen sollten. Es ist die Strategie der „kumulativen Emissions-Quoten pro Kopf“ (siehe Tabelle unten). Damit, so Ding, könne China „gut gerüstet“ in die Verhandlungen gehen. Im Kern besagt diese Haltung Folgendes: Ihr, die Industrienationen, habt euch dank Kohle prächtig entwickelt und dabei reichlich Kohlendioxid in die Luft geblasen. Nun habt ihr Angst, dass ihr damit einen „katastrophalen Klimawandel“ bewirken könntet. Diese Angst teilen wir nicht. Wenn ihr also kein weiteres Kohlendioxid freisetzen wollt, könnt ihr das gerne machen. Wir jedenfalls benötigen sehr viel Kohle für weiteres wirtschaftliches Wachstum. Und wegen unseres großen Nachholbedarfs haben wir ein Recht darauf.

Offensichtlich kannte kein Staatschef in Washington, London, Berlin oder Paris diesen Artikel. Oder man nahm ihn nicht ernst. Ob Obama, Merkel & Co. nun überheblich, naiv oder dilettantisch waren – in jedem Fall mussten sie eine demütigende Niederlage einstecken. China und Indien erreichten ihr strategisches Ziel: Sie verhinderten, dass ihre Volkswirtschaften internationalen Emissionskontrollen unterstellt würden – jetzt und in der Zukunft.

„Gewinner sind Kohle und Kohleindustrie“

Das sind schlechte Aussichten für die 21. Weltklimakonferenz, die im November 2015 in Paris stattfinden wird. Die Organisatoren wollen dort endlich ein Klimaschutzabkommen mit allen Staaten der Welt erreichen, das völkerrechtlich verbindliche Zielwerte für den Ausstoß von Treibhausgasen festlegt. Es ist kaum vorstellbar, dass China, Indien und andere Länder mitmachen, falls das Abkommen ihr Recht auf Entwicklung einschränkt.

Gewinner sind Kohle und Kohleindustrie, sehr zum Leidwesen von NGOs und Umweltaktivisten. Die Kohle ist nicht länger das Aschenputtel, das alle Arbeit macht, aber keine Anerkennung erhält. Kohle macht die Welt reicher, schafft ein besseres Leben für Millionen vom armen Menschen. Das schafft Selbstbewusstsein bei den Verantwortlichen. Ihr Sprachrohr, der Weltkohleverband, vertritt die Interessen der Kohle, ohne sich, wie die großen Ölfirmen, beim grünen Mainstream anzubiedern. Er scheut nicht vor Konfrontationen zurück. Zusammen mit dem polnischen Wirtschaftsministerium richtete der Verband im November 2013 in Warschau den zweitägigen Internationalen Kohle & Klimagipfel aus. „Unerhört“ sei das, eine „echte Provokation“, wie Klimaaktivisten schäumten [25], denn gleichzeitig und ebenfalls in der polnischen Hauptstadt tagte die 19. Weltklimakonferenz. Auch hier, beim Treffen vor Berlins Haustür, fehlte die vormalige Klimakanzlerin.

In einem gemeinsamen Kommuniqué [26] erklärten der Weltkohleverband und Polens Wirtschaftsministerium, wie sich mit „Clean Coal“-Technologie CO2-Emissionen rasch senken ließen. Allein der Ersatz alter Kohlemeiler durch moderne Kraftwerke mit höherem Wirkungsgrad könne den CO2-Ausstoß des gesamten Energiesektors weltweit um 20 Prozent vermindern. An solch konkreten Vorschlägen waren die Ökotruppen nicht interessiert. Aktivisten von Greenpeace machten das, was sie am besten können: Dächer besetzen und Banner aufspannen. Dann verließen sie, zusammen mit 800 Vertretern von WWF, Oxfam, Friends of the Earth und anderen NGOs vorzeitig die Tagungsstätte. Die verantwortlichen Regierungen, so ihre larmoyante Klage, hätten kollektiv versagt und sie im Stich gelassen. Jetzt, so forderte Greenpeace, müsse der „zivilgesellschaftliche Widerstand gegen neue Braunkohleabbaugebiete, gegen jeden Neubau von Kohlekraftwerken, gegen neue Ölplattformen deutlich zunehmen.“

Was jetzt?

Muss man sich um das Klima wirklich sorgen? Man kann. Die Frage lautet, ob das nicht vergebliche Mühe ist. Denn das Klima wandelt sich ohnehin, egal ob wir mehr oder weniger Kohle verbrennen. Inwieweit der Menschen dazu beiträgt, lässt sich nicht verlässlich sagen. Sein Beitrag dürfte sich eher auf einen „Schluckauf“ im Klimageschehen beschränken. Große Sorgen sollte man sich deswegen nicht machen: Tier- und Pflanzenwelt passen sich seit Urzeiten dem klimatischen Wandel an. Auch die noch recht junge Menschheit hat es schon früh gelernt, sich anzupassen.

Der Mensch hat dabei einen großen Vorteil. In der Tierwelt überleben in kalten Zeiten diejenigen mit dem dichteren Pelz, bei Menschen diejenigen mit der besseren Heizung. Tiere müssen damit zurechtkommen, was ihnen die Natur gegeben hat. Der Mensch schafft eine technische Umwelt, die ihn vor den Härten der Natur schützt. Diese Umwelt ist durch die industriell-technische Entwicklung immer widerstandsfähiger geworden. „Der Trend“, so schrieb der US-amerikanische Umweltwissenschaftler Jesse Ausubel 1991 in der Wissenschaftszeitschrift Nature [27] „geht in Richtung verringerter Anfälligkeit für klimatische Einflüsse.“ Angst vor einem Klimawandel müsse man nicht haben, so Ausubels Botschaft.

„Reiche Länder sind weniger anfällig für Klimaänderungen als arme Länder“

Eine bemerkenswerte Studie [28] von Indur Goklany, Elektroningenieur und Analyst im US-Innenministerium, unterstreicht diese Aussage (siehe Abbildung 3). Danach hat die Zahl der Todesfälle durch Extremwetter im Laufe des vergangenen Jahrhunderts dramatisch abgenommen – trotz wachsender Bevölkerung und „gefährlicher Erwärmung“.



Abbildung 3: Todesfälle aufgrund von Extremwetter (Grafik: Horeis, nach Daten von Goklany, 2011.)

Ein starker Hurrikan bringt in Haiti oder Myanmar Tausenden den Tod, in den USA nur wenigen Dutzend. Reiche Länder sind weniger anfällig für Klimaänderungen als arme Länder. Sie verfügen über genügend Knowhow, Technik, Energie und Wirtschaftskraft, um sich anzupassen. Den ärmeren Ländern fehlen diese Mittel weitgehend. Sie müssen, wie derzeit China oder Indien, erst die industriell-technische Basis schaffen, um ihre Verwundbarkeit gegenüber Natur und Klima zu verringern. Das geht nicht mit Biomasse, Wind- und Sonnenenergie. Im Gegenteil. Diese „Natur“-Energien sind selbst wieder anfällig für Klimaereignisse, im Gegensatz zu Energie aus Erdgas, Kohle oder Uran.

„Obama hat sich bei der Absprache zur Verringerung von CO2-Emmissionen über den Tisch ziehen lassen“

Fossile Brennstoffe sind kein Auslaufmodell. Sie tragen über 85 Prozent der weltweiten Energieversorgung und lassen sich weder heute noch morgen durch grüne Energie ersetzen. Insbesondere die Kohle ist Garant dafür, dass es in den kommenden Jahrzehnten nicht nur den Chinesen, sondern auch den Menschen anderer sich entwickelnder Länder immer besser gehen wird. Die Frage „Kohle ja oder nein?“ ist deshalb beantwortet: Kohle wird uns erhalten bleiben, zumindest für die absehbare Zukunft.

Daran dürfte auch der Klimagipfel in Paris 2015 nichts ändern. China und Indien, zusammen mit anderen sich entwickelnden Ländern, werden, wie in Kopenhagen, auf ihrem Recht auf Entwicklung bestehen. Dazu brauchen sie große Mengen an billiger Energie und die liefert derzeit nur die Kohle. Obamas Klimadeal mit Chinas Präsident Xi Jinping macht deutlich, was der Westen vom Pariser Klimagipfel erwarten kann: Nicht viel. Obama bezeichnete die Absprache zur Verringerung der CO2-Emmissionen, die er und Xi im November 2014 in Peking trafen, als „historische Vereinbarung“. Allerdings hat sich der US-amerikanische Präsident über den Tisch ziehen lassen. [29]

Obama hat die USA darauf verpflichtet, bis 2025 die Treibhausgasemissionen um 26 bis 28 Prozent unter die Werte von 2005 zu senken. Xi verspricht, dass Chinas Kohlendioxidausstoß bis 2030 weiter zunimmt und dann einen Höhepunkt erreicht. Rund 20 Prozent der Energieleistung sollen dann in China aus nicht-fossilen Quellen stammen. Xi verspricht damit etwas, was voraussichtlich ohnehin eintreten wird. Bis 2030 werden vor allem moderne Kohlekraftwerke mit geringerem CO2-Ausstoß in Betrieb gehen. Nicht-fossile Energiequellen werden sich vor allem aus Wasserkraft und Kernenergie speisen.

„In der Klimafrage können die westlichen Industrienationen nur verlieren“

Übrigens hat die Internationale Energieagentur (IEA) den von Xi versprochenen Rückgang der Kohlendioxidemission schon vor fünf Jahren vorhergesagt. Laut damaligem Weltenergiebericht würden die chinesischen Kohlekraftwerke ab dem Zeitraum 2025 bis 2030 weniger Kohlendioxid freisetzen – bei weiterhin steigender Erzeugung von Kohlestrom. Auch in den Jahresberichten 2011, 2012 und 2013 ist diese Vorhersage enthalten, einschließlich anschaulicher Grafik.

Mit Hinweis auf diese (also gar nicht so neue) „Verpflichtung“ kann sich Xi in Paris weiteren Forderungen entziehen. Indien ist nicht einmal bereit, nach chinesischem Beispiel vage Versprechungen zu machen. Dazu liegt das Land noch zu weit zurück. Indien habe noch „einen riesigen Bedarf an Kohle und Eisen“, sagte der indische Premier Modi bei einem Besuch in Melbourne im November 2014. [30] Die Hauptlast bliebe an den westlichen Industrienationen hängen. Sie müssten sich zur massiven Senkung ihres CO2-Ausstosses und damit zu großen Einschnitten bei ihrer Energienutzung verpflichten. Etlichen EU-Politikern dämmert bereits, dass das ihren Volkswirtschaften großen Schaden zufügen würde. Wohl nur wenige Länder dürften deshalb Obamas Beispiel folgen. Als Ausgleich würden ein paar Milliarden mehr in den Globalen Klimafonds fließen.

In der Klimafrage haben sich die westlichen Industrienationen selbst in die Falle manövriert. Sie können nur verlieren. Gewinnen werden die globale Klima- und Umweltbürokratie und die NGOs. Sie dürften enorm von den Milliarden des Klimafonds profitieren. Und natürlich gewinnt China. Das Land modernisiert sich mit Hilfe der Kohle weiter; sein größter Konkurrent, die USA, schwächt sich selbst.

Ding berechnet für verschiedene Länder, wie viel CO2 diese im Laufe der vergangenen Jahrzehnte pro Kopf freigesetzt haben. Ein Vergleich dieser kumulierten Werte begründet den großen Nachholbedarf der bislang unterentwickelten Länder. Wie die Tabelle (Abbildung 4) zeigt, hat China von 1900 bis 1960 pro Kopf nur ein Zehntel dessen freigesetzt, was pro Kopf in den USA emittiert wurde.

Kumulierte Pro-Kopf-Emissionen (Tonnen) Zeitraum 1900-1960.
Vereinigte Staaten 235
Großbritannien 177
Kanada 150
Frankreich 74
China 24

Abbildung 4: Kumulierte Pro-Kopf-Emissionen 1900-1960. Grafik: Horeis.

Noch größer ist der Unterschied, wenn man die gesamten Emissionen seit Beginn des Industriezeitalters betrachtet. Für Großbritanniens und die USA kommen etwa 1100 Tonnen pro Kopf zusammen, für China und Indien 66 bzw. 23 Tonnen pro Kopf. Ungefähr 70 bis 80 Prozent des in der Atmosphäre befindlichen Kohlendioxids, so schließt Ding, wurde von den Industriestaaten emittiert. Die historischen Emissionen der Industriestaaten hätten also zum Anstieg der Globaltemperatur geführt, vorausgesetzt, die CO2-These stimme, wie er ausdrücklich betont.

Ding befasst sich dann mit den Vorgaben, die auf dem Treffen der G8-Staaten im Juli 2009 vorgeschlagen wurden. Danach sollten bis 2050 die CO2-Emissionen um 50 Prozent global und um 80 Prozent in den G8-Staaten gesenkt werden. Das erwecke den Anschein, als trügen die Industriestaaten besonders viel dazu bei. Dings Berechnungen zeigen, dass mit diesen Vorgaben die kumulierten Kohlendioxid-Emissionen pro Kopf der G8-Staaten zwischen 1990 und 2050 dreimal höher sind als die aller anderen Staaten. Daher sei der G8-Vorschlag „extrem unfair“.


Dieser Artikel ist zuerst in der Novo-Printausgabe (#119 - I/2015) erschienen. Kaufen Sie ein Einzelheft oder werden Sie Abonnent, um die Herausgabe eines wegweisenden Zeitschriftenprojekts zu sichern.

jetzt nicht

Novo ist kostenlos. Unsere Arbeit kostet jedoch nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Unterstützen Sie uns jetzt dauerhaft als Förderer oder mit einer Spende!