23.11.2015

Zwischen Wissenschaft und Politik

Analyse von Hans von Storch

Was ist die Aufgabe der Wissenschaft, wenn es um den Klimawandel geht? Kann sie politische Maßnahmen empfehlen oder darf sie sich gar als Priester der ewigen Wahrheit aufspielen? Hans von Storch diskutiert die Chancen und Grenzen der Wissenschaft im Verhältnis zur Politik

Die große Leistung der internationalen Klimaforschung in den vergangenen 30 Jahren war es, dass sie eine fortschreitende globale Erwärmung festgestellt hat. Die Forschung hat außerdem die gegenwärtigen externen Ursachen für diesen Wandel herausgefunden und den kausalen Zusammenhang zwischen erhöhten Treibhausgaskonzentrationen und dem sich verändernden Klima.

Mit diesem Wissen ist in der internationalen Politik eine neue Dynamik ausgelöst worden. Das Stichwort „Klimaschutz“ bringt sie auf den Punkt. Sichtbares Symbol dieser Politik ist das sogenannte „Zwei-Grad-Ziel“, aber auch eine Neigung, praktisch alle negativen Entwicklungen der jüngeren Zeit direkt oder indirekt dem Klimawandel zuzuschreiben.

Es stellt sich die Frage, welche Dienstleistung die Gesellschaft von der Wissenschaft erwartet, inwiefern sie die Öffentlichkeit zum Umgang mit komplexen Vorgängen beraten soll. Geht man von einer häufig anzutreffenden Rhetorik in der Öffentlichkeit, aber auch unter einzelnen Wissenschaftlern, aus, scheint es sich so zu verhalten: Die Wissenschaft zwingt der Gesellschaft gewisse Entscheidungen geradezu auf. Die Gesellschaft ist nicht mehr frei zu entscheiden. Sie muss das überlegene Wissen aus der Wissenschaft lediglich umsetzen.

„Das wissenschaftlich konstruierte Wissen über den Klimawandel und seine Folgen steht unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit“


Tatsächlich erlaubt die Wissenschaft bisweilen eine realistische Einschätzung der politischen Optionen. Von daher liegt der Gedanke nahe, dass die Wissenschaft weiter ihre Autorität aus ihrer Methodik zieht. Die Politik trifft ihre Entscheidungen auf Basis der wissenschaftlichen Bewertung der Machbarkeit und der Folgen sowie auf Basis gesellschaftlicher Präferenzen und Vorstellungen. Daraus ergibt sich eine vernetzte Arbeitsteilung, die die spezifischen Eigenheiten der gesellschaftlichen Akteure „Wissenschaft“ und „Politik“ beziehungsweise „Verwaltung“ respektiert. Dabei berücksichtigt der Vorschlag den demokratischen Charakter der politischen Willensbildung.

Offenheit der Forschung

Wie in jeder Naturwissenschaft entwickelt sich auch die Klimawissenschaft fort, eröffnet neue Gebiete, beantwortet einige Fragen, um gleichzeitig viele neue zu formulieren.
Naturwissenschaft ist kein Verkünder von ewigen Wahrheiten, sondern beansprucht, bestmögliche Erklärungen zu entwickeln, diese immer wieder zu testen und schließlich gegebenenfalls durch noch bessere Erklärungen zu ersetzen. Diesen Erklärungen wird Legitimität zugesprochen, weil sie mit der wissenschaftlichen Methode erarbeitet worden sind, weil sie permanenten Versuchen der Falsifikation ausgesetzt sind und weil sie sich mit anderen einschlägigen wissenschaftlichen Erklärungen vereinbaren lassen. Sie sind die besten Erklärungen, die die wissenschaftliche Gemeinschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt geben kann, wohl wissend, dass sie in einiger Zeit einer Revision bedürfen könnten, wenn neue Beobachtungen zur Verfügung stehen.

Wissenschaft ist also auch ein gemeinschaftliches Unterfangen, das von sozialen Umständen und Werten zwar nicht gesteuert, aber doch bedingt wird. Herausgearbeitet hat dies unter anderem der polnische Wissenschaftstheoretiker Ludvig Fleck in seinem Buch Die Entstehung einer wissenschaftlichen Tatsache.

Dass die Öffentlichkeit „die“ Wissenschaft als Autorität für die Erklärung von Zusammenhängen und Dynamiken anerkennt, hat seine Ursache darin, dass „die“ Wissenschaft als objektive Bemühung verstanden wird, Zusammenhänge zu klären. Objektivität wird hier verstanden als unabhängig von persönlichen, wirtschaftlichen oder politischen Zielen. Dass dies ein frommer Wunsch ist und Wissenschaftler als Teil ihrer Gesellschaft immer auch Vertreter von Werten und sozial konstruierter Wissensansprüche sind, ändert wenig an dieser gesellschaftlichen Zuweisung von Erklärungsautorität. Was man hier mitnehmen kann, ist, dass es „die“ Wissenschaft nicht gibt, sondern nur wissenschaftliche Akteure, von denen einige Deutungshoheit für sich und ihre Gruppe beanspruchen – häufig auch mit Erfolg.

Das wissenschaftlich konstruierte Wissen über den Klimawandel und seine Folgen steht also unter dem Vorbehalt der Unsicherheit, der Zweifel, der Vorläufigkeit. Das bedeutet nicht, dass dieses Wissen beliebig, von Schummelei korrumpiert und praktisch irrelevant sei. Einige Wissensansprüche sind sehr weitgehend abgesichert, andere noch ganz neu und ungetestet.

Das mit der wissenschaftlichen Methode erarbeitete Wissen entwickelt sich wie ein Baum: laufend kommen neue Äste hinzu und jedes Jahr ein neuer Ring von neuen Erkenntnissen. Die neuen Ringe sind besonders empfindlich, weil noch häufig Gegenstand von Kritik und Falsifikation. Insofern sind die oft gerühmten „neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse“ besonders kritisch zu sehen und nicht etwa als besonders wertvoll oder besonders gut. Im Laufe der Zeit, wenn diese neuesten Ergebnisse das Feuer der Falsifikation überstanden haben und so langsam Teil der inneren Baumringe werden, wird aus „neuesten“ Erkenntnissen solides, „abgehangenes“ Wissen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass es Prozesse gibt, in denen die wissenschaftliche Gemeinschaft versucht, den Stand des Wissens darzustellen. Dazu gehört die Benennung der Wissenslücken, der unstrittigen Themen und der strittigen. Am Ende ist es keine Frage des „besten“ Wissens, was ohnehin oft nur ein Anspruch von lautstarken Individuen ist: Eine elegant auf Englisch vorgetragene Hypothese, die in Science veröffentlicht wurde, ist nicht notwendigerweise besser als ein holpriger englischer Text in einem rumänischen Journal.

Abgehangenes Wissen

Wir müssen uns also fragen: Welches naturwissenschaftliche Wissen zum Klimawandel ist „abgehangen“? Was sind die Aussagen, die nicht mehr strittig sind in der Gemeinschaft der Wissenschaftler, die kaum noch Gegenstand von Kritik und Widerspruch sind? Ich meine jetzt nicht jene älteren Herrschaften, die es ohnehin besser wissen, sondern jene Wissenschaftler, die aktiv im Prozess der naturwissenschaftlichen Herstellung von Wissen über den derzeitigen Klimawandel beteiligt sind.

„Insofern sind die oft gerühmten ‚neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse‘ besonders kritisch zu sehen und nicht etwa als besonders gut“

Da ist zunächst die Einsicht, dass wir tatsächlich einen Klimawandel erleben. Es wird – nicht nur im globalen Mittel – wärmer. In Deutschland sind es seit 1880 etwa 1,3 Grad Celsius, wie gerade vom Deutschen Wetterdienst DWD und der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft festgestellt wurde. Der Anstieg der Temperaturkurve ist kein Artefakt der Auswahl der Messstationen oder veränderlicher Messmethoden. In unseren (Bray und von Storch) Umfragen unter Klimawissenschaftlern liegt die Häufigkeit einer zustimmenden Antwort zur Klimaerwärmung bei mehr als 95 Prozent der Befragten.

Die nächste Frage ist: Liegt diese Entwicklung im Rahmen der vom Klimasystem selbst erzeugten Schwankungen? Auch hier gibt es eine hohe Zustimmungsrate: Mit unserem gegenwärtigen Wissen über die intern erzeugten Klimaschwankungen sind die langfristigen Temperaturanstiege nicht im Rahmen dieser Schwankungen erklärbar. Es müssen also externe Faktoren im Spiel sein. Wir sprechen von „Detektion“. Die ständig vermehrte Gegenwart von Treibhausgasen – vor allem also Kohlendioxid –, aber auch die Erzeugung von Schwebteilchen, also Aerosolen, die Gegenwart von vulkanischem Material in der Stratosphäre oder veränderliche Leistungen der Sonne sind solche Faktoren. Bis zu diesem Zeitpunkt spielen Klimamodelle nur eine untergeordnete Rolle. Vor allem geht es um Beobachtungsdaten, deren Qualität und gute statistische Methodik.

Der nächste Schritt ist die Beantwortung der Frage, welche Faktoren denn vermutlich dominant für die derzeitigen Klimaänderungen verantwortlich sein können – wir sprechen von der Zuordnung der Klimaänderungen zu ihren Ursachen. Hier geht es um Plausibilität, denn es ist ja möglich, dass es Faktoren geben könnte, die wir bisher nicht kennen. was wir aber haben, sind die Vorschläge, die Klimamodelle machen, wie die Reaktion auf beobachtete Veränderungen, etwa der CO2-Konzentration, aussehen sollte. Wenn ein vorab „detektierter“ Wandel sich als konsistent mit einem bestimmten Mix an Gründen erweist und inkonsistent mit allen anderen, dann benennen wir diesen Mix an Gründen als den wahrscheinlichsten, im Sinne von: plausibelsten Grund. In unserem Fall ist dieser Mix dominiert von erhöhten Treibhausgaskonzentrationen – mit geringeren Anteilen an solarer Aktivität und regional differenzierten Aerosolbeiträgen –, abgesehen von den immer gegenwärtigen internen Schwankungen. Die Zustimmung zu dieser Aussage liegt Umfragen zufolge unter der Zustimmung zur Realität des Klimawandels, nämlich zwischen 80 und 90 Prozent.

Die „Vorschläge“ oder vorläufigen Erklärungen, die Klimamodelle zur Wirkung von erhöhten Treibhausgaskonzentrationen machen, sind zumindest mit der Entwicklung der bodennahen Lufttemperatur in der jüngeren Vergangenheit in erster Näherung stimmig. Obwohl die Klimamodelle nicht die gleichen Antworten auf den gleichen Antrieb geben, erscheinen sie untereinander konsistent. Daraus darf man schließen, dass diese Modelle auch in der Lage sind, zukünftig mögliche Zustände zu beschreiben. Mit anderen Worten: Derart konstruierte Szenarien liefern im Rahmen ihrer raum-zeitlichen Ungenauigkeit Ausgangsdaten, um Klimaschutzmaßnahmen zu planen und ihre Wirksamkeit einzuschätzen.

Nun müsste man unterscheiden, für welche Variablen das gut geht, für welche es nicht gut geht, für welche wir keine Aussagen treffen können, weil die Datenlage unzureichend ist, etc. Es sollte an dieser Stelle der Hinweis genügen, dass die Vorhersage für die Temperatur ganz gut klappt, aber für die regionalen Niederschlagssummen in Europa eher nicht, was damit zusammenhängen kann, dass wir im Regionalen die Wirkung veränderlicher Aerosolkonzentrationen bisher nur unzureichend quantitativ abschätzen können.

„Eine besondere Herausforderung ist entstanden, weil sich die Praxis durchgesetzt hat, alle unerfreulichen Wetterereignisse als Resultat des menschgemachten Klimawandels zu deuten“

Übrigens haben das Norddeutsche Klimabüro des Helmholtz-Zentrums Geesthacht und das Seewetteramt des Deutschen Wetterdienstes zu diesem Zwecke den webbasierten Service Klimamonitor entwickelt, der es dem interessierten Menschen ermöglicht, die Übereinstimmung von bisherigem Wandel mit zukünftig erwartetem Wandel zu bestimmen. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, wie hervorragend wissenschaftsorientierte und dienstleistungsorientierte Einrichtungen konstruktiv zusammenarbeiten können.

Eine besondere Herausforderung ist entstanden, weil sich in der besorgten Zivilgesellschaft und in den an Aufregung interessierten Medien die Praxis durchgesetzt hat, alle unerfreulichen Wetterereignisse wie Überflutungen, Sturmfluten, tropische wie heimische Stürme, Tornados, oder Dürren als Resultat des sich entfaltenden menschgemachten Klimawandels zu deuten. Wetterphänomene werden so als Zeichen der Warnung instrumentalisiert. Und dies, ohne vorher die Schularbeiten von Detektion und Attribution gemacht zu haben. In der Regel werden dann verstärkte Anstrengungen beim Klimaschutz eingefordert und weniger Maßnahmen zur Reduktion der Verletzlichkeit der betroffenen Region erwogen.

Eine methodische Lücke in der Klimaforschung stellt das Problem der „event attribution“ dar, die beschreibt, inwieweit einzelne extreme Ereignisse an Wahrscheinlichkeit zu- oder abgenommen haben, basierend auf den bisher eingetretenen Klimaveränderungen. Diese Techniken werden derzeit entwickelt. So befanden wir die Stürme Christian von 2013 oder Gonzalo von 2014 zwar als selten, aber durchaus im Rahmen des zu Erwartenden. Andere Forscher deuteten den Hitzesommer 2003 als erheblich durch den Klimawandel verstärkt.

Für die politische Frage des Klimaschutzes steht die Aussage im Vordergrund, dass der Klimawandel real ist und umso stärker ausfällt, je mehr Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen, beziehungsweise dort verbleiben. Je weniger Treibhausgase in der Atmosphäre sind, desto geringer fallen die Herausforderungen aus, mit diesen Änderungen umzugehen.
Dann kommt die Frage nach der Wirkung von nicht vermiedenen Klimaänderungen. Das ist auch eine naturwissenschaftliche Frage, sie ist aber erheblich schwieriger zu beantworten, weil dies einerseits mit komplexer Dynamik, vor allem im ökologischen Bereich, zusammenhängt, aber auch mit Anpassungsmaßnahmen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen und damit zusammenhängend zeitlich veränderlichen gesellschaftlichen Präferenzen. Dieses Wissen ist erforderlich, um einerseits abzuschätzen, wie groß denn die Herausforderungen sind, die sich aus den nicht vermiedenen Klimaänderungen ergeben, und andererseits zu bestimmen, welche Anpassungsnotwendigkeiten bzw. -optionen bestehen.

Dienstleistungen der Wissenschaft

Die Vorstellung, dass es „richtige“ Entscheidungen zum Umgang mit dem Klimawandel gäbe, negiert den politischen Charakter gesellschaftlicher Entscheidungen, die ja eine Auswahl aus einer Reihe von Optionen darstellen, entsprechend den gesellschaftlichen Präferenzen. Es gibt allerdings Entscheidungen, die „falsch“ sind – falsch in dem Sinne, dass die Entscheidung nicht die erwartete Wirkung haben kann. Ansonsten sind die möglichen Entscheidungen nur dann „besser“ als andere, wenn man gewisse gesellschaftlich definierte Vorgaben zu Grunde legt.

Um die „falschen“ Entscheidungen aus dem Strauß der möglichen Optionen zu entfernen, bedarf es der Beratung durch einschlägige Wissenschaft, die klären kann, welche Maßnahmen mit welchen Folgen verbunden sind. Ob diese Folgen gesellschaftlich erwünscht sind bzw. ob deren Kosten gesellschaftlich akzeptabel erscheinen, ist eine politische Frage, zu deren Beantwortung die Wissenschaft kaum beitragen kann. Hier ist die Gesellschaft selbst für Wohl und Weh verantwortlich, und es steht nicht im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, dass Entscheidungen vernünftig sein müssen – auch „dumme“ Entscheidungen sind legitim, wenngleich eben „dumm“ für manche oder gar viele.

„Wissenschaftler verstehen oft gar nicht, worum es geht, weil die Fragestellungen nicht zu den disziplinären Gefängnissen der wissenschaftlichen Gehirne passen“

Die wissenschaftliche Beratung erschöpft sich also darin, die Folgen von Maßnahmen zu beschreiben. Es geht darum, welche Folgen sich für welchen gesellschaftlichen Sektor ergeben, welche Risiken und Möglichkeiten bestehen und welche gesellschaftlichen Interessengruppen diese betreffen. Die verbleibenden Unsicherheiten in dem verfügbaren abgehangenen wissenschaftlichen Wissen sind dabei kaum ein Hinderungsgrund für den gesellschaftlichen Entscheidungsprozess.

So ist unsere Empfehlung an die zukünftige Ausgestaltung des Küstenschutzes in Norddeutschland diese: „Es ist unstrittig, dass der Meeresspiegel in den kommenden Jahrzehnten steigen wird, möglicherweise auf längere Sicht sogar erheblich. In den kommenden 25 Jahren wird dieser Anstieg aber vermutlich einen Wert von 30 cm nicht übersteigen, sodass die bisherige Sicherheitsmarge des Küstenschutzes bis dahin ausreichen sollte. Danach aber wird der Meeresspiegel weiter ansteigen, möglicherweise sehr schnell, sodass ein Aus- oder Umbau des Küstenschutzes in den darauf folgenden Jahren unabdingbar werden könnte. Daher bietet sich an, die kommenden 25 Jahre zu nutzen, um erstens die laufende Modernisierung des Küstenschutzes anzupassen, sodass zu einem späteren Zeitpunkt eine Verstärkung relativ einfach möglich wäre; zweitens ein solides Monitoringprogramm zu integrieren, das Einschätzungen zur tatsächlichen Entwicklung des Meeresspiegelanstiegs in der kommenden Zeit liefert; drittens in die Entwicklung technischer Verbesserungen des Küstenschutzes, etwa den Überlauf, zu investieren; viertens partizipative Prozesse mit den Betroffenen – neudeutsch: Stakeholder – über mögliche Reaktionen auf die beschleunigte Zunahme der Flugrisiken in den kommenden Jahrzehnten einzurichten.“

Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass das wissenschaftliche Wissen als Möglichkeit der Auslotung von Optionen eingesetzt wird, wobei Wissenschaft selbst als desinteressiert an der gesellschaftlichen Entscheidung und als gebunden an wissenschaftliche Methodik auftreten kann und wissenschaftliches Wissen dennoch eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Entscheidungsprozess spielen kann. Dies stellt eine nachhaltige Nutzung der gesellschaftlichen Ressource „Wissenschaft“ dar.

Verwaltung

Was nun die Verwaltung angeht: Hier ist der Deutsche Wetterdienst ein gutes Beispiel, denn ihm geht es darum, dass die gesellschaftlichen Bedürfnisse und die wissenschaftlichen Möglichkeiten in der Problemberatung zusammengebracht werden.

Eine Herausforderung bei dieser Art von „Klimaservice“ ist zunächst die Tatsache, dass gesellschaftliche Fragen bisweilen gar nicht wissenschaftlich behandelt werden können bzw. dass wissenschaftliches Wissen für gesellschaftliche Fragen oft unbrauchbar ist. Anders ausgedrückt: Wissenschaftler verstehen oft gar nicht, worum es geht, weil die Fragestellungen unter anderem nicht zu den disziplinären Gefängnissen der wissenschaftlichen Gehirne passen. Ein anderer Stolperstein ist die Tatsache, dass es oft unmöglich erscheint, die Differenziertheit wissenschaftlicher Aussagen Nicht-Fachleuten zu erklären. Das bedeutet, dass Ungenauigkeit, Vorläufigkeit und Bedingtheit wissenschaftlicher Aussagen nicht als solche erkannt und daher nicht in den gesellschaftlichen Entscheidungsprozess integriert werden. Gesellschaft und Wissenschaft verstehen einander oft genug nicht.

Ein weiterer wesentlicher Kommunikationskiller besteht in der Konkurrenz verschiedener Wissensansprüche. Es gibt ja nicht nur wissenschaftlich konstruiertes Wissen, sondern viele verschiedene Formen von kulturell konstruiertem Wissen. Als Beispiel mag hier der Einfachheit halber Religion gelten. Wissen hat ja nichts mit Wahrheit zu tun, sondern mit der Fähigkeit zu handeln. Deshalb sind solch altertümliche, oft belächelte Systeme wie Wetteralmanache oder Bauernregeln durchaus oft genutzte „Beratungssysteme“. Für aufgeklärte Menschen gilt wissenschaftlich konstruiertes Wissen grundsätzlich als überlegen, aber die Beliebtheit von Esoterik und anderen Merkwürdigkeiten auch in sogenannten gebildeten Kreisen unserer Gesellschaft zeigt, dass die Deutungshoheit oft genug nicht bei den Wissenschaften liegt. Jeder Klimaservice, sofern er sich nicht ganz auf ein Informationsangebot beschränkt, muss diese Wettbewerbssituation anerkennen. Das bedeutet: Wir brauchen eine Topologie der alternativen Wissensansprüche, wir sollten wissen, welche Erklärungssysteme unsere Gegenüber in ihren Köpfen betreiben. Man denke an Masern und Impfungen zur Vorbeugung.

„Klimaservice ist kein Frontalunterricht für die klimamäßig ungebildeten Massen“

Dass diese alternativen Erklärungssysteme nicht anerkannt sind, mag der Grund sein, warum es einen robusten Skeptizismus auch unter sehr gebildeten Personen gibt, die auf gut gemeinte Erziehungsversuche so gar nicht reagieren. Unter Klimaforschern erlebt man immer wieder, dass sie davon sprechen, Fehlgeleitete, Falschinformierte und Verstockte zu belehren, zu informieren und aufzuklären. Der Umgang mit Skeptikern wird als Kampf verstanden, der mit pädagogischen Mitteln zu gewinnen ist, aber doch nur zu einer weiteren Polarisierung führt. Es wäre hier angezeigt, auszuloten, inwieweit man trotz anderer Deutungen dennoch zu einem konstruktiven Umgang mit dem vom Menschen gemachten Klimawandel kommen kann. Ich denke, dass Beispiel zum Küstenschutz zeigt, wie dies gelingen könnte.

Ein anderes Deutungssystem ist das der ständigen Verschlechterung der Umweltbedingungen, der Entwicklung hin zur Klimakatastrophe, die „uns“ aufgrund unserer Lebensweise zu Recht ereile: In dieser Deutungswelt wird jedes Extremereignis zum Mahnzeichen für eine Umkehr, woraus die Einsicht erwächst, dass Anpassung eigentlich keinen Sinn hat, sondern nur die Umstellung unserer Lebensweise. Da hilft es nicht, Deiche zu erhöhen, da müssen die Autos abgeschafft werden. Auch mit dieser Deutungswelt muss sich Klimaservice auseinandersetzen.

Klimaservice

Klimaservice ist ein Service. Es gibt die Dienstleistung gegenüber der großen Politik – etwa die Beurteilung der Wirksamkeit der jetzt einlaufenden „Intended National Determined Contributions“ (INDCs) für das Erreichen des Zwei-Grad-Ziels. In noch stärkerem Maße gibt es die wissenschaftliche Dienstleistung gegenüber der regionalen und lokalen Politik und Wirtschaft, wenn es darum geht, wie man mit jenem Klimawandel, der nicht vermieden werden kann, konkret umgeht.

Klimaservice hat eine Informationsdimension, aber erfordert auch eine Auseinandersetzung mit möglichen alternativen Deutungen. Klimaservice ist kein Frontalunterricht für die klimamäßig ungebildeten Massen, sondern transdisziplinärer Austausch, auch Wettbewerb von Wissen und Deutung von Zusammenhängen, Erstellung und Bewertung von Optionen, eine Unterstützung des demokratischen Prozesses.

Wissenschaft hatte zwei Rollen: Die Naturwissenschaften waren für die Klärung von Zusammenhängen und Folgen von Maßnahmen zuständig, die Gesellschaftswissenschaften für die Verbesserung des Austauschs von Informationsbedarf und Innovationsangeboten, für den Umgang mit alternativen Wissensformen.

Klimaservice ist eine Aufgabe, die bei den Verwaltungen liegt. Die Rolle der Wissenschaft ist es, Inhalte, Formate und Bedingungen für diesen Service mit der wissenschaftlichen Methode zu erforschen. Gemeinsam ermöglichen Wissenschaft und Verwaltung dem politischen Prozess, die möglichen Optionen wahrzunehmen und abzuwägen, zu bewerten und schlussendlich zu entscheiden.

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