17.09.2015

Klimawandel: Die tödlichen Nebenwirkungen der internationalen Klimapolitik

Analyse von Fred F. Mueller

Der Westen verfolgt seine Klimapolitik ohne Rücksicht auf die Interessen der Dritten Welt. Sie verschärft die Energiearmut in den ärmsten Ländern zusehends. Die „Dekarbonisierung“ ist ein tödlicher Cocktail aus Ignoranz und Rücksichtslosigkeit, meint Fred F. Mueller

Die G7 machen es, die USA machen es, und der Papst macht inzwischen auch mit: Die zivilisierte Welt macht sich auf, um das Klima vor dem Anstieg des CO2 zu retten, das uns mit Hitzewellen, Meeresanstieg und anderen Naturkatastrophen bedrohen soll. Um das zu erreichen, sollen wir innerhalb weniger Jahrzehnte nahezu vollständig auf die Verbrennung von Kohle, Gas und Öl verzichten. Energie soll dann weitestgehend nur noch aus „erneuerbaren“ Quellen wie Sonne, Wind und Wasser kommen. Dies wird allerdings nicht ohne erhebliche Einschränkungen des gewohnten Lebensstandards möglich sein.

Um das zu erkennen, genügt ein kurzer Blick in eine noch gar nicht allzu lange zurückliegende Vergangenheit. „Die Mutter und ihre beiden Kinder lagen gemeinsam im Grab mit der Nummer R11 des kleinen jungsteinzeitlichen Friedhofs von Lokomotiv, mitten in der heutigen Stadt Irkutsk in Sibirien“, berichtete die Archäologin Angelika Franz am 18. März 2015 auf Spiegel Online [1]. Aus der Lage der Knochen konnten die Archäologen das Drama, das sich hier abgespielt hatte, exakt ablesen. Die Frau war mit geschätzten 20 bis 25 Jahren im besten Alter, es hätte eine glückliche Familie werden können. Doch der eine Zwilling hatte in Steißlage gelegen, sein Kopf verhakte sich möglicherweise mit dem des Geschwisters, und so starben Mutter und Kinder einen elenden Tod. Helfen konnte ihnen damals niemand. Nur die moderne Medizin, über die wir heute verfügen, hätte dieses Drama verhindern können.

Ohne Energie keine Zivilisation

Dieses Ereignis wirft ein Schlaglicht darauf, dass unsere moderne Zivilisation nicht nur Annehmlichkeiten und sogar Luxus, sondern vor allem auch einen effektiven Schutz vor Krankheit, Schmerzen und frühem Tod bietet. Und das ist noch gar nicht so lange her, wie manche zu glauben scheinen, die heute mit Schlagworten wie „Fossilkapitalismus“ um sich werfen. Noch um das Jahr 1875 kamen Männer im Deutschen Reich nicht über eine Lebenserwartung von etwa 35 Jahren hinaus, bei Frauen waren es 38 Jahre [2]. Entscheidende Verbesserungen bezüglich Lebenserwartung, Ernährung, medizinischer Versorgung und der Verringerung der Arbeitszeit setzten erst im 20. Jahrhundert ein. Zu verdanken haben wir dies weit überwiegend einem einzigen Umstand: der Verfügbarkeit reichlicher und billiger Energie durch Dampfmaschinen, Benzinmotoren und Elektrizität sowie durch die Beheizung von Wohnungen und Waschwasser mit Kohle, Gas und Öl statt Holz.

„Der Umstieg auf erneuerbare Energien wird nicht ohne erhebliche Einschränkungen des gewohnten Lebensstandards möglich sein“

Die sich damit entwickelnde Industrie befreite die Menschen auch von der bisher oft knochenbrechenden Arbeit in der Landwirtschaft, in der noch bis zum Jahr 1750 rund 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung tätig waren. Dank Mechanisierung und Chemie (Düngemittel) konnte ein Landwirt im deutschen Kaiserreich Anfang des 20. Jahrhunderts dann bereits Nahrungsmittel für vier weitere Personen erzeugen, 1950 waren es bereits zehn und im Jahr 2004 sogar schon 143 Personen. Die Steigerung der Lebensmittelproduktion ermöglichte wiederum die Freisetzung immenser Ressourcen an Arbeitskraft und Intelligenz für Forschung und Entwicklung und damit schnelle Fortschritte auf allen möglichen Gebieten von Naturwissenschaften und Technik.



Abbildung 1: Entwicklung der Lebenserwartung in Deutschland von 1871 bis 2004 (Grafik: Statistisches Bundesamt)

Energieverbrauch im Vergleich

In modernen Industrienationen erreicht der ständige Energiebedarf der Bevölkerung inzwischen eine Bandbreite zwischen etwa 4100 Watt (Italien) und 12.500 Watt (Luxemburg). Um sich klarzumachen, wie entscheidend wir hiervon abhängen, braucht man sich nur in Erinnerung zu rufen, dass dem Menschen bis vor einigen 1000 Jahren nur die durch seine eigenen Muskeln erzeugbare Dauerleistung zur Verfügung stand. Und die liegt für einen gesunden Erwachsenen bei lediglich etwa 80 bis 100 Watt. Das sind nur winzige Bruchteile dessen, was uns heute auf Knopfdruck jederzeit zur Verfügung steht. Erst die heutige Verfügbarkeit reichlicher und billiger Energie hat es den Industrienationen ermöglicht, unsere technische Zivilisation mit Stahl und Aluminium, mit moderner Medizin und ausreichender Versorgung mit Lebensmitteln selbst für die Ärmsten unter uns aufzubauen.

Für uns ist dieses Lebensniveau inzwischen so selbstverständlich geworden, dass den meisten Zeitgenossen gar nicht klar ist, wie viel schlechter es auch heute noch Milliarden Menschen in den ärmeren Ländern der Welt geht, weil ihnen keine ausreichenden Energieressourcen zur Verfügung stehen. „Die Welt kocht nicht in Edelstahl auf Induktion, sondern in Blech und Gift“ schrieb Sabine Hark vor wenigen Monaten in einem Artikel in der FAZ. [3]. Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Luftverschmutzung in Haushalten, so die Autorin, „kochen mehr als 3 Milliarden Menschen, also fast die Hälfte der Weltbevölkerung, ihre täglichen Mahlzeiten auf Herden, die den Namen kaum verdienen: Kochstellen aus wenigen geschichteten Steinen um ein offenes Feuer, für das oft genug nicht einmal Holz, sondern nur Plastikmüll, Kuhdung oder Küchenabfälle als Brennstoff zur Verfügung stehen.“ Dabei atmen die drei Milliarden Betroffenen giftige Dämpfe ein: „Ein Cocktail aus Feinstaub, Karbonmonoxyd, Stickstoffoxiden, Formaldehyd, Benzol.“ Im Jahr 2012 starben laut Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation 4,3 Millionen Menschen, vor allem Frauen und Kinder, an der Luftverschmutzung in Haushalten oder an damit verbundenen Krankheiten.

Dieser Bericht macht klar, worauf es hinausliefe, wenn man diesen Menschen unter dem Vorwand, durch Dekarbonisierung das Klima retten zu müssen, auch in Zukunft die Versorgung mit preisgünstigen fossilen Brennstoffen verwehrte. Darüber sollten diejenigen, die heute großspurig von „Klimagerechtigkeit“ herumtönen, ernsthaft nachdenken.

Der Feldzug der Planetenretter

Denn genau auf die Verweigerung des Rechts auf billige Energie läuft die Politik, die seitens der hiesigen Regierungen und zahlloser Verbände von Greenpeace bis Brot für die Welt betrieben wird, inzwischen hinaus. Die Methoden der systematisch und langfristig betriebenen Kampagne sind teils subtil, teils brutal. Aufgrund der Druckmittel, welche dieser unseligen Koalition aus Politik und „Umweltschutz“-Verbänden zur Verfügung stehen, soll weltweit die Zufuhr an billiger fossiler Energie erschwert werden, was vor allem Menschen in der Dritten Welt betrifft. So meldete beispielsweise der französische Le Monde am 08. April 2015, dass sich die drei französischen Großbanken BNP Paribas, Crédit Agricole und Société Générale der Erpressung französischer und australischer Umweltverbände gebeugt und sich aus der Finanzierung des weltweit bedeutendsten Kohleprojekts im Osten Australiens zurückgezogen haben [4]. Die tatsächliche Tragweite dieser Entwicklung erkennt man erst, wenn man weiß, dass Frankreich bzw. französische Banken bisher den weltweit vierten Rang bei der Finanzierung von Kohleprojekten innehatten.

„Die Bevölkerung gerade der ärmsten Länder wird keine Chance erhalten, sich aus dem Teufelskreis der Energiearmut zu befreien“

Der jetzt erzielte „Erfolg“ dürfte daher noch weitere Projekteinstellungen nach sich ziehen. Vergleichbar massive Eingriffe seitens der US-Regierung unter Obama vermeldete die Times of India. Dem Bericht zufolge setzte die US-Regierung bereits im Jahr 2010 die Weltbank unter Druck, wenn es um die Finanzierung von Kohleprojekten ging. [5] Darunter leiden dann vor allem Kohle- und Teerprojekte in finanziell weniger stabilen Ländern wie Pakistan oder Südafrika. Auch der weltgrößte, mit rund 900 Milliarden US-Dollar ausgestattete Pensionsfonds des norwegischen Staates hat auf Drängen der Politik beschlossen, Finanzierungen im Bereich der Kohle zu kappen. Gleichgelagerte Entscheidungen gab es in letzter Zeit auch seitens der Church of England, des Weltkirchenrats, der Fonds der Universitäten von Stanford und Harvard, der British Medical Association, des Fonds der Gebrüder Rockefeller sowie des AXA-Konzerns. Die Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen.

Zementierung von Armut

Die Verantwortlichen mögen glauben, etwas Gutes zu tun, wenn sie nicht einfach nur unbedacht dem Zeitgeist folgen. Tatsächlich läuft ihr Tun auf etwas anderes hinaus: die Zementierung von Armut und Rückständigkeit gerade in den weniger entwickelten Ländern. Hierauf arbeitet insbesondere auch die deutsche Bundesregierung in ihrem Sendungsbewusstsein in Klimafragen mit aller Macht hin. Rechtzeitig vor Beginn der aus Sicht westlicher Länder entscheidenden Klimakonferenz in Paris spendierte Deutschland dem wirtschaftlich und politisch angeschlagenen Brasilien mehr als eine halbe Milliarde Euro.

Das ist wenig mehr als eine Promille dessen, was Europa inzwischen ins marode Griechenland gepumpt hat. Damit hat man Brasilien ein „Klimaschutzabkommen“ abgenötigt. Im Gegenzug musste sich das Land der G7-Gruppe unterwerfen. Brasilien musste zusichern, bis Ende des Jahrhunderts aus der Nutzung von Kohle, Öl und Gas auszusteigen. Damit ist es Deutschland gelungen, ein Land aus der sogenannten BRICS-Gruppe (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) herauszubrechen und so deren Widerstand gegen die vom Westen ohne Rücksicht verfolgte Klimapolitik zu schwächen. Die Bevölkerung gerade der ärmsten Länder wird so keine Chance erhalten, sich aus dem Teufelskreis der Energiearmut zu befreien.

Da helfen auch keine Fantasien (pardon, „Visionen“) über „urbane 2000-Watt-Gesellschaften“. Statt schöner energieautarker Wohnblocks mit „urban gardening“ und Bienenvölkern auf dem Balkon könnte es möglicherweise eher auf verfallende Favelas und giftige Dämpfe am heimischen Herd hinauslaufen.

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