13.11.2013
Keine Begründung für regulatorische Sonderbehandlung transgener Pflanzen
Interview mit Ingo Potrykus
Der „Goldene Reis“ zur Bekämpfung des nach wie vor weit verbreiteten Vitamin-A-Mangels beiträgt und der Ausstieg aus der Grünen Gentechnik ein Fehler ist, den Deutschland noch bereuen wird
Ingo Potrykus, Professor Emeritus am Institut für Pflanzenwissenschaften der ETH Zürich, gehört zu den weltweit angesehensten Persönlichkeiten auf den Gebieten der landwirtschaftlichen, Umwelt- sowie industriellen Biotechnologie [1] und erfand zusammen mit Peter Beyer [2] den Goldenen Reis. [3] Im Gegensatz zu normalem Reis hat er einen erhöhten Nährwert, da er Vitamin A liefert. Laut WHO leiden weltweit rund 127 Millionen Kinder im Vorschulalter an Vitamin-A-Mangel, bis zu 500.000 erblinden jedes Jahr und insgesamt sterben pro Jahr etwa 600.000 Kinder unter 5 Jahren daran.
Novo: Auf den Philippinen wird ja in Kürze die Zulassung von Goldenem Reis beantragt. Wie schätzen Sie die Aussichten dafür ein, bis wann könnte das abgeschlossen sein?
Ingo Potrykus: Die Zulassung wird in zwei Stufen erfolgen. Zulassung zum Verzehr, in wenigen Monaten, Zulassung zum Anbau, ein halbes Jahr später. Ich denke, dass beide Termine eingehalten werden.
Was wird dann passieren? Wie wird der Reis zu den Bauern gelangen?
Nach der Zulassung zum Verzehr wird Helen Keller International [4] (eine seit 25 Jahren auf Vitamin-A-Mangel spezialisierte NGO), mit Hilfe einer Gates Foundation Finanzierung, in einer zweijährigen, groß angelegten Studie in den Philippinen die Wirksamkeit einer Golden Rice Intervention untersuchen und dokumentieren. Golden Rice wird nur nach dokumentierter Wirksamkeit an die Bauern abgegeben.
Wird die Bevölkerung den Goldenen Reis annehmen? Hier in Deutschland herrscht ja eine starke Ablehnung gegen die Technologie. Wie sieht es damit in Asien, speziell den Philippinen, aus?
Im Rahmen einer „Social Marketing“ Studie ist diese Frage sorgfältig untersucht worden. Die Farbe wird sogar als positiv empfunden, sobald bekannt ist, dass diese Farbe *Provitamin A“ und damit einen Gesundheitsbonus bedeutet.
Als Sie die Idee zum Goldenen Reis hatten, hätten Sie mit so viel Widerstand gerechnet?
Nein. Es gab viele negative Überraschungen, obwohl ich seit 1985 mit der GMO Problematik vertraut war.
„Es wurde nachgewiesen, dass Golden Rice die bei weitem kostengünstigste und nachhaltigste Intervention im Zusammenhang mit dem Vitamin-A-Mangelproblem ist.“
Kritiker schlagen ja vor, den Leuten in Entwicklungsländern beim Anlegen eigener Gemüsegärten zu helfen und ihnen Zugang zu Obst und Gemüse zu ermöglichen. Was halten Sie davon?
Niemand hindert sie, das zu machen. Trotz aller Förderung in dieser Hinsicht haben wir das Vitamin-A-Mangelproblem. Prof. Matin Qaim hat mit seinen Mitarbeitern nachgewiesen, dass Golden Rice die bei weitem kostengünstigste und nachhaltigste Intervention ist, die außerdem Hunderte von Millionen Menschen erreicht, die durch andere Interventionen nicht erreicht werden.
Der Goldene Reis wurde ja in der ersten Version kritisiert, weil er zu wenig Vitamin A enthielt. Dieser Punkt ist zwar längst obsolet, aber was hielten Sie damals von dieser Kritik?
Sie war von Beginn an unberechtigt. Wir können heute auf Grund der experimentellen Daten zur Verfügbarkeit von Provitamin A aus Reis nachweisen, dass 100g unseres ersten Golden Rice mit 1,6 Mikrogramm Provitamin A pro Gramm Endosperm [5] ausgereicht hätten, den Vitamin A-Mangel auszugleichen. Diese Daten existieren leider erst seit 2010.
Gibt es Punkte der Kritik von z.B. Greenpeace, die Sie für berechtigt halten/hielten?
An Golden Rice? Nein! An der Verwendung von GMOs im Allgemeinen? Ja.
Was ist für Sie die absurdeste Behauptung, mit der der Goldene Reis angegriffen wurde?
Dass 8kg täglich gegessen werden müssten, um die erwünschte Wirkung zu erzielen. Es ist bewiesen, dass 40g pro Tag genügen.
Warum ging das nicht mit anderen Züchtungsmethoden; beispielsweise sind ja vor etwas mehr als einem Jahr in Afrika mit Provitamin A angereicherte Cassava und Süßkartoffeln aus dem HarvestPlus-Programm auf den Markt gekommen, die mit Smart Breeding und ohne Gentechnik gezüchtet wurden, und im Rahmen von HarvestPlus wird auch Zink in Reis angereichert. Warum war Gentechnik für die Schöpfung des Goldenen Reises notwendig?
Cassava, Süßkartoffeln, Kartoffeln enthalten natürlicherweise Provitamin A im Stärkespeichergewebe. Das heißt, die Gene sind da und sind aktiv. In solchen Fällen kann traditionelle Pflanzenzüchtung das Merkmal verstärken. Bei Reis ist nichts da, das verstärkt werden könnte. Deswegen haben uns die Züchter gebeten, das mit Gentechnik zu versuchen.
Oder anders gefragt: Würden Sie heute wieder auf Gentechnik setzen oder würden Sie versuchen das Problem anders anzugehen?
Man hat alles Denkbare versucht. Es ging und geht bis heute nur mit Gentechnik.
„Es gibt seit mindestens 15 Jahren keine wissenschaftliche Begründung für eine regulatorische Sonderbehandlung transgener Pflanzen.“
Halten Sie es angesichts der Weiterentwicklung der biotechnologischen Methoden, die man in der Züchtung einsetzen kann – Zinkfingernukleasen [6], TALE-Nukleasen [7], Protoplastenfusion [8] etc. –, für sinnvoll und notwendig, die derzeitige Sonderstellung der Gentechnik infrage zu stellen?
Es gibt seit mindestens 15 Jahren keine wissenschaftliche Begründung für eine regulatorische Sonderbehandlung transgener Pflanzen. Dies wird immer wieder von wissenschaftlichen Akademien publiziert und wird seither mit bemerkenswerter Konstanz ignoriert.
Nach der Erfindung des Goldenen Reises stellten Sie ja fest, dass Sie Verfahren aus 72 Patenten dazu angewendet hatten. Die Patentprobleme zu lösen war ja äußerst schwierig. Wie denken Sie heute über Patente? Notwendig für oder Hemmschuh der Innovation?
Das Lösen der Patente war nicht schwierig. Dank der Hilfe der Patentanwälte unseres Public-Private-Partnership konnte die Gesamtzahl auf 12 reduziert werden (die Patente, die in unseren Zielländern gültig waren). 6 davon gehörten unserem Partner (Syngenta), für die übrigen 6 hatten wir innerhalb kurzer Zeit freie Lizenzen für „humanitäre Zwecke“.
Wir konnten Golden Rice nur entwickeln, weil die Technologie patentiert war. Dadurch war sie öffentlich zugänglich für die Forschung. Ohne Patente wäre die Technologie geheim gewesen.
„Die Gesetze zum Umgang mit transgenen Pflanzen verhindern die Nutzung der Gentechnik durch den öffentlichen Sektor im Interesse des Gemeinwohls.“
Gibt es Patente, die Sie besonders gerne ablaufen sehen würden? Die Sie als besonders einschränkend empfinden?
Nein. Die Patente sind für unser humanitäres Projekt kein Problem. Das alles beherrschende Problem sind die Gesetze zum Umgang mit transgenen Pflanzen und die Anforderungen für ihre Genehmigung. Das müsste sofort außer Kraft gesetzt werden. Es verhindert die Nutzung der Gentechnik durch den öffentlichen Sektor im Interesse des Gemeinwohls (siehe Golden Rice) und ist ursächlich für das Leiden und den Tod von vielen Millionen Armer.
Was halten Sie vom de facto Ausstieg Deutschlands aus der grünen Gentechnik? Verliert man damit nicht den internationalen Anschluss?
Das ist eine von mehreren sehr dummen, ideologisch-opportunistischen Entscheidungen, die Deutschland noch bereuen wird. Sich von einer Zukunftstechnologie, in der man einmal einen Spitzenplatz eingenommen hatte, zu verabschieden, weil man meint, sie im Augenblick nicht zu benötigen, ist sehr, sehr kurzsichtig.
Wie könnte man die gentechnische Forschung an den Universitäten fördern? Haben junge Wissenschaftler im Bereich der Gentechnik in Deutschland überhaupt noch Perspektiven?
Nein, bei der herrschenden politischen Situation haben junge Wissenschaftler keine Perspektive.
Warum glauben Sie, wird Gentechnik von so vielen abgelehnt? Wie könnte man die Technologie für die Bevölkerung ansprechender/verständlicher machen?
Indem man zeigt, dass die Gentechnik zum Nutzen der Allgemeinheit (dem Gemeinwohl) durch Institutionen der öffentlichen Hand (Universitäten, öffentlicher Sektor) zur Lösung von Problemen der Gemeinschaft eingesetzt wird – siehe Golden Rice – und nicht nur zur Verbesserung der Profite einiger international agierender „Multis“. Für die große Mehrheit ist Gentechnik mit Pflanzen gleich Profit für Monsanto. Dass dies so ist, ist nicht Folge der Technologie sondern Folge der extrem kostspieligen (und unbegründeten) Regulierung der Technologie. Man müsste also die Regulierung abschaffen, um Anwendungsvielfalt und Konkurrenz zu ermöglichen.
Und noch zwei Fragen ohne Gentechnikbezug: Wie geht es Ihren Nistkästen? Finden Sie noch Zeit dafür?
Die Nistkästen kann ich nicht mehr betreuen, weil ich mit fast 80 Jahren nicht mehr im steilen Gelände herumkraxeln kann.
Welche Projekte beschäftigen Sie sonst noch gerade?
Schauen Sie mal unter www.birdphoto-potrykus.ch. Das ist nur ein Teil meiner Vogelbilder und -filme. Auch das wird im Alter etwas schwieriger. Mein Haupthobby ist weiterhin Golden Rice.