14.07.2021
Kann man den Begriff der Rasse einfach abschaffen?
Von Werner Kunz
Die von deutschen Zoologen verabschiedete „Jenaer Erklärung“ behauptet, beim Menschen gäbe es keine Rassen. Sie hätten lieber darüber aufklären sollen, was „Rasse“ in der Wissenschaft bedeutet.
Im September 2019 wurde auf der 112. Jahrestagung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft in Jena die „Jenaer Erklärung“ veröffentlicht und in gleich mehreren Publikationen verbreitet. In der Erklärung wird verkündet, es gäbe beim Menschen keine Rassen. Da hinter der Erklärung international bekannte Wissenschaftler stehen, wurde die Botschaft „Die Wissenschaft hat bewiesen, dass es beim Menschen keine Rassen gibt“ von der Presse und der Öffentlichkeit aufgenommen, sicherlich von vielen Menschen auch als Erleichterung.
Eine der Publikationen lautet: „Jenaer Erklärung - Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung“. Damit werden schon im Titel die vielen Wissenschaftler diskriminiert, die am wissenschaftlichen Konzept der Rasse festhalten. Ein Rassist ist ein Mensch, der Menschen anderer geografischer Herkunft aufgrund ihrer Andersartigkeit herabwürdigt. Vom Standpunkt der Wissenschaft aus ist es nicht haltbar, alle diejenigen als Rassisten zu bezeichnen, die sich mit der Natur der Rasse beschäftigen (vgl. meinen früheren Beitrag bei Novo).
Um den Tatbestand der Botschaft „Die Wissenschaft hat bewiesen, dass es beim Menschen keine Rassen gibt“ zu analysieren, müssen die einzelnen Gründe überprüft werden, die als Beleg für diese Behauptung angeführt werden. Die Jenaer Erklärung stützt sich auf das naturwissenschaftliche Ergebnis, dass die genetischen Unterschiede zwischen den Menschen unterschiedlicher geografischer Herkunft sehr gering sind. Wenn dies allein der Inhalt der Jenaer Erklärung wäre, dann wäre nichts dagegen einzuwenden (vgl. Kunz).
„Vom Standpunkt der Wissenschaft aus ist es nicht haltbar, alle diejenigen als Rassisten zu bezeichnen, die sich mit der Natur der Rasse beschäftigen.“
Aber die Jenaer Erklärung geht weit darüber hinaus. Sie überträgt das naturwissenschaftliche Ergebnis der geringen genetischen Distanz zwischen Menschen unterschiedlicher geografischer Herkunft auf die Grundlagenbegriffe der taxonomischen Gruppenbildung und deren philosophische Basis. Hier geht es also um das Realismusproblem.1 Was bedeutet es, dass es etwas gibt oder nicht gibt, und wie kann die Wissenschaft damit umgehen?
Adaptive Merkmale
Die Jenaer Erklärung sieht „taxonomische Unterschiedlichkeit [zwischen Gruppen] überwiegend in der genetischen Distanz“. Das ist aber nur eine von mehreren möglichen Sichtweisen vom Begriff der Rasse in der Zoologie. Es gibt mehrere Möglichkeiten, den Begriff „Rasse“ zu definieren (vgl. Reydon / Kunz). Vielfach ist es nicht die genetische Distanz, die einen evolutionären Fortschritt anzeigt. Die genetische Distanz zwischen zwei Gruppen kann in bestimmten Fällen unter konstant bleibenden Umweltbedingungen im Laufe evolutionärer Zeiträume sehr groß werden, ohne dass es zur Neuentwicklung irgendwelcher Eigenschaften kommt, die für die Definition eines eigenständigen Taxons relevant wären. Populationen können sich im Laufe langer Zeiträume manchmal schlechthin nicht verändern, und es ist in diesen Fällen die Frage, ob man dann die entstandene genetische Distanz zwischen zwei Gruppen allein zu einem relevanten Kriterium für die Neuentstehung zweier Taxa geltend machen soll (vgl. Kunz).
Es kann in vielen Fällen biologisch durchaus sinnvoller sein, von der Neuentstehung einer Rasse erst dann zu sprechen, wenn die Angehörigen einer Rasse in einem geografischen Raum neue adaptive Merkmale entwickelt haben, die eine optimierte Anpassung an die Umwelt darstellen. Wenn z.B. in sonnenarmen nordischen Ländern die Angehörigen bestimmter Populationen eine hellere Haut entwickeln, dann ist das eine stammesgeschichtlich bedeutsame Neuentwicklung, die den Beginn einer Rasseentstehung anzeigt und ontologisch begründet. Biologisch bedeutsame Neuentwicklungen in bestimmten geografischen Regionen wurden immer schon als wichtige Kriterien der Rassebildung betrachtet.2 Neu entstandene adaptive Merkmale sind oft ein bedeutungsvoller Indikator für den stammesgeschichtlichen Fortschritt.
„Neu entstandene adaptive Merkmale sind oft ein bedeutungsvoller Indikator für den stammesgeschichtlichen Fortschritt.“
Die Jenaer Erklärung ignoriert dagegen Merkmale als Kriterien der Rasseeinteilung vollständig. Die Erklärung behauptet, die zur Rasseeinteilungen benutzten Merkmale seien „subjektiv“ und „willkürlich“ ausgewählt; es seien „reine Konstrukte des menschlichen Geistes“; Gruppierungen nach Hautfarbe oder Haarstruktur seien „willkürlich herausgegriffene Merkmale“ (Fischer et al.; Richter und Göpel).
Es ist jedoch nicht einzusehen, warum adaptive Merkmale, die von der Selektion als Einnischung in die verschiedenen Umwelten an verschiedenen Orten ausgelesen werden, als „willkürlich ausgewählt“ eingestuft werden. Alle Organismen besitzen Merkmale, die an die Umwelt, in der sie leben, angepasst sind. Sind die Organismen einer Spezies über einen größeren geografischen Raum verbreitet, dann besiedelt die Art unterschiedliche „Umwelten“, und die Selektion fördert die Entstehung unterschiedlicher Merkmale in den einzelnen voneinander entfernten Regionen. Es gibt Unterschiede in der Temperatur, der Feuchtigkeit, der Sonneneinstrahlung oder der Ernährung, so dass sich durch die Selektion in den einzelnen geografischen Regionen in den dort lebenden Organismen Merkmale durchsetzen, die jeweils an die unterschiedlichen Ortsverhältnisse angepasst sind. Organismen, die in der Kälte leben, entwickeln ein dichteres Fell (so z.B. der Sibirische Tiger); Organismen, die in Gegenden mit viel Sonne leben, entwickeln eine dunklere Haut (so z.B. der Mensch); Organismen, die von Getreidekörnern leben, entwickeln andere Enzymvarianten als Organismen, die sich überwiegend von Fleisch ernähren. Solche Merkmale sind keineswegs beliebig ausgewählte „reine Konstrukte des menschlichen Geistes“ (so die Jenaer Erklärung), sondern es sind biologisch begründet ausgewählte Merkmale zur Gruppeneinteilung (vgl. Reydon / Kunz).
Genetische Varianz
Beim Menschen gibt es nur wenige Merkmale, die Rassen voneinander unterscheiden. Die Zahl der Merkmale, die nur in einer einzigen Rasse vorkommen, ist außerordentlich gering (vgl. Rosenberg et al.). Das gilt nicht nur für Merkmale, denen eigenständige Gene (Loci) zugrunde liegen, sondern auch für die Varianten der Merkmale, die Allele. Auch diese sind weit verbreitet und nur in seltenen Fällen Rasse-spezifisch. Die meisten Merkmale findet man in allen Rassen; z.B. die drei Blutgruppen A, B und 0. Bezüglich dieser Merkmale liegen die Rassenunterschiede also nicht darin, dass die eine Rasse eine Blutgruppe hat, die die andere nicht hat, sondern es geht um Unterschiede in der anteilmäßigen Häufigkeit der einzelnen Blutgruppen in den verschiedenen Rassen.
„Adaptive Merkmale sind biologisch begründet ausgewählte Merkmale zur Gruppeneinteilung.“
Aber auch hier sind die Unterschiede zwischen den menschlichen Rassen sehr gering. Schon 1972 hat der amerikanische Populationsgenetiker Lewontin gezeigt, dass bei einer ganzen Reihe von ausgewählten Genen (also nicht nur beim Blutgruppen-Gen) die Allelvarianz schon innerhalb ein und derselben Rasse kaum geringer ist als zwischen verschiedenen Rassen (Lewontin). Beim Menschen besteht daher eine erhebliche genetische Varianz schon innerhalb der Rassen; sie ist zwischen den Rassen nicht viel größer.
Dieses Ergebnis, das anschließend mehrfach bestätigt werden konnte (vgl. Rosenberg et al.) hat jedoch zu dem falschen Schluss geführt, dass es wissenschaftlich keinen Sinn ergäbe, beim Menschen von Rassen zu sprechen, da „Menschenrassen keinerlei biologische Realität haben“ (Fischer et al.; Richter und Göpel). Jedoch wurde dabei übersehen, dass die Unterschiede zwischen den Menschenrassen nur dann so gering erscheinen, wenn jedes Gen isoliert betrachtet wird. Berücksichtigt man dagegen die Allelvarianz mehrerer Gene gleichzeitig, dann lassen sich einzelne Menschen sehr wohl mit nur geringer Fehlerquote ihren bestimmten Rassen zuordnen.
Dieser Fehler in der Auswertung der Lewontinschen Statistik wurde zuerst von dem britischen Statistiker Anthony Edwards entdeckt, der die Unterschiede in den Allelvarianzen berechnete, indem er die Allelvarianzen mehrerer Gene miteinander kombinierte (Edwards). Jeder einzeln betrachtete Genlokus liefert nur eine geringe Information über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Aber wenn die Information mehrerer Loci kombiniert wird, dann können trotz aller Rassenvermischungen auch heute noch viele Individuen nach ihrer Herkunft bestimmten Gruppen zugeordnet werden (vgl. Rosenberg et al.).
„Berücksichtigt man die Allelvarianz mehrerer Gene gleichzeitig, dann lassen sich einzelne Menschen sehr wohl mit nur geringer Fehlerquote ihren bestimmten Rassen zuordnen.“
Es scheint für die Definition von Gruppenverschiedenheit biologisch nicht sehr sinnvoll zu sein, die genetische Inner-Gruppenverschiedenheit der Zwischen-Gruppenverschiedenheit gegenüberzustellen. Es ist vom Standpunkt einer evolutiven Fortentwicklung viel aussagekräftiger, Gruppen nach ihren unterscheidenden Merkmalen als eigenständige Gruppen zu definieren, wenn sie trennende Merkmale entwickelt haben, die an die Anforderungen ihrer jeweils geografisch vorgegebenen Heimat angepasst sind.
Auch Frauen und Männer gehören unterschiedlichen Gruppen an. Die für Frauen und Männer spezifischen Merkmale sind genetische Anpassungen an die biologisch vorgegebenen unterschiedlichen Sexualfunktionen und die unterschiedlichen Aufgaben bei der Erziehung des Nachwuchses. Es sind (wie bei den Rassen) nur wenige Merkmale, aber diese Merkmale definieren die Gruppenzugehörigkeit deutlicher als die generelle genetische Verschiedenheit. Würde man hier genauso vorgehen und die allele Inner-Gruppenvarianz der beiden Geschlechter der Zwischen-Gruppenvarianz gegenüberstellen, dann zeigt sich, dass Frauen und Männer „genetisch betrachtet fast gleich“ sind, und man könnte unter Berufung auf die Tatsache, dass Unterschiede in der Allelvarianz zwischen Frauen und Männer gering sind, mit ähnlicher Berechtigung den Schluss ziehen, dass das Konzept der Geschlechterverschiedenheit das Ergebnis von „Gendern“ wäre.
Familienähnlichkeit
Die Autoren der Jenaer Erklärung behaupten, dass Rassen „ohne Realität“ seien, wie es bereits im Titel einer ihrer Publikationen heißt (Richter und Göpel). Rassen seien „mentale Konstrukte“, und deswegen sei der Diskussion um Menschenrassen der wissenschaftliche Nährboden entzogen. Sie berufen sich dabei auf die Tatsache, dass Rassen keine „natural kinds“ sind und deswegen nicht existieren (Fischer et al.; Richter und Göpel).
„Rassen können auch als Gruppen von Organismen definiert werden, die durch eine ‚Familienähnlichkeit‘ miteinander verbunden sind.“
„Natural kinds“ sind Gruppen, die durch mindestens ein essentielles Merkmal definiert sind. Jedes Mitglied einer „natural kind“ muss dieses Merkmal besitzen. Ein Gruppen-Mitglied, das dieses Merkmal verliert, kann nicht mehr zu dieser Gruppe gehören. Ein Beispiel für „natural kinds“ sind die chemischen Elemente.3 So ist z. B. Platin durch die Protonenzahl 78 definiert. Verliert Platin ein Proton, dann ist es kein Platin mehr. Seit Darwin weiß man jedoch, dass Arten (ebenso wie Rassen) evolvieren. Also können sie keine „natural kinds“ sein; denn sie können jederzeit ein Merkmal durch eine Mutation verlieren, gehören dann aber immer noch dem Taxon an. Das unterscheidet die chemischen Elemente grundsätzlich von den biologischen Taxa. Aber kann man daraus den Schluss ziehen, dass einem Begriff, der keine „natural kind“ ist, der wissenschaftliche Nährboden entzogen sei? Auf jeden Fall wäre dann auch dem Umgang mit Arten (Spezies) der wissenschaftliche Nährboden entzogen (nicht nur den Rassen); denn Arten sind ebenso wie Rassen keine „natural kinds“. Folgt man dem Gedankengang, dass das, was keine „natural kind“ ist, wissenschaftlich bedeutungslos sei, dann hätte das erhebliche Konsequenzen für die gesamte Taxonomie.
Gruppen (wie z.B. Rassen) müssen nicht unbedingt „natural kinds“ sein. Rassen können auch als Gruppen von Organismen definiert werden, die durch eine „Familienähnlichkeit“ miteinander verbunden sind. Sie sind dann zwar keine real in der Natur existierenden Entitäten, aber sie spielen als Gruppierungen eine wichtige Rolle in der Wissenschaft. Ein Gruppenzusammenhalt über „Familienähnlichkeit“ bedeutet, dass die Individuen einer Gruppe durch mehrere gemeinsame Merkmale verbunden sind, wovon jedoch (im Gegensatz zur „natural kind“) kein einziges dieser Merkmale notwendig und hinreichend ist.
Ein Beispiel für eine Gruppe, deren Zusammenhalt durch „Familienähnlichkeit“ gegeben ist, ist in folgendem Schema illustriert. Die fünf Organismen A bis E gehören alle zu einer Rasse. Jeder Organismus ist durch vier von fünf Merkmalen gekennzeichnet. Jedoch besitzt keiner der fünf Organismen jedes der fünf Merkmale a bis e, obwohl alle durch gemeinsame Merkmale deutlich zusammengehalten werden:
Organismus A hat die Merkmale a b c d
Organismus B hat die Merkmale e b c d
Organismus C hat die Merkmale a e c d
Organismus D hat die Merkmale a b e d
Organismus E hat die Merkmale a b c e
„Wittgenstein stellte fest, dass wir z.B. eine klare Vorstellung vom Begriff ‚Spiel‘ haben, ohne dass es auch nur ein einziges Merkmal gibt, dass jedem Spieltyp zu Eigen wäre.“
Die Rasse ist also keine „natural kind“, jedoch halten die gemeinsamen Merkmale die Organismen zu einer Gruppe zusammen. Der Begriff der „Familienähnlichkeit“ geht auf den Philosophen Wittgenstein zurück (vgl. Stern). Wittgenstein stellte fest, dass wir z.B. eine klare Vorstellung vom Begriff „Spiel“ haben, ohne dass es auch nur ein einziges Merkmal gibt, dass jedem Spieltyp zu Eigen wäre. Ebenso kann man den Begriff „Krankheit“ durch kein einziges essentielles Merkmal definieren. Aber niemand würde daraus den Schluss ziehen, „Spiel“ oder „Krankheit“ seien Begriffe, denen der wissenschaftliche Nährboden entzogen sei.
Was bedeutet „Realität“ in der Wissenschaft?
Hinter der Jenaer Botschaft „Die Wissenschaft hat bewiesen, dass es beim Menschen keine Rassen gibt“ steht auch die Negierung des uralten, bis über Platon zurückgehenden philosophischen Problems der Existenz von Gruppenbegriffen (Universalien). Die Wissenschaft streitet bis heute darüber, ob Universalien real existieren oder nicht. Aber auch Gruppenbegriffe, die nicht real existieren, kann man nicht einfach als beabsichtigte instrumentelle Konstrukte des menschlichen Geistes und damit als „gibt es nicht“ abtun. Über Rassen können wir Voraussagen machen (z.B. in der Medizin), die dann mit höherer Sicherheit eintreffen als rein zufällige Voraussagen. Biologische Taxa sind nicht das Ergebnis speziellen Denkens; sie sind nicht erfunden, sondern entdeckt. Kein Taxonom kann sich ein Leben lang ernsthaft mit Dingen beschäftigen, die er als Erfindungen des Geistes begreift.
Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass sie in einer Welt leben, die sie nicht selbst gemacht haben. Mit der Verwendung taxonomischer Begriffe können Probleme der Realität gelöst werden, ohne dass die Begriffe selbst real sind. Die Eigenschaften, die eine Gruppe zusammenhalten, sind faktische Realitäten, auch wenn die Gruppe selbst keine Realität ist. Es gibt also so etwas wie Semi-Realität (Reydon / Kunz).Würde man biologische Taxa (Rassen wie Arten) als vollständig nicht-realistische Konstrukte verstehen (weil sie keine „natural kinds“ sind), dann würde die Taxonomie als Wissenschaft gegen Widerlegungen teil-immun, und das hemmt den Fortschritt der Wissenschaft. Es würde dadurch der gesamte Artenschutz (die Roten Listen) infrage gestellt, wenn Arten und Rassen rein instrumentelle Begriffe wären. Was würde man dann eigentlich schützen, und was würde man in einem Bestimmungsbuch als Art oder Rasse identifizieren?
„Über Rassen können wir Voraussagen machen (z.B. in der Medizin), die dann mit höherer Sicherheit eintreffen als rein zufällige Voraussagen.“
Die Wissenschaft verschafft uns viele Fortschritte und macht weiterführende Vorhersagen über Ereignisse, die dann tatsächlich eintreffen und sich damit als „richtig“ (nicht: „real“) erweisen, obwohl uns die dafür verwendeten Begriffe in der Natur nicht „real“ begegnen.4 Die Begriffe „Spiel“ oder „Krankheit“ sind unentbehrliche Begriffe für den Alltag oder den Erkenntnisfortschritt. Niemand würde doch sagen: Weil diese Gruppenbegriffe in der Natur keine Realitäten sind, deswegen gibt es sie nicht. Auch Zahlen sind keine real in der Natur existierenden Dinge. Trotzdem braucht man Zahlen, um Fortschritte und Vorhersagen im Alltag und in der Wissenschaft zu machen, und niemand würde sagen: „Zahlen gibt es nicht“. In der Mathematik wird mit reellen Zahlen, rationalen Zahlen, irrationalen Zahlen usw. gearbeitet. Man kann den mathematischen Formalismus (ebenso wie den taxonomischen Begriff der Rasse) nicht als beabsichtigtes menschliches Konstrukt oder Erfindung abtun.
Da der Begriff der Rasse bis heute ein elementarer wissenschaftlicher Begriff der Zoologie ist (worüber in der zoologischen Systematik in tausenden von Publikationen gearbeitet wird), hätte die Jenaer Erklärung (mit der Absicht, den Rassebegriff abzuschaffen) die zoologischen Systematiker mit ins Boot nehmen müssen, anstatt im Alleingang bei einer einzigen Spezies (Homo sapiens) die Rassen abzuschaffen. Zumindest die zoologische Praxis wäre ernsthaft betroffen. Es klingt recht paradox, dass die Jenaer Erklärung ausgerechnet von der Deutschen Gesellschaft für Zoologie verabschiedet wurde.
Anstatt dass die Jenaer Erklärung ihre Chance genutzt hätte, vonseiten der Zoologie die Bevölkerung darüber aufzuklären, wie eine Rasse in der Wissenschaft definiert ist (wo doch der Begriff der Rasse so stark missverstanden und missbraucht wird) wird in der Jenaer Erklärung die Rasse einfach abgeschafft. Mit dieser Botschaft werden die Rassisten nicht erreicht, die eigentlich hätten erreicht werden sollen.