17.02.2025

Hochwillkommene ausländische Einmischung

Von Brendan O’Neill

Titelbild

Foto: Gage Skidmore via Wikicommons / CC BY-SA 2.0

US-Vizepräsident J. D. Vance hat den europäischen Eliten auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Leviten gelesen. In Sachen Meinungsfreiheit und Demokratie braucht man inzwischen nämlich Nachhilfe.

Es war ein köstlicher Anblick. Amerikas Selfmade-Vizepräsident, der Europas verkrampfte Technokraten glorreich grillt. Ein Yankee aus ärmlichen Verhältnissen, der es mit der turbogeschmeidigen herrschenden Klasse Europas aufnimmt. Wie die sich wanden, als der Junge aus Ohio, der es irgendwie an die Spitze der US-Politik geschafft hat, sie für ihre schamlose Vernachlässigung der Ideale von Freiheit, Demokratie und Sicherheit geißelte. Es war wie intellektuelles Waterboarding, und ich habe jede Minute davon genossen.

Das war die großartige Rede von J. D. Vance letzte Woche auf der Münchner Sicherheitskonferenz (hier in deutscher Übersetzung). Aber das ist Ihnen sicherlich bekannt, denn sie verbreitete sich wie ein Virus. 20 Minuten lang wetterte der Vizepräsident aus der Generation der Millenials gegen die versammelten grauhaarigen Würdenträger, weil die sich von den Tugenden der Aufklärung entfernt hätten. Er beklagte „den Rückzug Europas von einigen seiner grundlegendsten Werte“. Er rief dazu auf, „die Segnungen der Freiheit“ wiederzuentdecken. Gemessen an den Wutausbrüchen in bestimmten Kreisen – Vance „schockierte die Delegierten“ mit seinem „Schlag gegen Europa“, jammerten die Heulsusen der BBC – sind viele Ohren noch taub für seinen Ruf nach Freiheit. Aber einige von uns hören zu.

Am deutlichsten äußerte er sich zur Freiheit der Meinungsäußerung, der Kardinaltugend jeder zivilisierten Gesellschaft. „Ich fürchte, die Meinungsfreiheit ist auf dem Rückzug“, sagte er. Er führte die jüngsten Fälle wahnwitziger Zensur in Europa auf. Er erinnerte seine Zuhörer daran, dass deutsche Polizisten die Häuser von Bürgern durchsuchten, die „verdächtigt werden, antifeministische Kommentare im Internet gepostet zu haben“. Die alte Stasi hat einen am Kragen gepackt, wenn man seine stalinistischen Oberen kritisiert hast – die neue klopft an, wenn man sich über politisch korrekte Ideologien lustig machst.

Er sprach mit berechtigter Sorge darüber, dass Schweden kürzlich einen christlichen Aktivisten wegen Blasphemie verurteilt hatte, weil er einen Koran verbrannt hatte, kurz nachdem sein Freund wegen derselben Tat ermordet worden war. Er schien wirklich entsetzt darüber zu sein, dass das moderne Europa so etwas Herzloses tun würde, wie einen Menschen für das „Sprachverbrechen“ zu verurteilen, für das sein Kumpel gerade getötet worden war. Seine größte Sorge gelte „unseren sehr geschätzten Freunden im Vereinigten Königreich“. Die „grundlegenden Freiheiten religiöser Briten“ würden der Politischen Korrektheit geopfert, sagte er. Er verwies auf die Verhaftung von Christen wegen des Gedankenverbrechens des „stillen Betens“ in der Nähe von Abtreibungskliniken, um die „Pufferzonen“ eingerichtet worden seien. Gebetskriminalität, wenn man so will.

Diese Maßnahmen gegen ‚problematische' Äußerungen hätten etwas Sowjetisches, fuhr Vance fort. Er warf den europäischen Regierungen vor, sich hinter hässlichen Begriffen aus der Sowjetzeit wie „Falschinformation“ und „Desinformation“ zu verstecken, um unliebsame „alternative Sichtweisen“ zu unterdrücken. Er hat völlig Recht. Heute ist „Desinformation" kaum mehr als ein aalglatter Euphemismus für „Dissens". Bei allem, von den Corona-Lockdowns bis zum Gender-Wahnsinn, ist das, was unsere Herrscher ‚Desinformation' nennen, oft nur eine Meinung, die von ihrer eigenen abweicht. Wir haben es satt, von einer herrschenden Klasse, die glaubt, dass Männer schwanger werden können, als Verbreiter von Fehlinformationen bezeichnet zu werden.

„Wir haben es satt, von einer herrschenden Klasse, die glaubt, dass Männer schwanger werden können, als Verbreiter von Fehlinformationen bezeichnet zu werden.“

Dann holte Vance zum großen Schlag aus: Die Guten des Kalten Krieges ahmten zunehmend die Bösen nach, sagte er. Uff. Der Fall der Berliner Mauer und der Zusammenbruch der UdSSR hätten eine neue Ära einläuten sollen, in der Europa die „außergewöhnlichen Segnungen der Freiheit“ genösse. Doch stattdessen seien wir zu einem Kontinent geworden, in dem die Redefreiheit streng überwacht, abweichende Ideen bestraft und die Ergebnisse demokratischer Wahlen annulliert würden. Er bezog sich dabei auf Rumänien, wo das Ergebnis der jüngsten Präsidentschaftswahlen wegen des Verdachts russischer Einmischung kurzerhand annulliert wurde. Es ist erstaunlich, dass es erst eines Außenstehenden bedurfte, um die europäischen Regierungen auf den Wahnsinn dieses Angriffs auf die Demokratie aufmerksam zu machen.

„Wenn ich mir Europa heute ansehe", so Vance, „frage ich mich, was aus einigen der Sieger des Kalten Krieges geworden ist." Vielen von uns Europäern geht es genauso. Wir sind beunruhigt darüber, dass unser Kontinent zu einer traurigen Hommage an die Sowjetunion geworden ist. Die europäischen Staats- und Regierungschefs sagen gerne in fantastischer Doppeldeutigkeit, dass sie „Falschinformationen" und „Hassrede" nur unterdrücken, um „die Demokratie zu schützen“. Aber Vance erinnerte sie daran, dass Zensur der unerbittliche Feind der Demokratie ist. „Menschen und ihre Sorgen abzutun, [...] Menschen vom politischen Prozess auszuschließen“ – das „schützt nichts", donnerte er. Im Gegenteil, es ist „der sicherste Weg, die Demokratie zu zerstören“. Sein Appell an Europa: Lasst die Menschen mitreden. Auch Elon Musk. An die Adresse der Eurokraten, die Musks Ausbrüche auf X als unerträgliche Einmischung in die politischen Angelegenheiten Europas betrachten, sagte Vance: „Wenn die amerikanische Demokratie zehn Jahre lang Greta Thunbergs Schelte überlebt hat, dann werden Sie auch ein paar Monate Elon Musk überleben."

Zum Schluss stellte Vance den europäischen Politikern eine ziemlich radikale Frage: Haben Sie jemals daran gedacht, den Massen zu vertrauen? „Wir sollten keine Angst vor unserem Volk haben, auch wenn es andere Ansichten vertritt als ihre Anführer“, sagte er. „An die Demokratie zu glauben, bedeutet zu verstehen, dass jeder unserer Bürger Weisheit besitzt und eine Stimme hat.“

„Vance stellte den europäischen Politikern eine ziemlich radikale Frage: Haben Sie jemals daran gedacht, den Massen zu vertrauen?“

Das Volk hat Weisheit. Wow! Es ist bezeichnend für die antidemokratische Wende unserer Zeit, dass es sich revolutionär anfühlt, wenn ein führender Politiker der Welt einen so einfachen und wahren Gedanken ausspricht. Nachdem wir jahrelang mit ansehen mussten, wie die kleinen Leute Europas von einer herrschenden Klasse, die glaubt, ein Monopol auf die Vernunft zu haben, als „uninformiert“, „fremdenfeindlich“, „dumm“ und „idiotisch“ abgestempelt wurden, tut es gut, jemanden mit Macht zu hören, der die alte Idee ausspricht, auf der die Moderne aufgebaut ist: Die Menschen sind klug, die Menschen sind gut, gebt ihnen eine Chance.

Wie zu erwarten war, löste Vances Rede wütende Reaktionen aus. Unter den Economist-Lesern, die den Brexit hassen und Trump für ein Monster halten, das von uninformierten Hinterwäldlern geschaffen wurde, herrscht Entsetzen über seinen Vorschlag, man solle den einfachen Leuten zutrauen, so zu denken und zu sprechen, wie sie es für richtig halten. Er „greift Europa an“, klagen sie, ohne zu wissen, dass sie es sind, die Europa von innen heraus angreifen, mit ihrer rücksichtslosen Demontage aller Errungenschaften und Wunder der turbulenten politischen Geschichte Europas.

Sie haben Angst, weil sie wissen, dass Vance faktisch das Todesurteil für den Status quo unterschrieben hat. In der europäischen Technokratie und in der Wokeness im Allgemeinen geht es darum, die Entscheidungsfindung vor dem Druck und den Überzeugungen der Proleten zu schützen. Und jetzt kommt dieser aufmüpfige Yankee, um an dieser Abschottung zu rütteln und sich dafür einzusetzen, dass das Volk seine Stimme und seinen Einfluss zurückbekommt. Das ist eine höchst willkommene Einmischung.

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