03.12.2015

Islamischer Staat: Dilemma einer militärischen Lösung

Analyse von Ralph Janik

Verschiedene Staaten greifen den IS aus der Luft an. Das ist weder effektiv noch zeugt es von Entschlossenheit. Der Einsatz von Bodentruppen ist derweil auch problematisch. Der Völkerrechtler Ralph Janik beschreibt das Dilemma des militärischen Vorgehens gegen den IS

Seit geraumer Zeit fliegen zahlreiche Staaten, allen voran die USA, Luftangriffe gegen die im Irak und in Syrien gelegenen Stellungen des „Islamischen Staats“. Die bisherigen Erfolge sind relativ bescheiden. Darüber hinaus treffen derartige Angriffe unweigerlich oftmals auch Zivilisten, was wiederum den Hass unter den Betroffenen schürt. Die offiziellen Angaben, die von 20.000 getöteten potentiellen Kämpfern des „Islamischen Staats“ und nur wenigen zivilen Opfern sprechen, werden auch in hochrangigen Zeitschriften wie Foreign Policy angezweifelt. 1 Ebenso heißt es, dass der „Islamische Staat“ sich letzten Endes nur durch die Entsendung von Bodentruppen besiegen lasse. Ein solcher Einsatz stößt aufgrund der damit einhergehenden Gefahren für eigene Soldaten jedoch auf wenig Gegenliebe.

Krieg hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Vorbei sind die Zeiten staatlicher Massenarmeen und offener Konfrontationen auf eindeutig markierten Schlachtfeldern. Die heutigen Konflikte finden innerhalb bestehender Staaten statt.

Die überwiegende Anzahl bewaffneter Konflikte wird zwischen staatlichen Truppen, Paramilitärs und „irregulären“ Kämpfern geführt. Für das Jahr 2014 etwa identifizierte das Heidelberger Institut für Konfliktforschung keinen einzigen zwischenstaatlichen, dafür aber 21 innerstaatliche Kriege. 2 Dessen ungeachtet darf die Bezeichnung „innerstaatlich“ nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese oft auch auf die Gebiete umliegender Staaten übergreifen. Davon zeugen im Falle des „Islamischen Staats“ die symbolkräftigen Videos vom propagierten Ende der nach Zerfall des Osmanischen Reichs im Sykes-Picot-Abkommen festgelegten Grenzen.

Der syrische Stellvertreterkrieg

Außerdem werden innerstaatliche Konflikte im Regelfall maßgeblich von außen beeinflusst. In Syrien werden die unterschiedlichen Parteien seit geraumer Zeit finanziell sowie durch Waffenlieferungen und Ausbildungsprogramme unterstützt. Dementsprechend handelt es sich weniger um einen Bürgerkrieg im oftmals romantisch-verklärten Sinne. Vielmehr hat man es in Syrien mit einem Stellvertreterkrieg zwischen dem Iran und Russland auf der einen und „dem Westen“ unter Führung der USA in Vereinigung mit Saudi-Arabien, Katar und der Türkei auf der anderen Seite zu tun. Man muss aber auch erwähnen, dass diese Konfliktlinien angesichts eines gemeinsamen Feindes zunehmende Bruchstellen zeigen (Frankreich brachte etwa erst jüngst offen eine mögliche Zusammenarbeit mit Assad ins Spiel 3).

„Der Westen möchte direkt in den syrischen Konflikt eingreifen, ohne Verluste in den eigenen Reihen hinzunehmen“

Darüber hinaus wird in Syrien mittlerweile von zahlreichen anderen Staaten direkt eingegriffen. Während der Iran bereits seit Anfang 2012 Teile der Hisbollah entsandt hat, 4 fliegt die von den USA angeführte Koalition im Kampf gegen den Islamischen Staat seit Mitte 2014 Luftangriffe. Frankreich ist im September hinzugetreten und selbst Deutschland will „Tornados“ einsetzen. 5 Ein darüber hinausgehendes Vorgehen, insbesondere der Einsatz von Bodentruppen, wird jedoch nach wie vor weitgehend abgelehnt. Staaten zeigen sich hier seit jeher äußerst zurückhaltend.

Als historischer Hintergrund für diese Zurückhaltung gilt allgemein die „Schlacht von Mogadischu“, bei der 18 US-Soldaten im unübersichtlichen Häuserkampf auf den Dächern und in den Straßen der somalischen Hauptstadt ums Leben kamen. Die symbolträchtigen Bilder vom wütenden Mob, der die geschändeten Leichen jubelnd durch die Straßen schleift – die US-Soldaten waren aufgrund vorangegangener Angriffe, die auch zahlreiche unschuldige Opfer gefordert hatten, bei weiten Teilen der Bevölkerung in Ungnade gefallen – gingen um die Welt. Sie erhöhten letztlich den innenpolitischen Druck, die US-Truppen schnellstmöglich wieder abzuziehen. Mogadischu hatte gezeigt, dass die USA zwar nicht militärisch, wohl aber über ihr sensibles Rückgrat – die Zivilbevölkerung – verwundbar sind. Hier liegt auch der Hauptgrund für die Weigerung der USA, wenige Monate später vor dem Völkermord in Ruanda, beziehungsweise währenddessen, einzugreifen.

Luftangriffe als „Risiko-Transfers“

Der Westen möchte direkt in den syrischen Konflikt eingreifen, ohne Verluste in den eigenen Reihen hinzunehmen. Aus diesem Grund beschränkt er sich auf Luftangriffe. So führten die Kampfhandlungen im Zuge der Luftangriffe gegen Serbien aufgrund des Kosovo-Konflikts offiziell zu keinen Verlusten auf Seiten der NATO (die einzigen offiziellen Opfer resultierten aus einem Helikopterunfall während einer Trainingseinheit). 6

Dazu mussten die Kampfflugzeuge außerhalb der Reichweite der serbischen Fliegerabwehrsysteme fliegen, mit entsprechenden Folgen für die Präzision der Angriffe. Mit anderen Worten: In gewisser Hinsicht wurden die Leben der NATO-Piloten mit jenen unschuldiger Zivilisten gegengerechnet, die Gefahren der Kriegsführung also der Zivilbevölkerung des Feindes aufgebürdet. Der Kriegssoziologe Martin Shaw bezeichnet dieses Vorgehen treffend als „Risikotransfer-Militarismus“. Henry Kissinger sprach davon, dass die Strategie, moralische Überzeugungen aus einer Höhe von über von 4,5 Kilometern zu verteidigen, zu mehr Flüchtlingen geführt habe als jede denkbare Kombination aus diplomatischen Mitteln und Gewaltanwendung. 7 Michael Ignatieff sprach von einer „virtuellen Ethik“ 8, bei der die Gewaltakteure von den Zielen ihrer Angriffe entkoppelt werden und dementsprechend Gefahr laufen, fragwürdige Entscheidungen zu treffen.

„Henry Kissinger bezweifelte, dass man moralische Überzeugungen aus 4,5 Kilometern Höhe verteidigen kann“

Das Muster der Kosovo-Intervention sollte sich 2011 bei der NATO-Operation in Libyen und nun im Zusammenhang mit den Angriffen auf die Stellungen des „Islamischen Staats“ wiederholen. Doch während al-Gaddafis Armee und andere ihm zugehörige Einrichtungen ein leichtes und klar umrissenes Ziel darstellten, scheinen die Angriffe gegen den „Islamischen Staat“ bislang nicht auszureichen. Forderungen nach Bodentruppen sind allerdings aus den genannten Gründen bislang verhallt. Man verlässt sich vor allem auf kurdische Kämpfer, die wiederum Erdogans Türkei ein Dorn im Auge sind und die daher nur begrenzt unterstützt werden können, und die „moderaten Rebellen“ (eine freilich fragwürdige Einstufung). Effektiv ist das nicht.

US-Präsident Barack Obama räumte bereits ein, dass der Kampf gegen den „Islamischen Staat“ eine Weile andauern werde. 9 Selbst wenn seine in Syrien und im Irak gelegenen Stellungen eines Tages tatsächlich von der Landkarte verschwunden sein dürften, nistet er sich mit jedem zusätzlichen zivilen Opfer der Luftangriffe tiefer in den Köpfen seiner Sympathisanten – die auch in Europa und den USA leben – und der unmittelbar Betroffenen ein. Daran würde allerdings auch die Entsendung von Bodentruppen nicht viel ändern: Einerseits führen auch diese zu zivilen Opfern und andererseits wird das Bild von den fremden Invasoren dadurch weiter verstärkt. Der Westen hat durch sein Eingreifen in Syrien Anteil an einem Dilemma, für das es keine einfachen Lösungen gibt.

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