28.04.2023

Interventionismus ist kontraproduktiv

Von Michael von Prollius

Titelbild

Foto: The U.S. Army via Flickr / CC BY 2.0

Sicherheitspolitische Zurückhaltung und Freihandel funktionieren besser als militärische Operationen. Der Ökonom Christopher Coyne analysiert dies mit Blick auf die USA.

Die außen- und sicherheitspolitische Think-Tank-Szene in den USA wurde mit der Gründung des Quincy Institute for Responsible Statecraft 2019 verändert. Das Institut vertritt eine „Sicht auf die Welt, der auf Diplomatie beruht statt auf Drohungen, Sanktionen und Bomben”.

Zurückhaltung (Restraint), was ist das für eine Position? Der Gründer des Instituts, Andrew Bacevich, ehemaliger amerikanischer Oberst und Historiker, bietet in einem Artikel in The National Interest eine Antwort. Restraint sei vorrangig eine Warnung vor Hybris und fordere Bescheidenheit, da im Einklang mit Reinhold Niebuhr (1892-1971) überwältigende Macht und grandiose Selbstwahrnehmung ins Desaster führen können. In diesem Sinne würden Unterstützer von Restraint davor warnen, Gemeinwesen und Gesellschaften zu transformieren, zudem die Grenzen von Wissen betonen und auf das Unerwartete in der Politik hinweisen, das im Überfluss existiere. Die „Restrainer“ betonen die Lasten der Kriege seit 9/11. Restraint sei indes weder Pazifismus noch Isolationismus und würde den notwendigen Einsatz von Gewalt bei echten nationalen Sicherheitsbedrohungen erkennen, aber davon klar unterscheiden, wann und wo Gewalt nicht zweckmäßig sei.

Wer mehr erfahren möchte, kann das knappe Manifest für Restraint des namhaften amerikanischen Politikwissenschaftlers Stephen M. Walt lesen, zu dem Buch „Restraint in International Politics“ (Cambridge University Press, 2019) von Brent J. Steele greifen und bei Emma Ashford hinschauen, wenn sie über „Strategies of Restraint“ spricht und schreibt. Kritik an dem Ansatz gibt es von etablierter Seite in Hülle und Fülle.

Nachfolgend soll es jedoch nicht um die Think-Tank-Szene gehen und die dortige Minderheitenposition der Zurückhaltung, die weithin sichtbar beim Cato-Institut zu finden ist. Vielmehr möchte ich der Frage nachgehen, welche Folgen der außen- und sicherheitspolitische Interventionismus hat? Diese Frage schließt an die umfangreichen ökonomischen Arbeiten zum Interventionismus an, die in dem 1998 posthum erschienenen Klassiker von Ludwig von Mises „Interventionism. An Economic Analysis“ (von 1940), exemplarisch dargelegt worden sind.

„Militärische Operationen mit dem Ziel eines Wiederaufbaus scheitern öfter als sie gelingen.“

Ökonomisch ist das Stichwort, denn der Wissenschaftler, um den es nachfolgend gehen soll, verwendet ökonomische Perspektiven und Methoden für die Analyse der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik. Christopher Coyne ist F. A. Harper Professor of Economics an der George Mason University in Virginia und stellvertretender Direktor des F. A. Hayek Program for Advanced Study in Philosophy, Politics, and Economics am dortigen Mercatus Center. Insbesondere zwei erkenntnisleitende Fragen liegen seinen Untersuchungen zugrunde: 1. Erreicht der Interventionismus die angestrebten Ziele? 2. Welche auch unbeabsichtigten – und bisher wenig bekannten – Folgen hat der Interventionismus?

Nachfolgend werden wesentliche Perspektiven und Einsichten anhand von zwei Monographien dargelegt.

Wiederaufbau und Demokratieexport

Militärische Operationen mit dem Ziel eines Wiederaufbaus scheitern öfter als sie gelingen. Die erfolgreichen Ausnahmen sind rar und durch Sonderbedingungen gekennzeichnet, darunter die Philippinen, die Länder der ersten „Achse des Bösen“ nach deren Niederlage im Zweiten Weltkrieg, insbesondere Japan und Deutschland, sowie eventuell Panama nach 1989. Auch „Nation building“ schadet eher als erfolgreich zu sein. Woran liegt das?

Tatsächlich wird Wiederaufbau durch externe und interne Faktoren erheblich beschränkt. Das ist ausgerechnet dort am stärksten der Fall, wo politischer, sozialer und ökonomischer Wandel nach den Verheerungen von Land und Leuten besonders dringend benötigt wird. Zugleich funktionieren klassische Wiederaufbaumaßnahmen dort am schlechtesten, wo sie am stärksten erforderlich sind. Christopher Coyne hat in „After War: The political economy of exporting democracy“ (Stanford University Press, 2007), systematisch drei politische Strategien und Praktiken analysiert. Die ersten beiden Ansätze zeichnen sich durch grundsätzliche, nicht oder kaum heilbare Defizite aus:

1. Einsatz von Gewalt und Kolonisation: Die Gewalt der Machthaber wird regelmäßig auf fragwürdige Weise und in unverhältnismäßigem Ausmaß eingesetzt (Kuba nach 1898, Vietnam). Gewalt hilft wenig beim Aufbau eines Rechtsstaates, sondern nur als Mittel, um öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Gewalt ist ebenfalls nicht geeignet, existierende Rechtsstrukturen auszubalancieren sowie den Erwartungen der Menschen nach positiver Veränderung zu entsprechen. Das erhebliche, vielfach entscheidende Wissensproblem der Invasoren bleibt bei der Kolonisation ungelöst. Zugleich führt die Existenz von und Zusammenarbeit mit Sonderinteressengruppen und etablierten Bürokratien regelmäßig zu perverser Politik. Das Samariter-Dilemma beeinträchtigt das Entstehen selbständiger Institutionen.

2. Peacekeeping, Peace/State/Nation building: Hierbei handelt es sich um einen begrenzten Militäreinsatz zur Aufrechterhaltung von Frieden und Stabilität, der passiver als eine Kolonisation verläuft und zugleich den Rahmen für die Entwicklung endogener Institutionen schaffen soll. Handlungsleitend ist die Annahme, dass westlich-demokratische Institutionen nicht von außen oktroyiert werden können, noch dazu mit der Waffe. Allerdings sind die Interventionskräfte regelmäßig vom Neutralitätsgebot überfordert, sie werden zu Mitspielern wie in Somalia in den 1990er Jahren. Dort führten Hungersnot und Bürgerkrieg erst zum Eingreifen und dann zur Niederlage und zum Rückzug der USA („Black Hawk Down“-Paradigma). Hinzu kommt „Mission creep“: bei der Intervention treten weitere Probleme auf, denen mit weiteren (militärischen) Eingriffen begegnet wird, die den Charakter der Mission (schleichend) verändern, bis es sich nicht mehr um eine Peacekeeping-Mission handelt. Es gibt bislang kaum überzeugende Antworten auf die Fragen: Was tun, wenn sich illiberale, anti-westliche Institutionen endogen herausbilden? Was tun in Konflikten rivalisierender Gruppen – eine Partei unterstützen und zum Gewinner machen?

3. Nichteinmischung und Freihandel: Das effektivste Mittel für den Export liberaler Demokratien ist für Coyne kein Militäreinsatz, sondern vielmehr die Beseitigung aller Barrieren im Handel mit so vielen Ländern wie möglich. Auch Sanktionsregime sind nicht geeignet, den beabsichtigten Wandel herbeizuführen. Nichteinmischung und Freihandel schaffen eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten und damit einen Entwicklungsschub. Schätzungen (Stand: 2007) gehen davon aus, dass echter Freihandel weltweit 500 Millionen Menschen aus der Armut befreien und gleichzeitig 200 Milliarden US-Dollar für die Entwicklungsländer bringen würde. Bereits unilateraler Freihandel bringt substanzielle Vorteile mit sich.

„Nichteinmischung und Freihandel ermöglichen mehr Chancen, mehr Toleranz für Vielfalt und steigende soziale Mobilität.“

Nichteinmischung und Freihandel ermöglichen mehr Chancen, mehr Toleranz für Vielfalt und steigende soziale Mobilität; zudem wächst die Neigung Eigentum, zu achten und zu schützen genauso wie die Ausbreitung einer Herrschaft des Rechts und demokratischer Regierungsverhältnisse. Insgesamt wächst das Verständnis für einander, für geteilte wie trennende Werte und Praktiken. Bei Nichteinmischung und Freihandel handelt es sich nicht um schnelle (Schein-)Lösungen, vielmehr bringen sie substanzielle, gleichsam evolutionäre Entwicklungen mit sich.

Die theoretisch und empirisch fundierten Ergebnisse von Christopher Coyne treffen im politikökonomischen Alltag auf damit unvereinbare (macht-)politische Interessen, Kurzfristdenken, einen Mythos der Machbarkeit und vielfach ungenügende Folgenabschätzungen. Sie finden ihre Grenze in klassischen Staatenkonflikten, die nach Jahrzehnten gescheiterter westlicher Auslandseinsätze wieder stärker in den Vordergrund rücken.

US-Militarismus und Regierungspropaganda

Nüchtern betrachtet bedeutet Propaganda die Verbreitung von einseitigen oder falschen Informationen für politische Zwecke, um die Ansichten der Empfänger so zu beeinflussen, dass sie den Zielen der Manipulatoren zustimmen, und zwar selbst oder besonders dann, wenn diese Ziele eigentlich nicht den Interessen der Empfänger entsprechen.

Eben diesen Propaganda-Begriff verwenden Christopher Coyne und Abigail Hall in ihrer gleichermaßen breiten wie tiefen Analyse der US-Regierungstätigkeit im Krieg gegen den Terror. Ihr Buch „Manufacturing Militarism. U.S. Government Propaganda in the War on Terror“ (Stanford University Press, 2021), ist weit über das Feld der Außen- und Sicherheitspolitik hinaus wertvoll.

Coyne/Hall nutzen einen politikökonomischen Ansatz, d.h. die Analyse politischer Sachverhalte mit wirtschaftswissenschaftlichen Methoden und Perspektiven, insbesondere der Public-Choice-Schule. Deutlich wird, dass es ein massives Principal-Agent-Problem gibt, weil die Bürger als Wähler keinen Einfluss auf die Politiker als ihrer Vertreter nehmen können – sie können weder eine Kontrolle ausüben noch haben sie Anreize und Möglichkeiten, die Informationsasymmetrie zu überwinden. Politiker und Bürokraten können ihre Interessen auf Kosten und gegen die Interessen der Bürger verfolgen. Zugleich haben Politiker nur beschränkte Einflussmöglichkeiten auf die sich selbst verstetigende Bürokratie, die nach mehr Stellen und mehr Budget strebt, weil das ihr Erfolgsmaßstab ist. Die Analysen werden immer wieder in historische Einordnungen eingebettet. Das Buch liefert einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Bedrohungsinflation.

Der Zweck von Propaganda ist nach Coyne/Hall simpel und wirksam: kollektive Angst bei den eigenen Bürgern schüren. So wird ein Schulterschluss mit der Regierung befördert.

„Staatliche Propaganda stellt eine unmittelbare Bedrohung von Freiheit dar, weil eine kleine politische Elite ermächtigt wird, die Ansichten der Bevölkerung zu manipulieren und diese gleichzeitig über die Wahrheit im Dunkeln gelassen wird.“

Die Ergebnisse der politikökonomischen und historischen Analysen sind in ihrem Ausmaß erschreckend: Die US-Regierung hat die Bevölkerung systematisch mit Propaganda überzogen, um einen ungerechtfertigten Krieg (Irak 2003) zu führen und zu verlängern, um eine positive patriotische Haltung der Bevölkerung zu erzeugen. Die „Afghanistan Papers“ zeigen als Enthüllungsdokumente eine systematische Täuschung der Öffentlichkeit über die Aussichten des Afghanistankriegs. Das Verteidigungsministerium zögerte zudem nicht, Millionen US-Dollar an Teams der NFL (National Football League) und NHL (National Hockey League) zu bezahlen, um Patriotismus und Militarismus zu befördern. Eine gigantische, nutzlose Sicherheitsbehörde für Flugsicherheit wurde aufgebaut, die sich mit einem marginalen, dramatisch aufgebauschten Risiko befasst: Terrorangriffen im Flugverkehr (Todesopfer pro Jahr: 0,57 vor und nach 9/11). Schließlich werden bei Hollywoodfilmen Drehbücher regelmäßig an die Wünsche des Militärs angepasst und kritische Filme nicht unterstützt. Das Ergebnis ist eine beträchtliche Militarisierung der amerikanischen Gesellschaft.

Propaganda wirkt auf mannigfache Art destruktiv.

  • Die Staatsführung tritt als Elite mit einem sorgfältig geschützten Informationsmonopol auf und betrachtet die Bevölkerung als Gegner, der manipuliert werden muss, um die Ziele der Staatsführung zu erreichen.
  • Propaganda ist schlecht für die Empfänger, weil diese sich über die bestehende massive Informationsasymmetrie zwischen Bürger und Staat hinaus noch schwerer ein informiertes Urteil bilden können.
  • Die Bevölkerung toleriert ein ansonsten inakzeptables Verhalten und sieht Kosten als notwenigen Teil eines größeren Ganzen an.
  • Staatliche Propaganda stellt eine unmittelbare Bedrohung von Freiheit dar, weil eine kleine politische Elite ermächtigt wird, die Ansichten der Bevölkerung zu manipulieren und diese gleichzeitig über die Wahrheit im Dunkeln gelassen wird.
  • Regelmäßiger Einsatz von Propaganda weist auf institutionelle Fehler im politischen System hin. Propaganda bedroht eine liberale Demokratie durch Verschleierung undemokratischer Praktiken.

Zu den Propaganda-Techniken gehören: Appelle an die Autorität des Staates, Appelle für Patriotismus und die nationale oder kollektive Sache, Appelle an Freund-Feind-Denken, Verwendung von Slogans und Bildern sowie einfachen, statischen Informationen statt differenzierten Informationen und komplexen dynamischen Lagebildern.

„Eine bessere Welt ist nicht das Ergebnis einer planmäßigen Konstruktion weniger Führer, sondern Folge der selbstverantwortlichen, für niemanden plan- und steuerbaren Koordination vieler Menschen.“

Propaganda ist bei der Klima-, der Corona-, der Sozial- und der Geldpolitik beispielsweise offensichtlich. Tatsächlich bilden normale Bürger das wichtigste Hindernis gegen staatliche und politische Propaganda. Dafür sind Unabhängigkeit statt Gehorsam, das Aushalten von abweichenden Meinungen und Standpunkten, das Wissen um die alltägliche Rolle von Propaganda und das Wissen um die reale, nicht idealisierte Arbeitsweise des Staates wesentlich.

Imperium im Innern

Die drastischen innenpolitischen Folgen von Auslandseinsätzen hat Christopher Coyne ebenfalls in Zusammenarbeit mit Abigail Hall aufgearbeitet. In „Tyranny Comes Home: The Domestic Fate of U.S. Militarism“ (Stanford University Press, 2018) zeigen die Wissenschaftler, wie Praktiken aus Kriegseinsätzen als Bumerangs ins Inland zurückwirken, darunter der wachsende Überwachungsstaat, die Militarisierung der inneren Sicherheit, der Einsatz von Drohnen sowie Folter in amerikanischen Gefängnissen.

All das resultiert aus dem unaufhörlichen Bemühen, ein amerikanisches Empire aufzubauen und zu erhalten, das im Gewand einer liberalen, freiheitlichen Ordnung daherkommt, in der Praxis indes auf illiberalen Mitteln und Methoden beruht. Interventionismus statt Zurückhaltung. Dahinter steht der Irrglaube – „The Folly of American Empire“ –, die Herausforderung sei ein technisches Problem für Sozialingenieure, die die Welt nach ihren Maßstäben wirksam gestalten können, während es sich tatsächlich um ein komplexes Koordinationsproblem handelt, dessen Herausforderung mindestens seit Adam Smith thematisiert, aber selten verstanden wird. Eine bessere Welt ist nicht das Ergebnis einer planmäßigen Konstruktion weniger Führer, sondern Folge der selbstverantwortlichen, für niemanden plan- und steuerbaren Koordination vieler Menschen.

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