10.07.2013

Hurra, die Roboter kommen!

Analyse von Colin McInnes

Die zunehmende Automatisierung der modernen Welt. Roboter und Androiden erleichtern den Alltag. Sie nehmen uns immer mehr unangenehme Aufgaben ab. So gewinnen wir Zeit für Forschung, Kreativität und Müßiggang.

Als ich das letzte Mal über den Amsterdamer Flughafen Schiphol reiste, wurde mir schlagartig bewusst, dass Androiden, also menschenähnliche Maschinen, allgegenwärtig sind. Als Vielflieger erlebte ich vor einigen Jahren mit, wie die blau-uniformierten Bediensteten der KLM, der niederländischen königlichen Luftfahrtgesellschaft, am Check-in durch lange Reihen von Touchscreens ersetzt wurden. Neuerdings sind in Schiphol sogar die Gepäckaufnahme-Schalter durch eine weitere Reihe leiser und effizienter Maschinen ersetzt worden.

Falls Sie das noch nicht kennen: Eine niedrige Tür gleitet auf und man stellt sein Gepäck hinein. Die Tür schließt sich, geht sofort danach wieder auf – und der Koffer ist verschwunden. Im Hinterkopf fragt man sich, ob man ihn je wiedersehen wird.

„Es scheint, als würden die Androiden langsam das Kommando übernehmen“

Es scheint, als würden die Androiden langsam das Kommando übernehmen. Aber nicht wie im Science-Fiction-Film, wo der kalte Stahl das menschliche Fleisch niedermetzelt, sondern über eine subtile, leise, unblutige und letztlich erfolgreiche Revolution, die dazu führen wird, dass der Mensch künftig nicht mehr der einzige ist, der arbeitet. Und da uns die Arbeit abgenommen wird, sollten wir uns freuen. Natürlich ist es nichts Neues, menschliche Arbeitskraft durch Maschinen zu ersetzen. Die jüngste Revolution des Informationszeitalters hat sich zunächst langsam entwickelt, als die ersten Bankangestellten durch Geldautomaten ausgetauscht wurden. Jetzt gewinnt sie jedoch deutlich an Tempo durch die rasanten Entwicklungssprünge der Computertechnologie, wobei die neuen Innovationen auf dem Gebiet der Robotik und Automatisierung für ein günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis sorgen.

Die letzte Automatisierungswelle krempelte zwar vor allem den Dienstleistungssektor um – Amazon führte zum Niedergang der Buchhändler und Expedia zum Aussterben der Reisebüros –, aber die nächste Welle wird eher den Bereich der manuellen Montage betreffen. Der taiwanische Elektronik-Gigant Foxconn will in den kommenden Jahren bis zu einer Million neue Roboter einsetzen. Und der US-Hersteller Rethink Robots präsentierte jüngst den extrem kostengünstigen und vielseitigen Montageroboter Baxter. Anders als vorprogrammierte Industrieroboter fügt Baxter sich über verhaltensbasierte Algorithmen nahtlos in die menschliche Arbeitsumgebung ein. Und natürlich arbeitet er 24 Stunden, fragt nicht nach Zuschlägen und versucht auch nicht, die Kollegen für die Gewerkschaft anzuwerben.

Nachdem uns die Geldautomaten von den Heerscharen anzugtragender Bankangestellter befreit haben, wird die kommende Fabrikautomatisierung den blaumanntragenden Montagearbeiter zunehmend verdrängen. In der Montage konnte der Realwert der produzierten Güter trotz des zurückgehenden Anteils menschlicher Arbeit auf Rekordhöhe gesteigert werden. Wir können heute mehr Waren mit weniger (menschlicher) Arbeitskraft produzieren, genau wie in der Landwirtschaft, wo die Beschäftigungsrate stetig sank, weil immer mehr Arbeit durch Maschinen erledigt werden konnte, während die Nahrungsmittelproduktion zugleich steil anstieg.

„Automatisierung kann Arbeitskräfte freisetzen, die dann die Leiter der beruflichen Qualifizierung hinaufklettern, sie kann aber auch Arbeitskräfte in den Niedriglohnsektor abdrängen.“

Die durch Automatisierung gesteigerte Produktivität ist zwar letztlich ein Zeichen des Fortschritts – unsere moderne Dienstleistungsgesellschaft ist von ihr abhängig –, aber bei einer zu schnellen Steigerung der Arbeitsproduktivität besteht durchaus die Gefahr sozialer Verwerfungen. Es war der berühmte britische Ökonom John Maynard Keynes, der den Gedanken formulierte, die Einführung des automatisierten Fließbandes und anderer technischer Innovationen könne mit ursächlich für die „Große Depression“ gewesen sein, also die schwere Wirtschaftskrise in den USA der 1930er Jahre.

Solche Verlagerungen sind auch heute zu beobachten. Die computerunterstütze Fertigung ersetzt zunehmend die hochqualifizierten Facharbeiter im Maschinenbau, aber – bisher – noch nicht den Regaleinräumer im Supermarkt. Die Automatisierung kann Arbeitskräfte freisetzen, die dann die Leiter der beruflichen Qualifizierung hinaufklettern können – eine progressive und positive Spirale. Sie kann aber auch Arbeitskräfte in den Niedriglohnsektor abdrängen, wo die Anforderungen an ungelernte Arbeitskräfte zwar niedrig, aber für eine Automatisierung immer noch zu aufwendig sind. Und es besteht die Möglichkeit, dass selbst Billiglohnarbeiter verdrängt werden, wenn die Kosten der Automatisierung geringer als der Mindestlohn ausfallen.

Der Grund für die Tendenz, dass Kapital Arbeit verdrängt, ist, dass es sie bezahlen muss. Im Gegensatz dazu kann man argumentieren, die „Industrielle Revolution“ hätte in technologischer Hinsicht auch im alten Rom stattfinden können – sie tat es aber nicht. In einer Sklavengesellschaft bestand nicht die Motivation dafür, Kohlehydrate verzehrende Menschen durch von Kohlenwasserstoffen angetriebene Maschinen zu ersetzen. Zumal der Mensch den traditionellen Lasttieren überlegen ist, was die effiziente Umsetzung von Kohlehydraten in biomechanische Arbeit betrifft. Menschliche Sklaven waren schon immer die billigen Androiden der Geschichte, ob sie nun auf dem Feld, im Haus oder auf dem Schlachtfeld arbeiteten.

„Wir können auf den ‚Wellen der kreativen Zerstörung‘ reiten, anstatt uns von ihnen überrollen zu lassen.“

Warum sollten wir also die Revolution der Androiden begrüßen? Wie gesagt: Auch wenn Automatisierung Arbeitsplätze vernichtet – vor allem die langweiligen und gefährlichen – schafft sie neue, angesehenere Tätigkeiten mit Spezialqualifikationen, die zu teuer sind, um sie zu automatisieren, oder die menschliche Kreativität erfordern. Außerdem hat die Automatisierung eine deflationäre Wirkung: Sie drückt die Preise, und das hat wiederum einen massendemokratischen Effekt: Produkte und Dienstleistungen werden für alle zugänglich. Das war schon immer die wichtigste Errungenschaft menschlicher Innovationen, bei denen es Verbesserungen und Innovationen ermöglichten, so viel mehr mit so viel weniger Material und weniger Arbeitskraft zu schaffen. In den 1970er Jahren musste etwa ein Festnetz-Telefon mit mehreren Tonnen Kupferkabel an ein Netzwerk von Erdkabeln angeschlossen werden, um vernünftig zu funktionieren. Im Gegensatz dazu hat die Entmaterialisierung der kabellosen Telefone die Preise für Kommunikationsdienstleistungen so weit gesenkt, dass es heute weltweit über sechs Milliarden Mobilfunkverträge gibt.

Es ist zu erwarten, dass in Zukunft die gleiche Art „kreativer Zerstörungswellen“, die wir im Kommunikationssektor erlebt haben, auch andere Bereiche, wie etwa das Gesundheits- oder Bildungswesen, durchdringen wird. Die gesundheitliche Grundversorgung kann prinzipiell durch eine Online-Funktionalität und eine medizinische Datenbasis ersetzt werden, selbst ärztliche Hausbesuche können durch ein „Labor-auf-dem-Chip“, also ein Westentaschenlabor, ersetzt werden. Genauso kann ein Vortrag, der auf YouTube gepostet wird, endlose Male von jedem Menschen mit Internetzugang angesehen werden, obwohl er nur einmal live und in Farbe produziert wurde. Es ist eindeutig nichts Schlechtes daran, die Kosten des Gesundheitswesens und die Hürden höherer Bildungsabschlüsse zu senken. Und es kann ebenso wie bei den Produktivitätssteigerungen in den anderen Sektoren den massenhaften Zugang zu solchen Dienstleistungen ermöglichen. Schulung, Training und Weiterbildung können also die grundsätzlichen Mittel sein, mit denen wir – gemäß der Theorie des österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter – auf den „Wellen der kreativen Zerstörung“ reiten können, anstatt uns von ihnen überrollen zu lassen.

Um zu verhindern, dass die Fortschritte in der Automatisierung künftig zu sozialer Entwurzelung führen, müssen wir zweigleisig fahren. Erstens: Reduzierung der Kosten und Verbesserung der Qualität im Bildungssektor. Zweitens: Wir müssen sicherstellen, dass die Früchte der Innovation geteilt werden. Sogar Ned Ludd, die Gallionsfigur des englischen Arbeiterkampfs gegen die einsetzende Industrialisierung (Ludditen), lehnte die Automatisierung trotz aller in dieser Zeit propagierten Schreckensszenarien nicht generell ab. Er sah im Prinzip nur voraus, dass die kommende Automatisierungswelle nicht denen nutzen würde, deren Arbeit sie ersetzen würde, sondern anderen. Hätte Ludd für weniger Arbeitsstunden den gleichen Lohn erhalten, wäre das für die große Transformation hin zu einer produktiveren, mechanisierten Wirtschaft günstiger gewesen.

„Wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, dass absolut jeder seinen Lebensunterhalt selbst erwirtschaften muss.“

Damit wir vom Übergang in eine Zukunft ohne Mangel auch tatsächlich profitieren können, müssen wir traditionelle Geschäftsmodelle und Hierarchien in Frage stellen und sicherstellen, dass Produktivitätsfortschritte auch wirklich zu Preissenkungen und nicht nur zur Anhäufung von Reichtum durch Kapital führen. Ein Vorzeichen des absehbaren Endes verschiedener auf Warenknappheit basierter Geschäftsmodelle sind etwa die Patentstreitigkeiten der Unternehmen, bei denen immer eifriger Copyrights durchgesetzt werden – sogar für den „Disney-Tresor“ zur Begrenzung der Zirkulation alter Zeichentrickfilme besteht ein Copyright.

Und während in den Industriestaaten weiterhin Menschen durch Maschinen ersetzt werden, ist die Notwendigkeit für den Ersatz menschlicher Arbeitskraft in den Entwicklungsländern so akut wie nie. Unschätzbares menschliches Potential wird dort auf kleinen Landparzellen durch Subsistenzwirtschaft verschwendet. Ein Potential, was man nutzen könnte, um die Wirtschaft aufzubauen und Dienstleistungen im Gesundheits- und Bildungswesen bereitzustellen. Die Hand, die die Sense schwingen muss, kann nicht zugleich ein Skalpell oder einen Stift halten. Bei der wirtschaftlichen Entwicklung muss es daher darum gehen, dass kleine Subsistenz-Bauern gänzlich überflüssig werden – was mindestens deren Kindern oder Enkeln zugute kommen dürfte. Die hätten dann nämlich die Freiheit, Lehrer, Ärzte und Ingenieure zu werden, oder andere produktive Berufe zu erlernen. Das sollten die Wohlfahrtsorganisationen im Hinterkopf behalten. Letztlich brauchen die Armen der Welt Traktoren, keine Ziegen. Vergessen wir nicht, dass in unserer modernen Dienstleistungsgesellschaft nur deshalb Krankenschwestern pflegen und Lehrer lehren können, weil jemand anderes (und zunehmend auch etwas anderes) für die Befriedigung ihrer materiellen Bedürfnisse sorgt.

Wenn wir also damit fortfahren, mehr mit weniger zu leisten, welche Arbeit wird es dann geben? Wie der Zukunftsforscher Buckminster Fuller beobachtete, sollten wir uns von der Vorstellung verabschieden, „dass absolut jeder seinen Lebensunterhalt selbst erwirtschaften muss“. Er bemerkt, dass die Idee vom eigenen Lebensunterhalt auf der Annahme basiert, Arbeit sei für das tägliche Überleben unabdingbar. In vielen Entwicklungsländern ist das zwar vollkommen zutreffend, aber in den Industrieländern gehört diese Vorstellung zunehmend der Vergangenheit an.

„Wir könnten uns eine Gesellschaft von Sklaven errichten.“

Sich von der althergebrachten Vorstellung der sinnvollen, bezahlten Arbeit zu verabschieden, bedeutet aber kein Leben im hedonistischen Müßiggang oder den Aufstieg des gesellschaftlichen Nihilismus. Freizeit lässt sich „als Abwesenheit der materiellen Notwendigkeit von Arbeit“ definieren. Wenn wir von dieser Notwendigkeit befreit sind, können wir in der Freizeit andere höhere Ziele verfolgen. Fuller warnt jedoch auch davor, denn ungeachtet der prinzipiell befreienden Natur des Fortschritts könnten die durch künftige Produktivitätsanstiege eröffneten Möglichkeiten vertan werden, indem man einfach nur neue Jobs erfindet. Man nehme nur die nutzlose Bürokratie der Gegenwart, die schon jetzt unsere Zeit frisst. Anstatt nur die Konjunktur anzutreiben, könnten wir die Horizonte der Wissenschaft, der Forschung und anderer menschlicher Bestrebungen erweitern, selbstverständlich mit etwas hedonistischer Trägheit vermischt.

Das Feld der Diskussion über eine Welt ohne Mangel ist neuerdings weit: Es reicht von Marx’ Ansicht, das Ende der Unterordnung des Individuums unter die Arbeitsteilung werde uns letztendlich befreien, über Hayeks befreiten Markt, der einen rasanten Preisrückgang und das Entstehen von Reichtum auch bei kleinen Einkommen ermöglichen soll, und die Idee, dass Kapitalbesitzer künstliche Knappheit schaffen müssten, um die Preise über den Tiefstpreis zu heben und die Umsätze aufrechtzuerhalten, bis hin zur Vorstellung einer wildgewordenen Klasse von Renditeprofiteuren, die an ihren Mitbürger keinen Bedarf mehr hat.

Abgesehen von diesen zahlreichen extremen Endzeitszenarien lohnt ein Blick auf den vom Philosophen John Rawls thematisierten „Urzustand“. Rawls fragt, welche Gesellschaft für uns am vorteilhaftesten ist. Bei einer hochgradig ungleichen Gesellschaft gäbe es lediglich eine kleine Chance dafür, König, aber eine viel größere Chance dafür, Sklave zu sein. Eine Gesellschaft aus lauter Gleichen birgt demgegenüber das Risiko, dass alle gleich arm sind. Laut Rawls ist daher eine gemäßigte Ungleichheit zu wählen, denn diese garantiert seiner Ansicht nach die optimale Verteilung eines maximalen Wohlstands.

Die Automatisierung hat eine weitere bemerkenswerte Dimension. Prinzipiell könnten wir eine Gesellschaft von Sklaven zu errichten. Diese Sklaven könnten Androiden sein – sowohl Software als auch Hardware. Dann könnten wir tatsächlich König in einer Welt sein, in der Arbeit und Freizeit austauschbar wären. Unglücklicherweise ist unser derzeitiges Denken fest in der Welt der Mangelwirtschaft verhaftet. Wir sollten für eine Zukunft des Überflusses kämpfen, für gemeinsamen globalen Wohlstand und für die gnadenlose Ausnutzung der durch die Androiden eröffneten Möglichkeiten.

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