27.04.2012
Wirtschaftswachstum: Wir haben noch gar nicht richtig angefangen!
Analyse von Colin McInnes
Grüne Denker liegen falsch, wenn sie behaupten, „natürliche“ Grenzen bestimmten das Ausmaß der Expansion unserer Wirtschaft. Collin McInnes erklärt, wieso wir in der Lage sind, Energie ohne Ende zu produzieren. Dadurch sind auch dem Wachstum faktisch keine Grenzen gesetzt
Bevor die Landwirtschaft im Zuge der so genannten Neolithischen Revolution vor etwa zehntausend Jahren ihren Siegeszug begann, lebten schätzungsweise ein paar Millionen Menschen auf der Erde. Lägen diejenigen von uns richtig, die heute die Endlichkeit von Ressourcen als dringendstes Menschheitsproblem ansehen, so wären unsere neolithischen Vorfahren die Superreichen der Menschheitsgeschichte. Eine aus heutiger Sicht verschwindend geringe Anzahl von Menschen konnte den ganzen Planeten mit all seinen unverbrauchten Ressourcen für ihre Zwecke nutzen. So gesehen müssten im Vergleich dazu die aktuell über sieben Milliarden Menschen doch viel schlechter dastehen.
Tatsächlich sind wir aber heute sehr viel wohlhabender als es sich unsere neolithischen Vorfahren überhaupt nur vorstellen konnten. Wir konnten unsere Innovationsgabe dazu einsetzen, den Nutzen der natürlichen Ressourcen unserer begrenzten Erde zu vervielfältigen. Die Steinaxt, die Menschen im neolithischen Zeitalter benutzten, enthält unter anderem Silzium- und Aluminiumatome. Mit Hilfe moderner Technologien können wir heute dieselben Atome neu arrangieren, um z.B. Smartphones zu bauen (was nach Meinung einiger Leute eh viel nützlicher ist als eine Steinaxt). Hier liegt die wahre historische Bedeutung von Wachstum: Es geht um die Produktion komplexerer Strukturen – und eben nicht nur um den Konsum von Ressourcen. Und diesem Wachstum sind praktisch keine Grenzen gesetzt.
Dennoch meinen heute viele Kommentatoren, Wirtschaftswachstum werde bald der Vergangenheit angehören. So behauptet etwa der Autor von The End of Growth, Richard Heinberg, dass Jahrtausende des Wachstums nun zu einem abrupten Ende kämen. Von der sich langsam entwickelnden Neolithischen Revolution, in der die Menschheit anfing, die Natur nach ihren Bedürfnissen umzugestalten, über die Expansion der Landwirtschaft bis hin zur Industriellen Revolution, die uns endlich von den Fesseln des Landlebens befreite, ist die Menschheit einem langen Wachstumspfad gefolgt. Trotzdem positionieren sich Wachstumsskeptiker wie Heinberg gegen das ökonomische Wachstum – und das ausgerechnet zu Anfang des 21. Jahrhunderts, wo uns Wohlstand und Ressourcen in menschheitsgeschichtlich bislang ungekannter Fülle zur Verfügung stehen.
Ökonomische und natürliche Engpässe gab es immer wieder, doch sie wurden bisher auch immer wieder überwunden. Zur Zeit der englischen Königin Elisabeth I. sorgte man sich um die Endlichkeit des Holzes – sozusagen „Peak Wood“ –, doch dann ging man dazu über, Kohle als Ersatz zu nutzen. So wurde unwissentlich die Industrielle Revolution eingeleitet. Damals gab es auchschon Wachstumsskeptiker: etwa den zu landwirtschaftlichen Themen schreibenden Arthur Standish, der 1615 eine „nachhaltige“ Wirtschaftsform, basierend auf einem schonenden Holzverbrauch, proklamierte und von der Nutzung des mit hoher Energiedichte versehenen Energieträgers Kohle abriet. Doch zum Glück wurde er höflich ignoriert. Die Industrielle Revolution stand unmittelbar bevor: Die Menschheit wuchs in bisher unbekanntem Maßstab und erlebte eine Abkopplung der Energie- von den Arbeitskosten.
Innovationsgetriebenes Wirtschaftswachstum sorgt nicht nur für immense Verbesserungen der Lebensqualität, sondern hilft dem Menschen auch, seine Bedürfnisse in zunehmendem Maße außerhalb natürlicher Zwänge befriedigen zu können. Wachstum basiert auf steigender Produktivität, so dass man am Ende mehr für weniger Arbeit bekommt. So könnten z.B. neue Produktionstechniken, wie so genannte 3D-Drucker, dreckige und körperlich anstrengende Produktionsverfahren in einem hohen Maße überflüssig werden lassen. Im Gegensatz dazu könnte die von Heinberg propagierte Abkehr von der modernen Ölwirtschaft theoretischerweise auch darauf hinauslaufen, wieder auf Waltran zur Lichterzeugung zurückgreifen zu müssen, was wohl nur sehr schwer als ein Fortschritt zu verkaufen wäre – weder ökonomisch noch ökologisch.
Zwar liegen Leute wie Heinberg natürlich richtig, wenn sie darauf hinweisen, dass Wachstum von der Verfügbarkeit von Energie abhängt. Aber ganz grundsätzlich zeigt uns die Physik auch, wie man durch den Einsatz von Energieträgern mit hoher Dichte Ordnung in ungeordnete Materie bringen kann und dabei gleichzeitig Abwärmeenergie mit geringerer Dichte produziert. Man sollte zudem bedenken, dass die endliche Masse der Erde seit ihrem Bestehen konstant geblieben ist, gleichzeitig aber selbst organisierende Systeme wie Regenwälder entstanden sind, die sich aus toter Materie in wunderbar komplexe Strukturen entwickelt haben. Hierfür werden unter Nutzung der Sonnenenergie mit Hilfe von Photosynthese komplexe Moleküle hergestellt und die Abwärme durch das Blätterdach ins Weltall abgestrahlt. Aber während die gedankenlose Natur dabei so beeindruckende Kunstwerke wie die gigantischen Riesenmammutbäume Kaliforniens hervorbringt, können denkende Menschen künstliche Strukturen planen und erschaffen, die wie der sensationelle Burj Khalifa Tower in Dubai fast zehnmal so groß sind wie die höchsten Wälder.
Auf dieselbe Weise muss eine wachsende Wirtschaft nicht unbedingt darauf hinauslaufen, dass am Ende in jeder Garage dieses Planeten ein SUV stehen muss. Wirtschaftswachstum bedeutet vielmehr, dass ein nicht enden wollender Innovationsprozess in Gang gesetzt wird, der uns nach und nach von den physischen Grenzen unserer Umwelt befreit. Mechanische Bagger machen halsbrecherische Knochenarbeit überflüssig, schnelle Transport- und Verkehrsmittel befreien uns vom engen und isolierten Dorfleben und die Raum- und Luftfahrt hilft uns, die Beschränkungen der Gravitationskraft zu überwinden. Genauso wie der gerichtete Zufall der Evolution der Natur immer neue Arrangements biologischer Materie hervorbringt, kann auch menschliche Innovationskraft und Ingenieurskunst die vorhandene Materie auf immer wieder neue Art und Weise im Sinne der Menschheit rearrangieren.
Trotzdem findet Heinberg, dass wir jetzt innehalten müssen, da uns angeblich Ressourcen mit hoher Energiedichte ausgehen. Er sieht das Wirtschaftswachstum an sein Ende gekommen, weil wir in Zukunft nicht mehr genügend Energie erzeugen können, um Materie für den Bau von Smartphones, Traktoren oder Impfstoffen neu anordnen zu können. Aber tatsächlich sind Energieträger mit einer hohen Dichte alles andere als knapp.
Fossile Brennstoffe enthalten Energie aus längst vergangenen Tagen. Es handelt sich um in Form von komprimierter pflanzlicher Materie gespeicherte Sonnenenergie. Die Energie nuklearer Brennstoffe hingegen stammt direkt aus dem innersten fremder Sonnen. Ihre immense Energiedichte ist millionenfach höher als diejenige von fossilen Brennstoffen; sie entstand in den letzten Momenten uralter kollabierender Sterne, als leichtere Elemente zu Uranium und Thorium verschmolzen. Sogar einer der von Wachstumsskeptikern angebeteten Propheten von „Peak Oil“, M. King Hubbert, war klug genug anzuerkennen, dass – anders als fossile Brennstoffe, die ohne Zweifel irgendwann zur Neige gehen werden – nukleare Brennstoffe auf Grund ihrer immensen Energiedichte faktisch unendlich sind.
Um es ganz klar zu sagen: Es gibt keinen Mangel dichter und kohlenstoffarmer Energie, die in Zukunft Wohlstand für alle Menschen ermöglichen könnte. Doch wir benötigen den Willen, den Ehrgeiz und den Erfindergeist, diese Energie nutzbar zu machen. Und wir sollten vor allem erkennen, dass wir gerade erst am Anfang der Entwicklungspotentiale der Atomtechnik stehen. Sogar die modernen Leichtwasserreaktoren sind noch sehr ineffizient, wenn es darum geht, die in den nuklearen Brennstoffen enthaltene Energie kollabierter Sterne wirkungsvoll zu erschließen. Doch mit Hilfe künftiger Innovationen können wir es schaffen, diese saubere und besonders dichte Energie immer besser zu nutzen.
Worum es hingegen bei der Vision einer Post-Wachstumsgesellschaft wirklich geht, die unter anderem auch von Heinberg propagiert wird, zeigt sich, wenn man seine Forderung nach „lokal verwurzelter Produktion und handwerklicher Arbeit“ betrachtet. Seine Vorstellung eines künftigen „Nullwachstums“ klingt eher wie eine „Stunde Null“ – ein Rückfall in Zeiten harter körperlicher Arbeit und großer Armut. Es mag sein, dass Heinberg und andere dies als Entschleunigung und Rückkehr zur natürlichen Harmonie verklären würden. Aber er sollte nicht darauf setzen, dass ihm allzu viele Freiwillige auf diesem Weg folgen.
Das Denken von Heinberg und vielen anderen Wachstumsskeptikern steht für eine sehr begrenzte Sicht menschlicher Entwicklungspotentiale. Armut und intellektuelle Stagnation machen in ihren Zukunftsszenarien die hart erarbeiteten Fortschritte der Menschheit zunichte. Es ist unwahrscheinlich, dass „zukünftige Generationen“ dafür dankbar sind, und wir haben sicher kein Recht, ihnen eine solche Welt zu hinterlassen. Freilich zeugt die Forderung, das Wachstum habe genau jetzt – übrigens in einem völlig willkürlich gesetzten Moment der Menschheitsgeschichte – plötzlich aufzuhören, von einem gewissen Grad apokalyptischer Angst. Ironischerweise offenbaren damit genau die gleichen Umweltschützer, die sonst immer wieder ihr Handeln damit begründen, dass sie den Planeten für unsere Kinder erhalten wollen, ein hohes Maß an Geringschätzung gegenüber den von ihnen doch angeblich so hoch geschätzten zukünftigen Generationen.
Um wirklich ernstgenommen werden zu können, sollten Heinberg und all die anderen erst einmal ausarbeiten, was sie überhaupt meinen, wenn sie von einer Post-Wachstumsgesellschaft reden. Handelt es sich um eine Zukunft lang anhaltender Energieknappheit, die dennoch irgendwie unbeschränktes kulturelles Wachstum erzeugt? Oder handelt es sich um eine Rückkehr in Zeiten, in denen die Mehrheit der Bevölkerung der Armut auf dem Land ausgesetzt ist? Zum Glück erscheint es unwahrscheinlich, dass Heinbergs wachstumskritische Ansichten Bestand haben werden; sie werden wahrscheinlich eher das gleiche Schicksal erleiden wie die Ideen des elisabethanischen Arthur Standish. Selbst wenn ein Teil der Menschheit eine Zukunft ökonomischer Stagnation bevorzugte, würde er im Wettbewerb mit anderen Erdteilen, die Innovation und Wachstum anstreben, ganz einfach aus dem Rennen geworfen. Dankenswerterweise gibt es immer wieder Menschen, die zum Mond fliegen wollen.