22.10.2021
Hören wir auf, China wegen des Klimawandels zu beschimpfen
Von Rob Lyons
Das erstaunliche Wirtschaftswachstum des Landes hat Hunderte von Millionen Menschen aus der Armut geholt.
Die Nachricht, dass Chinas Premierminister Xi Jinping möglicherweise nicht an den COP26-Klimagesprächen in Glasgow teilnehmen wird, ging runter wie ein batteriebetriebener Jumbojet. Der britische Premierminister Boris Johnson ist besorgt, dass Xis mögliche Absage die Gespräche unterminieren wird – und damit auch Johnsons Chance, sich auf der Weltbühne zu präsentieren. Da China inzwischen der bei weitem größte Emittent von Treibhausgasen ist, wäre ein COP26-Abkommen ohne feste Zusagen Pekings das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben steht.
Eine Erklärung für Xis mögliche Abwesenheit ist, dass er einfach Angst hat, sich mit Covid anzustecken. Wie ein Artikel auf Quartz anmerkt, scheint er China seit fast zwei Jahren nicht mehr verlassen zu haben. Eine Einladung zu den G20-Gesprächen am 30. Oktober in Rom hat er bereits abgelehnt.
Aber es könnte noch andere Gründe geben, warum Xi Glasgow meidet. Die angespannten diplomatischen Beziehungen zwischen Peking und Washington könnten dabei eine Rolle spielen. Ein anderer, wahrscheinlicherer Grund ist, dass er mit echten Problemen im eigenen Land konfrontiert ist. Chinas Bemühungen um eine Senkung der Emissionen kamen letzte Woche abrupt zum Stillstand, als es zu Stromausfällen kam. Die chinesischen Behörden haben nun die Kohleverstromung hochgefahren und bauen mehr Kohle ab, um die Nachfrage zu decken.
Xi sieht sich also mit einer Krise im eigenen Land konfrontiert, in der er versucht, das Wirtschaftswachstum Chinas aufrechtzuerhalten – eine wichtige Legitimitätsquelle der Regierung. Außerdem hängt dieses Wachstum von der Steigerung der Energieproduktion ab. Und all die Kohleverbrennung würde sicherlich für unangenehme Diskussionen auf der COP26 sorgen und die goldene PR-Chance untergraben, auf die die meisten führenden Politiker der Welt hoffen.
Zweifellos wird Xis wahrscheinliche Brüskierung der COP26 den Vorwürfen, dass China das Wirtschaftswachstum über das Klima stellt, weitere Nahrung geben. Doch Chinas Wirtschaftswachstum hat in den letzten 20 Jahren zu einem erstaunlichen Wandel geführt und Hunderte von Millionen Menschen aus bitterer Armut befreit. Nach Angaben der Weltbank betrug das Pro-Kopf-BIP Chinas im Jahr 1990 gerade einmal 318 Dollar. Zehn Jahre später hatte es sich auf 959 Dollar verdreifacht, und bis letztes Jahr hatte es sich auf über 10.000 Dollar verzehnfacht. Kein Wunder, dass die Weltbank dies als „das schnellste anhaltende Wachstum einer großen Volkswirtschaft in der Geschichte" bezeichnete.
„Nicht nur die Chinesen haben von dieser wirtschaftlichen Expansion profitiert. Die billige chinesische Produktion hat auch dazu beigetragen, die Wirtschaftskrise im Westen abzuwenden."
Nicht nur die Chinesen haben von dieser wirtschaftlichen Expansion profitiert. Die billige chinesische Produktion hat auch dazu beigetragen, die Wirtschaftskrise im Westen abzuwenden. China ist seit zwei Jahrzehnten der Motor der Weltwirtschaft. So stellte Phil Mullan auf Spiked fest: „Ohne den Überschuss aus den internationalen Aktivitäten, die sich auf das wirtschaftliche Gedeihen Chinas konzentrieren, wäre einer der wichtigsten Bewältigungsmechanismen westlicher Unternehmen geschwächt, wenn nicht gar dezimiert."
Während westliche Staats- und Regierungschefs gerne über ihre Erfolge bei der Senkung von Emissionen sprechen, ist die Wahrheit, dass ein Großteil davon durch den Emissionsexport nach China erreicht wurde. Es sind chinesische Firmen, die den Westen mit Industriegütern, Stahl und mehr beliefern. Wie ein Artikel von David Rose in der Daily Mail letzte Woche aufzeigte, sind die viel gepriesenen „grünen Arbeitsplätze", die in den ärmeren Teilen des Vereinigten Königreichs entstehen sollten, z. B. durch den Bau von Windturbinen, in Wirklichkeit als nicht-grüne Arbeitsplätze nach China gegangen (die Herstellung von Komponenten für grüne Energie wird durch genau die Kohleverbrennung angetrieben, aus der wir aussteigen).
Damit soll nicht gesagt werden, dass die autoritäre Regierung in Peking von jeglicher Kritik freigesprochen werden sollte. Die Kommunistische Partei Chinas ist zweifellos für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, und die chinesischen Bürger sollten mehr Meinungsfreiheit haben und die Möglichkeit, ihre Regierung zur Rechenschaft zu ziehen. Aber ein einseitiges China-Bashing ist nicht hilfreich.
„Ohne eine technologische Umstellung der Energieerzeugung – etwas, zu dem westliche Regierungen offenbar nicht in der Lage sind – ist Net Zero bestenfalls ein Wunschtraum und schlimmstenfalls ein Albtraum."
Die westlichen Regierungen könnten sich zumindest in einer Hinsicht ein Beispiel an China nehmen, indem sie anerkennen, dass die Anhebung des Lebensstandards ihre oberste Priorität sein sollte. Stattdessen haben sie eine halbherzige Energiepolitik entwickelt, die dazu führt, dass die Herstellung von Produkten, das Heizen von Häusern und das Reisen immer teurer werden. Und das alles nur, um der Welt zu zeigen, dass wir umweltbewusst sind. Im Vereinigten Königreich stützt die Regierung jetzt angeschlagene Unternehmen, weil die Gaspreise so hoch sind, während unter unseren Füßen reichlich Schiefergas ungenutzt bleibt. Um der Sache die Krone aufzusetzen, plant die Regierung sogar, Gas im Rahmen ihrer Net-Zero-Initiative noch teurer zu machen. In Deutschland sieht die Sache nicht anders aus.
Was die COP26 betrifft, so ist es unwahrscheinlich, dass die Gespräche einen großen Durchbruch bringen werden, unabhängig von Xis Erscheinen. Der eigentliche Knackpunkt der Gespräche ist die sehr reale Spannung zwischen der Aufrechterhaltung des Lebensstandards der Menschen und der Reduzierung der Emissionen. Ohne eine technologische Umstellung der Energieerzeugung – wozu westliche Regierungen offenbar nicht in der Lage sind – ist Net Zero bestenfalls ein Wunschtraum und schlimmstenfalls ein Albtraum. Wenn sich Glasgow als eine weitere Enttäuschung für grüne Aktivisten und Politiker erweist, wird China nicht die Schuld daran tragen.