20.12.2019

Heute noch Bauer werden?

Von Susanne Günther

Titelbild

Foto: Kasia Koziatek via Freestock / CC0

Landwirte werden heute zwischen verschiedenen Anforderungen zerrieben. Dazu zählen willkürliche Einschränkungen, z.B. bei Tierhaltung und Pflanzenschutz.

Kürzlich durfte ich beim Landvolk Mittelweser einen Vortrag halten. Der Titel lautete „Heute noch Bauer werden? – Zwischen gesellschaftlichen Ansprüchen und wirtschaftlichen Zwängen“. Am Ende habe ich auch eine persönliche Antwort auf diese Frage gegeben, dazu später.

Die Lage der Landwirte momentan habe ich versucht mit einem Bild dazustellen – mit einem Mahlwerk: Unten gibt es eine feste Schale, an der nicht viel zu ändern ist. Obendrüber dreht sich ein unentwegt ein schwerer Mahlstein. Die Schale steht für konstante Größen wie den Standort des landwirtschaftlichen Betriebes. Wenn sich Rahmenbedingungen ändern, kann so ein Betrieb nicht einfach umziehen. Land und Gebäude bilden schließlich die Basis. An den ruinösen Erzeugerpreisen, die der Lebensmitteleinzelhandel zahlt, wird sich m. E. in naher Zukunft nichts ändern, auch wenn Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner keine Gelegenheit auslässt, die Verbraucherinnen und Verbraucher zu beschwören, doch mehr Wertschätzung für ihre Nahrung an den Tag zu legen. Im Gegenteil: Ich glaube, die niedrigen Preise sind politisch gewollt („Brot und Spiele“). Wir steuern auf wirtschaftlich schwierige Zeiten zu mit Tausenden von Entlassungen bei großen Industriebetrieben. Darüber hinaus werden demnächst Klimapakete dem Bürger die Geldbörse erleichtern, da sichert billiges Essen den sozialen Frieden.

Rechtliche Rahmenbedingungen und die eigene Leistungsfähigkeit  begrenzen den Aktionsradius zudem. Das Rad, das sich über dieser Basis dreht, wird angetrieben von den sogenannten gesellschaftlichen Anforderungen: Essen soll keine Chemie enthalten, Nutztiere müssen sich wohlfühlen, das Klima muss geschützt werden und die Biene sowieso. Hinzu kommen Anforderungen, die sich aus dem Rechtsrahmen der Europäischen Union (EU) ergeben. Die zahlreichen Zielkonflikte, die so ein Konglomerat mit sich bringt, (er)kennen nur Insider. Die Bauern sind das Getreide dazwischen und das wird zerrieben.

Nun stellt sich die Frage, ob sich an dieser Situation grundlegend etwas ändern lässt. Man kann natürlich versuchen, die Wolke mit den „Anforderungen“ zu beeinflussen: Öffentlichkeitsarbeit mit Betriebsbesichtigungen, Schulklassen, Presseeinladungen hilft bestimmt. Und es hilft auch, mit Treckerdemos eine breitere Öffentlichkeit auf die Situation der Bauern aufmerksam zu machen. Sorgen macht mir die Politik. Denn Politikerinnen und Politiker orientieren sich weniger an wissenschaftlicher Evidenz als an dem, was man bei Koalitionsverhandlungen ausgehandelt hat oder was gerade im medial transportierten Diskurs en vogue ist. Glyphosat ist zum Beispiel derzeit nicht in Mode, Ministerin Julia Klöckner dazu: „Es gibt ja zu Glyphosat so viele Studien, die sich zum Teil auch widersprechen. Aber politisch gesehen ist es ein totes Pferd.“ Es kommt nicht mehr darauf an, was sachlich richtig und was falsch ist, es geht nur noch darum, was sich durchsetzen lässt – oder klassisch nach Max Weber: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ Als Bauer ist man da mitsamt Familie und Existenz nur Verhandlungsmasse.

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Müsste ich heute am Tage entscheiden, ob eines meiner Kinder eine landwirtschaftliche Ausbildung beginnen soll mit dem Ziel, später einmal den Betrieb zu übernehmen, wäre meine Antwort: Nein! Die unternehmerischen Risiken sind einfach zu hoch. Warum sollte man sich das antun? Und es gibt da ein strukturelles Problem: Ich plane eine Investition in der Landwirtschaft, einen Stallneubau oder eine Biogasanlage, für eine Nutzungszeit von 10, eher von 20 Jahren. Die Legislaturperioden des politischen Personals dauern aber nur vier bzw. fünf Jahre. Das passt nicht übereinander. Wir haben das hier selbst erlebt: In 2005 wurde unsere neue Biogasanlage groß als Leuchtturmprojekt u. a. mit dem damaligen hessischen Umweltminister vor Ort gefeiert, keine zehn Jahre später bist Du in der Debatte der Bösewicht, der die Landschaft vermaist – und das völlig unabhängig davon, ob sich der Maisanteil in Deiner Region überhaupt erhöht hat oder nicht. Warum soll man sich das antun? Wir haben uns das EEG nicht ausgedacht, das war ein Angebot der Gesellschaft.

„Entweder die NGOs suchen sich ein neues Themengebiet oder sie steigern die Anforderungen und hängen das Stöckchen ein bisschen höher.“

Selbst auf Bestandsschutz kann man sich nicht mehr verlassen, siehe das Magdeburger Kastenstandurteil. Es gibt Bauern, die warten derzeit mit dem Baubeginn genehmigter Projekte, weil sie befürchten, dass neue Haltungsverordnungen mit eventuellen anderen Anforderungen die Rentabilität des Stalls gefährden werden. Ohne Kapitalgeber in der Hinterhand sind solche Risiken eigentlich gar nicht mehr zu stemmen.

Kurzum: An der Situation, zwischen den Steinen zerrieben zu werden, wird sich grundsätzlich nichts ändern. Auch wird es weiterhin immer neue Forderungen an die Landwirtschaft geben. Man stelle sich einmal vor: Ungeachtet aller Zielkonflikte, würde die Landwirtschaft alle Anforderungen der NGOs erfüllen. Würden die Aktivisten dann ihre Büros abschließen und nach Hause gehen? Das wird doch nie passieren! Entweder die NGOs suchen sich ein neues Themengebiet oder sie steigern die Anforderungen und hängen das Stöckchen ein bisschen höher, von dem sie der Politik erzählen, dass sie drüber hüpfen soll. Und auf die Politik kann man sich zurzeit nicht verlassen.

Landwirtschaft ist ein toller Beruf: Draußen sein, mit und in der Natur arbeiten, sich um Tiere kümmern, mit Technik beschäftigen. Diese Vielfalt ist sehr attraktiv, die Verdienstmöglichkeiten weniger. Daher ist es eine sehr persönliche Entscheidung, ob man Bauer werden will oder nicht. Meinen Kindern jedenfalls werde ich davon abraten. Da greift schlichtweg das ökonomische Vorsorgeprinzip!

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