09.05.2022
Hat die SPD ein Putin-Problem?
Der Krieg in der Ukraine hat die Leere im Herzen der deutschen Sozialdemokraten (SPD) offenbart.
Hat die Ansprache von Olaf Scholz am 8. Mai für Klarheit darüber gesorgt, wo er im Ukraine-Konflikt steht? Seit Wochen befindet sich der Kanzler in der Defensive und schuld daran sind auch die vielen belastenden Nachrichten über die engen Beziehungen zwischen Spitzenfunktionären seiner Partei und dem Putin-Regime. Die Russland-Nähe der Vergangenheit lähme die Partei und die SPD habe für jeden erkennbar ein nachhaltiges Putin-Problem, sagte der CDU-Politiker Hendrik Wüst, der nächsten Sonntag die Wahl in Nordrhein Westphalen gewinnen will.
Die größten Kopfschmerzen bereitet der Partei seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine natürlich die Haltung Gerhard Schröders. Aber auch die Umtriebigkeit der Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, Manuela Schwesig, die für Schlagzeilen sorgt, ist eine Belastung. Ziemlich offensichtlich ist, dass die von ihrer Regierung gegründete Umweltstiftung nur dem Zweck diente, US-Sanktionen gegen russische Firmen zu umgehen. Dabei wurde sie von großen Teilen ihrer Partei unterstützt und noch im September 2020 erhielt sie viel Applaus, als sie ihren Kurs im Bundestag verteidigte. Kritikern warf sie vor, Lobbyismus für amerikanisches Fracking-Gas zu betreiben.
Nun versucht sich die SPD in Vergangenheitsbewältigung. So hat Lars Klingbeil, der Bundesvorsitzende, eine neue Ostpolitik angekündigt. Dabei soll nicht nur der Satz, Sicherheit in Europa sei nur mit Russland zu erreichen, aus dem Grundsatzprogramm der Partei gestrichen werden. Auch die Ostpolitik Willy Brandts solle kritisch überprüft werden, sagte er. Schon in einer Rede anlässlich des 100. Geburtstags von Egon Bahr hatte Klingbeil das bekannte Konzept der 1970er Jahre, „Wandel durch Annäherung“ als gescheitert bezeichnet.
„Hinter der neueren Russlandpolitik der SPD verbirgt sich dagegen keine Ideologie – und nicht einmal eine außenpolitische Strategie."
In Wahrheit besteht ein großer Unterschied zwischen der alten Ostpolitik auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges – als Brandt Gespräche mit der Sowjetunion aufnahm, die zu einer Verbesserung der Beziehungen sowohl zur UdSSR als auch zur DDR führten – und heute.
Der erste große Unterschied ist, dass Brandt immerhin eine kohärente Außenpolitik verfolgte. Sein Ziel war es, Ost- und Westdeutschland einander näher zu bringen. Er war der Meinung, dass eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit die kommunistisch-stalinistische Regierung im Osten schließlich schwächen würde. Hinter der neueren Russlandpolitik der SPD verbirgt sich dagegen keine Ideologie – und nicht einmal eine außenpolitische Strategie. Schwesig und andere bewegte einfach nur ein kurzfristiger, wirtschaftlicher Pragmatismus: Deutschland brauchte Gas und Russland musste liefern. (Paradoxerweise war diese Notwendigkeit durch die Energiewende und dem Ausstieg aus der Atomkraft noch verstärkt worden und somit sollten auch die Grünen, die die Ministerpräsidentin schon 2020 kritisiert hatten, eigentlich weniger gut dastehen, als sie es tun).
Ein weiterer Unterschied zu den 1970er Jahren, als die Ostpolitik eingeführt wurde, ist die Haltung zur Verteidigung. Zu Willy Brandts Zeiten wurden die Truppen nicht, wie es in den letzten Jahren geschah, zurückgebaut, sondern weiter verstärkt. 1972 verfügte die Bundeswehr noch über fast eine halbe Million Soldaten und hatte damit ihren ersten Höchststand erreicht. Auf die Idee, die Wehrpflicht abzuschaffen, wie es Politiker aller Couleur in den Jahren vor 2011 forderten, wäre die SPD der 1970er Jahre nie gekommen. Und während Nord Stream 2 die Beziehungen Deutschlands zu den Ländern Osteuropas stark belastet hat, legte Brandts Ostpolitik den Grundstein für verbesserte Beziehungen – vor allem zu Polen. Schon in seiner ersten Regierungserklärung im Oktober 1969 deutete Brandt an, die Oder-Neiße Grenze, die bis dahin von der Bundesrepublik nicht als Westgrenze Polens akzeptiert worden war, anerkennen zu wollen.
Es ist natürlich schwer zu sagen, was Brandt zu dem heutigen Krieg gesagt hätte. Höchstwahrscheinlich hätte er verstanden, wie wichtig es ist, die Souveränität der Ukraine zu verteidigen. Schließlich war es das Ziel seiner Ostpolitik, die Souveränität Deutschlands zu einer Zeit zu stärken, als es noch ein besetztes Land war.
„Ein Handlanger Putins ist Scholz nicht, er führt nur eine verwirrte und prinzipienlose Partei."
Im Gegensatz dazu hat die deutsche Politik in den letzten Jahren das Wort Souveränität tunlichst vermieden. Stattdessen haben führende SPD-Funktionäre die Abhängigkeit Deutschlands von russischer Energie mit leeren Phrasen gerechtfertigt. Typisch dafür ist das viel kritisierte Interview mit Bundespräsident Frank- Walter Steinmeier vom Februar 2021 in der Rheinischen Post. In Hinblick auf Nord Stream 2 sagte er, dass „für uns Deutsche noch eine ganz andere Dimension hinzukäme“, um dann die mehr als 20 Millionen Toten zu erwähnen, die in der damaligen Sowjetunion im Krieg gefallen waren. Im Wesentlichen klang das, als wolle er die Pipeline als eine Art Sühne für die Mordtaten Nazi-Deutschlands darstellen. Inzwischen hat auch er zugegeben, dass es ein Fehler war, die Pipeline jemals unterstützt zu haben.
Abgesehen von so ungeheuerlichen Fällen wie Schröder und Schwesig besteht das ursächliche Problem der SPD nicht darin, zu eng mit Putin oder der russischen Wirtschaft verbunden gewesen zu sein. Vielmehr wird die Partei durch ihren Mangel an politischer Klarheit behindert. Es war reiner Opportunismus, die kurzsichtigen Entscheidungen der letzten Jahre als Fortsetzung der Ostpolitik Brandts darzustellen, auch wenn die Realität eine ganz andere geworden war. Und genauso opportun erscheint es der Parteiführung nun, sich nicht nur von ihren eigenen Fehlern, sondern gleich auch von der Politik der frühen 1970er Jahre zu distanzieren.
Wie Angela Merkel vor ihm dürfte auch Scholz erwartet haben, regieren zu können, indem er den Meinungsumfragen folgt. Doch Deutschland ist in der Frage, wie man am besten auf den Krieg in der Ukraine reagieren soll, tief gespalten. All dies setzt ihn unter enormen Druck. Ein Handlanger Putins ist Scholz nicht, er führt nur eine verwirrte und prinzipienlose Partei.