22.02.2017

Hassarchitektur und die Neue Linke

Kommentar von Christoph Lövenich

Titelbild

Foto: 1435262 via Pixabay

Das schöne Alte wurde vom hässlichen Neuen verdrängt, so eine verbreitete Meinung über Nachkriegsarchitektur. Eine ARD-Doku versprüht dieses rückschrittliche Denken in Reinkultur.

„Es kann so erhellend sein, wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen seinem Bildungsauftrag nachkommt …“, kommentierte ein Zuschauer auf der ARD-Website die Doku „Unsere Städte nach ‘45". Ob als Kompliment gemeint oder ironisch – der Mann hat recht. Die diesen Monat im Ersten ausgestrahlte zweiteilige Sendung offenbart mehrerlei, vor allem über die Post-68er- Neuen Linken und darüber, wie weit sie sich doch vom fortschrittlichen Denken abgekoppelt haben.

Thema sind der deutsche Wiederaufbau ab 1945 und die (Groß-)Stadtplanung der Nachkriegszeit. Der Kriegszerstörung widmet die Doku wenig Aufmerksamkeit – sie wird eher als Anlass und Vorwand für die „blinde Zerstörungswut“ der Architekten und Bauverwaltungen in der jungen Bundesrepublik (und DDR) betrachtet. Gebäude – historische gar – wurden einfach abgerissen, um Platz für neue, ambitionierte Pläne zu schaffen. Moderne Architektur brachte „Verwüstung“ und „Bausünden“ noch und nöcher. „Emotionslos“ und „kaltschnäuzig“ wurden Städte „verhunzt“, „Schönheit und Qualität“ zerstört, „trostlose Neubauten“ stehen für eine Stadtplanung, die als verfehlt und misslungen gelten müsse. Nach 1968 wurden dann doch viele Gründerzeitvillen mit ihren Stuckdecken vor dem Weg alles Irdischen bewahrt, vor allem dank der Hausbesetzer.

Soweit die Geschichtsschreibung der Neuen Sozialen Bewegungen aus den 1970ern, ihren durch die Institutionen – nicht zuletzt die öffentlich-rechtlichen Medien – marschierten Anhängern und Nachfahren. In gewohnter Einseitigkeit fällt diese ARD-Doku ihre Wert- und Unwerturteile. Alt = erhaltenswerter Schatz, moderne Architektur = Bausünde. Besonders sündig dabei: Die „autogerechte“ Stadt der 1960er und -70er, die so gar nicht ins Weltbild des zeitgenössischen deutschen Ökos passt.

„Der Mensch als Schöpfer, als Gestalter, nicht bloß als Bewahrer des Überkommenen, das war das Denken einer fortschrittlichen Zeit“

Dabei erhellt die Sendung – wenn auch ablehnend – den progressiven Ansatz der damaligen Stadtentwickler. Man wollte (in den Worten von Architekturhistoriker Werner Durth) weg von der Klassengesellschaft des Kaiserreichs und dem von ihr geprägten Stadtwuchs, gekennzeichnet durch „bürgerlich-neobarocke historizistische Pracht in den Reichenschichten und dem Zusammenpferchen der Armutsbevölkerung in den Mietskasernen“. Mehr Luft, mehr Licht statt Enge und Elendsviertel; Zeilenbau (Häuser senkrecht statt parallel zur Straße) durch Ausfallstraßen; Entlastung der Innenstädte vom Verkehr bei gleichzeitiger guter Erreichbarkeit mit dem Auto, das sich nun auch Arbeiter leisten konnten.

Ganz anders die 68er-Bürgersöhnchen und -töchterchen mit ihrer Vorliebe für bourgeoise Jugendstilvillen. Durch den Zusammenschluss solcher Aktivisten mit „großbürgerlichen“ Konservativen trat ab den 1970ern eine Zeitenwende mit denkmalschützerischem und bewahrendem Denken ein. So kommt in der Doku neben meist „grün“ wirkenden Neubaugegnern aus verschiedenen Städten auch eine betagte Nonne zu Wort, die bedauert, dass die „alten, einfachen Häuser“ den „hässlichen, modernen Gebäuden“ weichen mussten. Man romantisiert frühere Armut – und früheren Reichtum: heute undenkbar, wie ein rheinischer Adliger noch 1969 sein Barockschlösschen einfach von der Freiwilligen Feuerwehr niederbrennen ließ (Ausschnitt in der Sendung), um Platz für Funktionaleres zu schaffen.

„Der Mensch hat sich eine neue Heimat geschaffen“, hieß es in einem alten TV-Beitrag über die Entwicklung der Städte nach dem Krieg. Weiter zitiert die Doku einen Politiker früherer Tage, der befürchtete, seine Stadt, Trier, könne „ein Opfer seiner historischen Überwucherung“ werden. Der Mensch als Schöpfer, als Gestalter, nicht bloß als Bewahrer des Überkommenen, das war das Denken einer fortschrittlichen Zeit „des grenzenlosen Optimismus“, wie ihn die Sendung nennt – und mit dem sie mehr als fremdelt. Das Bessere als Feind des Schlechten wie des Guten, die „große Umgestaltung“, Tabula rasa machen und Städte für neue Bedürfnisse entwerfen – für heute tonangebende Kreise bloßer „Machbarkeitswahn“.

„Die großen Würfe der Nachkriegszeit zeigen, dass man auch nach vorne schauen kann“

Damit beerdigt man klassische aufklärerische – und linke – Visionen auf dem Friedhof musealer Konservierung vergangener Bau-Epochen. Die Neue Linke betreibt Identitätspolitik und so nimmt es nicht wunder, dass in der Sendung beklagt wird, wie manche „Stadtidentität ausgelöscht“ worden sei. Vom „Hass auf die alte Stadt“ ist gar die Rede, als seien die blühenden Landschaften des Wirtschaftswunders von „Hassarchitektur“ geprägt. Stattdessen gibt man sich der „großen Sehnsucht nach der alten Stadt“ hin, dem nostalgischen Blick zurück in die Tage vor der baulichen und gesellschaftlichen Modernisierung.

Gewiss: Jede Planungseuphorie hat ihre Fehler. Plattenbausiedlungen haben sich nicht zum Gelben vom Ei entwickelt, zahlreiche historische Denkmäler haben ihren Schutz verdient und die damalige, US-amerikanisch inspirierte Vorstellung, man solle Wohnnutzung aus den Innenstädten verbannen, geht an den Bedürfnissen vieler Menschen vorbei. Man kann Entwicklungen korrigieren und das Bauen verbessern; wo man aber Eingriffe des Menschen verunglimpft – ähnlich wie bei Natur und Umwelt – und auf dem Bestehenden beharrt, entsteht nichts Fortschrittliches.

Das Auto, den Massenkonsum, auch die Massenarchitektur, generell die verbesserten Lebensbedingungen für die breite Masse – das würdigen die heute kulturell mächtigen Vertreter der Neuen Linken (und ihre bürgerlich-konservativen Vettern) nicht als Errungenschaften, sondern sie setzen auf Einschränkungen des Menschen durch ökologisches Grenzendenken, den Fetisch Nachhaltigkeit, Moralisierung des Verbrauchs und allerlei Reglementierung. Solche Vorstellungen haben zwar die kulturelle Hegemonie in ARD-Redaktionsstuben und anderswo erlangt, aber die großen Würfe der Nachkriegszeit zeigen, dass sie nicht alternativlos sind, dass man auch nach vorne schauen kann und nicht nur zurück.

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