27.05.2025
Gutachten der Schande
Von Christian Zeller
Das AfD-Gutachten des Bundesverfassungsschutzes, das der Partei einen rechtsextremistischen Charakter bescheinigen will, erweist sich als sehr schwach, auch beim Thema Antisemitismus.
Kaum ein politisches Dokument der letzten Jahre gewährt so tiefe Einsichten wie jenes Gutachten des Inlandsgeheimdienstes, mit dem die AfD für einige Tage zur „gesichert rechtsextremen Partei“ hochgestuft wurde, nachdem man es sich dann ein paar Tage später wieder anders überlegte. Eigentlich sollte das voluminöse Schriftstück geheim bleiben, aber inzwischen wurde es vom Cicero, der Jungen Freiheit und von Nius veröffentlicht. Tiefe Einsichten gewährt das Gutachten allerdings nicht in seinen Gegenstand, die AfD, das ist nämlich alles bekanntes Zeugs und kalter, teilweise ungenießbarer Kaffee, leidlich systematisierte Zeitungslektüre gleichsam. Sondern in den Inlandsgeheimdienst selbst – und seinen demokratieunterminierenden, rechtsstaatsgefährdenden, freiheitsfeindlichen Furor, den er sichtlich überfordert und mit einer in der Bundesrepublik Deutschland bislang unbekannten demokratiepolitischen Verantwortungslosigkeit ins Werk setzt. Ganz das Kind von Nancy Faeser, die als eine ihrer letzten Amtshandlungen den deutschen Souverän, ihren Arbeitgeber, dreist anlog, als sie behauptete, das Gutachten müsse aus Gründen des Quellenschutzes geheim gehalten werden. Das Problem: Geheimdienstliche Quellen tauchen in dem Gutachten gar nicht auf.
Wer bislang noch gutgläubig genug war und auch nach der Einführung der Kategorie der „Delegitimierung des Staates“ im Jahr 2022 dachte, der Verfassungsschutz schütze wirklich die Verfassung, wird nun so schlagend-schmerzhaft eines Besseren belehrt, dass einem Angst und Bange um die Demokratie werden muss. Ausgerechnet im Kapitel, in dem man am Umsichtigsten und Skrupulösesten hätte verfahren müssen, dem Antisemitismus, wird ein pseudo-juristischer Budenzauber aufgeführt, der der Logik totalitärer Verhörtechniken folgt. Diesmal ist nicht Orwells „1984“, sondern Arthur Koestlers „Sonnenfinsternis“ die gewichtigste literarische Referenz. Aus diesem Werk kann man lernen, wie einem in stalinistischen Verhören so lange die Worte im Munde herumgedreht werden, bis die Schuld, die natürlich von Anfang an feststand, endlich ‚bewiesen‘ ist.
Herausgefunden hat man folgendes: Wenn man sagt, dass die „Finanzindustrie“, „Bill Gates“ oder „George Soros“ „mächtig“ sind oder es eine globale „Elite“ gibt, dann ist das antisemitisch. An dem Wortlaut selbst ist zwar, auch das hat man im Hexenjagd-Fiebertraum des Inlandsgeheimdienstes erkannt und schreibt es sogar auf, nichts antisemitisch. Aber dahinter verbergen sich, ohne dass man dies nachweisen müsste, „Codes“ und „Chiffren“, was dann wiederum bedeutet, dass das, was nicht antisemitisch scheint, es in Wirklichkeit doch ist. Wenn man diese Hermeneutik des Verdachts einmal in Gang gesetzt hat, dann wimmeln natürlich überall „Narrative“, die „antisemitische Projektionen“ von unbeschränkter Macht, der Vorstellungen einer Weltregierung und einer wurzellosen Elite mit gesellschaftszersetzender Wirkung enthalten. Ob den Auffassungen der zitierten AfD-Funktionäre möglicherweise ein Fünkchen Wahrheit innewohnt, weswegen die Kritik daran allererst formuliert wird, das fragt man dann einfach gar nicht mehr.
„Man muss eine Codierung nachweisen und kann das nicht einfach völlig belegfrei in den Text hineindeuten.“
Freilich, grundsätzlich ist es denkbar, dass eine bestimmte Ideologie kodiert verbreitet wird und beim Antisemitismus ist das in der Tat bisweilen der Fall. Aber dann muss man eben diese Codierung nachweisen und kann das nicht einfach völlig belegfrei in den Text hineindeuten. Schon gar nicht in einen mit einer solch politischen Bedeutung. Man übertrage diese Hermeneutik des Verdachts einmal auf ein Strafrechtsverfahren. Es ist völlig klar, dass damit der Rechtstaat an sein Ende kommt. Inhaltlich kann man über die Thesen mancher AfD-Funktionäre denken, was man will: Soll die Bevölkerung in Europa durch muslimische Migranten ausgetauscht werden? Wird von globalen Eliten ein „great reset“ geplant, der auf eine links-grüne Neuformierung in globalem Maßstab hinausläuft? Dient die Klimaagenda nur den Finanz-Interessen mächtiger Eliten? Ist George Soros wirklich die größte Bedrohung für die freiheitliche Gesellschaft, wie AfD-Mann Maximilian Krah behauptet hat? Man kann gerne diese Auffassungen für übersteuert halten. Aber eine pauschalisierende Feindlichkeit gegenüber Juden als Juden kommt darin gewiss nicht zum Ausdruck.
Man versetze sich einmal in die nicht allzu ferne Zeit unter Gerhard Schröder zurück, als der „neoliberale Kapitalismus“ das Lieblingsfeindbild der Linken war. Ständig wurde hier die Macht der globalen Finanzindustrie beklagt. Wo war da der Inlandsgeheimdienst mit seiner Antisemitismus-Diagnose? Oder wo ist der Verfassungsschutz, wenn heute die Macht der globalen Internetkonzerne und der Tech-Eliten beklagt wird? Auch das Wort „Globalist“ darf man nicht sagen. Man muss sich nur das hervorragende Buch des kanadischen Historikers Quinn Slobodian über die Genese des Neoliberalismus zu Gemüte führen, um zu ermessen, was für ein haarsträubender Unsinn in dem VS-Gutachten verbreitet wird. Müsste man dann nicht auch die Klassiker der Elitesoziologie, Vilfrido Pareto, Gaetano Mosca, Robert Michels, aufgrund ihrer „Elite“-Theorien unter Antisemitismus-Verdacht stellen? Das entspräche der Argumentationslogik der ‚Gutachter‘: Wort X kommt aus einem bösen Kontext. Du verwendest Wort X? Also bist du Teil des bösen Kontextes.
Besonders angetan haben es den Verfassungsschützern alle Arten von Aufzählungen und Wortkombinationen. In ihnen soll besonders prominent der „antisemitische Gehalt“ einer Äußerung zum Ausdruck kommen. Antisemit ist, wer Klaus Schwab, George Soros und Bill Gates in einer Reihe nennt. Apropos Bill Gates: Der Verfassungsschutz weiß immerhin, dass Bill Gates kein Jude ist, aber das macht ihn in den Augen des Verfassungsschutzes natürlich nicht davor gefeit, zum Gegenstand „antisemitischer Verschwörungstheorien“ zu werden. Aufgrund seines „scheinbar übermächtigen Einflusses“ wird Gates, so der Verfassungsschutz in dem Gutachten, ein „‚Jüdischsein‘ unterstellt.“
„Der Verfassungsschutz stellt sich damit vollends in die dubiose Tradition des identitätslinken Lügenkombinats Correctiv mit ihrem Märchen von der zweiten Wannsee-Konferenz.“
Die Anführungszeichen bei „Jüdischsein“ haben es dabei in sich. Denn die Verfasser des Gutachtens beziehen sich damit nicht etwa auf die Aussage (oder wenigstens den „Code“) eines AfD-Funktionärs, sondern auf ihre eigene Veröffentlichung „Lagebild Antisemitismus 2022/23“. Dort werten sie auf Seite 39 einen Artikel des Compact-Magazins aus, in dem unter anderem die Rockefellers, Klaus Schwab – auch sie keine Juden – und Bill Gates als „Blutsauger“ tituliert werden. Diesen wegen der mittelalterlichen Ritualmordlegende schwer antisemitisch konnotierten Assoziationsraum des „Blutsaugers“ importieren die Verfassungsschützer nun einfach in den Kontext ihres „Gutachtens“ und insinuieren – ohne den Begriff des „Blutsaugers“ zu nennen –, dass damit im Kontext der Erwähnung von Bill Gates sein „Jüdischsein“ unterstellt sei. Das wäre in etwa so, wenn ich Ihnen unterstelle, dass Sie mit „Bill Gates“ eigentlich „blutsaugender Jude“ meinen und als Grund dafür anführe, dass Ihr Onkel einmal „Bill Gates“ sagte, als er in Wirklichkeit „blutsaugender Jude“ meinte.
Wenn das Thema nicht so ernst wäre – geht es doch bei Antisemitismus immer auch um das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, die ansonsten auch viele großartige Momente und im positiven Sinne welthistorisch bedeutsame Personen bereithält –, wäre es einfach nur noch lächerlich zu nennen, was der Inlandsgeheimdienst hier vom Stapel lässt. Man fragt sich: Wurden hier aus einem universitären Gleichstellungsbüro mit „Kampf gegen rechts“-Poster an den Wänden studentische Mitarbeiter, wohl eifrige Politologie-„Studierende“, abgezogen, die nun eine 1100 Seiten lange Hausarbeit schreiben durften? Die Studenten errechneten erst eine Dauer von 21 Semestern für ihr Werk, aber dann kam gottlob ChatGPT und es ging schneller.
Wenn man auf dem Niveau des Verfassungsschutzes argumentierte, würde man wohl sagen, dass er selbst eine Verschwörungstheorie bedient. Kernmerkmal von Verschwörungstheorien ist eben deren Selbstimmunisierung: Man kann sie nicht widerlegen, der Angeklagte ist stets schuldig und kann prinzipiell nichts beitragen, was seiner Entlastung dienen könnte. Der Verfassungsschutz stellt sich damit vollends in die dubiose Tradition des identitätslinken Lügenkombinats Correctiv mit ihrem Märchen von der zweiten Wannsee-Konferenz: Raunen und Meinen im „Kampf gegen rechts“ ersetzen wirklichkeitsgerechte Analyse sowie klare und redliche Argumentation. Die Verfasser des Gutachtens sind erkennbar getrieben von dem, was man im Strafrecht den Belastungseifer nennt: Zeugen, die nicht einfach das sagen, was sie gesehen haben, sondern die ihren Bericht in eine Richtung verzerren, die eine Verurteilung des Angeklagten wahrscheinlicher machen sollen, ohne dass seine Schuld bewiesen ist.
„Der Verfassungsschutz gehört endlich abgeschafft.“
Das Dilemma der verfassungsschützenden Verfassungsverächter liegt dabei offen zutage: Was Antisemitismus angeht, finden sie bei der AfD, insbesondere nach dem Ausschluss des Antisemiten Wolfgang Gedeon durch das Bundesschiedsgericht der AfD im Jahr 2021, nichts Nennenswertes. Und blöderweise gibt es auch noch diese kleine Vereinigung „Juden in der AfD“. Aber sie wollen in ihrem „Kampf gegen rechts“-Furor natürlich nicht auf die größtmögliche Exklusionskeule in der deutschen Diskurslandschaft verzichten. Also deuten sie einfach wild herum, irgendetwas wird schon hängen bleiben.
Der Verfassungsschutz geht hier erkennbar nonchalant mit dem scharfen Schwert des Antisemitismus um; so nonchalant, dass es letztlich auf eine beschämende Instrumentalisierung des Holocausts für gegenwärtige politische Zwecke und auf eine Verharmlosung von echtem Antisemitismus hinausläuft. Denn wenn das, was der Inlandsgeheimdienst hier beschreibt, antisemitisch ist, dann kann ja, so könnte der Schluss lauten, Antisemitismus kein großes Problem sein – was leider, insbesondere aufgrund von millionenfacher Migration aus dem arabischen Raum, aber auch wegen echter Rechtsextremer, nicht der Fall ist. Für eine Behörde, die mit eben jenem Gutachten beansprucht, zum Schutz des Rechtstaates beizutragen, ist das einfach nur noch intellektuell peinlich und politisch gefährlich. Es gefährdet die Demokratie ebenso wie die Möglichkeit, echten Antisemitismus zielsicher zu identifizieren und zu bekämpfen.
Wenn das veröffentlichte Gutachten die Blaupause für den künftigen Rechtstaat „gegen rechts“ sein soll, dann kann die Konsequenz nur lauten: Der sogenannte „Verfassungsschutz“ ist eine schwere Bürde für die liberale und plurale Demokratie geworden. Der Verantwortung für den Schutz der jüdischen Bevölkerung in der Bundesrepublik wird er mit seinem hermeneutischen Kinderturnen nicht gerecht. Seine Legitimität könnte sich allein daraus speisen, dass er seriös und verantwortungsvoll agiert. Dieser Legitimität hat er sich mit dem jüngsten Gutachten nun wirklich vollends selbst beraubt. Er gehört endlich abgeschafft.