01.11.2002
Grüne bringen Grüne Gentechnik zum Welken
Essay von Thomas Deichmann
Die Grüne Gentechnik ist nach den Bundestagswahlen unter die Fittiche von Verbraucherschutzministerin Renate Künast gestellt worden. Diese Zukunftsbranche wird es daher auch in Zukunft in Deutschland sehr schwer haben.
Am Mittwoch, den 9.Oktober, stand das Thema Umwelt auf der Tagesordnung der Koalitionsverhandlungen. Es ging dabei um sehr viel – nicht zuletzt darum, Deutschland auf bedenkliche Abwege und den noch immer hoch angesehenen „Made in Germany“-Forschungs- und -Industriestandort weiter in die Drittklassigkeit zu befördern. Tage zuvor hatten sich die Gerüchte erhärtet, dass Jürgen Trittin (Bündnis90/Die Grünen), alter und neuer Chef des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), die Grüne Gentechnik und damit einen zukunftsträchtigen Zweig im Agrar- und Chemiesektor einsacken und fortan darüber entscheiden wollte, welche Innovationen in den Pflanzenwissenschaften (die seit 1996 weltweit große Erfolge feiern) auch in Deutschland eingesetzt werden dürfen – bzw. dafür sorgen, dass dies nicht geschieht.
Nach den Wahlen vor vier Jahren standen das Bundesamt für Strahlenschutz und entsprechende Fachkommissionen im Visier des neu gekürten Ministers (s. „Wie Trittin auf Linie bringt“). Dieses Mal wurde gemunkelt, er wolle milliardenschwere nationale und europaweite Forschungs- und Förderprogramme zur Grünen Gentechnik stoppen und entsprechende Kompetenzen neu verteilen. Vornehmlich hatte Trittin das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin im Visier, das unter dem deutschem Gentechnikgesetz als Genehmigungsbehörde für Biotechnologien fungiert. 1891 als wissenschaftliche Abteilung des „Königlich Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten“ unter Leitung des Entdeckers des Tuberkulosebazillus Robert Koch ins Leben gerufen, wurde das RKI zu einem der weltweit angesehensten staatlichen Forschungs- und Beratungszentren im Bereich öffentliche Gesundheit; 1952 wurde es Teil des neu gegründeten Bundesgesundheitsamts und nach dessen Auflösung 1994 zur zentralen selbständigen Bundesoberbehörde unter dem Bundesgesundheitsministerium (BMG).
Mit seiner unbestreitbaren Kompetenz ist das Robert-Koch-Institut bislang auch für die Sicherheitsbewertung gentechnischer veränderter Organismen zuständig. Ein dafür eigens eingerichtetes Zentrum für Gentechnik kümmert sich um die biologische Sicherheitsbewertung transgener Nutzpflanzen, um deren Zulassung für Freisetzungsversuche und um Genehmigungen zur Inverkehrbringung in den deutschen Markt. Entsprechend fungieren Experten des RKI zudem als Berater bei der Umsetzung von EU-Richtlinien zur Grünen Gentechnik in deutsches Recht.
Trittin wollte dem RKI den Zahn ziehen, doch dann kam es anders. Seine Rechnung, die Kompetenz des RKI zugunsten seiner Mannen zu brechen, ging nicht auf. Seine Parteikollegin, Renate Künast, Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL), kam ihm zuvor. Im Organisationserlass des Bundeskanzlers an alle Bundesminister hieß es unter Punkt III:
„Die federführende Zuständigkeit für den Aufgabenbereich Gentechnik wird vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung auf das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft übertragen, damit auch die federführende Zuständigkeit für das Gentechnikgesetz. Davon unberührt bleiben die Zuständigkeit für medizinische Fragen, insbesondere das Arzneimittelwesen.“
Damit wurde unmissverständlich festgestellt, dass ab sofort das Zentrum für Gentechnik im RKI mit all seinen Unterabteilungen und angegliederten Institutionen unter der Dienstaufsicht von Ministerin Künast stehen – ein derber Rückschlag für die gesamte Branche. Neue Konflikte im Wissenschaftssektor sind vorprogrammiert, denn in den vergangenen Jahren war immer wieder ein fundamentaler Unterschied zwischen der Haltung der Genehmigungsbehörde RKI und jener aus den Häusern Künast oder Trittin deutlich geworden: Das Robert-Koch-Institut bewertet und genehmigt nach streng wissenschaftlichen Kriterien unter Berücksichtigung internationaler Rahmenbedingungen – z. B. der Tatsache, dass transgene Nutzpflanzen weltweit bereits auf etwa 53 Mio. ha angebaut und ihre Eigenschaften sorgfältig studiert werden oder dass aufgrund der gigantischen Warenströme unweigerlich auch transgene Agrarprodukte nach Deutschland gelangen. Maßgeblich für die Haltung grüner Minister hingegen scheint eine Mischung aus Industrie- und Forschungsskepsis, Naturverklärung und Katastrophenangst zu sein.
„Ab sofort steht das Zentrum für Gentechnik im Robert-Koch-Institut mit all seinen Unterabteilungen und angegliederten Institutionen unter der Dienstaufsicht von Ministerin Künast – ein derber Rückschlag für die gesamte Branche.”
Maßgeblich für die Haltung grüner Minister hingegen scheint eine Mischung aus Industrie- und Forschungsskepsis, Naturverklärung und Katastrophenangst zu sein. Dazu kommt der fromme Wunsch, die Grüne Gentechnik von Deutschland fernhalten zu können.
Nach dem Kanzlererlass von Ende Oktober stellte sich aber alsbald die Frage, ob man angesichts dieser Entwicklungen nicht vielleicht sogar froh sein sollte, denn unter Trittins Fittichen wäre der Grünen Gentechnik wahrscheinlich ohne Umschweife der Todesstoß versetzt worden. Ihm schwebte sogar vor, bei Fragen der Bewertung und Zulassung transgener Nutzpflanzen das Umweltbundesamt (UBA) zu schwächen, weil es den Einsatz der Gentechnik nicht kategorisch ablehnt und deshalb Trittin, Insidern zufolge, als „viel zu liberal“ gilt. Stattdessen sollte das Bundesamt für Naturschutz (BfN) in vorderste Stellung gebracht werden. Das BfN tanzt bekanntlich bereitwillig nach der grünen Ministerpfeife und gilt als kompromissloser Fortschrittsmuffel – nicht nur in Sachen Gentechnik.
Die Stärkung des BfN in dieser Hinsicht wäre alles andere als wünschenswert. Doch noch ist unklar, ob es zukünftig eine gewichtigere Rolle spielen wird, denn die Verschiebung der Grünen Gentechnik ins Verbraucherschutzressort bedeutet noch lange nicht, dass das BfN gänzlich aus dem Spiel ist. Laut Gentechnik-Gesetz, das in den nächsten Monaten novelliert wird, sind derzeit noch das Umweltbundesamt (UBA) und die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) in Braunschweig Einvernehmensbehörden des RKI bei Genehmigungsverfahren für Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen und deren Anwendung. Es bleibt abzuwarten, ob das so bleiben wird.
In verschiedenen Arbeitsgruppen haben Mitarbeiter von UBA und BBA in den letzten Jahren zusammengearbeitet. Nicht selten prallten dabei unterschiedliche Weltbilder aufeinander. Der Grund: Die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft folgt bei der Bewertung neuer Biotechnologien wie das RKI einem streng wissenschaftlichen Ansatz. Das UBA spekuliert hingegen gerne auch einmal ohne wissenschaftliches Fundament über mögliche Schäden durch die Grüne Gentechnik (z. B. die vermeintliche Gefährdung der globalen Artenvielfalt), und ist darum bemüht, die Ausbreitung der Grünen Gentechnik in Deutschland zu bremsen. Dennoch gibt es einen gewaltigen Unterschied zwischen UBA und BfN: Mitarbeiter des UBA sind wissenschaftlichen Argumenten aufgeschlossen und deshalb nicht per se gegen Anbauversuche und Begleitforschung. Das war wohl der wesentliche Grund, warum Trittin darauf abzielte, die bisherigen Kompetenzen des Umweltbundesamtes auf das Bundesamt für Naturschutz zu übertragen.
Ob Künast selbst auch einen solchen Deal vorhat, bleibt abzuwarten. Voraussetzung dafür wäre in jedem Fall eine entsprechende Änderung des deutschen Gentechnikgesetzes von 1993 und in diesem Zuge auch ein Beschluß des Bundesrates. Da das Gentechnikgesetz in den nächsten Monaten aber ohnehin geändert wird, um die novellierte EU-Freisetzungsrichtlinie (2001/18/EC) in deutsches Recht umzusetzen, ist dies nicht auszuschließen. Fest steht: Sollte das BfN statt dem UBA zur Einvernehmensbehörde bei der Zulassung von gentechnisch veränderten Agrarprodukten werden, könnten sich Agrarindustrie und Saatguthersteller weitere Genehmigungsanträge sparen. Der Chef des BfN, Hartmut Vogtmann, gilt als Ökofundamentalist und guter Bekannter des Umweltministers. Er bekannte vor einigen Monaten in einem Interview: „Wir plädieren für ein totales Verbot der Grünen Gentechnik in der Landwirtschaft.“
Die zentrale Frage lautet nun also, was Ministerin Künast zu tun gedenkt. Wird sie die bestehenden Strukturen mit RKI, BBA und UBA intakt lassen und lediglich die Dienstaufsicht übernehmen? Oder wird sie auch in diesem Bereich ein Zeichen setzen, das auch nach einer möglichen Abwahl von Rot-Grün in vier Jahren noch wirkt, indem sie die bestehenden Strukturen zerstört und neue aufbaut, die ihrer Bremserpolitik in Sachen Grüner Gentechnik besser gerecht werden? Es ist zu befürchten, dass sie den zweiten Weg einschlägt. Das würde jedenfalls eher zur grünen Politik des „Strukturwandels“ in der Landwirtschaft passen, bei dem die Grüne Gentechnik offenbar eher ein Störfaktor ist.
Jedenfalls sind in der Vergangenheit schon fleißig Strippen gezogen wurden, um transgene Pflanzen madig zu machen. So bemüht sich Trittin seit längerem auch auf anderer Ebene um die Stärkung des Bundesamts für Naturschutz. Der Hintergrund: Im Rahmen der Umsetzung der EU-Freisetzungsrichtlinie steht auch die Frage ins Haus, welche Institution das in der EU-Richtlinie geforderte Monitoring der Grünen Gentechnik, also die langfristige wissenschaftliche Beobachtung des Anbaus transgener Pflanzen, hauptverantwortlich koordiniert.
Seit Frühjahr 2000 läuft bereits ein vom Bundesforschungsministerium (BMBF) gefördertes wissenschaftliches Forschungsprogramm zu biologischer Sicherheitsforschung und Monitoring (www.bioSicherheit.de). Angesichts der raschen Marktausbreitung gentechnisch verbesserter Nutzpflanzen werden deren Auswirkungen auf die Umwelt studiert. Zudem wird darauf hingearbeitet, tragfähige Erfassungs- und Bewertungskriterien für die Zulassung transgener Pflanzen sowie die Grundlagen für langfristige Beobachtungsprogramme nach ihrer Marktzulassung bereitzustellen.
Parallel dazu laufen zwei Arbeitsgruppen, die im Zuge der nationalen Ausformulierung der EU-Richtlinie unter einem Dach zusammengeführt werden müssen. Die erste Arbeitsgruppe „Anbaubegleitendes Monitoring gentechnisch veränderter Pflanzen im Agrarökosystem“ wurde im April 1999 auf einer Sitzung des Deutschen Pflanzenschutzdienstes beschlossen. Die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) übernahm die Federführung. Mit von der Partie sind u.a. das Umweltbundesamt (UBA), das Robert-Koch-Institut (RKI), das Bundessortenamt (BSA) und der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP). Diesem Gremium geht es um die Erforschung der Auswirkungen transgener Pflanzen im unmittelbaren landwirtschaftlichen Agrarsystem. Die zweite Arbeitsgruppe „Monitoring der Umweltwirkungen von gentechnisch veränderten Pflanzen“ befasst sich mit weiter reichenden Folgen der Biotechnologien. Diese Bund/Länder-Arbeitsgruppe wird vom Umweltbundesamt (UBA) geleitet. Darin vertreten sind u.a. die Länderbehörden, die gemäß Gentechnikgesetz die Anwendung der Grünen Gentechnik kontrollieren, sowie einige Umweltgruppen, die BBA und das RKI.
Seit einigen Monaten ist offen, wer die Gesamtkoordination dieser beiden Monitoringbereiche übernehmen soll. Logisch und folgerichtig wäre wohl, wenn die Genehmigungsbehörde, also das Robert-Koch-Institut, damit beauftragt würde. Das Umweltbundesamt würde allerdings auch gerne in diese Rolle schlüpfen. Umweltminister Trittin hingegen hätte es am liebsten, wenn das Bundesamt für Naturschutz zum Oberkoordinator des Monitoring würde. Da nun aber die Hauptzuständigkeit der Grünen Gentechnik im Hause Künast liegt, wird auch hier wieder alles davon abhängen, welche langfristige Strategie sie einschlägt. Was es hieße, wenn das BfN das Monitoring koordinierte, dürfte klar sein. Getreu dem Motto „Solange wir nicht hundertprozentig wissen, welche Wirkungen die Gentechnik auf die Umwelt haben kann, können wir keinen Anbau befürworten“ würden Steuergelder verpulvert und grüne Risikowarnerpöstchen finanziert, denn freilich lassen sich Risiken nie zu hundert Prozent ausschließen – da geht es umsichtigen Biowissenschaftlern wie einfachen Rolltreppenbenutzern.
„Risiken lassen sich nie zu hundert Prozent ausschließen – da geht es umsichtigen Biowissenschaftlern wie einfachen Rolltreppenbenutzern.”
Aus Sicht des mündigen Verbrauchers wäre es ohne Zweifel am besten, würden zumindest die jetzigen Strukturen erhalten bleiben. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wenn bei der Inverkehrbringung transgener Pflanzen eine ideologiefreie pragmatische Vorgehensweise ausschlaggebend werden. Dazu gehörte auch eine intensive praxisnahe Begleitforschung. Versuchsanbauten mit herkömmlichem und im Sortenzulassungsverfahren stehendem (also bereits wissenschaftlich weitgehend verifizierten und für den zeitlich wie räumlich begrenzten Anbau freigegebenen) transgenen Mais, wie sie derzeit im Oderbruch durchgeführt werden, sollten jedenfalls im Interesse des allgemeinen Erkenntnisgewinns (und zum Aufräumen mit allerlei Aberglauben und Vorurteilen) viel systematischer praktiziert werden. Im Oderbruch werden seit einigen Jahren von Monsanto, Syngenta und Pioneer verschiedene Strategien zur Bekämpfung des Fraßschädlings Maiszünsler getestet und die Ergebnisse miteinander verglichen – Punktsieger sind unbestritten die Bt-Sorten mit gentechnisch erzeugter Insektenresistenz.
Derartige Versuche gibt es in Deutschland aber aufgrund ihrer politischen Widersacher im grünen Lager viel zu selten, was diese im Umkehrschluss nicht davon abhält, das vermeintlich ungenügende Wissen über die Wirkungen transgener Pflanzen als Grund zu benennen, warum man ihre Kultivierung ablehnt.
„Grüne Politiker haben sich in den letzen vier Jahren redlich Mühe gegeben, die modernen Biotechnologien madig zu machen.”
Grüne Politiker haben sich in den letzen vier Jahren redlich Mühe gegeben, die modernen Biotechnologien madig zu machen. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sich das in den nächsten vier Jahren ändern wird. Wahrscheinlich werden auch zukünftig die vermeintlichen Risiken der Grünen Gentechnik beschworen, ihre potenziellen Vorteile für Mensch und Natur hingegen in Abrede gestellt. Das zieht dann anhaltende Skepsis unter der von den Biowissenschaften wenig verstehenden Öffentlichkeit nach sich, was dann wiederum in die politische Losung umgemünzt wird, man müsse den Verbraucher vor modernen Biotechnologien schützen.
Die im Schatten der BSE-Krise neu bestellte Ministerin für Verbraucherschutz, Landwirtschaft und Ernährung, Renate Künast, operiert sehr erfolgreich nach diesem Prinzip. Ihr glückte auch schon vor knapp zwei Jahren ein Vorstoß, um die Grüne Gentechnik in den grünen Autoritätsbereich herüberzuziehen: Kurz nach ihrer Ernennung wurde die Abteilung 4 „Gesundheitlicher Verbraucherschutz“ aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) herausgelöst und dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) unterstellt. Seit ihrem Amtsantritt betreibt Künast nun in erster Linie Lobbypolitik für den Ökolandbau, welcher (schlimmer als realitätsfern) jede Koexistenz mit biotechnologischen Anbauverfahren ablehnt.
Auch die nach dem Regierungswechsel vor vier Jahren zunächst als Bundesgesundheitsministerin agierende Andrea Fischer (Grüne) war in Sachen Gentech-Verhinderung aktiv. Sie kümmerte sich während ihrer Amtszeit herzlich wenig um die Umsetzung der EU-Systemrichtline (98/81/EG) von 1998 in deutsches Recht. Ihr Umsetzungsmoratorium hatte schließlich auch zur Folge, das die eineinhalbjährige EU-Frist zur Umsetzung der EU-Freisetzungsrichtlinie (2001/18/EC) vom März 2001 am 17. Oktober 2002 unverrichteter Dinge ins Land strich. Mit der Arbeit wurde noch nicht einmal begonnen. Der Grund: Als Ulla Schmidt (SPD) im Januar 2001 nach dem Rücktritt von Fischer das Gesundheitsministerin übernahm, begann sie zwar, die Hausaufgaben aus Brüssel zu erledigen. Sie mußte allerdings bald feststellen, dass bis zum Ende der Legislaturperiode nur noch die längst überfällige EU-Systemrichtlinie für gentechnische Arbeiten zu bewältigen war: Im August 2002 wurde sie in deutsches Recht umgesetzt. Jetzt soll endlich mit der Übertragung der weit komplizierteren EU-Freisetzungsrichtlinie begonnen werden. Da das nun aber nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich von Schmidt fällt (worüber sie insgeheim froh sein dürfte), sondern in den von Künast, werden Landwirte, Forscher und Industrie sicher noch einige Zeit auf verlässliche Rahmenbedingungen warten müssen.
Selbst da, wo in den letzten Monaten aufgrund geltender Gesetze längst sämtliche Bewertungs- und Zulassungskriterien für die Markteinführung transgener Produkte in Deutschland erfüllt waren, zeigten Fischer, Trittin und Künast ihre grünen Zähne. Bislang einzigartig in dieser Hinsicht war im Februar 2000 die kurzfristige Aushebelung der Sortenzulassung einer transgenen Bt-Maissorte der Schweizer Firma Novartis. Auf Anraten von Umweltminister Trittin hob die damalige Gesundheitsministerin Fischer mittels einer Weisung an das Robert-Koch-Institut die drei Jahre zuvor gemäß den Anforderungen des deutschen Gentechnikgesetzes erteilte Unbedenklichkeitsbescheinigung zum Teil auf. Für den Bt-Mais wurde plötzlich nur noch eine erheblich eingeschränkte Nutzungserlaubnis vergeben, wodurch die Grundlage für seine Sortenzulassung entzogen war. Das geschah nur zwei Tage vor der eigentlich fälligen Genehmigung durch das Bundessortenamt und entgegen der Haltung der die Ministerin beratenden Forschungsgremien. Fischer legitimierte ihre Entscheidung fadenscheinig mit einer vom Öko-Institut Freiburg zusammengeklaubten Interpretation von Sekundärliteratur, die vor hypothetischen Risiken der Gentechnik warnte. Dass den Experten des Robert-Koch-Instituts und der ihm angegliederten Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) derart übers Maul gefahren wurde, hatte es zuvor noch nicht gegeben. Die ZKBS, die die Zulassung des Bt-Mais ebenfalls befürwortet hatte, erklärte, man fühle sich „zutiefst desavouiert“. ZKBS-Mitglieder unterrichteten die Brüsseler Behörden über den grünen Maisstreich. Daraufhin begann Ministerin Fischer, die ZKBS umzustrukturieren. Der Aachener Ökotoxikologe Ingolf Schuphan mußte dran glauben. Er hatte Fischer und Trittin zuvor öffentlich kritisiert, sein ZKBS-Mandat wurde nicht verlängert.
Im wahrsten Sinne des Wortes vorgeführt wurde damals auch Gerd Hobom, seinerzeit ZKBS-Vorsitzender und ein Wissenschaftler mit großem internationalen Renommee. Er sollte eigentlich noch vor seinem regulären Ausscheiden als ZKBS-Vorsitzender im Oktober 2000 vor dem Ernährungsausschuss des Deutschen Bundestags über die modernen Biotechnologien referieren. Nach dem Streit mit Fischer wurde dieser Anhörungstermin kurzerhand verschoben, und Hobom trat schließlich nur noch als emeritierter Professor auf – seine Worte vor dem Ausschuß hatten dadurch viel weniger Gewicht.
Etwa ein Jahr später, im Juni 2001, kopierte dann Verbraucherministerin Künast die Holzhammerpolitik von Ex-Kollegin Fischer. Erneut gegen die Empfehlungen wissenschaftlicher Expertengremien und aller am Genehmigungsverfahren beteiligten Behörden stoppte sie die Zulassung der herbizidtoleranten Maissorte Artuis der KWS Saat AG in Einbeck.
„Vernünftiges Wirtschaften und Weltmarktfähigkeit wird für heimische Produzenten auch in Zukunft kaum möglich sein.”
Nach der Bundestagswahl 1998 hatte Bundeskanzler Schröder noch ein allseits gelobtes Programm zur schrittweisen Kommerzialisierung transgener Kulturpflanzen einschließlich eines öffentlichen Diskurses, intensiver wissenschaftlicher Begleitforschung und neuer Zulassungen angekündigt, um dieser Zukunftsbranche in Deutschland auf die Sprünge zu helfen. Angesichts Rinderwahn und Maul- und Klauenseuche zog er aber alsbald den Schwanz ein und überließ der neu bestellten Verbraucherministerin Künast das Feld. Jetzt honorierte er den Wahlerfolg des kleinen Koalitionspartners offenbar mit einem weiteren Zugeständnis in diese Richtung.
Wie Trittin auf Linie bringt
Nach den Bundestagswahlen 1998 machte sich der neue Bundesumweltminister Jürgen Trittin daran, die Atomkraftpolitik neu zu regeln – ein weitgehend normaler Vorgang nach einem Regierungswechsel, könnte meinen, wer übersieht, dass es dabei um ideologische Weltanschauungsfragen ging, denen Sachkompetenz geopfert wurde. Kurz vor Weihnachten 1998 löste er die Strahlenschutzkommission (SSK) und die Reaktorsicherheitskommission (RSK) auf. Stellen wurden gestrichen, Kompetenzen neu verteilt, kompetente Wissenschaftler durch engagierte Atomkraftgegner ersetzt und Inhalte auf Websites von „wissenschaftlich verbrämter Atompropaganda“ gesäubert. Aus der offiziellen Liste kostenlosen Informationsmaterials des Bundesamtes für Strahlenschutz wurden etwa 25 Publikationen und Hinweise gestrichen. Seither darf man sich dort nur noch von der Notwendigkeit des Atomausstiegs überzeugen lassen. Die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter verwies darauf, dass es eine derartige Gleichschaltung bislang „nur im Sowjetreich“ gegeben habe. Hans Brunner, Präsident des Deutsch-Schweizerischen Fachverbands für Strahlenschutz e.V., warnte, dass Deutschland „das bisherige hohe Ansehen in Fachkreisen des Strahlenschutzes sehr rasch zu verlieren“ drohe – womit er recht behielt. Der ehemalige RSK-Vorsitzende, Adolf Birkhofer, äußerte seinen Eindruck, ein unabhängiges Beratergremium solle „auf Linie gebracht werden“. Insider sprachen von „einer Form moderner Bücherverbrennung“.
Der ökonomische wie gesellschaftspolitische Schaden, der daraus entsteht, ist gewaltig. Vernünftiges Wirtschaften und Weltmarktfähigkeit wird für heimische Produzenten auch in Zukunft kaum möglich sein, und Deutschland wird sich handelspolitisch immer mehr isolieren (die USA bereiten derzeit eine Klage vor der Welthandelsorganisation WTO wegen der Gentech-Blockade vor). Es gibt auch bereits deutliche Anzeichen, dass sich Biotech-Unternehmen im Bereich Grüne Gentechnik entmutigt aus dem Staub machen, statt der jetzigen Regierung mit vereinten Kräften die Stirn zu bieten. Deutschland droht, bei der Forschung und Anwendung in einem bedeutenden Technologiesegment abgehängt zu werden.
„Das Vertrauen in die Machbarkeit vernünftigen gesellschaftlichen Fortschritts wird von dieser Regierung systematisch ausgehöhlt.”
Was aber angesichts der verbreiteten Verunsicherung und des zukunftspessimistischen Klimas in der Bevölkerung am schwersten wiegen dürfte: Das Vertrauen in die Machbarkeit vernünftigen gesellschaftlichen Fortschritts wird von dieser Regierung systematisch weiter ausgehöhlt.
Die Oppositionsparteien machen keinerlei Anstalten, den Siegeszug der grünen Ideologie aufzuhalten. Stattdessen machen sie scheinbar lieber dort weiter, wo sie am 21. September aufgehört haben. Die Union will nun gezielt in Großstädten mit populistischen Themen auf Stimmenfang gehen. Daneben warnt die Opposition gebetsmühlenartig vor Steuererhöhungen und Haushaltslöchern – offenkundig ohne eigene glaubwürdige Konzepte. Dabei würde sich das Thema Grüne Gentechnik sehr gut eignen, um ganz konkret aufzuzeigen, wie gesellschaftlicher Fortschritt und individuelle Initiative in diesem Land gelähmt werden.
So bleibt angesichts der aktuellen Lage nur die Hoffnung, dass sich irgendwo in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft ein paar Leute zusammenfinden, denen bewusst ist, welchen Stellenwert Vernunft, Sachverstand, Wissenschaft und Forschung für die Gesellschaft haben, und die bereit sind, für diese Werte eine Lanze zu brechen und dem fortschrittsfeindlichen grünen Dogmatismus Paroli zu bieten.