01.05.2007

Greenpeace und die Gemeinnützigkeit

Essay von Thomas Deichmann

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace ist in Deutschland als gemeinnützig anerkannt. Die Bundesregierung plant, die mit der Gemeinnützigkeit einhergehenden Steuervergünstigungen abzubauen. Was sind die Anforderungen an die Steuerprivilegierung, wo soll es Abstriche geben? Und inwiefern zieht die Gesellschaft Nutzen aus dem Engagement der Regenbogenkrieger?

Greenpeace kann einen ganz schön in Beschlag nehmen. Unternehmer, Politiker und Wissenschaftler, die der Grünen Gentechnik aufgeschlossen gegenüberstehen, wissen davon zu berichten. Der Verein verwendet jedes Jahr Millionenbeträge darauf, mit teils spektakulären Aktionen und reichlich Schriftwerk die Gentechnik aus Deutschland fernzuhalten. Mit einigem Erfolg: Die Skepsis der Bevölkerung ist anhaltend groß, und die Politik scheut sich, offen für den Anbau gentechnisch veränderter (GV-)Pflanzen zu werben. Zugute kommt dem Hamburger Verein, dass er als gemeinnützig anerkannt ist, denn dieser Status befreit von großen Steuerlasten. Kürzlich hat die Bundesregierung jedoch angekündigt, das deutsche Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht zu reformieren. Dagegen laufen Greenpeace und andere Organisationen seither Sturm.

„Mit der Ankündigung einer Reform des Gemeinnützigkeitsrechts steht für Greenpeace nun die Existenz auf dem Spiel.“

Die Regenbogenkrieger erfreuen sich zwar großer Bekanntheit, doch die Spendeneinnahmen sind in den letzten Jahren ins Stocken geraten. Anfang Dezember hat die Vereinsführung angekündigt, etwa 20 der 160 Greenpeace-Angestellten in Deutschland zu entlassen und dem Rest die Löhne zu kürzen. Im Oktober war bereits mitgeteilt worden, dass das erst 1997 gegründete „Einkaufsnetz“ von Greenpeace aufgegeben wird. Mit dieser Initiative sollten die Bundesbürger dazu gebracht werden, auf sparsamere Autos oder auf Ökokost umzusteigen oder in Alternativenergien zu investieren. Das Projekt erwies sich jedoch als zu teuer, der Erfolg fiel mager aus. Mit der Ankündigung einer Reform des Gemeinnützigkeitsrechts steht für Greenpeace nun sogar die Existenz auf dem Spiel.

Im Hintergrund des Reformvorhabens der Bundesregierung steht das Anwachsen des sogenannten „Dritten Sektors“, der Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Vereine. Solche Körperschaften können sich seit einer Gesetzesnovelle von 1989 verhältnismäßig leicht von den Finanzämtern ihre Gemeinnützigkeit bescheinigen lassen. Die Steuervorteile, die damit einhergehen, haben in den letzten Jahren zu deutlichen Wettbewerbsverzerrungen geführt, und dem Staatssäckel entgehen jedes Jahr Steuereinnahmen von ca. 10 Mrd. Euro. Im August 2006 legte der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums hierzu ein Gutachten vor. Die Kritik an der gängigen Praxis wird unverblümt formuliert: Ein „Wildwuchs“ sei entstanden, in dessen Gewirr sich in den letzten Jahren Interessenverbände auf übermäßige Weise haben durchsetzen können. Der Beirat im Ministerium von Peer Steinbrück (SPD) hält deshalb „eine deutliche Einschränkung der heute mit dem Gemeinnützigkeitsstatus verbundenen abgabenrechtlichen Privilegierungen“ für dringend geboten.

Gegen die Umsetzung der Reformvorschläge protestieren Träger unterschiedlichster Natur. Viele befürchten, auf einem freien Markt nicht bestehen zu können, so auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege. Sie vertritt die Marktführer der deutschen Wohlfahrtsindustrie: Diakonie, Caritas, Arbeiterwohlfahrt, Deutsches Rotes Kreuz und Paritätischer Wohlfahrtsverband. Einhellig haben sie die Pläne aus dem Finanzministerium abgelehnt, denn die gängige Steuerpraxis sichert ihre Existenz als Großunternehmen. Die Caritas ist mit rund 0,5 Mio. hauptamtlichen Mitarbeiten der größte private Arbeitgeber in Deutschland; in der gesamten freien Wohlfahrtspflege sind momentan etwa 1,5 Mio. Menschen angestellt. Der Jahresumsatz der Branche liegt nach Schätzungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) bei 55 Mrd. Euro. Nur durch die Befreiung von der Körperschafts- und Gewerbesteuer entsteht ihr ein Vorteil von 600 Mio. Euro, so der Hamburger Ökonom Dirk Meyer.
Auch bei Greenpeace schlägt die Steuerprivilegierung ordentlich zu Buche. Der Verein hatte Ende 2006 rund 550.000 Fördermitglieder und erwirtschaftet Jahreserträge von rund 40 Mio. Euro. Entsprechend dürfte der Steuervorteil aufgrund der Gemeinnützigkeit Jahr für Jahr beträchtlich sein. Würde er wegfallen, müsste auch „Greenpeace International“ neu disponieren. Das deutsche Länderbüro in Hamburg steht nämlich bei den insgesamt 27 Greenpeace-Niederlassungen an oberster Stelle der Einnahmenliste. Hamburg übernimmt aus diesem Grund regelmäßig einen Großteil der Kosten für weltweite Aktionen: Allein 2006 wurden über 12 Mio. Euro für internationale Kampagnen aufgewandt.

Das Expertengremium des Bundesfinanzministers ist der Meinung, das geltende Recht vergebe diese Steuervergünstigungen viel zu großzügig. Ein wesentlicher Reformvorschlag lautet, die Gemeinnützigkeit in der Abgabenordnung (AO) klarer zu definieren. So soll es Steuervorteile nur noch dann geben, wenn „echte Kollektivgüter“ bereitgestellt werden – wenn also nicht nur in Vereinssatzungen behauptet wird, die Allgemeinheit würde von diesem oder jenem Engagement profitieren, sondern wenn ein versprochener Nutzen auch nachweislich erbracht wird. Die Entscheidungsträger in Berlin sind sich mittlerweile weitgehend einig, dass die Förderung von kirchlichen und anderen karitativen Wohlfahrtsinitiativen beibehalten werden soll. Mehr Reformwille zeigt sich bisweilen gegenüber Organisationen, die als sogenannte „Themenanwälte“ (advocacy groups) agieren. Zu dieser Kategorie zählt Greenpeace.
Die Gemeinnützigkeit von Greenpeace leitet sich aus dem Satzungsziel ab, „als international tätige ökologische Organisation die globalen Probleme der Umwelt bewusst zu machen und die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen von Menschen, Tieren und Pflanzen zu verhindern“. Für die Gemeinnützigkeit spricht zudem, dass der Umweltschutz in der Abgabenordnung explizit als förderungswürdig genannt wird. Doch die Gutachter fordern auch hier eine Präzisierung. Sie schlagen vor, dass der Umweltschutz nicht mehr „primär auf die politische Beeinflussung der öffentlichen Meinungsbildung“ abzielen darf, soll er als gemeinnützig gelten. Stattdessen sollen auch konkrete Ergebnisse der Engagements geprüft werden.

Ohne Zweifel gibt es Greenpeace-Aktionen, die diesen Anforderungen genügen – beispielsweise wenn, wie kürzlich, aufgedeckt wird, dass Pflanzenschutzmittel, denen die Zulassung entzogen wurde, immer noch im Agrarhandel zu finden sind. Greenpeace wird in dem Gutachten aber nicht grundlos genannt. Den Wissenschaftlern ist offenbar aufgefallen, dass die Kampagnen des Vereins stark (wenn nicht gar zuvorderst) auf die politische Beeinflussung der öffentlichen Meinung zielen. Greenpeace bemüht sich sogar um die Einflussnahme auf Parlamentsentscheidungen und den Urnengang der Wähler. Beispiele hierfür sind Bemühungen zur Aufrechterhaltung des Atomausstiegs und zur Blockade der Gentechnik.
Solches Engagement lässt sich Greenpeace einiges kosten: Allein im Geschäftsjahr 2004 schlugen sich beachtenswerte 7,7 Mio. Euro für Kommunikationsausgaben im Greenpeace-Budget nieder. Hinzu kamen 2,5 Mio. Euro Werbungskosten und 26,6 Mio. Euro Ausgaben für diverse Kampagnen. Sollten die Reformvorschläge des Beirats aufgegriffen werden, hätten die Hamburger Finanzbehörden alsbald abzuwägen, in welchem Verhältnis die „Bewusstseinsarbeit“ von Greenpeace zu den konkreten Umweltschutzergebnissen steht.

„Angesichts der inhaltlichen Fragwürdigkeit von Greenpeace-Kampagnen wundert es nicht, dass der Gemeinnützigkeitsstatus des Vereins schon mehrfach ins Wanken geraten ist.“

Mit dem Beiratsgutachten sind nicht zum ersten Mal Zweifel laut geworden, ob die Tätigkeit des Vereins wirklich vorrangig dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen dient. Patrick Moore, 1971 in Kanada Greenpeace-Mitbegründer, bezweifelt dies. Die emotionale Ausrichtung der Kampagnen diene seit einiger Zeit vor allem der Eigenwerbung, und die falsche Prioritätensetzung schade sogar dem Umweltschutz, sagt er heute. Das Versenken der Ölplattform Brent Spar des Shell-Konzerns, gegen die Greenpeace 1995 mit einer weltweiten Boykottkampagne protestierte, hätte keinerlei ökologischen Schaden angerichtet, und die gegenwärtige Totalablehnung der Gentechnik erweise niemandem einen Dienst, ergänzt er. Im Zuge der Auseinandersetzung um die Brent Spar wurde erstmals auch in Deutschland Kritik an Greenpeace laut. Die Vereinsführung musste eingestehen, die Öffentlichkeit an der Nase herumgeführt zu haben: Die mögliche Verunreinigung durch Ölreste in der Plattform war damals übertrieben worden.
Seit 2004 engagiert sich Greenpeace verstärkt gegen die Grüne Gentechnik. Knapp ein Drittel der Pressemeldungen, die bis Ende 2006 verbreitet wurden, handelte von diesem Thema. Hierbei zeigt sich ein völlig brüchiger Zusammenhang zwischen den satzungsmäßigen Naturschutzzielen und der Realität. Als Weiterentwicklung der klassischen Pflanzenzüchtung eröffnet die Grüne Gentechnik nämlich vielfältige Möglichkeiten für eine effizientere und umweltschonendere Landwirtschaft. Wissenschaftsverbände aus der ganzen Welt sind sich hierüber einig, und der Weltmarkt mit GV-Saatgut wächst aufgrund der Vorteile dieser Produkte kontinuierlich. Bis zum Jahr 2015 wird mit einer Verdopplung der globalen Anbauflächen von GV-Pflanzen von derzeit 102 auf etwa 200 Mio. Hektar gerechnet.

Angesichts der inhaltlichen Fragwürdigkeit von Greenpeace-Kampagnen wundert es nicht, dass der Gemeinnützigkeitsstatus des Vereins schon mehrfach ins Wanken geraten ist. Seit Ende der 90er-Jahre häufen sich bei den Hamburger Finanzbehörden Eingaben zur Überprüfung der Steuervergünstigungen. Ende 1999 forderte die damalige Hamburger Bezirksabgeordnete Hermine Hecker (CDU) die Aberkennung der Greenpeace-Gemeinnützigkeit, weil der Verein sich nicht an die Rechtsordnung der Bundesrepublik gehalten habe. Hecker verlangte nicht mehr als die Umsetzung des noch heute gültigen „Anwendungserlasses zur Abgabenordnung“ (AEAO). Danach sollen Vereine nur dann als gemeinnützig anerkannt werden, „wenn sie sich bei ihrer Betätigung im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung“ halten. Die Finanzbehörden prüften die Sachlage, doch alles blieb beim Alten.
Im Frühjahr 2001 unternahmen die Innenminister der norddeutschen Bundesländer einen weiteren Vorstoß. Der damalige niedersächsische Innenminister Heiner Bartling (SPD) vertrat nach den Castor-Blockaden die Meinung, dass derlei Aktionen nicht vom Staat bezuschusst werden dürften. Greenpeace war an den Castor-Protesten beteiligt, und so kam es, dass das Finanzamt Hamburg Ende 2001 die Steuerprivilegien des Vereins infrage stellte. Doch die Politik wurde wieder eines Besseren belehrt: Greenpeace erhielt 2003 die Nachricht, dass der Steuerstatus des Vereins unverändert bleiben würde.
Ende 2004 musste Greenpeace seinen Förderern jedoch schon wieder mitteilen, dass die Gemeinnützigkeit möglicherweise aberkannt würde – zunächst ging es nur um das Geschäftsjahr 2003. Das Finanzamt hatte die Darstellung von Protestaktionen im Internet kritisiert und den Vorwurf erhoben, dass sich Greenpeace von unrechtmäßigen Aktionen nicht distanziert habe. Einige Monate später gab es Hinweise auf eine noch umfassendere Prüfung. Die Vereinsführung gab bekannt, dass nun auch Unternehmen und Politiker aus Sachsen-Anhalt und Bayern für die Geschäftsjahre 2004 und 2005 gefordert hätten, die Steuerprivilegien zu entziehen. Das hatte Gründe.

Sachsen-Anhalt wurde Angriffspunkt für Greenpeace, nachdem die Landesregierung beschlossen hatte, ab Frühjahr 2004 den Erprobungsanbau von GV-Pflanzen zu fördern. Greenpeace hielt dagegen und eröffnete ein Büro in der Landeshauptstadt Magdeburg. Für erste Schlagzeilen sorgte der Verein im März 2004, als etwa 120 Greenpeace-Aktivisten die Aussaat einer transgenen Weizensorte für Forschungszwecke fast vollständig vereitelten, indem sie mehrere Tonnen „Öko“-Weizen auf den zwei Versuchsfeldern bei Bernburg ausbrachten und zum Teil mit Maschinen in die Erde pflügten. Es kam zu mehreren Strafanzeigen, die Staatsanwaltschaft Dessau leitete gegen 92 Tatverdächtige Ermittlungen ein. Doch das juristische Nachspiel blieb ohne nennenswerte Konsequenzen – auch aufseiten der Gentechnikgegner. Anfang Mai 2004 rissen Unbekannte die letzten GV-Weizenpflanzen aus dem Restacker, der für die Versuche noch geeignet war. Der Gentechnik-Experte von Greenpeace, Henning Strodthoff, erklärte daraufhin, die Saatgutfirma habe den Konflikt vom Zaun gebrochen und solle sich „nicht wundern, dass es zu solchen Reaktionen“ komme. Das betroffene Unternehmen stellte wenig später das Forschungsprojekt in Deutschland ein. Der Versuchsanbau war 2003 schon einmal durch eine ähnliche Greenpeace-Aktion verhindert worden.

„Tatsächlich scheint auch der Rechtsbruch zu einem Markenzeichen aggressiver Greenpeace-Kampagnen geworden zu sein.“

Mit derselben Entschlossenheit agiert Greenpeace seit 2004 gegen den Müller-Konzern in Bayern und die sogenannte „Gen-Milch“. Der Bevölkerung wird es als Skandal präsentiert, dass Landwirte ihren Kühen gentechnisch verändertes Futter geben. Suggeriert wird damit, dass mit der Milch dieser Kühe etwas nicht in Ordnung sei – was wissenschaftlich widerlegt ist. Dies, wie auch die Tatsache, dass alle Agrarprodukte vor ihrer Zulassung umfangreichen Sicherheitsprüfungen unterliegen und dass GV-Futtermittel auf den Weltmärkten längst Standardware sind, hört man jedoch selten – mehr als 90 Prozent der Mischfuttermittel für Rinder sind heute als „gentechnisch verändert“ deklariert. Vor diesem Hintergrund haben zahlreiche Verbände und Wissenschaftler darauf hingewiesen, dass die „Gen-Milch-Kampagne“ von Greenpeace realitätsfremd ist und jeglicher naturwissenschaftlichen Basis entbehrt.
Hieraus hat sich eine weitere Frage im Zusammenhang mit dem Gemeinnützigkeitsstatus von Greenpeace ergeben: In der Abgabenordnung wird nämlich auch gefordert, dass „die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem und sittlichem Gebiet“ von einem gemeinnützigen Vereinsengagement profitieren muss. Doch wie lässt sich eine geistige oder sittliche Förderung aus Kampagnen ableiten, wenn dabei gesellschaftlich anerkannte Übereinkünfte wie die Wertschätzung naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinns ignoriert werden? Die Wissenschaft kann sachlich begründen, warum zugelassene GV-Futtermittel sicher sind. Greenpeace behauptet das Gegenteil, was – als Meinungsäußerung verstanden – das gute Recht des Vereins ist. Hinsichtlich der Gemeinnützigkeit zu überdenken wäre jedoch, ob die Verlautbarung „unwissenschaftlicher“ Positionen zu Wissenschaftsthemen als so nützlich für die Allgemeinheit gelten sollte, dass dafür Steuerprivilegien vergeben werden.
Einfacher erscheint die Bewertung der Rechtstreue von Greenpeace im Rahmen der „Gen-Milch-Kampagne“: Schon bei den ersten Aktionen gegen den Müller-Konzern 2004 verließ Greenpeace gleich mehrfach den Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung. Nach Protesten auf dem Betriebsgelände der Molkerei und in Supermärkten hagelte es Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruch, Nötigung, Sachbeschädigung und übler Nachrede.

In der Tageszeitung aus Berlin, die Greenpeace zugewandt ist, war kürzlich zu lesen, dass die „Ökoaktivisten“ aus Hamburg für „aggressive Kampagnen“ bekannt sind. Tatsächlich scheint auch der Rechtsbruch in den letzten Jahren zu einem Markenzeichen solcher aggressiven Greenpeace-Kampagnen geworden zu sein. Ein Rückblick auf 2006 verdeutlicht dies. Eine erste bemerkenswerte Aktion ereignete sich im April: Greenpeace-Mitarbeiter drangen bei Neutrebbin in Brandenburg in die Stallungen eines Milchbauern ein, der den Milchkonzern Campina beliefert. Die Aktivisten, darunter der Agrarwissenschaftler Martin Hofstetter, stellten fest, dass die Kühe auch GV-Futtermittel zu fressen bekamen. Die Kampagnenleitung bauschte diese Normalität zu einer Skandalmeldung auf und nahm hierfür Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruchs und Diebstahls in Kauf.
Anfang Juli 2006 kennzeichneten Greenpeace-Aktivisten in mehr als 100 Supermärkten „Landliebe“-Produkte von Campina wegen der Verwendung von „Gen-Futter“, obwohl derlei Aktionen dem Verein im Zusammenhang mit der Müller-Kampagne schon gerichtlich untersagt worden waren. Im August 2006 wurde ein Campina-Milchlieferant besucht – diesmal im brandenburgischen Wölsickendorf: Etwa 15 Greenpeace-Aktivisten machten sich über seinen Acker her, um GV-Mais einzusammeln, der vor der Campina-Zentrale in Heilbronn abgeladen werden sollte. Die Aktion wurde von der Polizei beendet, die Aktivisten kurzeitig in Gewahrsam genommen und das Diebesgut sichergestellt.
Wenige Tage zuvor hatte sich im nordrhein-westfälischen Borken Ähnliches abgespielt. Greenpeace-Aktivisten entwendeten Pflanzenteile von einem Feld, auf dem auch im Auftrag des Bundessortenamts Versuche mit schädlingsresistenten GV-Kulturen durchgeführt wurden. Doch auch in Borken schritt die Polizei ein, und die Aktion wurde aktenkundig. Das hielt Greenpeace nicht davor zurück, sie kurze Zeit später zu wiederholen. Kein Wunder also, dass Anwälte der betroffenen Unternehmen zu der Auffassung gelangt sind, dass es dem Verein an Rechtsbefolgungswillen mangelt. Theo Müller ist der Meinung, Greenpeace sei eher als gemeingefährlich denn als gemeinnützig anzusehen.

Im Zusammenhang mit den Feldaktionen in Sachsen-Anhalt ist 2004 auch die Frage aufgetaucht, ob für eine Aberkennung der Gemeinnützigkeit eine nachgewiesene Straftat vorliegen muss, oder ob hierfür bereits eine ideelle Billigung von rechtswidrigen Taten ausreicht. Der 2004 amtierende Finanzminister Sachsen-Anhalts, Karl-Heinz Paqué (FDP), hat darauf hingewiesen, dass sich der Bundesfinanzhof in früheren Urteilen von der Erwägung leiten ließ, dass Steuerprivilegien abzuerkennen sind, „wenn das künftige Verhalten einer Körperschaft nach Wort und Tat auf einen Verstoß gegen die staatliche Ordnung hinauslaufen würde“. Paqué kritisierte in diesem Zusammenhang die Sympathie der Vereinsführung für gesetzeswidrige Aktionen.
Schon mehrfach haben andere Initiativen öffentlich zu „Feldbefreiungen“ aufgerufen. Greenpeace lässt dies in der Regel unkommentiert geschehen. Auffällig ist jedoch, dass Feldzerstörungen seit der Verstärkung der Greenpeace-Kampagne gegen die Gentechnik zugenommen haben. Von 1993 bis 2003 gab es etwa 60 Protestaktionen auf Ackerflächen. Von Januar 2004 bis Ende 2006 sind ungefähr 30 solcher Ereignisse registriert worden. Der Bundesverband der Deutschen Pflanzenzüchter schätzt, dass hierdurch jährlich Schäden im Umfang von 1,5 bis 2,5 Mio. Euro entstehen.
Auch die „Standortkarte“ über den Anbau von GV-Pflanzen in Deutschland gilt Greenpeace-Kritikern als Hinweis, dass der Verein Feldzerstörungen gutheißt. Diese Standortkarte auf der Greenpeace-Internetseite gibt exakte Informationen über die Lage von GV-Kulturen. Zwar gibt es einen bedeutenden rechtsstaatlichen Unterschied zwischen einem Wort und einer Tat. Entsprechend ist unanfechtbar, dass Greenpeace das Recht auf freie Meinungsäußerung hat und nicht für Rechtsbrüche anderer Initiativen zur Verantwortung gezogen werden darf. Wohl aber scheint der skizzierte Zusammenhang relevant für die Vergabe von millionenschweren Steuerprivilegien, für die vom Gesetzgeber andere Messlatten bereitgelegt wurden.

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