14.12.2015

Geek-Kultur: Angekommen im Mainstream

Essay von Maren Thom

Die Gamergate-Kontroverse hat die Aufmerksamkeit auf die angeblich sexistische Subkultur der Geeks, Nerds und Gamer gelenkt. Maren Thom verteidigt das Recht der Geeks, ihre Fantasien auszuleben, und kritisiert gleichzeitig deren Obsession mit ihrer „Geek-Identität“

Als Filmwissenschaftlerin und Person, die gerne viel Zeit mit ihrer Playstation verbringt, tat sich mir die Frage auf: Was ist neu an den aktuellen Debatten über die sogenannte „Geek-Kultur“? Bei der Gamergate-Kontroverse streiten sich unlängst feministische Aktivisten mit Computerspielern, den „Gamern“, über die Frage, wie sexistisch Computerspiele sind. Ich würde sagen, dass die Onlinestreitereien über das Verhalten von Gamern und Geeks nicht nur reine Nischen-Phänomene sind, sondern dass sie als Symptom unseres post-politischen Zeitgeistes gedeutet werden sollten.

Es gibt ein paar Punkte in dieser Diskussion, auf die ich im weiteren Verlauf näher eingehen möchte. Erstens denke ich, dass sich das Konzept der „persönlichen Identität“ gewandelt hat und mit ihm die Bedeutung des „Geek“-Begriffs. Diese Wandlung ist auch der Grund, warum sich heute viele Leute als „Geek“ identifizieren und warum die Debatte über die Geek-Kultur oft zu einem Revierkampf über diese Identität ausartet. Zweitens denke ich, dass es eine neue Ebene der Intoleranz – insbesondere hinsichtlich individueller Fantasien – in der Diskussion über die Geek-Kultur gibt. Beide Punkte sind eng miteinander verwoben.

Wie sich herausgestellt hat, ist die „Geek-Kultur“ mittlerweile kein Modebegriff mehr, sondern eine neue sichtbare Dimension einer Identität. „Geeky sein“ bedeutet, „authentisch“ zu sein: Man will nicht als Superman rüberkommen, sondern ist vielmehr stolz auf seine schwach entwickelten sozialen Fähigkeiten und seine gesellschaftliche Underdog-Position. Zugleich stellt man als Geek sein Fachwissen zur Schau und, was am wichtigsten ist, ein Bewusstsein seiner persönlichen Situation.

„Die Identitätspolitik hat in der Geek-Kultur neue Höhen erreicht“

Eine Geek-, Nerd- oder Gamer-Identität ist keine Gegenkultur mehr, sondern Mainstream. Es ist heute gang und gäbe, sich als „Geek“ oder „Gamer“ zu bezeichnen. Die „Geek-Identität“ macht für einen Geek einen Teil seiner privaten und öffentlichen Rolle aus und gerade das individuelle Fantasieleben einen großen Teil von dem, was man zu sein meint. Diese Haltung drückt sich auf vielfältige Art aus: Bei der Wahl der Avatars, den virtuellen Charakteren der Geeks, am Trend des Cosplay, wenn sich Geeks als Charaktere aus Computerspielen verkleiden, oder auf Veranstaltungen wie den Comic-Con-Messen.

Man kann sagen, dass die Identitätspolitik in der Geek-Kultur neue Höhen erreicht hat. Sich eine Geek-Identität zuzulegen, wird zur Lösung für diejenigen, die in unserer post-politischen Zeit keinen anderen Zugang zu einer Identität haben. Und „Geek“ ist eine politisch ungefährliche Identität, weil sie den Verzicht auf soziale Privilegien signalisiert. Um dem Neuen in den gegenwärtigen Debatten über die Geek-Kultur auf den Grund zu gehen, kommt man an einer Auseinandersetzung mit der modischen Privilegientheorie und ihrem moralischen Imperativ „check your privilege“ nicht vorbei. Hier sollen sich vor allem weiße, männliche Mittelschichtsangehörige ihre angeblich privilegierte Position in der Gesellschaft bewusstmachen.

Die Privilegientheorie sieht den Menschen in einer durch seine Identität bestimmten gesellschaftlichen Lage gefangen und in den damit verbundenen kulturellen Privilegien (oder deren Fehlen). Das Annehmen einer Geek-Identität wird vor diesem Hintergrund zu einer bequemen und sicheren Methode des „check one’s privilege“: Indem die Geek-Rolle genutzt wird, um das Bewusstsein der eigenen Privilegien zu demonstrieren und es somit zu verharmlosen, will man sich selbst als moralisches Subjekt darstellen. Gerade im angelsächsischen Kulturkreis haben es so einige professionelle Geeks zu einer gewissen Berühmtheit gebracht, z.B. die US-amerikanischen Schauspieler Chris Hardwick, Felicia Day, eine Darstellerin aus der Kult-Vampirserie Buffy, oder Will Wheaton. Aber wenn Geeks und ganz besonders Gamer Spaß an politisch inkorrekten Fantasien entwickeln, werden sie öffentlich, wie in der Gamergate-Kontroverse, für „unethisches“ Verhalten angegriffen und gelten nicht mehr als „harmlos“.

„Erfreulich an der Geek-Szene ist, dass viele willens sind, ihr Fantasieleben zu verteidigen“

Hier zeigt sich eine neue, vielerorts zu beobachtende Intoleranz gegenüber Fantasien, die im Zentrum der aktuellen Geek-Debatte steht. Alte akademische Konzepte – wie „the oppressive gaze“, der unterdrückerische Blick auf Frauen – werden aus der Mottenkiste geholt und wieder salonfähig gemacht, um neue Erzählformen wie Computerspiele und Fantasy zu deuten. Solche Denkweisen moralisieren das Fantasieleben, indem sie es mit dem wirklichen, materiellen Leben der Menschen gleichsetzen. Als ob Spieler nicht zwischen den Rollen, in die sie während eines Spieles schlüpfen, und der Realität unterscheiden könnten!

Da sich viele Geeks stark mit ihrem Fantasieleben identifizieren – es gilt ihnen als Teil ihrer subkulturellen Identität – handelt es sich bei der Kontroverse letztlich um einen Kulturkampf über richtige Verhaltens- bzw. Denkweisen. Dabei dreht sich die ganze Diskussion eigentlich viel zu sehr um individuelle Fantasien, was wiederum typisch für die heutige Zeit ist. Und zwar in dem Sinne, dass politisches Denken einem Essentialismus zugrunde liegt: Menschen werden nicht als machende, sondern gemachte Subjekte angesehen, die in ihrer Identität, Sprache, Ideologie oder ihrer privilegierten Situation gefangen sind. Erfreulich an der Geek-Szene ist, dass viele willens sind, ihr Fantasieleben zu verteidigen. Weiter so! Ich denke aber auch, dass diese Diskussion Teil einer größeren kulturellen Auseinandersetzung sein muss, einer Auseinandersetzung um jedermanns Recht, seine privaten Fantasien zu haben und komplexe Ideen zu denken.

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