24.08.2022

Für das Recht auf Abtreibung demokratisch streiten

Von Ella Whelan

Titelbild

Foto: KylaBorg via Flickr / CC BY 2.0

Warum es falsch wäre, die Argumente der Gegner zu canceln.

Die amerikanischen Abtreibungsbefürworter haben einen schweren Kampf vor sich. Seit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Juni, das Urteil Roe v. Wade aufzuheben, in dem das Recht auf Abtreibung als verfassungsrechtlich geschützt eingestuft wurde, ist die Abtreibung wieder zu einer Frage für die Gesetzgeber der Bundesstaaten geworden. Und so beginnt nun die harte Arbeit, das demokratische Argument für die Wahlfreiheit zu gewinnen. Es geht darum, die Menschen in den „Anti-Abtreibungs“-Staaten von den Argumenten für die reproduktive Freiheit der Frauen zu überzeugen.

Deshalb ist es mehr als nur ein wenig enttäuschend, wenn viele Abtreibungsbefürworter nun versuchen, diese Debatte zu unterbinden. Letzte Woche veröffentlichte das feministische Magazin Jezebel ein Schreiben, das von über 600 US-amerikanischen Abtreibungsanbietern und Beschäftigten im Gesundheitswesen unterzeichnet wurde. In diesem Schreiben werden die Medien aufgefordert, den Abtreibungsgegnern keine Plattform mehr zu bieten.  

In dem Schreiben wird behauptet, dass die Medien in ihrem Bemühen um Ausgewogenheit in der Abtreibungsdebatte den Abtreibungsgegnern zu viel „Sendezeit einräumen“. Auf diese Weise würden die Journalisten „gefährliche Lügen verbreiten".

Eine Unterzeichnerin, ein Vorstandsmitglied der Organisation, „Physicians for Reproductive Health“, erklärte gegenüber Jezebel, dass sie sich nicht mehr auf Medienanfragen einlassen wird, die von ihr verlangen, mit einem Abtreibungsgegner zu debattieren, oder auch nur vorhaben, ihre Ansichten neben denen von Abtreibungsgegnern zu präsentieren. Ihre Aufgabe sei es nicht, mit weißen Rassisten zu debattieren, sagt sie. In ähnlicher Weise beschuldigt sie ihre Gegner in der Anti-Abtreibungs-Szene, mit „gewalttätigen Hassgruppen“ in Verbindung zu stehen.

Die Unterzeichner verhöhnen die Abtreibungsgegner nicht nur als weltfremd und des Engagements unwürdig, sondern stellen Abtreibung als Thema dar, das keiner öffentlichen Diskussion mehr würdig sei. „Lassen Sie uns eines klarstellen: Medizin und Wissenschaft stehen nicht zur Debatte“, heißt es in dem Schreiben.

„Nur weil der derzeitige Oberste Gerichtshof und viele republikanische Gesetzgeber erbittert gegen die Abtreibung sind, heißt das nicht, dass die breite Öffentlichkeit nicht zu einer anderen Sichtweise gebracht werden kann.“

Dies ist in mehrfacher Hinsicht falsch und kontraproduktiv. Es wäre ein katastrophaler Fehler, wenn sich die Befürworter der Abtreibung aus der Debatte zurückziehen würden. Nur weil der derzeitige Oberste Gerichtshof und viele republikanische Gesetzgeber erbittert gegen die Abtreibung sind, heißt das nicht, dass die breite Öffentlichkeit nicht zu einer anderen Sichtweise gebracht werden kann.

Im Gegenteil: Als Anfang dieses Monats in Kansas – einem Bundesstaat, der als eher konservativ gilt – die Frage der Abtreibungsrechte in einem Referendum direkt dem Volk vorgelegt wurde, haben sich die Wähler in großer Mehrheit für das Recht auf Wahlfreiheit ausgesprochen. Eine Verfassungsänderung, die den Schutz der Abtreibungsrechte aufgehoben hätte, wurde in diesem Bundesstaat entschieden abgelehnt. Es ist klar, dass diese Wähler nicht vor den Ansichten der Abtreibungsgegner geschützt werden mussten, um zu einer Entscheidung zugunsten der Abtreibung zu gelangen.

Die Abstimmung in Kansas entspricht einem Muster, das wir weltweit beobachten können. In den letzten 15 Jahren haben die Abtreibungsbefürworter Volksabstimmungen in Irland, San Marino und Portugal gewonnen – alles Orte, die einst als zu religiös oder traditionell galten, um Abtreibungsrechte zu unterstützen.

Doch trotz dieser Bewiese, die zeigen, dass die Mobilisierung per Wahlurne möglich ist, haben immer noch zu viele Abtreibungsbefürworter Angst vor Demokratie und Debatten. Anstatt zu versuchen, die Öffentlichkeit mit fortschrittlichen Argumenten für die Unterstützung der körperlichen Autonomie der Frauen zu gewinnen, würden sie sich lieber ganz aus der Debatte heraushalten – indem sie die Gegner canceln oder darauf bestehen, dass die Debatte medizinischen Experten oder den Gerichten überlassen werden sollte. Selbst diejenigen unter uns, die entschieden für das Recht auf Abtreibung eintreten, wissen, dass es um weit mehr geht als um Wissenschaft und Gesundheitsfürsorge. Abtreibungsbefürworter glauben an Freiheit, Gleichheit und Privatsphäre. Ob eine Frau Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch hat oder nicht, entscheidet darüber, ob sie ihre moralische und körperliche Autonomie ausüben kann.

In der Regel sind es die Abtreibungsgegner, die alle ethischen Fragen im Zusammenhang mit dem Thema Abtreibung auf einen einfachen Punkt zu reduzieren versuchen. Für sie ist Abtreibung „das Beenden menschlichen Lebens“ – ein Argument, mit dem jede weitere Debatte unterbunden werden soll. Doch im Fall des oben genannten Schreibens sind es die Befürworter der Abtreibung, die versuchen, dem Argument alles zu nehmen, was es politisch fortschrittlich macht.

„Für die Freiheit zu kämpfen, ist nie einfach. Aber der Kampf kann nur gewonnen werden, wenn die Öffentlichkeit in eine ernsthafte Diskussion einbezogen wird.“ 

In dem Schreiben wird auch versucht zu argumentieren, dass die Medien durch die Verbreitung abtreibungsfeindlicher Ansichten zu Belästigungen und sogar Gewalt gegen Abtreibungsanbieter ermutigen. Es stimmt, dass in vielen Kliniken Mitarbeiter und Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen, belästigt werden. Ärzte, Gynäkologen, Empfangs- und Sicherheitspersonal, die in Abtreibungskliniken arbeiten, sind in den letzten Jahren sogar von Abtreibungsgegnern getötet worden. Erst letzten Monat wurde ein Mann in Kalamazoo, Michigan, wegen Brandstiftung angeklagt, weil er eine Klinik des Abtreibungsanbieters Planned Parenthood in Brand gesetzt hatte. Vor dem Anschlag hatte er auf seinem YouTube-Kanal abtreibungsfeindliche Inhalte veröffentlicht.

Aber solche Gewalttaten sind nicht repräsentativ für den Mainstream des Anti-Abtreibungsaktivismus. Und sie sind sicherlich keine Entschuldigung für die Abtreibungsbefürworter, die Arena der öffentlichen Debatte zu verlassen. Denn wie sollen die Abtreibungsbefürworter ohne eine solide Debatte gegen die „gefährlichen Lügen“ vorgehen, die sie den Abtreibungsgegnern unterstellen? Es besteht kein Zweifel, dass die Abtreibungsgegner zahlreiche falsche Behauptungen aufstellen – von pseudowissenschaftlichen Behauptungen, dass Abtreibung Brustkrebs verursacht, bis hin zu Verschwörungstheorien über Föten, die in Abtreibungskliniken gefoltert oder „geerntet“ werden. Aber es ist sicher besser, solche Mythen öffentlich zu widerlegen und richtig zu stellen, als diese Ideen im Untergrund schwelen zu lassen.

Die Wahrheit ist, dass die Befürworter des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch viel mehr tun müssen, um die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, was Abtreibungsdienste tatsächlich leisten und warum sie notwendig sind. Ein typisches Argument der Gegner ist z.B., dass Frauen einfach besser verhüten sollten. Tatsache ist jedoch, dass viele Frauen zu dem Zeitpunkt, als sie schwanger wurden, verhütet haben. Solange sich die Abtreibungsbefürworter nicht in die öffentliche Debatte einmischen, werden solche falschen Vorstellungen unangefochten bleiben.

Für die Freiheit zu kämpfen, ist nie einfach. Aber der Kampf kann nur gewonnen werden, wenn die Öffentlichkeit in eine ernsthafte Diskussion einbezogen wird. Nur dann haben die Argumente für Wahlfreiheit und Autonomie eine Chance, sich durchzusetzen. Ein Canceln der anderen Seite oder die Verweigerung der Debatte bringen uns nicht weiter.

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