03.03.2016

Freiheit statt Stillzwang

Kommentar von Ella Whelan

Nach dem Übergewicht sagt die britische Gesundheitsverwaltung dem nächsten vermeintlichen Übel den Kampf an: dem Stigma des Stillens in der Öffentlichkeit. Dabei geht es in Wirklichkeit nicht um mehr, sondern um weniger Freiheit für Frauen.

Frauen sollten im britischen Parlament ihre Babys stillen dürfen. Mit diesem Vorschlag gelangte Labour-Abgeordnete Jess Philips Ende 2015 in die Schlagzeilen. 1 Vorangegangen war eine Debatte, in der ihre Fraktionskollegin Stella Creasy sich für das Ende der Tampon-Steuer eingesetzt hatte und nicht aufhörte zu kichern, bis sie den Tory-Parlamentarier Bill Cash so weit hatte, statt „Produkt“ das Wort „Tampon“ in den Mund zu nehmen. 2

Im Prinzip bin ich mit beidem einverstanden – Frauen sollten überall stillen können, wo sie müssen. Und eine Menge Produkte hätte ich gerne billiger, Tampons eingeschlossen. Doch der schrille Ruf nach „Gleichheit für Frauen“ in der parlamentarischen Politik trägt eher dazu bei, die Freiheit der Frauen einzuschränken als sie auszuweiten.

Der Appell einiger Labour-Abgeordneter fürs Stillen in Westminster ist dafür ein gutes Beispiel. Es geht nicht darum, Frauen die Möglichkeit zu geben, zu tun was sie möchten. Nein, Frauen sollen dazu bewegt werden, sich auf eine bestimme Art und Weise zu verhalten, in diesem Fall in der Öffentlichkeit zu stillen. Im Mittelpunkt dieser Beeinflussung von Müttern steht Start4Life, eine Kampagne, die von der Gesundheitsbehörde Public Health England (PHE) ins Leben gerufen wurde. Erklärtes Ziel ist es, das Stigma des Stillens in der Öffentlichkeit zu bekämpfen. Das Ganze ist an die Ernährungskampagne Change4Life angelehnt (eine Kampagne gegen Übergewicht) und richtet sich an schwangere Frauen und junge Mütter. Laut PHE wollen sechs von zehn Frauen lieber bedeckt stillen, und eine von zehn stillt in der Öffentlichkeit gar nicht, weil sie das Gefühl hat, es werde nicht gern gesehen. 3 Doch derselben Umfrage zufolge begrüßen 72 Prozent der Befragten Stillen in der Öffentlichkeit.

„Die Vorstellung, eine Verbindung mit seinem Kind sei einzig und allein herzustellen, wenn es an der Brustwarze hängt, ist unseriös“

Stillen ist zur politischen Waffe geworden, seit eine junge Frau, die in einem Londoner Nobelhotel aufgefordert wurde, sich beim Stillen zu bedecken, Aufmerksamkeit erregt hat. 4 Militante Aktivisten, motiviert durch die Twitter-Kampagne unter dem Hashtag #freethenipple 5 behaupten, Frauen würden dazu gezwungen, ihre Brüste zu verstecken, wenn sie in der Öffentlichkeit ihre Säuglinge stillen. Und nun behauptet Start4Life, die Stigmatisierung des Stillens zu bekämpfen.

Stillen wird aber gar nicht stigmatisiert. Im Großen und Ganzen gilt Stillen als ein vollkommen normaler und unproblematischer Teil des Lebens. Die Tatsache, dass die meisten Frauen sich bedecken, während sie ihre Säuglinge stillen, ist der Intimität der Beziehung zwischen Mutter und Kind geschuldet. Wenn überhaupt ein Stigma besteht, dann beim Füttern mit der Flasche. Schließlich suggeriert die „Breast is Best“-Kampagne, dass eine Frau, die sich nicht exklusiv dem Stillen widmet, ihr Kind vernachlässigt. Start4Life führt sogar die angeblichen Vorteile des Stillens auf: Es verbrenne Kalorien, helfe bei der Krebsvorbeugung und versorge den Säugling mit Antikörpern. Und, wie Start4Life betont, es stärke die Verbindung zwischen Mutter und Kind. Doch der einzige wirkliche Vorteil des Stillens liegt in der Weitergabe natürlicher Antikörper. 6 Alles andere auf der Liste ist entweder übertrieben oder vollkommen an den Haaren herbeigezogen. Die Vorstellung, eine Verbindung mit seinem Kind sei einzig und allein herzustellen, wenn es an der Brustwarze statt an einer Flasche hängt, veranschaulicht den unseriösen Kern dieser staatlich unterstützten Kampagne.

Vor allem aber stellen Aktionen wie Start4Life einen Angriff auf die Autonomie der Eltern dar, besonders die der Mütter. Wenn werdende Mütter nicht sowieso schon davon genervt sind, ständig zu hören, sie sich sollten sich regelmäßig bewegen, bestimmte Lebensmittel meiden und bloß keinen Alkohol trinken, dürfen sie sich jetzt auch noch über staatliche Anweisungen zur Ernährung des Kindes nach der Geburt freuen. Ob sie nach einer anstrengenden Geburt erschöpft ist oder gerade nach einem Kaiserschnitt aufwacht – keine Frau verlässt in Großbritannien das Krankenhaus, ohne von einem „Laktations-Berater“ gesagt zu bekommen, dass sie stillen soll. Es wäre naiv zu glauben, dass es dabei um Aufklärung ginge. Ziel solcher Kampagnen ist es, Frauen Anweisungen zu erteilen, ihnen zu sagen, wie sie sich gefälligst zu verhalten haben.

„Keine Frau verlässt in Großbritannien das Krankenhaus, ohne gesagt zu bekommen, dass sie stillen soll“

Die Abwägung einer Mutter, ob sie stillt oder das Baby mit der Flasche füttert, ist eine persönliche Angelegenheit, die nur sie betreffen sollte. Deshalb ist es eine Frage weiblicher Selbstbestimmung. Das aber vergessen Politikerin Phillips und die ganzen Mittelschichts-Gesundheitsaktivisten offenbar – Stillen ist zuallererst die Entscheidung einer Frau, mit ihrem Körper zu tun, was sie will. Wir sollten begrüßen, dass der wissenschaftliche Fortschritt es uns erlaubt, künstliche Babynahrung zu verwenden. Ist es nicht großartig, dass wir über eine Möglichkeit zur Säuglingsernährung verfügen, ohne dass Frauen 24 Stunden pro Tag auf Abruf bereitzustehen haben? Mütter können ständig unterwegs und flexibel sein, ohne vorher fünf Stunden wie eine Milchkuh an eine Pumpe angeschlossen zu werden.

Weiterhin übersieht das Ansinnen, dass Frauen überall stillen sollten – am Arbeitsplatz, auf der Straße, in Cafés, im Parlament –, dass Frauen vielleicht gar nicht vollkommen von ihrer Mutterschaft eingenommen werden möchten. Möglichweise wollen sie Stillen und die anderen privaten Aspekte des Mutter-Seins von ihrem Arbeits- und öffentlichen Leben trennen. Das heißt nicht, dass sie unterdrückt werden. Es ist einfach ihre Entscheidung.

Doch Phillips und andere „Breast is Best“-Aktivisten kümmert es nicht, was Frauen tatsächlich wollen. Ihr Anliegen ist vielmehr, sich als gute und engagierte Mütter zu präsentieren, die immer und überall stillen. Damit geht die auf Vorurteilen gegenüber anderen Sozialmilieus basierende Abwertung von Frauen einher, die nicht die Zeit oder die Neigung haben, öffentlich zu stillen.

Wir brauchen keine Politiker, die ihre Brüste (oder ihre Unterstützung von Brüsten) als Monstranz vor sich hertragen, wir brauchen Politiker, die sich für die Freiheit von Frauen einsetzen. Das bedeutet auch, alle Einschränkungen beim Verkauf von Babynahrung und Bewusstseinskampagnen wie Start4Life abzuschaffen.

Die Idee, Frauen bedürften weiterer Aufklärung, um die Überlegenheit des Stillens zu erkennen oder Gesetze, die die Ernährung ihrer Kinder regeln, ist verrückt. Als Beispiel eines gesunden, an der Flasche großgezogenen früheren Säuglings sage ich: Es gibt keinen Unterschied zwischen Brust und Flasche. Und als jemand, der für die Freiheit von Frauen steht: Es geht darum, was Frauen wollen. Die Verfechter des Stillens scheinen nicht zu verstehen, dass das wirkliche Problem in ihren Forderungen liegt: denen nach noch mehr staatlicher Einmischung in das Privatleben von Frauen.

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