27.09.2017

Fiskus statt Schutz

Von Monika Frommel

Titelbild

Foto: Petr Kratochvil via PublicDomainPictures (CC0)

Das neue Prostituiertenschutzgesetz hilft Betroffenen nicht, sondern unterwirft sie einer rigiden Kontrolle, auch mit Mitteln des Steuerstrafrechts.

Anfang des Monats fand im Kölner „Pascha“ eine Razzia statt. Hunderte Polizisten durchsuchten das Gebäude stundenlang. Der Betreiber war zuvor vom Landgericht Augsburg zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, offenbar lag für das Gericht ein klarer Fall von Steuerhinterziehung vor. Aber das Thema Prostitution und Steuerstraftaten verdient einen näheren Blick.

Seit Juni 2017 gilt das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG). Umgesetzt wird es von den Ländern sehr zögerlich. Das liegt daran, dass nur Finanzbeamte diese Regulierung angemessen finden können, alle anderen Behörden setzt sie unter Druck. Kern der Reform ist die individuelle Anmeldepflicht aller in dieser Branche Tätigen. Damit werden alle als Gewerbetreibende definiert (und künftig auch so besteuert). Dennoch ist es nicht Ziel der Neuregelung, Prostitution als Beruf anzuerkennen. Angestrebt wird vielmehr eine deutlich härtere ordnungs- und steuerrechtliche Kontrolle. Es liegt auf der Hand, dass Kontrolle und Schutz einander ausschließen und neue Dunkelfelder entstehen. Insbesondere die Wohnungsprostitution wird zunehmen, denn diese ist praktisch nicht kontrollierbar (und damit auch kaum durch Finanzbeamte zu erfassen).

Was dieses Gesetz schaffen wird, das sind viele Steuer- und Strafverfahren. Bereits jetzt werden Bordellbetreiber routinemäßig wegen Steuerhinterziehung und/oder der Nichtabführung von Sozialabgaben (§ 266a StGB) verfolgt. Sollte sich eine gefestigte Rechtsprechung bilden, dass Prostituierte in einem Bordell – schlicht wegen der äußeren Eingliederung in diesen Betrieb – als abhängige Arbeitnehmer anzusehen sind, dann dient die Anmeldepflicht zur Durchsetzung dieser Ansprüche.

„Das Prostituiertenschutzgesetz ist ein Beleg für Versagen.“

2014 hätte die Große Koalition die bisherige Polemik gegen eine gewerberechtliche Regulierung beenden und das 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz (ProstG) an moderne Lebensbedingungen anpassen können. Dies geschah jedoch nicht. Stattdessen entstand das ProstSchG als Beleg für ein Versagen. Zwar kann dieses Gesetz auch wohlmeinend implementiert werden (Schleswig-Holstein versucht das), aber letztlich dürfte dieser Versuch scheitern. Bleibt die Utopie, dass bei kluger Umsetzung des vorgeschriebenen Beratungsangebots und insbesondere dessen besserer Finanzierung sich die Lage vieler Prostituierten indirekt verbessern kann. Aber bis zu einer substanziellen Veränderung ihrer Arbeitsbedingungen wird es noch ein weiter Weg sein.

Neu ist der oben angesprochene fiskalische Blick nicht. Schon vor etwa zehn Jahren deutete sich dieser Weg an. Damals konstruierten die Augsburger Polizei und die dort für Wirtschaftsstrafverfahren zuständige Staatsanwaltschaft aus dem Gesichtspunkt „Eingliederung in den Betrieb eines Bordells“ eine Straftat. Sie erfanden den Beruf der abhängigen Sexarbeiterin – nicht um ihn als „einen Beruf wie jeden anderen auch“ zu behandeln, sondern um umfangreiche Strafverfolgung zu ermöglichen. Arbeitgeber sind nach § 266a StGB verpflichtet sind, Steuern und Sozialabgaben für ihre Beschäftigten zu entrichten. Verstöße sind leicht zu ermitteln und noch leichter zu beweisen, wenn die Rechtsprechung die Eingliederung in einen Bordell-Betrieb ausreichen lässt.

Unter dem programmatischen Slogan „Prostitution – Der Augsburger Weg“ 1 wurde das schon früh getestet. Damals initiierte Helmut Sporer, ein Sprecher der bayerischen Polizei, sehr früh – zusammen mit der Augsburger Staatsanwaltschaft – ein Ermittlungsverfahren gegen den bordellartigen Saunabetrieb „Colosseum“ wegen dirigistischer Zuhälterei (Anweisung an die dort Tätigen, sich nackt im Saunabereich aufzuhalten) und dem Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer (§ 266a StGB). Das Oberlandesgericht München lehnte am 20.04.2010 2 im Beschwerdeverfahren die Eröffnung des Verfahrens wegen dirigistischer Zuhälterei ab – unter Berufung auf das ProstG. Seitdem wird die Formel von der Eingliederung in einen Bordellbetrieb propagiert. Sie soll als Indikator für nicht selbstständige Beschäftigung (§ 7 Abs. 1 SGB IV) und Scheinselbstständigkeit dienen. Die Verteidigung widerlegte zwar 2010 diese Annahme über ein Gutachten (Prof. Dr. Dagmar Felix, Hamburg). Mittlerweile aber ist dieser Freispruch strittig. Seitdem wird versucht, die Eingliederung in einen Bordellbetrieb als Indikator für unselbstständige Arbeit gesetzlich zu regeln. Statt die Gefahr der wirtschaftlichen Ausbeutung als Maßstab für eine Kontrolle der Betreiber zu benennen, dominieren dann doch wieder fiskalische Gesichtspunkte.

„Die letzten zwölf Jahre haben gezeigt, dass Prostituierte nicht abhängig arbeiten wollen.“

Wer Prostituierte schützen will, muss sich darauf beschränken, die Betreiber zu mehr Transparenz zu zwingen, den dort Tätigen Akteneinsicht und Beratung zu gewähren. Denn die letzten zwölf Jahre haben gezeigt, dass Prostituierte nicht abhängig arbeiten wollen und schon gar kein Zwangsouting wünschen. Es ist eben ein Beruf sui generis, und Berufe sind nun einmal verschieden. Flächendeckende Strafverfahren wegen § 266a StGB bieten keinen Schutz, sondern schaffen nur neue repressive Befugnisse. 2016 intensivierten die Finanzbehörden diese Strategie (siehe z.B. die Razzia im „Artemis“). Aber noch sind die strittigen Rechtsfragen, wann eine Prostituierte „abhängig“ arbeitet und wann sie noch als „selbstständige Gewerbetreibende“ anzusehen ist, nicht abschließend geklärt und auch noch nicht rechtskräftig entschieden. 3

Beim Thema Prostitution überschnitten sich über hundert Jahre lang feministische Vorbehalte gegen männliche Vorrechte – so etwa die abolitionistische Frauenbewegung, die seit ungefähr 1900 aktiv gekämpft hat – und vielfältige konservative Strömungen, die sich sind in der Verurteilung dieses ältesten Gewerbes der Welt als Unzucht einig waren und teilweise noch sind. Mittlerweile ist diese Phase der konservativen Doppelmoral aber einer Mentalität gewichen, welche fiskalische Gesichtspunkte betont. Sie modernisiert die immer noch wirksamen, aber altmodischen Formen der moralischen Abwertung durch neue Strategien der Sanktionierung. Die fiskalischen, die moralischen und die sich feministisch nennenden Positionen widersprechen sich zwar, entfalten aber dennoch – gewissermaßen arbeitsteilig – destruktive Wirkungen. Sie stabilisieren Denkverbote.

Augenfällig wird dies in dem Satz, Prostitution verletze die „Würde der Frau“. Wer so argumentiert, hat zwar eine neue, scheinbar antidiskriminierende Sprache gefunden, denkt aber extrem straforientiert (Freierbestrafung). Kein Wunder, dass die in Teilen erfolgreiche Legalisierung der Prostitution 2002 nur halbherzig war. Zum einen, weil die Länder die Implementierung der in ihren Zuständigkeiten liegenden Aspekte des 2002 geschaffenen Bundesgesetzes mehrheitlich unterliefen, und zum anderen, weil eine gewerberechtliche Regulierung unterblieb.

„Bevormundende Feministinnen wollen Männer, die ins Bordell gehen, als Täter definieren.“

Stattdessen wurde die Besteuerung der Bordellbetreiber intensiviert. Mittlerweile wird diese Strategie weiter ausgebaut. Gewerbesteuer müssen nun auch die individuell tätigen Sexarbeiter bezahlen, und die Kontrolle der Zahlung der Einkommenssteuer wird sehr leicht, wenn alle in dieser Branche Tätigen sich anmelden und ausweisen müssen und die Betreiber die bei ihnen Tätigen den Behörden melden müssen.

Außerdem besteht eine neue Regelung in § 232 a Abs. 6 StGB, die vom Phänomen „Zwangsprostitution“ ausgeht und davon, dass eine „Freierbestrafung“ die Lage verbessern könnte. Für bevormundende Feministinnen mag es befriedigend wirken, wenn sie Männer, die ins Bordell gehen oder den Straßenstrich aufsuchen, als Täter definieren können. Wenn man diese Nachfrage so riskant wie möglich ausgestaltet (peinliche Ermittlungsverfahren, peinliche Bußgeldbescheide, Einladung zu Denunziationen), dann bleibt an diesen Männern ein Makel hängen.

Diese Feministinnen behaupten seit Jahrzehnten, mittels Schätzungen und weitgehend ohne Belege, dass angeblich nur eine kleine Minderheit der Sexarbeiterinnen freiwillig tätig sei. Menschen- und Kinderhandel („Kind“ hier als Person unter 18 Jahren) seien demgegenüber die Regel. Wer so argumentiert, prüft nicht, welche Wirkungen männerdiskriminierende Strafgesetze zeitigen. Früher moralisch verbrämte Vorurteile werden lediglich neu formuliert und in einem schiefen, scheinbar feministischen Ton für oberflächlich informierte Bürger attraktiv gemacht.

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