17.09.2018

Fahrverbote – Pyrrhussieg der Kulturkrieger

Von Alexander Horn

Titelbild

Foto: Zauberin via Pixabay / CC0

Die drohenden Diesel-Fahrverbote basieren auf irrationalen Grenzwerten und dem Drang der Mainstream-Politiker, einen moralisch vermeintlich höherwertigen Lebensstil vorschreiben zu wollen.

In vielen deutschen Städten stehen in unmittelbarer Zukunft umfangreiche Fahrverbote für Alt-Diesel und auch alte Benziner an. Dies zeigen die Gerichtsentscheidungen für Stuttgart und nun auch für Frankfurt/Main, die allein dort hunderttausende Diesel-Besitzer massiv treffen. Obwohl diese Entwicklung surreale Züge annimmt und irrational scheint, war schon früh absehbar, dass es die etablierten politischen Parteien soweit kommen lassen. Die Diesel-Hysterie ist ein wichtiges Medium der politischen Eliten zur Propagierung eines gewünschten Konsum- und Lebensstils und zur Demonstration moralischer Überlegenheit.

Die Diesel- und Fahrzeugtechnologie hat in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Der Kraftstoffverbrauch und die damit einhergehende CO2-Ausstoß sind deutlich gesunken. Das Feinstaubproblem wurde sogar vollständig gelöst. Die von den Dieselmotoren angesaugte Stadtluft enthält inzwischen mehr Feinstaub als ein moderner Diesel ausstößt. Die Motoren fungieren praktisch als mobile Feinstaub-Reinigungsanlagen, die die Feinstaubbelastung in manchen Städten sogar reduzieren. Sogar das Problem der Stickoxid (NO2)-Belastung, die nun zu Fahrverboten in vielen deutschen Städten führt, ist mit der inzwischen serienreifen und bereits im Markt eingeführten Dieseltechnologie „technisch gelöst“, wie Thomas Koch, Leiter des Instituts für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) bereits im letzten Jahr erklärte.

Die inzwischen deutlich verbesserte SCR-Katalysatortechnologie erreicht im Stadtverkehr einen NO2-Ausstoß von nur noch 20-50 mg/km und liegt damit auf dem Niveau von Benzinmotoren. Bosch hat im April eine neue Technologie vorgestellt, durch die der Ausstoß von Stickoxiden eines VW Golf mit Dieselmotor auf 13 mg/km gesenkt wurde. Das wäre ein Zehntel des erlaubten Grenzwerts, der ab 2020 gelten soll. Selbst wenn nur die geforderten Grenzwerte eingehalten und nicht sogar drastisch unterschritten würden, wird sich die aus dem Straßenverkehr resultierende NO2-Belastung in den nächsten Jahren weiter drastisch verringern – einfach indem alte Diesel durch neue Diesel, Benziner oder elektrisch angetriebene Autos ersetzt werden.

„Der Stickoxid-Ausstoß im Straßenverkehr wurde von 1990 bis 2015 bereits um rund 70 Prozent reduziert.“

So wurde der Stickoxid-Ausstoß im Straßenverkehr von 1990 bis 2015 bereits um rund 70 Prozent reduziert, obwohl die Anzahl der Diesel-Fahrzeuge gleichzeitig deutlich angestiegen ist. Nun hat die nächste, noch drastischere Reduzierung begonnen: Gegenüber der Euro-3-Norm, die den Stickoxid-Ausstoß ab dem Jahr 2000 auf 500 mg/km begrenzte, sind mit der Euro-6-Norm nur noch 80 mg/km erlaubt. Diese Grenzwerte reflektieren dabei noch längst nicht die tatsächliche Reduktion, denn die Euro-6d-TEMP-Norm bedeutet ein wesentlich härteres Testverfahren, das reale Fahrbedingungen einschließt, während früher nur am Prüfstand unter erleichterten Bedingungen gemessen wurde.

Aufgrund dieser dramatischen Verbesserungen und des hohen Anteils der Stickoxid-Emissionen die von Diesel Fahrzeugen ausgehen, wird die NO2-Belastung in den nächsten Jahren auch an den wenigen Verkehrsknotenpunkten in deutschen Städten, wo sie noch geringfügig darüber liegt, bald unter den Grenzwert von 40µg/m3 Luft sinken. Obwohl sich die Luft also von Jahr zu Jahr deutlich verbessert, sah sich nun auch das Verwaltungsgericht Wiesbaden aufgrund der Rechtslage genötigt, Fahrverbote für Diesel und sogar alte Benziner in Frankfurt/Main zu verhängen. Dort liegt der Durchschnittswert an der Messstelle Friedberger Landstraße derzeit noch bei 47µg/m3 Luft. Allein in Frankfurt und im unmittelbaren Umland sind die Eigentümer von 280.000 Dieselfahrzeugen mit Euro-4- und -5-Norm von Fahrverboten betroffen, die voraussichtlich über die gesamte Umweltzone, also fast das gesamte Stadtgebiet ausgedehnt werden. 1 Aufgrund der vielen anhängigen Klagen ist davon auszugehen, dass in den nächsten Monaten viele Städte nachziehen müssen. Dies dürfte die Mobilität eines großen Teils der noch etwa 10 Millionen Alt-Diesel PKW einschränken. Nach Angaben des Umweltbundesamts überschritten im letzten Jahr Messstellen in 37 Städten im Bundesgebiet die Grenzwerte. An 345 der insgesamt 397 Messstellen gab es keine Überschreitung.

Die politisch Verantwortlichen hätten längst handeln können, denn diese Entwicklung war lange absehbar. Noch im März hatte die AfD-Fraktion im Bundestag einen Antrag zur Überprüfung des NO2-Grenzwertes eingereicht, die FDP-Fraktion stellte einen Antrag zur verbesserten Aufstellung der Messstationen. In der dazu anberaumten Bundestagsdebatte lehnten die Redner von CDU/CSU, SPD, FDP, den Grünen und der Linken eine Grenzwertdiskussion strikt ab. Der CDU-Abgeordnete Oliver Grundmann warf der AfD vor, ihr Vorschlag sei „einfacher Populismus“, „enthalte ganz einfache Antworten“ und behauptete, dass eine „Grenzwertdiskussion […] nicht nötig ist.“ Im Bewusstsein mit den scharfen Grenzwerten moralisch auf der richtigen Seite zu stehen, weichen die politischen Entscheidungsträger kontinuierlich ihrer politischen Verantwortung aus, die vor 19 Jahren beschlossenen Grenzwerte in Anbetracht der Umstände kritisch zu hinterfragen. Abweichende Auffassungen werden als moralisch illegitim und böse diffamiert. Das zeigte sich in der Bundestagsdebatte im wiederholten Vorwurf gegen die andere Seite, den „Klimawandel … noch immer [zu] leugnen“ oder „Populismus“ zu betreiben.

„In den Augen der politischen Eliten vereitelt der Diesel den moralisch richtigen Konsum.“

Die Diskussion um den Diesel ist moralisch so extrem aufgeladen, weil sie mit Themen verknüpft ist, die nichts mit der Diesel-Technologie per se zu tun haben. Den Befürwortern der bestehenden Grenzwerte geht es darum, ihre Werte, die sich in deren persönlichem Lebensstil und der eigenen Identität ausdrücken, als moralisch überlegen zu verteidigen. Dies äußert sich in so banalen Dingen wie dem Überlegenheitsgefühl, das ein Elektroauto oder -roller vermitteln kann. So erwähnte die Frankfurter SPD-Bundestagsabgeordnete Ulli Nissen in der oben angesprochenen Bundestagsdebatte, dass man mit Elektrozweirädern „nicht nur etwas für die bessere Luft, sondern auch für weniger Lärm“ tue und fuhr stolz fort: „Diesen Unterschied merke ich, wenn ich mit meinem Elektroroller – mit dem bin ich seit neun Jahren unterwegs – neben einem alten Mopedstinker stehe.“ Konsum, egal ob bei der Ernährung oder bei der Mobilität, ist für viele Menschen zu einem wichtigen Identitätskriterium und einem moralischen Prinzip geworden. Ein nachhaltiger, klimaneutraler und generell umweltgerechter Lebensstil ist auch für die politischen Eliten ein wichtiger Wert der zur Selbstvergewisserung dient, aber auch moralische Autorität herstellen soll. Der Diesel in dieser Hinsicht zu einem Sinnbild für das geworden, was im Bereich Mobilität als falsch gilt und wogegen es sich abzugrenzen gilt.

In den Augen der politischen Eliten vereitelt der Diesel, der noch bis vor wenigen Jahren von Klimaschützern wegen seiner Sparsamkeit massiv propagiert wurde, heute den moralisch richtigen Konsum. Er widerspricht einem Lebensstil, der auf die konsequente Vermeidung insbesondere von Gesundheitsrisiken ausgerichtet ist. Die in Deutschland übliche pervertierte Auslegung des Vorsorgeprinzips führt dazu, dass Technologien oder die mit ihnen verbundenen Emissionen, selbst wenn diese zwar nach wissenschaftlichen Erkenntnissen keine Schäden verursachen, dennoch als unzumutbares Risiko gelten.

Praktisch führt dies zu Null-Toleranz-Grenzwerten, wie sie auch für die NO2-Luftkonzentration gelten. Wissenschaftlich sind diese kaum zu begründen. Selbst bei viel höheren NO2-Luftkonzentrationen ist nicht mit Gesundheitsbeeinträchtigung zu rechnen. Auch für besonders anfällige Personen, wie Asthmatiker besteht in unseren Städten keine nennenswerte Gefahr. Aus diesem Grund sind sogar NO2-Konzentrationen von bis zu 950µg/m3 in Deutschland am Arbeitsplatz zulässig. Der Grenzwert von 40µg/m3 für extrem verkehrsreichen Straßen, an denen sich die Menschen in der Regel nicht dauerhaft aufhalten, kommt der Null-Toleranz-Schwelle schon recht nahe. Insbesondere wenn man bedenkt, dass die Werte schon wenige Meter von der Straße entfernt noch deutlich niedriger liegen.

„Es geht nicht mehr darum, die andere Seite zu überzeugen, sondern darum, den Gegner als moralisch inferior hinzustellen.“

Dass hier der persönliche Lebens- und Konsumstil zum Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzung in politischen Fragen gemacht wird, vereitelt eine nüchterne politische Diskussion. Es geht daher nicht um die Frage, ob der vor 19 Jahren festgelegte NO2-Grenzwert vernünftig ist, oder wie eine im Sinne der Allgemeinheit vernünftige politische Lösung gefunden werden kann. Es geht nicht mehr darum, die jeweils andere Seite zu überzeugen, sondern darum, den Gegner als moralisch inferior hinzustellen. Statt einer politischen Auseinandersetzung erleben wir im Konflikt um den Diesel einen Kulturkrieg, in dem ein Lebensstil verteidigt wird, der nicht verhandelbar ist – daher die Unfähigkeit zum Kompromiss. Der britische Autor Tim Black beschreibt diesen problematischen Trend als Kulturalisierung und Ästhetisierung der Politik. Die Politik sei „zu einer kulturellen Ausdrucksform geworden, zu einem Mittel, um sich von anderen abzugrenzen und einen ‚überlegenen´ politischen Geschmack zu präsentieren.“ Das Problem dabei ist, dass diese Ästhetisierung der Politik zur Entstehung eines neuen politischen Snobismus führe, der politischen Debatten eine unlösbare kompromisslose Qualität verleihe. „Politische Auseinandersetzungen arten in persönliche Konflikte zwischen unvereinbaren Lebensweisen aus.“ 2

Nach Jahren der Eskalation erscheint es ziemlich ausgeschlossen, dass die politischen Entscheidungsträger, denen es gelungen ist, den eigenen überlegenen und guten Lebensstil anhand der Diesel-Debatte zu demonstrieren, geeignete politische Lösungen finden werden. Ein „fauler“ Kompromiss würde an der eigenen Identität und Werten rühren. Es sieht also danach aus, dass die Unverbesserlichen, die heute noch dreckige Diesel fahren, schnellstmöglich vor sich selbst gerettet werden, indem sie – wenn auch mit etwas Druck – zügig auf den favorisierten, vermeintlich nachhaltigeren Lebensstil umgeleitet werden.

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